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Ottendorfer Zeitung : 16.10.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190410160
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19041016
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19041016
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-10
- Tag 1904-10-16
-
Monat
1904-10
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 16.10.1904
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politische Aunälckau. Der rusfisch-japanische Krieg. *Mit wechselndem Glück ist seit Sonntag in der Nord-Mandschurei zwischen Mulden und Liaujang gekämpft worden. Die angreifenden Russen sollen nicht weniger als 10 Divisionen zählen, sind also den drei japa nischen Armeen bedeutend überlegen. Gleich wohl war es den Russen noch nicht gelungen, den Japanern in erheblichem Maße Terrain abzugewinnen, nur im Zentrum bei den Kohlengruben von Jentai wichen die Japaner etwas zurück, drangen aber gleich wieder vor. Am Dienstag abend „stand" die Schlacht, ohne daß eine Entscheidung gefallen wäre. * Mit den Russen in Port Arthur muß es schlecht stehen, wenn sich eine nach London aus Schanghai gelangte Meldung bestätigen sollte. General Stössel habe danach berichtet, er könne nicht länger als bis Ende November aushalten. Falls er nicht bis dahin entsetzt werde, müsse er die Festung über geben. *Ein amerikanisches Schiff, der Dampfer „Sishan", der von den Japanern aufgebracht worden ist, hatte versucht, die Blockade von Port Arthur zu durchbrechen. Er wurde nach Niutschwang gebracht. Die Ladung bestand aus 450 Rindern und aus Blech konserven. Das Schiff, dessen Eigentümer und Offiziere Amerikaner sind, wurde von den Japanern beschlagnahmt. * Das japanische Kanonenboot „Hei-Zen" ist, wie jetzt erst bekannt wird, am 18. September in der Taubenbucht auf eine Mine gestoßen und gesunken. Von der Be satzung find nur vier Mann gerettet worden, gegen 197 Mann untergegangen. * Über die Bildung der zweiten Man dschurei-Armee wird berichtet, daß der Stabschef Griepenbergs, General Rußki, zurzeit im Verein mit dem Generalquartiermeister Schwank und dem Etappen-Chef Samoilow die Mobilisierung der Armeekorps in Grodno, Wilna, Minsk und Brest-Litowsk leite. Die Kommandeure dieser Korps hätten die Voll macht erhalten, aus dem Generalstab und den Garderegimentern Offiziere zur Deckung der in ihren Korps entstandenen Abgänge auszuwählen. Größere Schwierigkeiten bereite die Organi sation der für Griepenbergs Armee erforderlichen Kavallerie. Prinz Louis Napoleon hoffte, damit betraut zu werden; doch seien ältere Be werber für den Posten vorhanden. — General Griepenberg selbst wird am 2. November nach Charbin abreisen. Im dortigen Lazarett liegt sein Sohn schwer verwundet danieder, dem beide Beine abgenommen werden mußten. "Die russische Ostseeflotte oder, wie sie jetzt offiziell heißt, das „Zweite Ge schwader der Flotte des Stillen Ozeans", hat nunmehr tatsächlich die Ausreise an getreten. Das Geschwader hat am Diens tag den Hafen in Reval verlassen; es soll seinen Kurs zunächst nach Libau genommen haben. An einem Punkte nahe der spanischen Küste soll das Geschwader, das bis dorthin ge schlossen fährt, angeblich in zweiAbteilun- aen die Reise fortsetzen. Die eine, von zehn Transportschiffen begleitet, nimmt die Fahrt durch den Suezkanal; die andre, mit Kohle versorg! durch vorausgesandte schnelle Trans portschiffe, die später als Hilfskreuzer dienen sollen, umfährt das Kap der guten Hoff nung. Die Vereinigung soll im Indischen Ozean erfolgen. » * * Deutschland. *Bei der am 18. Oktober stattfindenden Enthüllung deSKaiserFriedrich-Denk- mals in Berlin werden bayrischerseits an wesend sein der Militärbevollmächtigte General leutnant v. Endres und eine Deputation des ersten Ulanenregiments in Bamberg, dessen Chef Kaiser Friedrich vom 17. Juli 1871 bis zum 15. Juni 1888 war. *Auch der Chef der Weißenfelder Linie des lippischen Gessmthauses, Graf I Georg hat nun in einer Eingabe an den Bundesrat seine Erbansprüche in Erinnerung gebracht. *Der Oberhofmeister der Kaiserin, Frh. v. Mirbach, der seit einiger Zeit in Hom burg v. d. H. weilte, ist nach erfolgreicher Kur wieder abgereist. Wie man hört, fühlt sich Frh. v. Mirbach so gestärkt, daß er schon in nächster Zeit sein Amt wieder anzutreten gedenkt. * Uber die Neuprägung von Fünfzig pfennigstücken hat der Bundesrat in seiner letzten Sitzung eine Vorlage angenommen. Die neuen Fünfzigpfennigstücke tragen die Be zeichnung „Eine halbe Mark". Sie haben einen stark geriffelten Rand mit erhöhter Prägung, damit eine Verwechselung mit den Zehnpfennigstücken ausgeschlossen sein soll. * In einer offiziösen Kundgebung des Preuß. Kultusministers Studt wegen des Berliner Schul st reites wird zunächst die rechtliche Seite der Frage beleuchtet und sodann mit geteilt, daß es sich bei dem betr. Verbot um folgende vier Vereinigungen handelt: 1) den polnischen Turnverein Falks, 2) den tschechischen Verein Sokol, 3) die vom sozialdemokratischen Turnverein Fichte gebildeten Schülerabteilungen, 4) die Berliner freireligiöse Gemeinde zu den für Jugendliche bestimmten Vorträgen. *Jm August d. find auf deutschen Eisenbahnen — ausschließlich der bay rischen und der Bahnen mit weniger als 50 Kilometer Betriebslänge — 11 Ent gleisungen auf freier Bahn (davon 6 bei Personenzügen) 22 Entgleisungen in Stationen (davon 7 bei Personenzügen) IZusammen- stoß auf freier Bahn (zwischen einem Arbeits und einem Personenzuge) 13 Zusammenstöße in Stationen (davon 5 bei Personenzügen) vor gekommen. Dabei wurden 6 Reisende, 14 Bahn bedienstete und 3 Postbeamte verletzt. Frankreich. *Jn bezug auf den französischen Kulturkampf wird gemeldet, daß die Vor legung des fertiggestellten Berichtes des Depu tierten Briand über die verschiedenen, die Trennung von Staat und Kirche bezweckenden Gesetzentwürfe einen Aufschub er fährt durch das vom Ministerpräsidenten Combes gestellte Verlangen, von der Kommission ange hört zu werden. Dieser Wunsch wird dahin er klärt, die Regierung lege hohen Wert darauf, daß die Trennung in einer Weise erfolge, die der freien Ausübung der Kulte keinen Abbruch tue. Man gibt in den der Regierung nahestehenden sowohl als in den Kommisfionskreisen der Überzeugung Ausdruck, daß eine Einigung über die Prinzipien erfolgen, und die Regierung sich im wesentlichen die Ge sichtspunkte der Kommission aneignen werde. Schweden-Norwegen. * Die schwedische Marineverwal tung beabsichtigt bei dem demnächst zusammen tretenden Reichstage um einen außerordent lichen Kredit von mnd 15 Mill. Kronen einzukommen, der die beschleunigte Fertigstellung verschiedener, teils bereits im Bau begriffener, teils neu herzustellender Kriegsschiffe bezweckt. Darunter befinden sich: ein Panzerschiff, ein Panzerkreuzer, zwei Torpedozerstörer, fünf erst klassige und neun zweitklassige Torpedoboote; femer wird der Umbau verschiedener älterer Schiffe, der Ausbau der Küstenbefestigungen, die Beschaffung einer größeren Anzahl Torpedos und von Vorräten sür die Küstenartillerie emp fohlen. Spanien. *Jn Spanien ist die Polizei einer anar chistischen Verschwörung gegen das Leben des Königs Alfons auf die Spur gekommen. Einer Meldung aus Barce lona zufolge wurden in Villanueva drei An archisten verhaftet, die eingestanden, sich dort am 3. April zu einem Attentat gegen König Alfons verschworen zu haben. Amerika. * Die Nachricht, daß die V er. Staaten demnächst Kanada einen Gegenseitig keits-Vertrag anbieten würden, hat in Kanada große Aufregung hervorgerufen. Die Mehrzahl der Farmer würde einen Zugang zu den amerikanischen Märkten und eine Herabsetzung der Einfuhrzölle auf ameri kanische Waren nur zn gerne sehen, aber die kanadischen Fabrikanten warnen vor einem solchen Schritt, der zu einer Lockerung des Ver hältnisses Kanadas mit dem Mutterlande führen würde. * Die Staaten Chile und Bolivia find übereingekommen, eine Eisenbahn zwischen La Paz und dem Haien Aricas zu erbauen. Die Entfernung Bolivias von der Seeküste wird durch diese Bahn von 96 auf 12 Stunden ver mindert. Der Tacna - Arica - Streit ist damit erledigt. Vie japanische Kavallerie. Wohl fast alle Militärkritiker waren sich bei Ausbruch des Krieges darüber einig, daß die japanische Kavallerie die schwächste Seite der japanischen Armee sei. Es ist von Interesse, heute, nachdem der Krieg lange genug ge dauert hat, um ein Urteil zn gestatten, die An sicht eines Korrespondenten der englischen Zei tung ,Standard' über diese Waffe zu hören. Der englische Korrespondent schreibt aus dem japanischen Hauptquartier bei Tienschutien: „Man muß eingsstehsn, daß die abfälligen Urteile über die japanische Kavallerie lediglich auf die Beobachtung einzelner kleiner Verbände gestützt find. Kein fremder Attachö und kein fremder Korrespondent hat Gelegenheit gehabt, auch nur einen Zug Kavallerie im Gefecht oder im Patrouillendienst zu beobachten. Das Land ist nicht sür Kavallerie geeignet, wie die Kosaken erfahren mußten. Man kann jedoch nicht um hin, bis weitere Gegenbeweise geliefert sind, zu dem Urteil zu kommen, daß das japanische Kavalleriepferd, ebenso wie das Artilleriepserd, ein schwaches und elendes Tier ist, und daß es schlecht trainiert ist. Die Ausrüstung des Pferdes ist nicht nach wissenschaftlichen Prin zipien erfolgt, und die Japaner find schlechte Reiter und beherrschen ihre Pferde noch schlechter, als sie reiten. Die meisten Pferde, die wir sahen, find Hengste und infolgedessen unruhig und geräuschvoll. Die Sättel find schient ver paßt und liegen häufig auf dem Widerrist des Pferdes. Der Sitz des Reiters ist schlecht, und selbst wenn das Pferd im Schritt geht, find Zaum und Trense im steten Gebrauch. Die Folge davon ist häufiges Auftreten von Satteldruck und Wunden am Widerrist." Nachdem der Engländer in dieser Weise seiner Ansicht Ausdruck gegeben hat, gibt er das Urteil eines japanischen Kavallerie - Offiziers wieder. Dieser sagte: „Sie verurteilen unsre Kavallerie, weil die Pferde neben euren euro päischen Pferden armselig und klein aussehen. Nun, unsre Soldaten sehen kleiner und dunkler aus, als die europäischen Infanteristen, aber sie machen ihre Sache trotzdem ganz gut, nicht wahr? Unsre Pferde find durchschnittlich zwischen 14 und 15 Hand hoch und wiegen etwa 1000 Pfund. Das Durchschnittsgewicht des Kavalleristen ohne Ausrüstung ist 120 Pfund. Er kann am Tage 40 Kilometer zurücklegen und auf gutem Wege acht Kilo meter in der Stunde traben, d. h. etwas schneller als das russische Pferd und eine Kleinigkeit langsamer als das deutsche. So weit sich bis jetzt beurteilen läßt, ist die russische Kavallerie nicht schneller als die unsrige .... Unsre Pferde werden, wenn fie zwei Jahre alt sind, als Remonten eingestellt und drei Jahre trainiert, ehe fie von der Truppe ge braucht werden. In den drei Jahren wird ihre Schnelligkeit, Ausdauer und Tragfähigkeit ent wickelt, ihre körperliche Entwicklung gehoben und das Pferd gewöhnt, zu gehorchen. Die eingestellten Pferds sind weder laut noch un ruhig, und ein abgesessener Mann kann mit Leichtigkeit 12 bis 13 Pferde kontrollieren. Gewiß ist ein großer Prozentsatz von druck kranken Pferden zu verzeichnen, aber wir stehen in dieser Hinsicht nicht allein da. Während der Boxerexpedition machte ich die Wahrnehmung, daß die englischen und deutschen Kavallerie pferde unter demselben Übel litten. Freilich ist unser Prozentsatz von 20 Prozent ein sehr hoher. Er erklärt sich zum Teil aus der Bauart der japanischen Pferde, zum Teil aus dem Sitz des Reiters, aus der Gestalt des Sattels, aus den, schlechten Wegen und aus der beständigen Änderung der Gangart. Unser Sattel ist nicht gut gemacht und fitzt schlecht. Der russische Sattel ist viel besser, leichter und bequemer. In der russischen Kavallerie gibt es sehr wenig wundgerittene Pferde. Man sagt, der japanische Soldat ziehe beständig an den Zügeln. Das ist gewiß wahr, aber unsre Pferde tragen den Kopf nicht so hoch, wie die ausländischen Pferde." — Die Pferde leiden am meisten an Anthrax, Pneumonie und Verdauungsbeschwerden, die man dem Gerstefutter ohne Beimischung von Gras zuschreibt. Der Kavallerieoberst schloß mit der Be merkung : „Es ist meine feste Überzeugung, daß, wenn wir eine Schwadron mit der andern vergleichen, die japanische Kavallerie sich nicht minderwertiger als die russische erweisen wird. Bisher haben wir keine Gelegenheit gehabt, unsre Fähigkeit im wirklichen Gefecht zu zeigen. Hier zwischen den Bergen haben wir nur eine Pflicht, die die Kavallerie erfüllen kann, das ist die, zu rekognoszieren und die Flanken zu be wachen." Von I^ak unci fern. Prinzessin Luise von Koburg. Der ,Figaro' berichtet, daß eine gütliche Beilegung des Konfliktes zwischen dem Wiener Hofe und der Prinzessin von Koburg nahe bevorstehe. Die Prinzessin wurde von ihrem Rechtsbeistand in Wien benachrichtigt, daß das Oberhof marschallamt sich bereit erklärt habe, den Geistes zustand der Prinzessin durch französische Psy chiater früfcn zu lassen. Der königl. Akademie in Posen ist, nach dem ,Pos. Tgl.', von der Besitzerin ihres Hauses (Friedrichstraße 15) zum 1. Oktober 1905 gekündigt worden, weil eine von ihr verlangte erhebliche Steigerung der ohnehin schon sehr hohen Miete nicht sofort bewilligt werden konnte. Die Akademie hatte das Haus, das sich in einem ganz unbrauchbaren. Zustande be fand, erst aus eigenen Mitteln und mit be deutenden Kosten zu einem ansehnlichen und wohnlichen Gebäude umgestaltet. Kriegskonterbaude? Durch den russischen Generalkonsul in Bremen hat ein Bremer Zigarrengeschäft, das seine Fabrik in Westfalen hat, die Lieferung von vier Millionen Zigarren für die mandschurische Armee erhalten. Alle Zigarren sollen von derselben Sorte sein. Als Preis ist für 1000 Stück 51 Mk. vereinbart worden. Wieder ei« Attentat gegen einen Eisen bahnzug ist in der Rheinprovinz am Montag abend verübt worden. Diesmal war es aus den Frankfurter Schnellzug abgesehen. Unweit der Station Kalscheuern wurde, nachdem zunächst ein Schuß abgefeuert worden war, gegen ein dicht besetztes Abteil dritter Klaffe ein schwerer Stein geschleudert, der einer Dame erhebliche Kopfverletzungen zufügte. Die aufs höchste er schrockenen Passagiere erstatteten beim Einlaufen des Zuges in den Bahnhof Köln-Süd Anzeige, worauf die Polizei benachrichtigt wurde, die leider der Attentäter noch nicht habhaft werden konnte. Der Sturm! Dieser Tage blieb ein von Magdeburg abgegangener, ziemlich stark be ladener Güterzug am offener Strecke zwischen Eggersdorf und Eickendorf infolge starken Sturmes stehen. Der Führer des Zuges half sich damit, daß er die Hälfte der Wagen ab koppeln ließ und diese erst nach Eickendorf brachte, während er die zweite Hälfte nachholte. Ein gesunkener Stern. Die königlich bayrische Kammersängerin Frau Fanny Moran- Olden, die Gattin des bekannten Wagner sängers Bertram, einst eine der gefeiertsten deutschen dramatischen Sängerinnen, befindet sich zurzeit in einem Armenkrankenhause. An deutschen Bühnen wird jetzt gesammelt, um ihr wenigstens eine Einzeln-Krankenzelle zu sichern. Frau Moran-Olden besaß früher ein großes Vermögen und hat dieses ihrem Gatten seiner zeit zur Ausbildung geopfert. K Sm familien-Geheimnis. 21j Kriminalroman von Eberhard Woldenberg. „Nein, nein, Willi, das ist eS nicht, warum ich zu dir komme. Aber — bereite dich auf eine gewaltige Erschütterung vor — oder ist es dir nicht unbekannt, was jenes Mädchen getan hat, das dir bisher so nahe stand?" Um Willis Lippen zuckte es, seine Brust arbeitete mächtig, seine ganze Gestalt erbebte, aber im nächsten Augenblick hatte er seine Selbst beherrschung wiedergewonnen. „Ich weiß — alles!" stieß er rauh hervor. Beatrice fühlte sich verletzt durch diesen harten, abweisenden Ton, aber fie unterdrückte die herbe Entgegnung, die ihr schon auf der Zunge lag, als fie den Ausdruck wahrhaft tröst- loser Verzweiflung in Willis Zügen bemerkte, und fragte: „Woher weißt du es?" „Ich war heute in dem Geschäft und fragte dort nach Hedwig, da eS mich beunruhigte, seit mehreren Tagen keine Nachricht von ihr erhalten zu haben." „Und da erfuhrst du —" „Ja, da erfuhr ich, was mich im ersten Augenblick erstarren ließ vor Schrecken," ent gegnete aufwallend Willi. „Da hörte ich, daß fis auf eine gewissenlose Anklage hin unter einem abscheulichen Verdacht verhaftet wurde. Ich sprach die Kassiererin, dann den Chef, einen be schränkten Menschen, und endlich auch die Person, die ich für die Diebin halte." „Ah! Du glaubst, daß eine andre das Geld genommen hat?" „Ich bin davon überzeugt. Noch fehlen mir die Beweise, aber ich werde fie suchen; denn das ist jetzt meine heiligste Ausgabe." „Du darfst dich hier nicht einmischen, Willi," sagte seine Mutter unwillig. „Wenn das Mädchen unschuldig ist, wird sich das heraus stellen. Bedenke doch, in welche Lage du dich begeben willst." „Also du verlangst, ich soll ruhig zusehen, wie man —. Nein I" unterbrach er sich und trat dicht an seine Mutter heran, während er fast flüsternd hinzusetzte: „Es gilt ja die Ehre meiner zukünftigen — Frau." „Deiner zukünftigen Fran?" hauchte Beatrice mit halberftickter Stimme, während fahle Bläffe ihr Gesicht bedeckte. Ihr war, als ob eine eiserne Hand ihr Herz umkrallte und ein Gefühl der Ohnmacht durchschauerte fie. Das Unerhörte dieser Vorstellung benahm ihr für den Augenblick alle Kräfte. Das hatte sie denn doch nicht erwartet. Es würde sie nicht in Verwunderung gesetzt haben, ihn in schmerz- volle Klagen ausbrechen zu sehen, aber fie hatte geglaubt, daß er sich dann wie ein Mann in sein Schicksal ergeben und jeden Gedanken an dieses Mädchen aufgeben werde. War er denn so verblendet, daß er die Torheit seines Be ginnens nicht einsah? „Demnach muß ich fast erwarten," sagte fie endlich, ihre Schwäche bemeisternd, „daß du dieses Mädchen selbst als verurteilte und be strafte Diebin noch nicht verschmähen wirst. Ja, ich glaube, du wärest fähig, fie direkt aus dem Gefängnis vor den Altar zu führen. Allerdings würdest du dich nicht allein in unsern Kreisen und in der anständigen Ge sellschaft überhaupt dadurch unmöglich machen, sondem auch selbstverständlich deine Karriere, deine ganze Zukunft vernichten, aber damit würdest du dich natürlich sehr leicht abzufinden wissen. Du hast ja bereits Proben dafür ab gelegt," schloß fie mit großer Bitterkeit. „Mutter!" rief Willi erschüttert. „Du bist hart," sagte er darauf leise mit zitternder Stimme. „Sie ist unschuldig!" „Und wäre fie auch so unschuldig und rein und gut wie ein Engel, ich würde fie nicht als meine Tochter anerkennen. Diesen Mecken wischt ihr vor der Welt auch die öffentliche Anerkennung ihrer Schuldlosigkeit nicht mehr ab. Darum mußt du dein Herz von ihr los reißen. Und übrigens, Willi, kann dir solches jetzt um so leichter sein, da das Mädchen selbst dich aufgegeben hat." „Aber das ist ja gar nicht möglich I" „Doch, es ist so. Durch ihre Verhaftung ist sie wohl nur verhindert worden, den Absage brief an dich zu schreiben. Kurz und gut — Großpapa hat mit ihr gesprochen, und sie hat die Notwendigkeit begriffen, daß euer Verhältnis endlich ein Ende nehmen muß." „Das heißt, ihr habt fie dazu gezwungen. Das wird ja nicht schwer gewesen sein," ent gegnete Willi mit bitterem Auflachen. Seine Mutter wandte sich mit einem Achsel zucken ab und schritt der Tür zu. „Ihr Ent schluß war allerdings kein freiwilliger," sprach fie, „aber fie gehorchte dem Zwange der Um stände und Verhältnisse. Sie begriff, was du nicht einsehen willst. Aber ich gebe dir noch mals zu bedenken, daß du nicht allein Pflichten gegen dich selbst, sondem auch gegen uns — deine Eltem — und gegen die Gesellschaft hast, die du doch nicht ganz und M -vernachlässigen darfst." x Damit schritt sie hinaus und ließ Willi in einem unbeschreiblichen Zustand der Mutlosigkeit und Verzweiflung zurück. 12. Der Inspektor der Kriminalpolizei, Lenz, saß am Vormittag des folgenden TageS in seinem Amtszimmer emsig arbeitend an dem großen, mit grünem Tuch überzogenen Schreib tische. Er war ein hagerer Mann von Mittelgröße und am Ende dec fünfziger Jahre, mit spär lichem, ergrautem Bart, einer starken Adlernase und ungemein scharf blickenden grauen Augen, die gewöhnlich von goldgefaßten Brillengläsern bedeckt wurden. Ab und zu öffnete sich die Tür nach dem Vorzimmer, wo an einem größeren Tische mehrere Unterbeamte schrieben, und der Bureau diener trat geräuschlos herein, legte ein Akten bündel auf das grüne Tuch vor dem Inspektor nieder und entfernte sich ebenso stumm, wie er gekommen. Eine fast feierliche Stille herrschte in diesen Gemächern; es war, als ob der Ernst der hier zum AuStrag kommenden Dinge Ort und Menschen sein Gepräge auf- geknickt habe. Nur während der Sprechstunden des Inspektors herrschte bewegtes Treiben, füllten sich diese Zimmer mit allen möglichen Physiognomien und Gestalten.
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