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Ottendorfer Zeitung : 18.09.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190409189
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040918
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040918
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-09
- Tag 1904-09-18
-
Monat
1904-09
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 18.09.1904
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politische Kunälckau. Der russisch-japanische ^isg. *Die russischen und javanischen Vorposten stehen sich etwa 36 Kilometer in südöstlicher Richtung von Mulden gegenüber. *Ein neuer großer Erfolg der Javaner wird der Londoner Morning Post' aus Tschifu gemeldet: Nach dort eingelaufenen Nachrichten soll G e n er al S as s n l its ch, der Befehls haber der russischen Armee südlich des Hun- Fluffes, mit 3000 seiner 5000 Mann zählenden Truppe in japanische Hände ge fallen sein, nachdem er schwer verwundet worden war. * Aus mehr als einem Gmnde zu bezweifeln ist die Richtigkeit einer Meldung der Londoner .Daily Mail' aus Tientsin, daß General Lenewitsch mit 50 000 Mann in Nord- oftkorea ein gerückt sei und die Ver bindungslinie Kurokis mit Föngwangh- tschöng abgeschnitten habe. — Erstens kommt Linewitsch nicht so rasch durch die Mandschurei nach Korea. Zweitens hätte diese Diversion wenig Zweck, da die Japaner in der Mandschurei die Straßen Koreas gar nicht mehr nötig haben, seitdem Niutschwang in ihrem Besitz ist. *Aus bester Quelle will der Petersburger Berichterstatter des ,Daily Expreß' mitteiien können, daß Rußland jeden ausländischen Ver such einer Vermittelung verwerfen würde. Als Prinz Ludwig von Battenberg zur Vertretung König Eduards bei der Taufe des Thronfolgers in Petersburg war, habe er einen Rußland ungünstigen Frieden für die nahe Zukunft erwähnt. Der Zar habe darauf in feierlicher Weise folgendes geantwortet: „So lange noch ein russischer Soldat übrig bleibt und ein Rubel in meinem Schatze ist, werde ich diesen Krieg gegen die Ja vaner fortsetzen, die mich zwangen, die Waffen zu ergreifen. Es gibt kein Unglück auf dem Schlachtfelde, das mich von diesem Ent schluß abbringen könnte." Man glaubt, daß diese Erklärung an die Adresse Englands ge richtet sei. Deutschland. * Die Ankunft des Kaisers in Kabinen ist nunmehr auf Freitag, den 16. d., früh, fest gesetzt. Die Abreise von dort in das ost preußische Jagdgebiet wird am 19. d. erfolgen. Wie hierzu noch gemeldet wird, wird die Kaiserin den Kaiser auf seiner Reise nach Kadinen nicht begleiten. * Der Kaiser wird im Dezember d. der Stadt Bromberg einen kurzen Besuch ab statten. Bei dieser Gelegenheit gedenkt der Monarch der Grundsteinlegung für die vierte evangelische Kirche in Bromberg beizuwohnen. *An die Verlobung des deutschen Kronprinzen hatte man neben andern Gerüchten alsbald auch die Behauvtung ge knüpft, er werde nach seiner Vermählung im Refidcnzschloß zu Hannover Wohnung nehmen. Die ,Nordd. Allg. Ztg.' erklärt demgegenüber, daß diese Angabe völlig aus der Luft ge griffen sei. *Der Zustand des Fürsten Herbert Bismarck ist nach allen Berichten aus Friedrichsruh hoffnungslos. Die Krankheit wird als Leberkrebs bezeichnet. *Jm Anschluß an die Reden des Kaisers in Hamburg, Mona und Bmnsbüttel geht durch zahlreiche Blätter die Meldung, daß eine ne ne Marinevorlage in der nächsten Reichstagssession zu erwarten sei. Die Münchener Neuesten Nachrichten' erklären demgegenüber aus das bestimmteste, daß in Regierungskreisen hiervon nichts bekannt ist, daß auch nicht die Absicht besteht, in dieser Session mit Marine- fordenmgen, die über den etatsmäßigen Rahmen des Flottengesetzes von 1900 hinausgehen, an den Reichstag zu kommen, daß aber mit großer Wahrscheinlichkeit für die Tagung 1905/06 eine Novelle zu diesem Flottengesetz zu erwarten ist. *Die Nachrichten von einer Einbe rufung des Reichstages schon im Laufe des Monats Oktober bestätigen sich, wie verschiedene Blätter übereinstimmend melden, nicht. *Dem oldenburgischen Landtag ist eine Regierungsvorlage zugegangen, nach der zur Vereinfachung der Verwaltung die finanzielle Selbständigkeit des Fürstentums Lübeck aufgehoben und dessen Finanzwesen mit dem jenigen des Grobherzogtums Oldenburg ver einigt werden soll. * Polnische Blätter veröffentlichen den Wort- lant einer Verfügung des Kultusministeriums, wonach die Lehrer der Ostmark darauf hingewiesen werden, daß sie sich ausschließ lich der deutschen Sprache bedienen sollen; in Übertretungsfällen werden ihnen die Ost- markenzulagen entzogen bezw. soll gegen solche Lehrer das Disziplinarverfahren auf Entlassung aus dem Amte eröffnet werden. — Diese Ver fügung ist, wie das ,Pos. Tagebl.' feststellt, durchaus nicht neu. Im übrigen ist ihr Inhalt selbstverständlich. * General v. Trothas Mißerfolg am Waterberg wird im,Hannov. Cour.' darauf zurückgeführt, daß er nicht genügend mH den schwierigen örtlichen Verhältnissen und der Eigenart der Hereros gerechnet habe. Es werde immer klarer, daß der ganze Einkreisnngsplan verfehlt war. Es scheine doch, als ob der Leutweinsche Plan, dem vorgeworfen wurde, er sei zu weit vorgestoßen, weniger zeitraubend, weniger kostspielig und den örtlichen Verhält nissen und der Natur des Feindes mehr angs- paßt gewesen sei. Es sind nicht nur einzelne Trupps der Hereros, sondern sie find sämtlich nach Südosten entkommen und von ihren großen Viehherden ist so gut wie nichts in die Hände der deutschen Truppen gefallen. * Der Aufstand am Croßfluß inKame- run ist noch immer nicht beendet. Es wird noch immer gekämpft, und die bisherigen Ver luste (drei Europäer verwundet, über 30 farbige Soldaten tot, über 60 verwundet) lassen er kennen, daß der Widerstand ziemlich heftig ist. Die „Feinde" haben ja anch Gewehre genug. Jetzt ist in den Operationen ein Stillstand ein getreten, da die Regenzeit eingesetzt hat und unsre Leute bei dem schlechten Terrain (Busch, Gebirge, viele Bäche und Flüsse) einfach nicht vorwärts können. In der Trockenzeit geht es wieder los. Osterreich-Ungarn. *Zu dem Besuche des Fürsten Ferdi nand von Bulgarien in Wien schreibt das .Fremdenblatt': Fürst Ferdinand hat sich durch längere Zeit in unsrer Monarchie, zuerst in Marienbad und später aus ungarischen Be sitzungen aufgehalten. Es entspricht nur einem Gebote der Courtoisie, wenn der Fürst vor seiner Rückkehr in sein Land unserm Monarchen seinen Besuch abstattet. Fürst Ferdinand hat sich durch sein korrektes Verhalten unter schwierigen Verhältnissen um die Erhaltung des Friedens unleugbare Verdienste erworben. Er darf einer freundlichen Ausnahme sicher sein und wird aus dem Verkehr mit den maß gebenden Kreisen die Überzeugung gewinnen, daß hier die Sympathien für das Wohlergehen und die gedeihliche Fortentwickelung Bulgariens unverändert geblieben find. England. *Ein wichtiges Ereignis auf dem. Gebiete der inneren Politik Englands bildet das Wieder austauchen der irischen Frage, die durch die Chamberlainsche Finanzpolitik gänzlich in den Hintergrund gedrängt war. Die Ansprüche der Grünen Insel auf Selb st Verwaltung sind von der irischen „Reform Association" unter der Leitung des gemäßigten Politikers Lord Dunraven wieder auf die Tagesordnung der öffentlichen Erörterung gesetzt worden und finden um so größere Beachtung, als dieser und seine Genossen im Namen der irischen Unionisten zu sprechen vorgeben. Ruhland. * Prinz Georg von Griechenland ist in Peterhof angekommen und von den Großfürsten empfangen worden. Bei dem Zaren, der jetzt seinen Kopf mit andern Dingen voll hat, wird er wohl jetzt ebensowenig aus richten wie früher. Ermordung deutscher Missionare aus der Gazellehalbinsel. Die Meldung aus Makassar über die Er mordung von 2 Patres, 3 Laienbrüdern und 5 Schwestern auf der Insel Neupommern ist zunächst dahin zu ergänzen, daß der Schauplatz der blutigen Tat in den Bergen der Gazelle halbinsel liegt, wo der Stamm der Baining den Landstrich von Kap Lambert bis zur Henry Neid-Bucht bewohnt. Die Missionare gehören der Genossenschaft vom heiligsten Herzen Jesu an, die für ihre deutsche Provinz ihr Mutter haus in Hiltrop bei Münster i. W. hat; im März 1902 erhielt sie von den preußischen Ministern des Innern und des Kultus die Erlaubnis zur Gründung einer Zweignieder lassung für ihre Theologen in Oeventrop bei Arnsberg. Die Mission für den Bismarck- Archipel und die Marschall-Inseln steht unter dem Bischof Ludwig Couppö als apostolischem Vikar. Die Baining sind nach Dr. Schnee (Bilder aus der Südsee, Berlin, Dietrich Reimer) in Erscheinung, Sprache und Sitten völlig verschieden von dm andern Eingeborenen der Halbinsel. Sie umfassen wahrscheinlich eine erhebliche Kopfzahl. Ob sie auch noch weiter nach Süden zu in den Bergen des Hauptteils von Neupommem wohnen, ist nicht gewiß. Die Berge, die sie bewohnen, erheben sich auf der Westseite der Halbinsel bis über 1000 Meter Höhe. Bisweilen kommen die Baining an die Küste heran, kennen aber im Gegensatz zu den andern Eingeborenen keine Kanufahrt, wohl aber etwas Fischerei. Sie lieferten bis vor wenigen Jahren das Material an Sklaven für die Küstenbewohner. In ihrer Sprache schon ist a bamiox gleichbedeutend mit Sklave. Ende 1896 hatten die Küstenbewohner von Ramandu und den kleinen Inseln Massava, Massikunabutha und Urar, die sich mit mehreren Bainingstämmen verbunden hatten, eine große Anzahl Baining aus dem Innern unter der Vorspiegelung, daß sie für Schweine und Taro wertvolle Tanschwaren erhalten sollten, an den Strand gelockt, wo die Getäuschten ihre Schweine und Früchte auf den Strand brachten und von den Räubern überfallen, teils in Kanns gebracht und dort gefesselt, teils am User erschlagen wurden. Letzteres Los hatten 40 bis 50, während 30 zu Sklaven gemacht wurden. Ein Teil der Getöteten wurde auf gefressen; die Sklaven wurden zum Teil gegen Muschelgeld weiter verhandelt. 1897 und 1898 sanden Streifzüge statt und wurde der be treffende Küstenstrich für die damals noch die Hoheit ausübende Neuguinea-Kompanie in Besitz genommen. Eine Anzahl Sklaven wurde aus- geliefert und der katholischen Herz Jesu-Mission zur Erziehung überwiesen. Diese Mission hatte schon 1897 eine Station in Vunamarita an der Küste der Halbinsel an gelegt und gründete von dort aus die Station St. Paul in den Bainingbergen. Diese Station leitete der jetzt mit ermordete Pater Rascher, der mit unermüdlichem Eifer die Ge bräuche und Sprache der Baining studierte. Die Missionare hatten Ende 1899 um einen Strafzug gebeten, weil die auf den Bergen nördlich von der Massavabucht wohnenden Baining wiederholt Einbruchsdiebstähle in die Misfionsstation Vunamarita gemacht hatten. Dr. Schnee, damals kaiserlicher Richter, führte diesen Zug. Er fand unweit der Küste auf 250 Meter eine erste Ansiedlung der Baining. Deren Hütten erschienen ihm als die armseligsten Behausungen, die er im Bismarck-Archipel gesehen hatte. Dr. Schnee schreibt: Rohe Holzpfähle find in den Boden ge schlagen, zwischen Außen- und Jnnenpfählen find als Wände Hölzer übereinander geschichtet. Darüber ist ein Grasdach. Die ganze Hütte ist meist, das Dach eingerechnet, nicht höher als dreiviertel Mannshöhe, sodaß man mit Mühe hineinkriechen und sich darin nur in liegendem oder zusammengekauertem Zustande aufhalten kann. Das Inventar einer solchen Hütte be steht gewöhnlich nur aus einigen Waffen (Speeren und Sieinkeulen), Bambushölzern zum Holen und Aufbewahren von Wasser, einigen aus Bast geflochtenen Körbchen und etwa noch einigen Stücken eines auS Baumrinde be reiteten weißen oder roh bemalten Stoffes, der eine gewisse Ähnlichkeit mit der samoanischen Tava aufweist. Muschelgeld, das bei den Küstenbewohnern eine so große Nolle spielt, ist den Baining unbekannt. Als Bezahlung im Tauschhandel dienen lediglich Früchte und Schweine, von denen es bei den Baining eine große Menge gibt. In den Pflanzungen wird besonders Taro in großen Mengen gebaut, daneben aber auch Bananen und andre Früchte. Kokosbäume trifft man in den Bainingvflan- znngen nur ganz selten an. Dagegen wird Tabak gebaut, den die Baining mit einem Blatt um wickelt, als Zigarette rauchen. Bei den Hütten trafen wir einige Baining an, untersetzte kräftige Gestalten mit dicken Bäuchen, breitem Schädel und platter Nase, in Hautfarbe und kurzge schorenem Wollhaar den Küstenbewohnern ähnelnd. Charakteristisch ist außer den erwähn ten Merkmalen für die Baining eine dicke Schmutzkruste über dem ganzen Körper, die es als ziemlich zweifellos erscheinen läßt, daß der Baining sich nie wäscht. Die Mehrzahl der Baining, die ich im Laufe meines Aufenthalts aus der Gazellehalbinsel zu Gesicht bekommen habe, war daneben noch mit dem scheußlichen Ringwmm, einer ringförmigen Hautschuppung, behaftet, die sich häufig über den ganzen Körper hinzog. Die Baining im Norden der Gazelle halbinsel gehen vollständig nackt. Irgendwelche Tätowierung habe ich nicht an ihnen bemerkt, als Schmuck lediglich aus Holzfasern geflochtene Armringe. Die Waffen der Baining find ein fache lange Holzspeere, die zum Teil am obern Ende mit einem Knochen versehen find, Stein schleudern, die sie sehr geschickt zu handhaben verstehen, und Steinkeulen, aus einem runden, sorgfältig abgeschliffenen Stein bestehend, durch den der lange Holzstiel hindurchgesteckt ist. Als Werkzeug dient das Steinbeil in primitivster Form und Ausstattung, Die Diebe, von denen Dr. Schnee erzählt, wurden festgenommen und weggeführt. Nach den Angaben L. Raschers lag zwischen den Küstenbewohnern und den Baining eine Art Hörig keitsverhältnis vor,sodaß dieBaining ohneGegen- leistung Schweine und Flüchte liefern und Ar beiten verrichten müssen. Dafür entgingen die Hörigen dann dem Lose, gefressen zu werden. An der Küste wurden mehrere Baining befreit und elf von ihnen der Misston übergeben. Das Los der Bainingsklaven ist ungemein hart. Die Sprache, über die L. Rascher eine Grammatik veröffentlicht hat, ist von denen der Küstenbe wohner wie überhaupt von den sonst bisher bekannt gewordenen Sprachen des Bismarck- Archipels gänzlich verschieden. Bei den Baining herrscht auch nicht wie bei allen Küstenstämmen das Mutterrecht, sondern lediglich das Eltern verhältnis ist entscheidend. Der Dukdukzauber ist ihnen unbekannt. Bei ihren Tänzen herrscht nicht wie an der Küste Trennung der Geschlechter. Das ganze Volk steht auf einer äußerst niedrigen Kulturstufe. Eine Meldung des ,Reuterschen Bureaus' aus Brisbane fügt hinzu, daß 36 Eingeborene gefangen genommen und 16 wegen des Mordes an den Missionaren hingerichtet wurden. Ihre Absicht war, alle Weißen zu ermorden, doch ge lang ihnen dieses Vorhaben nicht. Von jVak unci fern. Die Bedingungen der Prinzessin Luise. Wie verlautet, hat die Prinzessin Luise von Koburg dem Anwalt ihres Gatten ihre Bedingungen behufs friedlicher Beilegung der Affäre bereits übermittelt. Sie verlangt sofortige Aufhebung der Entmündigung, sowie eine lebenslängliche Rente, sie wünscht unge stört an der Seite Mattasttschs fortleben zu können. Von Rechtsfreunden des Prinzen Philipp wird erklärt, es erscheine ganz ausge schlossen, daß der Prinz von Koburg jemals in ein Zusammenleben der Prinzessin mit Mattasitsch willigen und hierfür ihr noch lebenslängliche Rente aussetzen werde. R bin familien-Geheimnis. 9j Kriminalroman von Eberhard Wölbenderg. lFortletzung.) 6. Es war amVormittag des andernTages gegen neun Uhr, als der Bankier Wechsler sein Arbeits zimmer betrat. Sein Gesicht zeigte nicht mehr den glücklichen Ausdruck vom gestrigen Abend, sondern es war bleich und sorgenvoll. Er setzte sich in seinen Fauteuil vor dem Schreibtisch und ließ seine Augen im Kreise umherschweifen. Durch die halbgeöffnete Glastür blickte er in das Kontor nach den Pulten, hinter denen gebückte Gestalten rechneten und schrieben, Folianten auf- und zuklappten, dann glitt sein Blick über die Papiere und Zeitungen auf dem Tische vor ihm, er griff nach den Blättern und überflog mechanisch, ohne Interesse die Spalten. Er machte ganz den Eindruck, als warte er gespannt auf etwas, das jeden Augenblick kommen müsse. O, es stand durchaus nicht so glänzend mit dem Bankhause Wechsler, wie die Welt, die doch nur nach dem Scheine urteilt, zu glauben geneigt war. Schon seit langer Zeit war die Bilanz eine ungünstige gewesen, und die Ver luste waren Schlag auf Schlag gefolgt. Um diese auszugleichen, hatte sich der sonst so vor sichtige Geschäftsmann in gewagte Spekulationen gestürzt, er hatte sein Privatvermögen eingesetzt und binnen wenigen Monaten alles verloren. Sein Kredit war stark erschüttert, und seine letzte Hoffnung beruhte nur auf dem glücklichen Verlauf eines Unternehmens, das er mit einer ausländischen Firma eingegangen war. Schlug auch diese Spekulation fehl, so sah er keine Rettung mehr vor dem drohenden Bankrott. Und noch heute vormittag sollte er Gewißheit darüber erhalten, in jeder Minute konnte die Depesche eines Freundes vom dortigen Platze eintreffen. Es war ihm möglich gewesen, die mißliche Geschäftslage geheim zu halten, pünktlich allen Verbindlichkeiten bis heute nachzukommen und seine Sorgen vor seiner Familie zu verbergen. Er hatte Frau und Tochter in dem Wahn ge lassen, daß sein Reichtum ein geradezu uner schöpflicher sei. Wenn dieses neue Unternehmen ihm glückte, so stand ihm ein kolossaler Gewinn bevor, war er aller Sorgen überhoben und konnte die Verluste binnen Jahresfrist reichlich decken, mißglückte es, so war er ein Bettler. Er schauderte, wenn er an diese Möglichleit dachte, in diesem Falle war auch die Heirat seiner Tochter mit dem Referendar unmöglich, denn derselbe würde seine Hand gewiß nicht dem Kinde deS Bankrottierers reichen. Der Eintritt des Kontordieners unterbrach seinen Gedankengang. Er riß dem Boten fast die Depesche aus der Hand und erbrach das Kuvert. Nur einen Blick warf er auf die wenigen inhaltsschweren Worte, die über sein Schicksal entschieden, dann wußte er genug. „Verloren!" murmelte er und er ächzte förmlich auf unter der erdrückenden Last dieses Be weises. In der herabhängenden Linken die Depesche haltend, stützte er sich mit dem rechten Arm auf den Tisch und vergrub die brennende Stirn in die Hand. So saß er minutenlang mit stierem Blick, mit zusammengepreßten Lippen regungslos da, nur seine Brust arbeitete mächtig unter der inneren Bewegung. Dann war's, als ob ihm plötzlich ein glück licher Gedanke gekommen sei, denn er richtete sich lebhaft auf, steckte die Depesche in die Tasche und ging mit den Händen auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, sinnend eine Weile auf und ab. Ein Entschluß reifte in ihm, und binnen wenigen Minuten wurde aus ihm ein andrer. Er hob wieder zuversichtlich den Kopf empor, und seine Züge verloren den starren Ausdruck. Noch gab es eine Möglichkeit zur Rettung. Das Vermögen seiner Frau, das sie ihm nie anvertraut hatte, wäre vollkommen genügend gewesen, ihn aus aller Verlegenheit zu be freien. Es galt nur, dieses Geld so schnell als möglich zur Disposition zu erhalten. Daß er seiner Frau die ungeschminkte Wahrheit ge stehen, sie aus ihrer bisherigen Sorgfalt reißen mußte, war ihm äußerst peinlich, und es ver ursachte ihm ein gelindes Entsetzen, wenn er an den Sturm dachte, den seine Enthüllungen Her vorrufen würden; aber es gab keinen andern Ausweg mehr aus dieser entsetzlichen Bedrängnis, wie sehr er auch sein Gehirn anstrengte, einen solchen zu finden. Als er bei seiner Frau eintrat, fand er sie noch mit Hilda am Frühstückstisch. Die Gegen wart seiner Tochter war ihm in diesem Augen blick durchaus nicht erwünscht, sie sollte nicht Zeugin des Gesprächs sein, und er sagte darum mit einer Handbewegung die angeborene Tasse Schokolade zurückweisend: „Laß uns allein, Hilda, ich habe mit Mama zu reden." Hilda, die sich schon glücklich geschätzt hatte, ihm hier unter dem Schutze der Mutter ihre Rechnungen vorlegen und somit einer „Straf predigt" vielleicht ganz entgehen zu können, erhob sich betroffen mit der Frage: „Aber, Papa, störe ich denn dabei?" — Ein Blick auf die Züge ihres Vaters ließ sie jedoch schnell verstummen und geräuschlos das Zimmer verlassen. Wie ein Mensch, der durch eine furchtbare Entdeckung plötzlich in seinem ganzen Aussehen, in seinen ganzen Bewegungen sich verändert hat, trat Wechsler seiner Gattin gegenüber. Sie hatte ihn schon von seinem Eintreten an er staunt betrachtet und fühlte sich jetzt zu der Frage gedrängt: „Bist du krank, Heinrich, oder ist ein Unglück geschehen?" „Setz dich und höre mich aufmerksam an," entgegnete ihr Gatte, indem er vor sie hintrat. Mit kurzen gedrängten Worten erzählte er die Geschichte seines Unglücks, schilderte die Ge schäftslage und schloß mit den Worten: „Ich habe dir nichts verschwiegen, mein Tun durch nichts beschönigt, nur das eine will ich dir noch zu bedenken geben, ehe du mich verurteilst: daß ich stets nach bestem Wissen bestrebt war, für dein und unsres Kindes Wohl zu sorgen, daß ich alles getan habe, was möglich war, um das Unheil abzuwenden. Wenn es mir nicht gelungen ist, so schreibe das nicht meiner Unfähigkeit oder meinem Leichtsinn zu, sondern den unglücklichen Umständen, dem unerbittlichen Schicksal. Wie schwer es mir geworden ist,
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