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Ottendorfer Zeitung : 27.11.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190411273
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19041127
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19041127
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-11
- Tag 1904-11-27
-
Monat
1904-11
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 27.11.1904
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potttilcke Kunälckau. Der englisch-russische Zwischenfall. *Das Programm für die Kommission zur Untersuchung des Zwis chenfalls an der Doggerbank ist nunmehr in den Grundzügen festgestellt. Jedem der fünf Admirale sind zwei Sachverständige mit be ratender Stimme bsigegeben. Die Kosten des Verfahrens werden von England und Rußland zu gleichen Teilen getragen. Aufgabe der Kommission ist die Abfassung eines Protokolls, das aus zwei Abteilungen bestehen soll: ») einer möglichst genauen Feststellung der äußeren Umstände, die das Sinken eines englischen Fischerbootes, die Beschädigung mehrerer andrer Fischerboote und den Tod zweier Fischer verursachten; d) einem Gutachten über die Frage des Verschuldens und den Grad des Tadels, welcher gegen Ange hörige Rußlands oder Englands oder irgend eines Fremdstaates auszusprechen wäre. »- * * Der russisch-japanische Krieg. *Bei den am Schahe einander gegenüber stehenden Heeren ist neuerdings ein stärkeres Bestreben der Japaner bemerkbar, die Russen von dem im Zentrum ihrer Aufstellung gelegenen Putilowhügel zu vertreiben. Doch läßt sich durchaus nicht erkennen, ob darin ein Vor spiel zu einem allgemeinen Vorgehen in der Front oder eine Maskierung einer auf alle Fälle zweckmäßigeren Umgehungsbewe- gung zu sehen ist. Wenn im übrigen die- Japaner nicht bald mit einem neuen Angriff, wofern sie an einen solchen überhaupt denken, beginnen, so dürfte die Witterung derart wer den, daß Operationen ganz unmöglich erscheinen müssen. Das Wetter ist kälter, als je seit Beginn des Krieges, 25 Grad wurden fest gestellt, auch Staubstürme fanden statt. *Nach einer Meldung aus Nagasaki find die drei russischen Torpedoboot zerstörer, die außer dem „Rastoropny" Port Arthur verließen, von den Japanern i n den Grund gebohrt worden. * Viele Mongolen haben sich nach russischer Meldung den Tschungtschusen an g e s chlo s s en. In der Nähe von Hsin- mitin operiert eine aus 1500 Reitern be stehende Bande; sie beziehen ihren Sold von den Japanern und werden von japanischen Offizieren befehligt; ihre Überfälle find haupt sächlich auf Karawanen gerichtet. * * Deutschland. *Der Schieds-Vertrag zwischen Deutschland und Nordamerika ist am Dienstag in Washington unterzeichnet worden. *Das Reichskriegshafengebiet an der Jade konnte am Mittwoch auf sein fünfzigjähriges Bestehen zmückblicken. Denn es find 50 Jahre verflossen, seitdem das be treffende Gebiet von Oldenburg an Preußen abgetreten wurde. Öfterreich-Ungarn. *Jm österreichischen Abgeordnetenhause wurde ein Gesetzentwurf betr. die Haftung für Schäden aus dem Betriebe von Auto mobilen eingebracht. Der neue Entwurf stellt als Hauptbestimmung fest, daß der Eigentümer eines Automobils oder der jenige, dem von diesem der Betrieb überlassen wurde, neben dem Führer des Wagens zur ungeteilten Hand für den Schaden haftet, wenn durch den Betrieb eines Auto mobils jemand körperlich verletzt oder getötet, oder wenn ein Sachschaden verursacht würde. Der neue Gesetzentwurf bezeichnet also außer dem Führer ganz ausdrücklich den Eigentümer als Haftpflichtigen, indem er von der Ansicht ausgeht, daß in der Regel das Fahrzeug in seinem Interesse in Betrieb gesetzt wird. * Koloman Szell, der frühere Minister präsident, hat sein Abgeordnetenmandat nieder gelegt, weil er mit dem rigorosen Vorgehen Tiszas nicht einverstanden ist. Ebenso hat eine Anzahl Abgeordneter, darunter Andrassy, ihren Austritt aus der liberalen Partei erklärt. Frankreich. * Combes hat wieder einmal gesiegt. In der Deputiertenkammer wurde die Beratung über das Budget des Ministeriums des Innern wieder ausgenommen. Dejeante (Sozialist) beantragte die Streichung der ge heimen Fonds. Ministerpräsident Combes ersuchte das Haus, für diese Kredite, die für die Regierung notwendig seien, zu stimmen, und stellte die Vertrauensfrage. Hierauf wurde der Antrag Dejeante mit 293 gegen 262 Stimmen abgelehnt, die Kredite selbst aber mit 351 gegen 36 Stimmen bewilligt. England. * Eine in England plötzlich eingetretene, fett 14 Jahren beispiellose Kälte ver - Hanpiman« v. Hahnke, Führer der auf der „Gertrud Wörmann" verschifften Schutztruppenabteilung. schärft das Elend gegen das Vorjahr außerordentlich. Die Zahl der Arbeitslosen ist schon dreimal so groß wie vor einem Jahre. Ausnahmemaßregeln erweisen sich als durchaus nötig. Im ganzen Lande find Massenversamm lungen geplant, die ein besonderes Ein greifen des Parlamentes bewirken sollen, da die Gemeinden machtlos find. Spanien. *Die Auswanderung aus Galicien und Andalusien nach Südamerika und Kuba nimmt einen beunruhigenden Umfang an. Biele Dörfer sind bereits entvölkert. Im ersten Halbjahr wanderten 50 000 aus, seitdem nimmt die Auswanderung infolge der herrschen den Not bedeutend zu. Zur Zeit warten 3500 Menschen allein in Malaga auf Fahrgelegenheit. Ruhland. * In Petersburg ist seit einigen Tagen der anfänglich von der Regierung verbotene Semstwo-Kongreß (eine Vertretung der einzelnen Landschaften) zusammengetreten. Er besteht aus 98 Personen aus allen europäischen Gouvernements. Man kann diese Versammlung gewissermaßen als eine Art Vor-Parla- ment betrachten. Mit einer Dreiviertel-Mehr- heit hat man sich für die Einführung einer Verfassung in Rußland, Teilnahme von Volksvertretern an der Gesetzgebung und Kontrolle des Reichsbudgets ausgesprochen. Diese Be schlüsse sollen dem Minister des Innern -mit der Bitte bekannt gegeben werden, sie dem Zaren zu unterbreiten. Daß der Kongreß überhaupt zu stande kommen konnte, ist an sich schon ein Licht punkt in dem trüben Dunkel Rußlands. Aller dings ist es den Tagesblättern verboten worden, über die Verhandlungen zu berichten. *Die Verhandlung über die des Mordes an dem Minister des Innern v. PIehwe an geklagten Sasanow und Sikorski soll am 13. Dezember in Petersburg stattfinden. Balkanstaate». * Zu den immer noch andauernden Un ruhen in Mazedonien wird gemeldet. In Ipek besetzten in den letzten Tagen etwa 60 Offiziere das Telegraphenamt und ver langten von hier aus die Zahlung der seit sechs Monaten rückständigen Gehälter. Bisher blieb das Zureden des Gouverneurs von llsküb, des Wrlis, des Generalinspoktors Hilmi Pascha, sowie seitens des Korpskommandanteu in Salo niki und des Jildiz ohne Erfolg. — Am Sonn tag haben etwa 1000 Mohammedaner unter Führung des Scheichs Mustapha das Tele graphenamt in Küprülü besetzt; sie verlangten vom Generalinspektor und vom Jildiz Abhilfe gegen den Terrorismus des bulgarischen Komitees und betonten, durch den Terrorismus sei die Unsicherheit im Lande so groß, daß die moham medanischen Gutsbesitzer ihre Güter nicht be suchen könnten. Amerika. * Die amerikanische Arbeiterföderation hat einstimmig eine Resolution zugunsten der Ausschließung der Japaner aus den Ver. Staaten und den Jnsesbesitzen Amerikas angenommen. Es wurde beschlossen, den übrigen Arbeiterorganisationen eine Petition, die dem Kongreß überreicht werden soll, und in der um die Einführung eines Ausschließungs gesetzes gebeten wird, zugehen zu lassen. * Eine große französische Einwan derung soll in zwei Jahren nach Kanada beginnen. Sobald die nötigen Vorkehrungen getroffen find, werden 25 000 Franzosen dorthin einwandern. Ein französischer Agent bereitet die Ansiedlung von 6000 Franzosen in Britisch-Kolumbien vor. Der Streit zwischen der französischen Regierung und dem Vatikan soll der Anlaß sein. Afrika. * De Wet rät in einem Briefe an,Ons Land' seinen Landsleuten im allgemeinen von einer Auswanderung ab. Wollen sie aber doch aus der Heimat wegziehen, dann sollen sie sich nur nach Deutsch-Südwestafrika wenden, andernfalls verlieren sie ihre Nationalität. Gefällt es ihnen in Deuisch-Südweftafrika nicht, dann können sie immerhin nach Hause zurück kehren. De Wet lobt den Boden in Deutsch- Südwsstafrika und schildert die Lage der Buren in Gibeon als ausgezeichnet. „Mit der Regie rung kommt man gut aus, wenn man nur „keine krummen Sprünge" macht. Die Unterbeamten sind, zwar streng und legen den Afrikandern gegenüber einen gewissen Argwohn an den Tag, aber die höheren Beamten sind nicht so." Ein Sturmangriff auf Port Arthur. Die Schilderung eines japanischen Sturm angriffes auf Port Arthur finden wir im ,Nowy Krall vom 22. September. Man liest dort: „Von Minute zu Minute wird ein An griff auf die Forts, Befestigungen und Re douten erwartet. Durch ein zwei Tage währendes Artilleriefeuer haben die Japaner unsre vorgeschobenen Positionen zerstört. Die Blindagen, Schanzen, Brustwchre und Höfe der Forts sind von zahllosen feindlichen Geschossen aufgewühlt. Alles, was während der Nacht, wo das feindliche Feuer etwas nachläßt, zur Not ausgeüessert-worden ist, wird mit dem Anbruch des Tages wieder zerstört. Der Feind hat Gelegenheit gehabt, sich von der Wirkung seiner Geschosse zu überzeugen und wird daher wahrscheinlich mit dem Angriff nicht zögern. Wir treffen daher die erforderlichen Vorbereitungen: Kisten mit Patronen werden schnell geöffnet, die Geschosse herausgenommen, die Kanonen und Maschinengewehre auf die Positionen geschafft, und die Bedienung der selben begibt sich auf ihre Posten. Eine finstere Nacht, unheimlich und angenehm zugleich. Alles wartet gespannt im tiefsten Schweigen. „Die Rakete!" kommandiert der Kompaniechef. Einen Moment noch, in den Hinteren Reihen entsteht eine Bewegung, und unmittelbar darauf sieht man ein feuriges Band sich durch die Luft schlängeln. Es wird länger und länger und zerstäubt schließlich in einen Feuerregen, der in taufend Funken herabsällt. Am Fuße des'Berges ist jetzt reges Leben wahrzu nehmen. Es wimmelt da unten von Menschen. In kleinen Gruppen, in größeren Kolonnen -oder auch einzeln steht man den Feind fallend, stolpernd, dann sich wieder auf- > richtend den Berg hiuanklettern. Das Herz be ginnt schneller zu schlagen, bald krampft es sich zusammen und scheint für einen Augenblick still zu stehen. Noch ein Augenblick — und es ent steht ein betäubendes Getöse. Das Knattern des Gewehrseuers, das Raffeln der Maschinen gewehre, das Donnern der Geschütze, das Zischen der Raketen, das Gestöhn der Verwundeten und Sterbenden und die Angriffsrufe der Japaner vermengen sich zu einer Höllenmusik. Es hat sich ein entsetzlicher Kampf entspannen, ein Kampf, wie wir ihn bisher hier noch nicht er lebt haben. Dutzende, Hunderte greifen krampf haft an ihre Köpfe, Herzen und brechen zu sammen ; über ihre Leiber hinweg klettern andre, auch sie stürzen zu Boden; trotzdem tritt keine Stockung in der heranbrechenden Woge ein. Die Toten und Verwundeten werden ununter brochen im Nu ersetzt, und fast will es scheinen, als ob der Feind aus der Erde heraus wächst. In großen Haufen liegen die Leichen übereinandergetürmt. Wer verdient wohl mehr Mitleid, als diese Helden, die so tapfer für ihr Vaterland den Lod erleiden? Und doch kennen wir im Augenblick weder Mitleid noch Erbarmen. Automatisch heben und senken sich die Arme und automatisch, mit teuf lischem Raffinement, werden die Feinde nieder gemacht, wird gemordet. Es beginnt zu tagen, und der Kampf nimmt an Heftigkeit ab. Auf dem Kuropatkin-Fort befand sich bereits der Feind. Der Mineur Klipschin empfing ihn dort als erster mit zwei Kameraden. Nicht wenige der Gelbhäute hat er mit seinem Bajonett niedergemacht, bis er selbst schließlich sein Leben lassen mußte. Immer näher rückten die Japaner heran, immer wütender wurde ihr Angriff, da eilte im kritischen Moment unsre Reserve herbei und schlug zuerst mit Gewehr feuer, darauf mit Bajonetten den Feind zurück. Die japanischen Reihen begannen zu wanken und bald ergriffen sie die Flucht. Doch auch die Stunden der überlebenden waren gezählt: nicht ein einziger von den Japanern, die es ge- wagthatten, dieKuropatkinscheBatteriezu stürmen, kam mit dem Leben davon. Alle ohne Aus nahme wurden ein Opfer des Feuers unsrer Gewehre und Maschinengewehre und der russischen Bajonette. Da zeigt sich eine neue Kolonne, und sofort treten die Maschinen gewehre auf dem Fort Nr. 2 in Aktton.' Die Reihen des Feindes lichten sich, in Massen wird er niedergemäht, und bald ist die große Kolonne aufgerieben. „Gib mir dein Gewehr," ruft der Kompaniechef Rjasanow einem Sol daten zu, „meines ist demoliert, du kannst dich inzwischen erholen." Gleich darauf knallt es, und ein Japaner wälzt sich auf dem Boden; wieder ein Schuß — und ein andrer bricht zusammen. Im übrigen hatten die Fliehenden auch unter dem Feuer ihrer eigenen Leute zu leiden: sie wurden von japanischen Schrapnells überschüttet. Als es ganz hell geworden war, staunten alle über die Resultate des Kampfes. Die Anlagen der Schanzgräben waren zerstört, Gewehre Ranzen, Granatensplitter, Menschen, Köpfe, Arme, Beine lagen in grausem Wirrwarr übereinander. Doch trat keine Pause ein, wieder flogen die feindlichen Artillenegeschosse zu uns herüber, und unentmutigt versuchte der Feind die Scharte auszuwetzen ..." — (Man weiß, daß es den Japanern schließlich gelungen ist, das Kuropatkin-Fort zu erobern und in ihrem Besitz zu erhalten!) m "" " «m "will Von I^ak unö fern. Die Braut des Grotzherzogs von Hessen, die Prinzessin Eleonore von Solms- Hohensolms-Lich, ist, wie die ,Franks. Ztg/ schreibt, eine schlanke, elegante Erscheinung. Es heißt, daß die Prinzessin den Künsten sehr Zugetan sei und vor allem deu Gesang liebe und pflege. Die Leute ihrer Heimat erzählen viel Schönes von ihrer Anspruchslosigkeit und ihrem freundlichen Wesen. Besonderen Respekt aber genießt sie allenthalben seit der Zeit, da ihr die Rettungsmedaille verliehen wurde, weil sie — es war das vor einigen Jahren in Dresden — die wildgewordeneu Pferde einer Equipage zum Stehen brachte und durch diese mutige Tat das Leben einer Dame aus schwerer Gefahr errettete. A bm SpielbaU äes Schicksals. 7j Roman von C. d. Berlepsch. Ein leises, melodisches Lachen lockt ihn nach der untersten Terrasse; neugierig späht er durch das dichte Laubwerk; aber da ist Sultan bereits als Ruhestörer ausgetreten, er hat Bekannte ge funden und eilt begrüßend in großen Sätzen auf sie zu. über und über rot richtet sich Gertmd aus ihrer halb liegenden Stellung auf, schnell einen Kranz von bunten Blumen vom Kopfe nehmend, mit dem Käthchen sie eben geschmückt hat. Mit dem Kranze zugleich löst sich ihr Kopftuch, ihr blondes, lockiges Haar wird frei. Jubelnd erspäht Käthchen den Doktor und zieht ihn an der Hand zu Gertrud hin. „Sieh' Onkel, nun liegt der Kranz an der Erde. Tante Trudchen sah so hübsch damit aus." Noch nie war ihm Gertrud so jung und lieblich vorgskommen wie in diesem Augenblick, wo Schreck und Scham in ihrem Antlitz kämpften. Er hob ihr das Tuch auf, das sie mit stummen Dank in Empfang nahm. „Verzeihen Sie die Störung," bat er mit eigentümlich leiser, weicher Stimme, „ich wußte nicht, daß das Lachen von Ihnen kam; ich meinte, Sie könnten gar nicht so froh und herzlich lachen, da Sie sonst immer so ernst find." Bei diesen Worten drückte er den miß handelten Kranz auf Käthchens Locken, während Gertrud sich das Tuch um das widerspenstige Haar knüpte. Dann erwiderte sie, auf seine letzten Worte Bezug nehmend: „Von wem soll das Kind denn sonst lachen lernen? Ich lache gern, wenn ich kann." Eine leise Traurigkeit mischte sich in ihre Worte. Er blickte in ihr Antlitz. „Warum tragen Sie immer das verhüllende Tuch?" „Ich will nicht für emanzipiert gelten, das verträgt sich nicht mit meinem Charakter ats Lehrerin und auch nicht mit meinem eigenen Geschmack. Da ich unglücklicherweise nun doch einmal ein Weib bin, will ich den Männern nicht nachahmen." „Das klingt ja fast wie ein Fehderuf an unser Geschlecht. Ich erinnere mich auch, gehört zu haben, daß Sie eine Feindin der Männer sind." „Da find Sie nicht ganz recht unterrichtet, Herr Doktor. Ich schätze Ihr Geschlecht in dem, was es sein soll, und verachte es stellenweise recht gründlich in dem, was es meistens ist. Ich habe im ganzen nur eine sehr schwache Meinung vdn diesem stärkeren Geschlecht, weil ich es im Staub und Schmutz habe kriechen sehen, währeno es auf den Höhen der Mensch heit zu stehen bemfen ist. Aber in jedem Manne sehe ich das, was er sein müßte, bis mich seine Handlungen und Gesinnungen eines andem belehren." „Und wie finden Sie einen Mann, der sich nicht über das Niveau des Alltäglichen erhebt?" „Wenn er voller Leidenschaften und voller Ansprüche ist kraft seiner bevorzugten Stellung, so nenne ich ihn eitel und egoistisch. — Es ist wunderbar, wie der Hochmutskeim schon in dem kleinsten Jungen steckt. Hat er nur erst zehn lateinische Vokabeln gelernt, so kommt er sich den älteren Geschwistern gegenüber schon so ge waltig erhaben vor, daß er für ihr Können nur ein Gefühl mitleidiger Verachtung hat. Er denkt von diesem Augenblick an, daß er eine Ausnahmestellung ihnen gegenüber einnimmt und dieses Gefühl wächst mit ihm groß. — Ich gebe gern zu, daß Ihr Geschlecht auch geistig vor dem unsern bevorzugt ist, da ihm ja auch von der Natur andre Ziele und Zwecke ge steckt find; aber es ist nicht edel und ritterlich gedacht, sich als Verdienst anzurechnen, was doch nur ein Gnadengeschenk ist." „Dürften doch alle Männer Sie einmal so sprechen hören! Sie trieben ihnen den Hoch mutsteufel aus." „Spotten Sie nicht, ich weiß doch, daß ich recht habe. Es ist mit den meisten Männern wie mit denjenigen Adligen, die, nur auf das Vorrecht ihrer Geburt pochend, des adligen Mutes und adligen Denkens entraten zu können meinen. Um einen Mann, der auf seine Mannheit stolz ist und weiter nichts hat, worauf sein Stolz sich gründet, ist es ein er bärmliches Ding." Sie hielt errötend inne. Wie ihr Eifer sie sortgerissen hatte! „Und von den heutigen Frauen denken Sie besser?" Sie schüttelte traurig den Kopf. „Frauen sind die Erzieherinnendes Menschen geschlechts. Man beurteilt den Erzieher nach den Resultaten seiner Arbeit." „Ich danke Ihnen für dieses Wort. Sie sind gerecht. Sie können sich kaum denken, wie unbeschränkt der Einfluß ist, den ein groß herziges, reines Weib auf einen Mann aus zuüben imstande ist. Er wird wieder zum Kinde unter ihren Augen." Sie gingen in dem schattigen Gange eine Weile auf und nieder, ohne ein Wort zu finden, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Endlich sagte er: „Fräulein Werner, ich teile ein Geheimnis mit Ihnen." Sie schüttelte ungläubig lächelnd den Kopf. „Ich wüßte wirklich nicht, welches." „Ich weiß, wer der Verfasser der Novellen von K. ist." Sie blieb plötzlich stehen und sah ihn be stürzt an, fast wie ein Kind, dem jemand unvor sichtigerweise einen großen Schrecken eingejagt hat. Es schimmerte wie Thränen in ihren Augen. Auch er war stehen geblieben. „Sind Sie mir böse?" Sie hörte ihn nicht. „Hat Ihre Tante . . . „Nein, Tante Therese ist unschuldig daran; ein Zufall brachte mir die Wissenschaft. Nicht wahr, Sie können nicht leugnen?" Ein stolzer, finsterer Zug ging über Gertruds liebliches Antlitz. Sie trat einen Schritt vor ihm zurück und blickte ihn fest an. „Nein I Und ich will auch nicht; ich bekenne mich schuldig. Ich bin ein Blaustrumpf, ein Weib, das mit Tintenflecken an den Händen herumgeht und über dem Träumen in höheren Regionen die Wirklichkeit vergißt. Wollen Sie ein noch freimütigeres Bekenntnis?"
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