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Ottendorfer Zeitung : 02.09.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190409021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-09
- Tag 1904-09-02
-
Monat
1904-09
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 02.09.1904
- Autor
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politische KunälckLu. Ter russisch-japanische Krieg. *Die Würfel find in dem nördlichen Teile des ostafialischen Kriegsschauplatzes wieder ernst lich ins Rollen gekommen und jede Stunde kann die Nachricht von einer schwerwiegenden Entscheidung bringen, sei es, daß den Japanern ein vernichtender Schlag gegen Kuropatkin gelingt, sei es, daß umgekehrt für jene die jetzt begonnene Aktion zu einer schweren Nieder lage führt. Einstweilen läßt sich nur erkennen, daß die russischen Stellungen bei Liaujang in ihrer ganzen Ausdehnung angegriffen werden, daß der Kampf aber, bei dem die Artillerie die Hauptarbeit leistet, noch nicht in eine entscheidende Phase getreten ist. Man kann sich nicht gut denken, daß die Japaner sich darauf beschränken sollten, die russischen Stellungen in der Front anzugreifen; es bleibt abzuwarten, ob nicht bald eine gleich zeitige Umgehungsbewegung bemerkbar und wirksam wird. *Auch vor Port Athur erwartet man stündlich eine Entscheidung. Die japanische Belagerungsarmee soll fortwährend Verstärkungen erhalten. Die Russen in Port Arthur sollen immer noch guten Mutes sein. General Stössel sieht dem nächsten Sturm der Japaner angeblich mit guter Ruhe entgegen. Die Geschütze der unbrauchbar gewordenen russischen Schiffe find mit ausgezeichnetem Er folge zur Verstärkung der Festungsartillerie ver wendet worden. *Jn Petersburg scheint man mit dem Fall Port Arthurs zu rechnen, denn um die Folgen abzuwehren, soll bereits die Bildung einer zweiten russischen Armee beschlossen sein. Als ihre Führer werden. der General Baron Kaulbars und General Suchomlinow genannt. Sie soll bei Mulden versammelt werden und aus drei bis vier Armeekorps be stehen. Ferner sollen eine schwere Artillerie des Feldheeres aufgestellt und eine umfang reiche Vermehrung der Gebirgs artillerie bereits befohlen sein. Durch die bevorstehende Eröffnung der Ringbahn um den Baikalsee hofft man den Abtransport der zweiten Armee wesentlich zu beschleunigen. — Auch soll der Zar neuerdings erklärt haben, es sei sein fester Entschluß, und er werde alles daran setzen, daß der russisch-japanische Krieg nicht anders als mit einem völligen Siege der russischen Waffen beendet werde. (Man achte wohl darauf daß es der feste Entschluß des Zaren ist. Hoffentlich merken es sich die Japaner.) * Der K a is er v o n K o r e a soll die ihm vom japanischen Gesandten unterbreiteten Reformvorschläge angenommen haben, darunter die Annahme der japanischen Münze, Herabsetzung der koreanischen Armee auf die kaiserliche Leibwache von 1000 Mann, Ab berufung aller koreanischen Gesandten und Konsuln und Vertretung der koreanischen Inter essen im Auslande durch die japanischen diplomatischen Vertreter. (Das wäre, falls diese Meldung keine von den vielen ostasiatischen Enten ist, eine Annexion Koreas durch Japan nach allen Regeln der Kunst. Ehe aber eine solche dauernden Charakter erhalten könnte, müßte der Krieg gegen Rußland zu Ende ge führt, und zwar siegreich zu Ende geführt sein.) — * * " * Deutschland. * Der Kaiser wohnte am Sonntag mittag im Berliner Zeughause der Nagelung und Weihe neuer Fahnen und Standarten bei. Nachmittags kehrte der Monarch wieder nach dem Neuen Palais zurück. * In dem dem Reichstage zu unterbreitenden neuen Quinquennatsgesetz wird eine Neugliederung der Fußartillerie nicht erscheinen. Bestimmt wird in dasselbe ausgenommen die Neuaufstellung von dritten Bataillonen und hier, wie es heißt, 24 für die preußischer Ver waltung unterstellten Kontingente, 4 für Bayern, 2 für Sachsen, oder aber je 2 für Bayern, Sachsen und Württemberg. Damit kämen noch nichl sämtliche Regimenter auf 3 Bataillone. Ob eine Vermehrung der Kavallerie und in welchem Umfange sie verlangt werden wird, scheint noch nicht festzustehen. In Reichs tagskreisen glaubt man, daß gegen Neuauf stellung der Bataillone auch von nichtoppo sitionellen Parteien Einwände erhoben werden dürften, so lange man noch nicht einmal für die schon vorhandenen Bataillone genügend Offiziere besitzt. Man will durch ein neues Penstonsgesetz zunächst diesen übelstand be seitigt, die Offizierlausbahn wieder zugkräftiger weiden sehen. * Schon in einer langen Reihe von Jahren erscheint regelmäßig im ordentlichen Etat der einmaligen Ausgaben des Reichsamts des Innern eine Position, die zur Bestreitung von Kosten bei der wissenschaftlichen Erforschung und Aufdeckung desrömischenGrenzwalles (Limes) dient. In nicht weniger als zwölf Etats ist die Position bisher verzeichnet ge wesen. Dem Vernehmen nach wird sie im Etat für 1905 wieder erscheinen, damit aber auch zum letztenmal gefordert werden, weil man hofft, daß das Unternehmen, das durch die Limes- Kommisfion geleitet wird, im Jahre 1905 seinem endgültigen Abschlusse werde zugeführt werden können. *Dte Fsteinnahme an Zöllen und Verbrauchssteuern hat für die ersten vier Monate des laufenden EtatSjahres insgesamt 271,9 Mill. Mark oder 7 Millionen mehr als im gleichen Zeiträume des Vorjahres betragen. Zu dem Mehr haben die Zuckersteuer mit 7,9 Mill., die Salzsteuer mit 0,4 Mill, die Maischbottichsteuer mit 2 Mill, und die Schaumweinsteuer mit 0,2 Millionen Mark beigetragen. Dagegen haben die Zölle ein Weniger von 3,6 Mill, und die Branntweinverbrauchs abgabe von 0,2 Mill. Mark zu verzeichnen gehabt. Von den übrigen Reichseinnahmen haben die Reichsstempelabgaben ein Mehr von 2,2 Mill. Mark ergeben. Das Mehr bei der unter diese Abgaben fallenden Börsensteuer belief sich auf 2,8 Millionen, während die Losesteuer ein Weniger von 0,2 Millionen abgeworfen hat. Die Po st und Telegraphenverwaltung hat gegen den gleichen Zeitraum des Vorjahres mit einem Mehr von 5,7 Millionen, die Neichseisen- bahnverwaltung mit einem solchen von 2,3 Mill. Mk. abgeschnitten. * Auf der außerordentlichen Generalversamm lung der Bergwerksgesellschaft. „Hibernia* wurde das Anerbieten der Preuß. Regierung betreffs Ankaufs des Unternehmens für den Staat abgelehnt. * Im Monat Juli d. haben 3586 Schiffe (gegen 3307 Schiffe im Juli 1903) mit einem Nettoraum gehalt von 505 993 Registertonnen (1903: 454573 Registertonnen) den Kaiser Wilhelm-Kanal benutzt und, nach Abzug des auf die Kanalabgabe in Anrechnung zu bringenden Elblotsgeldes, an Gebühren 237 239 Mk. (1903: 211501 Mk.) entrichtet. * Der General st abschef des Generals v. Trotha, Oberstleutnant Beaulieu, kehrt in die H eim at zurück. Als Grund seines Ausscheidens aus dem südafrikanischen Feldzuge wird ein Herzleiden angegeben, von dem der bisher kerngesunde Offizier bei seiner Ausreise in die Kolonie nicht die geringsten Spuren zeigte. (Sollte dieses Herzleiden etwa ähnlicher Natur sein wie seinerzeit das des Obersten Dürr, der plötzlich dem Expeditionskorps Valet sagte? Merkwürdig ist es immerhin, daß tropendienstfähige kerngesunde Osstziere in der Kolonie plötzlich herzkrank werden.) Schweiz. * Mehrere russische Terroristen, die kürzlich am Genfer See eine geheime Ver sammlung abhielten, find von der Regierung ausgewiesen worden. Balkanstaaten. "Um die Grundlagen der Verhandlungen für einen serbisch-deutschen Handels vertrag festzustellen, hat sich der serbische Finanzminister Patschu nach Berlin begeben. * Infolge der drohenden Haltung eines Teiles der albanischen Palastgarde mußten andere Truppen einschreiten, wobei es einige Tote und Verwundete gab. Die Ursache der Meuterei ist der rückständige Sold, aber wahrscheinlich auch das energische Auftreten der Türkei behufs Einführung der Reformen gegen die unbotmäßigen Albanier in Ipek. Afrika. *6ber eine neue Erweiterung des fran ¬ zösischen Einflusses in derSahara wird gemeldet: Der französische Kommandant von Timbuktu hat von dem Häuptling der überaus reichen Oase Ara-Uan das Anerbieten erhalten, diese Oase unter französischen Schutz zu nehmen. Demgemäß find zwei Kompanien Senegalschützen und 145 Freiwillige nach Ara-Uan gesandt worden. *Die Kongo-Regierung hat dieser Tage ein besonderes General-Konsulat in Washington zur Vertretung ihrer handels politischen und diplomatischen Jmeressen in den Ver. Staaten errichtet. Die Errichtung andrer kongostaatlicher Konsulate in Europa soll folgen, worin man einen neuen Schritt der mittel afrikanischen Regierung erblickt, sich von Belgienunabhängig zu machen. Bis her wurde der Kongostaat im Auslande aus schließlich von Belgien vertreten. Ver petroleumbranä in Antwerpen. Über den Brand des Petroleumtanks wird noch gemeldet: Die Hitze war während des Brandes so groß, daß das Straßenpflaster auf 25 Meter Entfernung glühte. Auf einer enormen Fläche wogte ein loderndes Flammenmeer. Als der Wind den Rauch über Antwerpen hinwehte, war der Himmel derartig verdunkelt, daß die Geschäfte im Zentrum der Stadt das Licht an zünden mußten. Ein Arbeiter erzählt, wie er durch den stellenweise schon brennenden Petroleum strom geschwommen ist. Er war mit vier Kameraden auf einem Gerüst damit beschäftigt, einen Petroleumbehälter anzustreichen, als die Explosion erfolgte. 5000 Tonnen Petroleum ergossen sich sofort aus dem Tank. Die Flut war einen Meter tief. Der Arbeiter konnte sich bei der Explosion an dem Gerüst festhalten, ließ sich dann an einem Seil deS Gerüstes hinab und rettete sich, indem er die Olflut durchschwamm. Zwei seiner Kameraden erstickten und verbrannten. Ein dritter kletterte auf ein Dach und flog mit diesem zwei Minuten später in die Lust. Der Augenzeuge befürchtet, daß 15 Kinder, die bei Ausbruch des Brandes in der Nähe spielten und jetzt von ihren Eltern vermißt werden, in den Flammen umgekommen find. Außerdem scheint eine Verkäuferin, die den Arbeitern Eßwaren brachte, von der brennenden Flut überrascht worden zu sein. Bis jetzt sind neun völlig verkohlte Leichen ge sunden worden. Der Arbeiter schätzt das Quantum des in Flammen stehenden Öls auf 120 Millionen Liter. Diese große Menge ergoß sich sofort über das ganze Gelände und überschwemmte mehrere Wohnungen, deren In sassen bei der Flucht schwere Verbrennungen erlitten. Die Hitze war so groß, daß die Pflastersteine im Feuerbereich vollständig ver kalkten. Den Feuerwehrleuten blieb nichts andres übrig, als durch Aufwerfen von Gräben den Feuerherd einzudümmeu. Dabei geschah das Unglück, daß ein Wasserschlauch in einen mit Petroleum gefüllten Graben zu liegen kam, so daß das Öl in die Flammen gespritzt wurde. — über die Entstehungsursache der Katastrophe wird folgendes bekannt: Beim Bau eines neuen Behälters wurde eine tragbare Schmiede angelegt. Dabei entstand in einem der Behälter ein Niß; das Petroleum floß aus und ent zündete sich an der Schmiede. 38 Tanks wurden vernichtet. Das Unglück betrifft die „Deutsche Petroleum-Produkte-Aktiengefellschaft" in Berlin, die „Standard Oil Company" und die „American Petroleum Company". Der Schaden ist bei deutschen und englischen Ver sicherungsgesellschaften gedeckt. Von unä fern. Los eines Kriegsberichterstatters. Der bekannte tschechische Abgeordnete Klofatsch, der sich als Berichterstatter tschechischer Blätter auf den ostafiatischen Kriegsschauplatz begab, ist dort spurlos verschwunden. Die Petersburger Tschechenkolonie telegraphierte an Alexejew, er möge Erkundigungen nach Klofatsch anstellen. Die bisherigen Nachforschungen waren ergebnis los. In Prag verlautet, Klofatsch sei in japanische Gefangenschaft geraten. Die verletzte Telephonistin. Durch zu starkes Drehen der Fernsprechkurbel kann leicht großes Unheil angerichtet werden. Eine junge Telephonbeamtin in Hildesheim erhielt vor etwa anderthalb Jahren im Dienst, während sie vor dem Apparat saß, einen heftigen elektrischen Schlag, der mit einer starken, weithin hörbaren Detonation verbunden war. Der Schlag soll durch zu starkes Wecken, das Starkstrom er zeugte, hervorgerufen sein. Bei der jungen Dame stellte sich sofort heftiges Ohrensausen ein, dann traten Lähmungserscheinungen auf der linken Seite auf. Trotz aller ärztlichen Be mühungen verschlimmerte sich der Zustand und das junge Machen ist nunmehr, weil von den ärztlichen Autoritäten für unheilbar erklärt, von amtswegen in den Ruhestand versetzt worden und hat die trostlose Ausficht, zeitlebens ein Krüppel zu bleiben. Im Kriegsbiwak bei Siek (Schleswig) wurde ein Infanterist von einem seiner Kame- rnden versehentlich in den Kopf geschossen. Der Schwerverwundete wurde nach dem Kranken hause zu Ahrensberg geschafft, wo er bald nach der Einliefernng starb. Bergarbeitertod. Auf Zeche „Konsoli dation" stürzten ein Schachtmeister und zwei Schichtlöhner ab. Alle drei waren sofort tot. In eine Schafherde gefahren ist der Schnellzug Kassel—Berlin in der Nähe von Marburg, wobei eine Anzahl der Tiere getötet wurde. Ter Düngerhaufen als Brutmaschrne. In einem Weimar benachbarten Dorf hörte jüngst ein Landwirt auf seinem Hofe die Stimme eines kleinen Hühnchens. Er ging dem Schalle nach upd näherte sich vorsichtig seinem Düngerhaufen. Er bemerkte, daß die Stimme aus dem Dünger kam. Vorsichtig beseitigte er die obere Schicht, und findet ein kleines Hühnchen, das eben aus der Schale geschlüpft war. Ein Huhn hatte jedenfalls auf dem Dünger ein Ei verloren. Nachdem es mit Dünger überdeckt war, trat der Dünger eben in seine Funktion als Brutmaschine. (Daß der Dünger Eier ausbrüten kann (seine Zersetzung bewirkt eine gleichmäßige Wärme) war auch schon den alten Griechen und Römern bekannt.) Automobilunfall. Zwischen Ahrensburg und Vierbergen scheuten die Pferde eines mit Heu hochbeladenen Wagens vor einem das Gefährt überholenden Automobil. Die auf dem Fuder fitzenden Eheleute wurden herabgeschleudert. Während der Mann ziemlich glimpflich davon kam, erlitt die Frau einen mehrfachen Bruch des rechten Unterschenkels. Ein Rabenvater. In dem schlesisch- russischen Grenzorte Sosnowice fand man in einem Keller ein 14 jähriges irrsinniges Mäd chen, das dort seit zwei Jahren gefangen ge halten worden ist. Als die Mutter starb, wollte der Rabenvater durch das unglückliche Kind nicht gebunden sein. Er zog den Haus verwalter durch Bestechung ins Vertrauen, und beide beschlossen, das bedauernswerte Geschöpf in dem dumpfen, feuchten und fensterlosen Keller einzuschließen. Hier wurde es in Lumpen gehüllt und notdürftig ernährt. Sein Lager war ein Faß mit nassem Stroh, in dem es vonUngeziefer wimmelte. Als jetzt das Verbrechen entdeckt und das Mädchen als ein nur menschen ähnliches Wesen mit verworrenem Haar, mit Un geziefer und Wunden bedeckt, von Schmutz triefend, ans Tageslicht gebracht wurde, hatte das Kind die Sprache vollständig verloren, es gab nur unverständliche Laute von sich, verfiel in Zuckungen und schließlich in Besinnungslosig keit. Vater und Hausverwalter wurden ver haftet. Schreckensszenen bei einer Feuersbrunst in Italien. Die Seidenspinnerei von Folcati in Sartirana, Provinz Pavia, wurde in der Nacht zum Sonntag ein Raub der Flammen. Die Arbeiterinnen, die in der Fabrik schliefen, sprangen aus den Fenstern. Dabei fand ein Mädchen seinen Tod. Sieben Arbeiterinnen er litten schwere Verletzungen. K Sin familien-Geheimnis. 2) Kriminalroman von Eberhard Wölbenderg. (Fortsetzung.! So waren sie am Brandenburger Tor an gelangt, und hier glaubte Willi die Gelegen heit gekommen, eine Frage an seinen Schütz ling richten zu dürfen. „Wohin wenden wir uns, mein Fräulein?" Damit war das Eis gebrochen. Sie sah zu ihm auf und ihre Blicke trafen sich zum ersten Male voll und strahlend. Unwillkürlich waren beide stehen geblieben, einen kurzen Moment in gegenseitiges Anschauen verloren, bis das junge Mädchen zuerst den Blick ab wandte und verwirrt entgegnete^ „Ich wohne in der Turmstraße, Herr Hartung. Wenn es Sie zu wett von Ihrem Wege abführen sollte, so gestatten Sie, daß ich mich mit dem herz lichsten Danke von Ihnen verabschiede." „Aber, mein Fräulein, Sie wollen mich sortschicken?" rief er betroffen aus. „Nein, nein, selbst auf die Gefahr hin, Ihnen lästig zu fallen, werde ich Sie bis zu Ihrer Woh nung begleiten. Nicht wahr, Sie weisen mich nicht zurück," bat er feurig und ergriff ihre beiden Hände. Sie lächelte froh und überließ ihm ihre schlanken Finger. „Wie dürfte ich Sie, meinen Retter und Beschützer, dem ich zu größtem Dank verpflichtet bin —" „Keinen Dank!" wehrte er ab, „was ich tat, war Mannespflicht, und ich bin glück lich, daß ich Ihnen einen Dienst erweisen durfte." Sie schwieg darauf, aber der leichte Hände druck und ein feucht schimmernder Blick ihres blauen Auges sagten deutlicher, als Worte, was sie fühlte und dachte. Noch immer nebeneinander stehend, sahen beide zwischen den hohen, mächtigen Säulen des Brandenburger Tores httrdurch die vor nehmste und breiteste Straße von Berlin hinab, die den Namen „Unter den Linden" führt. Die endlose dreifache Reihe der großen elektrischen Lampen im Verein mit dem Licht meer, das den Prachtläden zu beiden Seiten der Straße entströmte, schuf Tageshelle bis in die entlegensten Winkel. Das junge Grün der Lindenbäume aus der breiten Promenade sah in dieser Beleuchtung fast silbern aus, jeder Zweig und jeder Ast war in weißes Licht ge taucht und hob sich scharf aus den schwarzen Schatten hervor. Weit in der Ferne, wo die Lichtreihen sich scheinbar senkten und zusammen flossen, ragte die Kolossalstatue Friedrichs des Großen empor; deutlich zeichneten sich die Um risse des Kunstwerkes auf dem Hellen Grunde ab, den das hinter dem Opernplatz Verschwimmende Lichtmeer bildete. Dieses eigenartige feenhafte Bild war be lebt von einer zahllosen Menschenmenge, die in ununterbrochenem Strome auf den Trottoirs und der Promenade sich dahinbewegte, während über die Fahrstraßen glänzende Equipagen, Droschken und schwerfällige Omnibusse rollten — ein ewig wechselndes, ungemein fesselndes und über aus prächtiges Panorama, das nicht allein den Fremden, der es zum ersten Male steht, zur staunenden Bewunderung hinreißt, sondem auch in dem Berliner immer wieder das Gefühl stolzer Freude erweckt. Minutenlang standen Willi Hartung und sein Schützling wie traumverloren im Anschauen dieses BÜdes, endlich aber drängte das junge Mädchen zum Gehen. „Meine Mutter erwartet mich längst und wird meinetwegen bereits in Sorge sein," sagte sie fast ängstlich. „Da Sie nicht „meine Eltern" sagen, muß ich annehmen, daß Ihr Herr Vater tot ist," begann Willi, als sie ihren Weg über den Königsplatz hin fortsetzten. „Sie haben recht," entgegnete sie ernst, „und nun will ich Ihnen endlich sagen, wer ich bin, denn ich glaube Ihnen das schuldig zu sein. Ich heiße Hedwig Bordowich, und als Sie mich in der Potsdamerstraße so gütig in Schutz nahmen, kam ich soeben aus dem Kon fektionsgeschäft von Kalläne, wo ich als Ver käuferin angestellt bin." Willi fühlte sich durch diese Eröffnung ent täuscht, aber das Unbehagen, das ihn er griffen, schwand sofort wieder und machte einer heimlichen Freude Platz. Es war doch bester, daß sie gesellschaftlich nicht über ihm stand, nun durfte er doch ungescheut versuchen, ihr näher zu kommen, durfte hoffen — aber noch wußte er ja selbst nicht, was er wollte und was ihn an dieses Mädchen so fesselte. War es Liebe, war es möglich, daß eine solche so schnell ent- stehen konnte, daß der erste Anblick, der erste Händedruck schon die Hände aneinanderzuketten vermochte? Er wollte es verneinen, aber das Ver langen, sie wieder zu sehen, erwachte in ihm und wurde immer mächtiger, das heiße Ver langen, mit ihr plaudern zu dürfen, wie heute, so an jedem Abend, und er war entschlossen, st« darum bitten. Je näher sie jedoch dem Ziele ihrer Wanderung kamen, um so mehr fühlte er sein Herz bedrückt und beklommen, und als st« sich vor ihrem Hause mit einem Händedruck von ihm verabschieden wollte, fand er nicht den Mut, das entscheidende Wort zu sprechen. Endlich, wie sie ihm ihre Hand entziehe« wollte, sprach er leise, sie bittend ansehend: „Und darf ich sagen, auf Wiedersehen?" Und noch leiser, fast unhörbar setzte er hinzu: „Morgen schon?" Sie befreite hastig ihre Hand und ent gegnete, indem ein leuchtender Blick ihn traf: „Ich gehe um dieselbe Zeit durch die Bellevue straße — auf Wiedersehen!" Damit verschwand sie in dem Haustor. Willi ging mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen und mit einem wahren Sturm sich kreuzender Empfindungen im Herzen davon 2. In seinem Arbeitszimmer saß am Abend desselben Tages der Schriftsteller Hartung seinem Schwiegervater, dem pensionierten Oberst Ulrich Rodenberg gegenüber. Das sehr geräumige Zimmer, ein freund liches, behaglich ausgestattes Gemach, war von dem milden Schein einer Hängelampe hell er leuchtet; an den Wänden standen hohe Bücherschränke und in der Nähe des Fensters ein großer mit Papieren bedeckter Schreibtisch.
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