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Ottendorfer Zeitung : 10.08.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190408107
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040810
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040810
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-08
- Tag 1904-08-10
-
Monat
1904-08
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 10.08.1904
- Autor
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Von und fern. Der Oberhofmeister der Kaiserin Freiherr von Mirbach läßt eine Villa in Pots dam am Neuen Gerten, unweit der von ihm selbst bewohnten Villa Albrechtstraße 13, für seinen Sohn, Leutnant im Leib-Garde-Husaren- Regiment, bauen, der mit einer Tochter des Oberpräfidenten der Provinz Ostpreußen, von Moltke, verlobt ist. Im Oktober soll die Ver mählung stattfinden und bis dahin die neue Villa fertig sein. Leutnant v. Mirbach stand früher bei einem Garde-Jnfanterie-Regiment, hatte aber das Unglück, bei einer Festlichkeit zu fallen und sich eine Sehnenzerreißunq an einem Fuße zuzuziehen, die ihn für den Dienst bei der Infanterie untauglich machte. Nachdem dann zwei Garde-Kavallerie-Regimenter ihn nicht übernehmen wollten, wurde er auf Befehl des Kaisers beim Leib-Garde-Husaren-Regiment eingestellt. Die Bezeichnung „Kolbergermünde" für den Hafen von Kolberg ist amtlich in Kol berg abgeändert worden. Der Staatssekretär des Reichsmarineamts hat bereits angeordnet, daß auf den Seekarten und allen Veröffent lichungen der Marine der Name Kolberg anzu wenden ist. Amtsrichter Hans v. Moser, der seit 10 Jahren beim Amtsgericht in Wüstegiersdorf tätig war und sich allseitiger Beliebtheit erfreute, ist freiwillig in den Tod gegangen. Der Ver storbene, dessen Verhältnisse in der denkbar besten Ordnung sind, kann den Schritt nur in einem Augenblick geistiger Umnachtung getan zu haben. Er stand im 47. Lebensjahre. Das Fahrrad auf dem Lande. Eine wie große Verbreitung das Fahrrad auf dem Lande gefunden hat, geht aus einer Mitteilung hervor, die man der ,Radwelt' aus Schleswig' Holstein macht. Dort fand in dem Dorfe Satrup eine Tierschau statt, die von etwa 6000 Personen aus der Umgegend besucht war. Von diesen find, wie sestgestellt worden ist, nicht weniger als 1000 auf dem Fahrrad gekommen. Durch Explosion eines Spiritus-Plätt eisens wurden zwei blühende Menschenleben auf dem Rittergute Sydow bei Biesenthal da hingerafft. Das Hausmädchen plättete mit einem Spiritus-Plätteisen; wahrscheinlich goß sie Spiritus nach, denn plötzlich explodierte das Eisen. Das unglückliche Mädchen wurde so schwer verletzt, daß es bei Einlieferung in das Krankenhaus starb, während der in ihrer Nähe sich befindliche 2 jährige Sohn des Ritterguts besitzers K. sofort getötet wurde. „Ja, treu ist die Soldatenliebe!" Während der letzten Kaisermanöver war in Merseburg bei ärmeren Leuten ein Feldwebel einguartiert, der sich in das bildhübsche Töchter chen verliebte. Er machte ihr einen Heirats antrag, den er auch nach dem Manöver brieflich mehrmals wiederholte. Das Mädchen ging indessen, weil es meinte, der Unterschied zwischen so geringen Leuten und einem Herrn Feldwebel sei zu groß, nicht darauf ein. Der Feldwebel starb bald darauf, nachdem er in einem Briefe an seine Eltern sein Erbteil der allzubescheidenen Geliebten vermacht hatte. Die Eltern respektierten den letzten Wunsch ihres einzigen Sohnes und kürzlich erhielt das Mädchen die Nachricht, daß es die Summe von — 24 000 Mark erheben könne. Immer hübsch genau! Der .Öffentliche Anzeiger' der Düsseldorfer Königlichen Regie rung enthält folgenden Steckbrief: „Gegen den Ludwig Eberle, geb. in Oberhausen 1871, zuletzt Köln, welcher flüchtig ist, soll eine durch voll streckbares Urteil des Landgerichts (Straf kammer III) zu Düsseldorf vom 5. Oktober 1890 erkannte Restgefängnisstrafe von 3 Monaten 15 Tagen 21 Minuten 15 Sekunden vollstreckt werden. Es wird ersucht" usw. Giftmordversuch. Ein 27 jähriger Ehe mann in Köln versuchte seine Frau durch Gift zu töten, zu welchem Zwecke er einer Flasche Bier eine starke Dosis Arsenik beifügte. Eine Untersuchung des Inhalts der Flasche bestätigte den Verdacht, worauf der Mann in Haft ge nommen wurde. Die Frau hatte nur einen kleinen Teil des Bieres genossen, sodaß die so fort angewandten Gegenmittel verhüteten, daß sie weiteren Schaden nahm. Der Tote im Walde. Im Eckerberger Forst bei Stettin wurde der 30 jährige Lehrer Max Krüger aus Pommerensdorf an einem Baumstamm liegend tot ansgefnnden. Eine große klaffende Wunde am Kopfe sowie die Tatsache, daß Wertsachen und das Portemonnaie fehlen, lassen die Annahme zu, daß an dem jungen Lehrer ein Raubmord verübt worden ist. Die behördliche Untersuchung ist eingeleitet worden. Pfändung wegen Kirchensteuern. Wie aus Flensburg berichtet wird, find dort wegen Nichtbezahlung der Kirchensteuer 1838 Pfän- Französischer Botschafter beim VatikanNisard. Während der französische Botschafter beim Vatikan Mr. Nisard schon im Mai von seiner Regierung einen längeren Urlaub erhielt und Rom verließ, ist nun der Botschafter des Vatikans in Frankreich Lorenzelli von Paris abgereist, ehe ihm die Pässe zugestcllt werden konnten. Die französische Regie rung wird die aus die Trennung des Staates und der Kirche bezüglichen Gesetzesvorlagen sofort aus arbeiten lassen. Somit dürfte das bestehende Kon kordat die längste Zeit gedauert haben. düngen vorzunehmen. Da die vorhandenen städtischen Vollziehungsbeamten nicht alle diese Pfändungen vornehmen können, ist ein Musiker als Hilfs - Vollziehungsbeamter angenommen worden. Auf rasendem „Auto". Einer jener rücksichtslosen Automobilisten, die die Landstraße durch ihre wilde Fahrerei unsicher macken, ist, leider erst, nachdem er furchtbares Unheil ange richtet hatte, in München dingfest gemacht worden. Es ist ein Graf La Roche aus Paris. Er fuhr auf der Strecke Landshut—München mit seinem Automobil ein so rasendes Tempo, daß bei Freising die Pferde eines Fuhrwerks scheuten. Beim Sturze des Wagens fand eine Arbeiter frau, die Mutter von fünf Kindern, den Tod. Der Graf La Roche fuhr weiter, ohne sich um die Verunglückte zu kümmern. Auch sein Chauffeur ist verhaftet. Aus der Mosel wurden die mit einem Hosenträger aneinandergebundenen Leichen einer verheirateten, von ihrem Manne aber getrennt lebenden Kellnerin und eines Monteurs, angeb lich aus der Züricher Gegend, gelandet. In den Flammen umgekommcn. In Villingendorf bei Rottweil brannten die Wohn- und Okonomiegebäude des Besitzers Haas nieder. Zwei Knaben im Alter von 5 und 7 Jahren, die sich im Hause versteckt hatten, kamen in den Flammen um. Origineller deutscher Sprachunterricht ist in sämtlichen höheren Schulen der französi schen Departements Haute-Savoie durch die Präfektur eingcführt worden. Danach müssen alle Klassenräume, in denen deutsch gelehrt wird, mit geeigneten Reklame-Anschlägen in deutscher Sprache ausgestattet werden, so daß das Auge der Schüler auch in den übrigen Lehrstunden fortgesetzt auf diesen A-fichen ruht und sich so mehr und meyr mit dem germanischen Idiom vertraut macht. Es sind besonders Eisenbahnfahrpläne, Hotel- und Ausstellungs reklamen, die zu diesem Zweck verwandt werden. Eine eigenartige Taschenuhr hat einSckweizer Uhrmacher erfunden. Sie ruft unttels eines win zigen Phonographen die Zeit aus. Eine sehr kleine Hartgummiplatte gibt die Schwingungen der menschlichen Stimme wieder nach den auf der Walze eines Phonographen eingeritzten Zeichen. Sie wird durch ein besonderes Uhrwerk getrieben und zu einer bestimmten Zeit in Tätigkeit gesetzt, so daß sie die gerade fällige Stunde laut verkündet. Die Einrichtung ist kräftig genug, um sich auf 6 Meter Abstand bemerkbar zu wachen. Uber die Nützlichkeit könnte man vielleicht im Zweifel sein, denn man kann es nicht gerade als wünschenswert bezeichnen, daß alle Menschen mit solchen Uhren ausgerüstet würden, die, wenn sie richtig gehen, auf einmal alle anfangen, durcheinander "zu schreien. Wer für sich allein sitzt, wird dagegen die Stimme seiner Taschenuhr ebenso leicht überhören, wie etwa die Glocke einer nahen Turmuhr, sobald er sich daran gewöhnt hat. Das Geheimnis des Geheimsekretärs. In ein höchst mysteriöses Dunkel hüllt sich eine Affäre am niederländischen Hofe, über die aus Amsterdam folgendes telegraphiert wird: Dieser Tage verstarb plötzlich der Geheimsekretär der Königin der Niederlande Baron Van der Staal, wie offiziell gesagt wurde, an einem plötzlich ausgetretenen Magenleiden. ,Het Volk' be hauptet nun, aus bester Quelle zu wissen, daß Staal selbst sich das Leben genommen habe, weil der Prinz-Gemahl anläßlich gewisser Un regelmäßigkeiten gedroht habe, diesen hohen Beamten, der das volle Vertrauen der Königin genoß, vom Hofe zu entfernen. Tolstoi Vater uud Sohn. Der,Gaulois' verzeichnet eine Petersburger Meldung, daß Tolstois Sohn als Freiwilliger in ein Regiment eingetreten ist, das nach der Mandschurei ab geht. Damit setzt sich der Sohn in direkten Widerspruch zu seinem Vater, der sich erst kürz lich gegen den Krieg im allgemeinen und gegen den jetzigen Feldzug im fernen Osten im be- sondern ausgesprochen hat. Bon einem falschen Mobilmachec wird der ,Now. Wremja' aus dem Städtchen Wladimir in Wolhynien berichtet: In einem der Dörfer des .Kreises erscheint eines schönen Tages ein Herr in Militäruniform, zitiert den Gemeindeältesten heran und eröffnet ihm, daß er erschienen sei, um die Reservisten des Dorfes abzuführen; sie hätten sich zur Abreise am nächsten Tage bereit zu halten. Darauf erhob sich natürlich allenthalben ein furchtbares Klagegeheul, bis der Pseudo-Offizier durchblicken ließ, daß er gegen angemessene Entschädigung vom Dienste befreien könnte, wem daran läge. Es fanden sich einige, die nach Zahlung einer mehr oder weniger großen Summe feierlichst von der Einberufung befreit wurden. Dann ließ sich der Usurpator vom Dorfältesten ein Gefährt geben, um ins nächste Dorf zu fahren; am nächsten Tage werde er wiederkommen. Selbstverständlich kam er nicht, beräuberte da für aber noch verschiedene andre Dörfer, bis er der Polizei in die Arme lief. Russische Konserven. Uber die Güte der Konserven russischer Fabriken schreibt der ,Charb. Westn.': Die Konserven der meisten russischen Fabriken find von schlechter Qualsiät. Die Proben der Petersburger Fabrik von Malyschew, von der mehrere Zehntausend Pud gekauft und nach dem fernen Osten abgesandt worden find, find sehr mittelmäßiger Güte; das Fleisch ist stark verkocht und unkchmackhaft, die Reaktion ist eine stark alkalische, sodaß die Konserven nicht nur für Kranke untauglich find, sondern auch bei Gesunden unter starkem Fieber Magen krankheiten erregen. Genau von derselben Güte sind die Konserven von Asiber; sie reagieren freilich zum Teil neutral. Dafür find sie aber dem Geschmack, Geruch und der Farbe nach unter mittelmäßig und bilden ein schlechtes Material für die Krankenernährung. Auch die Konserven finnländischer und Rigascher Fabriken find aus denselben Gründen, obgleich sie aus frischen Produkten hergestellt worden find, für minderwertig erklärt worden. Von sämtlichen russischen Fabriken haben nur zwei gute Kon serven geliefert. Hinrichtung einer Nihilistin. Die Tochter des Petersburger Arztes Mieszejewski wurde, dem ,Daily Telegraph' zufolge, in der Festung Schlüsselburg wegen des Versuchs, die Truvpen in Ostasien zur Verletzung der Dis ziplin zu verleiten, durch den Strang hinge richtet. Die Tatsache der Hinrichtung wurde im Amtsblatt jedoch nicht veröffentlicht. Der Kirchenraub in Kasan macht Schule. Wie aus Rshew (Gouv. Twer) gemeldet wird, wurden in der Dienstagnacht aus der Okowiz- kirche im Zentrum der Stadt das Evangelium mit silbernem Deckel, silberne Geräte, ferner die Altarkreuze und Heiligenbilder gestohlen. Nachdem die New Norker Einwande rungsbehörde zahlreiche Personen zurückgeschickt, die gern im Lande geblieben wären, ist auch einmal einer festgehalten worden, der garnicht zu verweilen wünschte. Montgomery Newman aus Manchester kam mit der „Lucania" an und wollte mit der etwa eine Stunde später abge gangenen „Etruria" die Rückfahrt nach England antreten. Ihm war vom Arzte eine Seereise verordnet worden, die er, mit Reichtümern nicht gesegnet, im Zwischendeck machte. Als Newman die „Lucania" verließ, um sich auf die aut der anderen Seite deS Piers liegende „Etruria" zu begeben, wurde er vom Einwanderungsinspektor angehalten, der ihn zwang, als „Einwanderer" mit nach Ellis Island zu fahren. Alle Vor stellungen halsen nichts, und auck der Kapitän der „Lucania" vermochte für den Mann mit dem Rückfahrschein nichts zu tun. Newman wurde als Einwanderer behandelt, verhört und gebucht und konnte infolgedessen erst drei Tage sväter mit der „Aurania", die auch noch einige Tage mehr zurüberfahrt braucht als die „Etruria", die Heimreise antreten. GericdtskaUe. Frankfurt. Ein diebiicher Unlerossizier ist der im vierten Jahre dienende 8. vom Füsilierregiment von Gersdorff. Als am 21. Juli dle Kompanie bei Dornholzhausen badete, erhielt er den Auftrag, die Brustbeutel der Badenden zu verwahren. Das be nutzte er, um die Brustbeutel auf ihren Inhalt zu untersuchen und 4 Mk. zu entwenden. Da er noch nicht bestraft ist, verurteilte ihn das Kriegsgericht zu 4 Wochen Mittelarrest, erkannte aber gleichzeitig auf den Verlust der Treffen. Göttingen. Sechs Frankfurter Dienstmänner mußten dieser Tage vor der hiesigen Strafkammer in einem Diebstaklsprozeß als Zeugen erscheinen. Sie hatten von 366 Taschenuhren, die der Hand- lungSkommis Albert Gottschall aus Zeitz gestohlen und nach Frankfurt gebracht hatte, eine Anzahl bei Frankfurter Pfandleihern im Auftrage des Gott schall versetzt. Letzterer, ein vielfach vorbestraftes Subjekt, wurde zu 12 Jahr Zuchthaus verurteilt. Nürnberg. Ein Hochstapler, der sehr nobel auftrat und hier in einem Hotel ersten Ranges Wohnung genommen hatte, stand in der Person des 35jährigen Kaufmanns S. Heimann aus Nhbnik vor der Strafkammer. Er erließ in den Blättern Stellenangebote. Von den zahlreichen Bewerbern verlangt er „vor Abschluß des Engagements Kau tionen in der Höhe von 1000 bis 10 000 Mk. und zwar unter Aushändigung des Depotscheines. 19 Bewerber fielen auf den Schwindel herein und Heimann strich die Kautionen ein. Einer der Stellungsuchenden händigte dem Gauner sogar 600 Mark in bar aus. Ferner bat Heimann den Erlös eines Wechsels in Höhe von über 10 000 Mk., der ihm zur Diskontierung überlassen worden war, für sich behalten. Der schon vorbestrafte Betrüger wurde wegen Betruges, Betrugsversuches und Untreue zu sechs Jahr Gefängnis, 2000 Mk. Geldstrafe oder weiteren 200 Tagen Gefängnis und fünf Jahr Ehr verlust verurteilt. Kuntes Allerlei. Verblümt. Kommissar: „Sie wollen den Mann also bestimmt an seiner erfrorenen Nase wiedererkennen? . . . Hm, die meinige ist doch zum Beispiel auch erfroren!" — Zeuge: „Ja, dem seine ist aber wirklich erfroren!" (,U. m.v Die Hauptsache. Bankier: „Sagen Sie mal, Herr Professor, wenn Sie so 'ne Sonnen finsternis oder einen neuen Stern entdecken, was verdienen Sie dabei?" hL-ch. Jahrh.-) Gute Sorte. „Nun, was sagst du zu meinen Zigarren?" — „Du, so eine biete ich meinem Hausherrn an, wenn er mich das nächste Mal steigert?" <Meggd.-i — Schulter eines Dieners, der unter dem leichten Drucke beinahe zusammenbrach. „Was geht hier vor?" fragte der Chevalier. „Es ist vorbei... Herr von Vidoche..." stammelte der Mann. „Ist er tot?" „Ja, oder doch so gut wie tot!" Der Diener versuchte in der Schar seiner Genossen zu ver schwinden. „Dann ist er also nicht tot. Bursche, bleibe hier und antworte!" „Ich weiß nicht, edler Herr!" „Warum, zum Kuckuck, steht ihr denn alle hier wie angewurzelt?" fragte der Kapitän zornig. „Warum laßt ihr denn Madame allein, ihr nichtsnutzigen Gesellen? — Was sagst du? Gift? He?" Der Kapitän stieß einen vielsagenden kurzen Pfiff aus. „Ah, Gift!" wiederholte er. „Also das ist der Grund? Und darum scheut ihr euch, näher zu treten, als sei der Mann von der Pest be fallen . . . Feige Memmen, die ihr seid l . . . Aber hier kommt der Medikus . . Macht Platz und daß mir niemand wage, das Zimmer zu verlassen l" Während der Arzt den Kranken untersuchte, flüsterte Chevalier du Guest ein paar Trostes- worte in Madames Ohr. Seine Bemühungen waren jedoch vergebens. Madame hatte für den Angenblick die Fähigkeit verloren, äußere Eindrücke auf fich wirken zu lassen. Der geliebte Gatte lag in Todesqualen vor ihren Augen und dies Bild füllte ihre ganze Seele. Der Schlag war so unerwartet nieder gefallen und das Ereignis hatte so ganz und gar die Ordnung ihres Gedankenganges ge stört, daß sie dasselbe immer noch nicht mit ihrer eigenen Handlungsweise in Zusammenhang brachte. Ihr Plan, ihr Besuch in der Rue Touchet und der Liebestrank, in den sie alle Hoffnung aus eine glückliche Zukunft hineingemischt hatte, war ihrem Gedächtnis entschwunden. Sie dachte jetzt nicht mehr an all das Böse, das ihr der Mann dort angetan hatte — sie erinnerte sich nur an die schönen Tage, in denen sie sehn süchtig ausschaute, um seine Gestalt aus dem Grün der Anlagen hoch zu Rosse auftauchen zu sehen. Ach! Und an die schönen Stunden, in denen er kühn wie ein Löwe ihren Schütten folgte, alle Hindernisse beseitigend, alle Ein sprüche ihrer stolzen Famlie verachtend! Er kam mit der Abficht, zu siegen, und ruhte nicht eher, als bis er glückstrahlend einen Kuß ihr auf die Lippen drücken durste! . . Ah, dieser erste Kuß!. . . Und jetzt? Dort lag er — den prächtigen Körper gekrümmt — die Züge zur Unkenntlich keit entstellt und das Herz, dessen Pochen sie an jenem längst vergangenen Tage zum ersten Male gefühlt, es bebte jetzt unter ihrer Hand mit unregelmäßigen sprungweisen Stößen, die in immer größeren Zwischenräumen aufeinander folgten, bis sie schwächer wurden — immer schwächer — und dann kaum noch vernehmlich waren. Und dennoch hatte das Schicksal fich seinen härtesten Schlag noch Vorbehalten. Der Arzt versuchte, den Kranken zur Ader zu lassen, ohne erst die Ankunft eines Heilge hilfen zu erwarten, doch das Blut wollte nicht fließen. „Es ist nutzlos, Madame!" sagte er. „Ihr müßt Mut fassen — ja, mehr Mut, als unter gewöhnlichen Umständen erforderlich ist." Er fügte die letzten Worte beinahe feierlich hinzu. Dann sah er sich um und winkte, dem Kapitän. „Ist er tot?" murmelte Madame. „Er ist tot!" antwortete der Medikus lansam und mit strenger Stimme. „Aber mehr als das, Madame — ich muß Euch mehr sagen — er ist vergiftet worden!" „Tot!" antwortete sie wie geistesabwesend. „Tot!" „Vergiftet! sage ich, Madame," wiederholte der Arzt mit ungeduldiger Gebärde. „Bei einem älteren Manne könnte man die Symptome vielleicht verkennen. Jedoch in diesem Falle ist alles klar. Herr von Vidoche ist vergiftet worden." „Ihr seid dessen ganz sicher?" fragte der Kapitän. „Ganz sicher!" antwortete der Arzt. „Ja, ich kann Euch noch mehr sagen: das Gift muß ihm innerhalb der letzten Stunde beigebracht morden sein." Es schien, als ob Madame jetzt aus der ersten Betäubung ihres Unglücks erwachte. Sie horchte auf und legte sinnend beide Hände an den Kopf. Das Gewand, das fich liebkosend an ihren Körper schmiegte, war nicht weißer als ihre Wangen. In ihren Augen leuchtete es auf — es war das grelle, blendende Licht des Entsetzens. „Vergiftet?" wiederholte sie, als bemühe sie sich, die volle Bedeutung des Wortes zu erfassen. „Vergiftet? Unmöglich! Von wem? — Von wem?" „Das ist eben die Frage, Madame," sagte der Kapitän. „Und wenn das Gift, wie man uns sagt, innerhalb der letzten Stunde beige- bracht worden ist, so sollte die Beantwortung der Frage keine so schwierige sein." Er wandte sich an die Diener, die vor seinem Blicke zurück schraken. „Daß mir keiner von euch dieses Zimmer verläßt!" warnte er drohend, indem er fich den buschigen Schnurrbart drehte. „Wo ist der Diener, der dem edlen Herrn von Vidoche heute abend aufgewartet hat?" Der arme Wicht trat zitternd hervor. Es bedurfte nicht vieler Fragen, um ihn zum Sprechen zu bewegen. Er erzählte alles, was er wußte; wie cr seinen Herrn anscheinend in guter Gesundheit im Zimmer zurückgelassen hatte, um ihn nach wenigen Minuten in einem Krampfanfalle wiederzufinden; wie Herr von Vidoche ihm befohlen habe, den Boden des Bechers zu untersuchen und wie er dort einen Niederschlag entdeckt habe, den er sich nicht er klären konnte. „Du selber hast den Abendtrank gemischt?" forschte der Chevalier. Der Mann bejahte mit kläglicher Stimme. „Du kannst vorläufig zurücktreten!" sagte der Kapitän. „Wo ist Madames Dienerin? Sie wird doch wohl im Zimmer sein." ZP'S (Fortsetzung folgt.)
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