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Ottendorfer Zeitung : 10.08.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190408107
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040810
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040810
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-08
- Tag 1904-08-10
-
Monat
1904-08
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 10.08.1904
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polililcke Kunälckau. Der russisch-japanische Krieg. *Wie es um Port Arthur steht, ist ungewiß. Nach russischen Quellen sollen die Japaner aus mehreren vorteilhaften Stel lungen, die sie bereits eingenommen hatten, wieder zurückgeworfen worden sein. Privat meldungen aus Tschifu berichten dagegen, daß am 1. August ein heftiger Kampf stattgefunden habe, wobei die Japaner 15 000, die Russen 5000 Mann verloren hätten. Die Japaner hätten zwei Forts eingenommen und bereiteten die letzte Attacke vor. Am Mittwoch kam in Tschifu ein norwegischer Dampfer mit tausend Flüchtlingen an, die mit Erlaubnis der russischen und japanischen Kom mandos Port Arthur verlassen hatten, damit die Unschuldigen den Schrecken des Sturmes entzogen werden. * Gerüchtweise verlautet, daß es den Japanern gelungen sei, eine so große Bresche in die Befestigungswerke PortArthurszu schießen, daß es den Russen unmöglich sei, sie auszu- befsern. * In der Mands churei ist die Kriegs lage übersichtlicher. Kuropatkins gesamte Armee zieht sich vor der Übermacht der Japaner überall nach Norden zurück. Sie hat Haitscheng bereits aufgegeben und es erscheint zweifelhaft, ob Kuropatkin ernstlich auf die Verteidi gung Liaujangs bedacht sein wird. * Das Wladiwostok-Geschwader wird, wie eine Petersburger .Laffan'-Meldung mitteilt, nachdem es in Wladiwostok Kohlen eingenommen hat, mit voller Autorisation wieder auf die Prisenjagd gehen und die Prisen- schiffe versenken. Die russische Regierung wird auf den russischen Prisengesetzen bestehen, die keinen Unterschied kennen, ob sich Konter bande an Bord eines feindlichen oder eines neutralen Schiffes befindet, sondern beide für gleichmäßig der Versenkung verfallen erklären. * Der Petersburger Korrespondent des ,Daily Telegraph' fragte einen russischen Diplomaten, ob der Fall der Festung Port Arthur den Weg für Friedensverhandlungen ebnen werde. Der Gefragte antwortete, daß daran nicht für einen Augenblick zu denken sei, denn wenn auch vom internationalen Standpunkte aus gegen den Friedensschluß nichts einzu wenden sei, so sei dieser doch aus inneren Gründen vollständig unmöglich. Das Ansehen der Selbstherrlichkeit des Zaren werde darunter so leiden, daß kein Staatsmann, dem es darauf ankomme, das augenblickliche Regierungssystem beizubehalten, einen derartigen Vorschlag zu machen wagen könne. Der augenblickliche Kampf sei ein Kamps auf Leben und Tod zwischen der russischen Autokratie und Japan, und so lange die erstere Rubel und Leute be sitze, müsse und werde dieser Kampf seinen Fort gang nehmen. » * Deutschland. * Die Entsendung des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen nach dem russisch japanischen Kriegsschauplatz ins russische Hauptquartier soll demselben gänzlich unerwartet gekommen sein. In Schloß Glienicke herrscht deshalb eine keineswegs freudige Stimmung, denn der Prinz fühlt sich am wohlsten, wenn er in seinem Tuskulum weilt und so wenig wie möglich mit den militärisch-dienstlichen Angelegen heiten zu tun hat. * Die russische Regierung hat, wie die ,Nordd. Reichs-Korr.' berichtet, in Berlin die Anfrage gestellt, wie man sich gegenüber einem Ersuchen um die Erlaubnis zur Durch fahrt des russischen Ostseegeschwa- ders durch den Kaiser-Wilhelm- Kanal gegebenen Falles verhalten würde. Daraufhin sei in freundlicher Weise gebeten worden, von einem solchen Ersuchen abzu stehen, da man eine Erlaubnis hierorts nicht vereinbar halten würde mit der amtlich erklärten Neutralität des Deutschen Reiches in dem gegenwärtigen russisch - japanischen Streitfälle. (Die Antwort der deutschen Regierung ist eine Selbstverständlichkeit. Es erscheint sonderbar, daß die russische Regierung überhaupt ein der artiges Ersuchen an sie gerichtet haben soll.) * Der deutsch-russische Handels vertrag ist, der.Nowoje Wremja' zufolge, für 12 Jahre vereinbart worden. Am 1. Januar 1906 soll er in Kraft treten. * Die bayrische Abgeordnetenkammer hat die Vorlage betr. Aufbesserung der Gehälter der Beamten und Bediensteten des Staates und der Kreise angenommen. Österreich-Ungarn. * Kaiser Franz Joseph von Österreich und König Georg von Sachsen trafen am Freitag in Gastein zusammen. *Die großen ungarischen Herbst- Preuß. Staatsminister a. D. Hobrccht. Staatsminister a. D. Geh. Rat Hobrecht feiert am 14. August d. seinen 80. Geburtstag. 1824 bei Danzig geboren, war er bis 1863 als Regicrungsrat im Ministerium des Innern beschäftigt und wurde später zum Oberbürgermeister von Breslau gewählt. 1872 kam er als Oberbürgermeister nach Berlin. 1878 wurde Geheimrat Hobrecht an Stelle Camp hausens zum Finanzminister ernannt. Nach fünf viertel Jahren nahm er seinen Abschied aus dem Staatsdienste. Von 1881—1890 gehörte Hobrecht der nationalliberalen Partei des Reichstages an. Seit 1880 vertritt er im preußischen Abgeordneten hause den Wahlreis Berent—Preuß. - Stargard— Dirschau. Die Stadt Berlin wird ihrem ehemaligen Oberbürgermeister anläßlich seines 80. Geburtstages den Ehrenbürgerbrief überreichen. Manöver werden in diesem Jahre nicht stattfinden; man wird sich nur mit Brigade- manövern begnügen. Der Grund ist, daß in folge der Obstruktion des Abgeordnetenhauses nicht Zeit genug blieb, die Rekruten ordentlich auszubilden. Malte«. * Anläßlich des Jahrestages der P a p st w a h l (Donnerstag) erhielt der Papst zahlreiche Telegramme, u. a. von sämtlichen Staatsoberhäuptern mit Ausnahme des Präsi denten Loubet. Der Papst war besonders er freut über das in herzlichsten Worten abgefaßte Telegramm Kaiser Wilhelms. * Über den Abbruch der diplomatischen Be ziehungen zwischen Frankreich und dem Vatikan werden jetzt von der Kurie Aktenstücke ver öffentlicht zum Beweise dafür, daß Frank reich den Streit provoziert habe und allein die Verantwortung für den gegenwärtigen Zu stand trage. * Wegen Verdachts derSvionage, wurde in Oberitalien nach dem ,Fränk. Kur.' vor einigen Tagen ein deutscher Lehrer fest genommen. Er hatte sich, nachdem er Südtirol durchwandert, aus dem Buchensteinischen über die Grenze begeben, wo in der Nähe italienische Artilleristen manövrierten. Den Lehrer inter essierten die Übungen und er postierte sich un weit einer Kanone. Plötzlich faßte ihn unver sehens ein Karabiniers am Kragen und schleppte! ihn bis nach Belluno. > Dänemark. * Die Regierung spricht in der ,Statstidende' ihre Dankbarkeit aus für die vielen Be weise der Hilfsbereitschaft des Auslandes nach demUntergange desAmerikadampfers „Norg e", sowie für die zahlreichen Kundgebungen der Teilnahme an der Trauer des Landes, die im Auslande, in der Presse, oder auf andre Weise zutage getreten find, und dankt insbesondere für die große Sorgfalt und Aufopferung, mit der die Geretteten an Bord der Schiffe behandelt wurden, die sie aufnahmen, u. a. an Bord des deutschen Dampfers „Energie" aus Geestemünde. Das Ministerium des Äußern teilt mit, daß noch fortwährend Sympathiekundgebungen aus dem selben Anlaß eintreffen, so auch von den ver einigten deutschen Vereinen in New Aork. Balkanstaaten. * Mit bezug auf die künftige Durchfahrt durch die Dardanellen von Schiffen der russischen Frei willig en-Flotte hat die Pforte durch ihren Botschafter in Petersburg unter Hinweis auf ihre Verantwortlichkeit Vor stellungen erhoben. * Alle serbischen Blätter fordern die Ver schiebung der Krönung auf das nächste Jahr. Die Regierung scheint einer solchen Lösung der Frage geneigt zu sein. Der Ministerrat wird sich nächsten Montag mit dieser Frage befassen. Asten. * Die englischeTibet-Expedition nähert sich immer mehr der heiligen Stadt der Tibetaner und der gesamten buddhistischen Welt, dem geheimnisvollen Lhassa. Die Vorgarde der Expedition hat bereits den Brahmaputra, der ein Tal direkt südlich der heiligen Stadt durchströmt, überschritten, und die Tibetaner zogen sich fliehend zurück. Vom Dalai Lama lief ein Brief ein, in dem er an erkennt, die englischen Mitteilungen erhalten zu haben, und den Obersten Aounghusband bittet, seine Antwort in Chaksan zu erwarten. Oberst Dounghusband ließ antworten, er werde etwa zwei bis drei Tage in Chaksan bleiben und sei bereit, die Gesandten des Lama zu empfangen. Dieses nachträgliche Erscheinen tibetanischer Gesandten im englischen Lager wird jedoch dem weiteren Vormarsche der englischen Kolonne keinen Einhalt tun, da den Tibetanern ausdrücklich erklärt worden ist, daß man nur in Lhassa selbst die Ver handlungen zum Abschluß bringen werde. Line japanische Leichenfeier für einen vor Port Arthur gefallenen Offizier schildert ein in Japan lebender Schweizer recht anschaulich im Berner ,Bund'. Eine kurze Ein ladung der Angehörigen, die auch in der Fremdenkolonie vielseitig bekannt waren, forderte Freunde und Bekannte der Familie wie das weitere Publikum auf, an der Feierlichkeit teil zunehmen, und so gestaltete sich diese zu einer imposanten patriotischen Kundgebung, obschon der auf der „Hoshino" verunglückte Offizier eine nur untergeordnete Charge bekleidet hatte und die Familie keine höhere gesellschaftliche Stellung einnimmt, sondern der Mittelklasse angehört. Der erste Eindruck, den die in und vor dem Trauerhause sich mächtig anstauende Menschen menge auf den Fremden machen mußte, brachte unwillkürlich die Überzeugung, daß nicht Kondo lenz-, sondern fast möchte man sagen Gratulations besuche abgestattet wurden, denn die größte Ehre für eine japanische Familie, den einzigen Sohn dem Vaterlande gegeben zu haben, ist dem vereinsamten Vater zu teil geworden. Mit der Trauerbotschaft von Port Arthur ist das Ansehen vor den Mitbürgern, der soziale Status der Familie in einem für dem Fremden unbe greiflichen Maße gestiegen, und diese Erhöhung erstreckt sich nicht nur auf die lebenden Gene rationen der Familie, sondern auf die Ver gangenheit und Zukunft. Vorfahren, lebende, und Nachkommen sind geehrt und emporgehoben durch den Tod des Wackern Sohnes. Equipagen von hohen Beamten standen in der bescheidenen, engen Straße des Trauerhauses, in dessen ! engen Räumlichkeiten die goldbedeckten Uniformen l von Offizieren, die korrekten Gehröcke und Zylinder der Fremden sich ungewohnt zwischen den bescheidenen Festkleidern der Familienmit glieder hervortaten. Klagen und Tränen hatten hier weder Platz, noch würden sie verstanden worden sein. Draußen in der Straße ordnete sich inzwischen der Zug, der durch die Anwesen heit einer Abteilung Matrosen unb eines starken Polizeikontingents einen ausgesprochenen offiziellen Charakter annahm. Voraus mar schierten die Hüter des Gesetzes, in der weißen Sommerunisorm, die unter den Umständen gut ins Programm paßte, denn weiß ist die Trauer farbe in Japan. Dann nach Shinto-Rnual eine lange Reihe von Priestern in den vorge schriebenen ungebleichten Gewändern und sonder- bar geformten schwarzen Hauben. Bunte Flaggen, bedeckt mit allen möglichen Inschriften, die auf die Tugenden des Verstorbenen bezug hatten, wurden von einer zweiten Gruppe ge tragen. Den wehenden Lobpreisungen folgten in langen Reihen die Blumenspenden der Freunde; wenig erinnert an den Tod, nur die Fremden haben geschnittene Blumen in prachtvolle Kränze winden lassen: der Japaner schenkt Ge bilde, die aus Blumen und Sträuchern zusammen gesetzt, gleich lebenden Bäumen in wunder barem Blütenschmucke prangen, monumentale Buketts, dre, teilweise auf kleinen Handkarren aufgebaut, einen blütenschimmernden, teenhaften Wald in die Straßen verpflanzen. Hinter den Blumen der Sarg, einfach, fast ärmlich, aus glattem, weißen Holze in der Form eines Häuschens gezimmert. Dem Sarge folgten dre Leidtragenden, voran der Vater zu Fuß, wie es die Sitte verlangt, dann die übrigen Familienmitglieder in zweirädrigen, von einem Manne gezogenen Wagen, von den Großeltern bis zum jüngsten Kinde, das in den Armen der Amme die erste Familienfeier mitmacht. Die nächsten Angehörigen in schneeweißen Ge wändern, die ferner stehenden Minderjährigen in bunten und reichen Fssttagskleidern. Mit unvergleichlicher Würde tragen sie ihre mit Blumen und landschaftlichen Gebilden ge schmückten Kostüme. Als Ehrenwache folgte eine Sektion Matrosen, schmucke, stramme Leute mit sonnverbrannten Gesichtern. Eine moderne Musikkapelle machte sich durch den Totenmarsch aus „Saul" etwas unharmonisch bemerkbar, unharmonisch besonders durch den halb modernen Anstrich, der der Feierlichkeit den rein japani schen Charakter benahm. Dieser Eindruck wurde jedoch nur bei Fremden hervorgerufen, die Japaner empfinden derartige Zwitterhaftigkeit wenig, ist sie doch das typische Merkmal der Zeit, das in der ganzen Prozession stark zum Ausdruck kam. Neben dem modernisierten Japaner in Zylinder, Bratenrock und Lackstiefeln schritt der konservativere Freund in weitfaltigem Hakama und Hauri (Unter- und Oberkleid), hinter den farbenreichen Kimonos erschien eine Mädchenschulabteilung in halb ausländischer Schuluniform usw. Der Zug führte in erster Linie nicht, wie man voraussetzen konnte, zu einem Tempel oder Kirchhofe, sondern zu einem großen öffentlichen Park. Unter riesigen alten Bäumen waren Zelte auf geschlagen, in denen der Vater des Verstorbenen die Bücklinge der Anwesenden entgegennahm und erwiderte und wo nachher alle, vor einem im provisierten Altäre, einem kurzen Opferdienst beiwohnten. Die ganze Handlung glich mehr einen offiziösen Empfang, als einer religiösen Zeremonie. Dem Verstorbenen wurden Abschieds- geschenke in Form von Kerzen, Kuchen, Weih rauchstöcken usw. dargebracht, ebenso wurden die Ahnen bedacht und um freundliches Empfangen des neuen Ankömmlings gebeten. Das Innere des provisorischen Tempelchens stellte ein ein faches japanisches Haus dar; einige Sprüche auf langen Papierstreifen hingen an den Wänden, der schlichte Altar war mit einigen schön ge formten Leuchtern besetzt, und nur die Anwesen heit einiger Priester, die eine für europäische Ohren schauerlich klingende Musik auf fürchter lich hochgestimmten Streichinstrumenten ver brachten, ließ voraussetzen, daß es sich um etwas andres als eine gewöhnliche Hausandacht handle. Nach Beendigung dieser Zeremonie be gab sich die Familie allein nach dem nahen Begräbnisplatze, wo dem Verstorbenen im Familiengrabe eine Gedenktafel gesetzt wurde. U Ver Tauberer von Paris. 15) Roman von S. I. Wehmann. >8orl etziwg.! Ach dieser Zustand würde vielleicht tagelang andauern — wochenlang — das Haus würde ihm zur Hölle werden und er würde unerträg liche Qualen erleben, als sei er schon jetzt der Verdammnis anheim gefallen l Nein, noch nicht! Er wollte sich wehren, er wollte sich sträuben! Er würde fortgehen, nach Farincourt — er würde irgend eine Ausrede finden, um diesem Hause zu entfliehen — nein, um sich selbst zu entfliehen — wenigstens bis nach Weihnachten. Wie um diesen Entschluß zu bekräftigen, griff Herr von Vidoche zum Becher und leerte ihn zur Hälfte mit langem Zuge. Erschrocken stutzte er, denn er meinte, hinter seinem Rücken habe sich etwas geregt. Dann schalt er sich einen Narren und leerte den Becher bis auf die Neige. Kaum hatte er jedoch daS Gesäß niedergesetzt, als er blitzschnell auf die Füße sprang. Er verharrte in steif aufge richteter Stellung mit halbgeöffnetem Munde und weit aufgerissenen Augen. Dann schwankten seine Beine und sein Körper wand sich in schlangenartiger Bewegung. Der Mund schloß sich, die Zähne schlugen mit scharfem Klange aufeinander und blieben zusammengeprcßt, wäh rend die Lippen sich zitternd öffneten und schlossen. Herr von Vidoche faßte den Kaminsims und richtete sich an demselben mühsam empor. Ein tiefes Purpurrot goß sich über die entstellten Züge und das Weiße seiner Augen färbte sich mit kleinen rötlich geschwollenen Adern. Er mühte sich, aufzuschreien, doch der Atem ver sagte ihm und der Krampf schnürte ihm die Kehle zusammen. In seinem Kampfe gegen die furchtbare Gewalt, die so plötzlich ihn gepackt hatte, verlor er den Halt am Kamine. Er wankte vorwärts und wäre gefallen, hätte er nicht noch rechtzeitig am Tische eine Stütze ge funden. Hier stand er mit zitternden Knien über dem Tische liegend, als der Diener aus dem Schlafzimmer eintrat. Herr von Vidoche hauchte mit langem, heißen Atem ein paar un verständliche Worte, dann zwang er sich mit furchtbarer Anstrengung zu stammeln: „Wer — wer — hat das getan?" Der Diener war vor Entsetzen sprachlos; er konnte sich die plötzliche Umwandlung nicht erklären und die Frage seines Herrn nicht ver stehen. „Schnell — schau — schau — auf den — Boden — des Kruges!" röchelte der Edelmann, sich auf- und nieder wiegend. „Siehst du — dort etwas?" Der Diener starrte in das Gefäß. Herr von Vidoche blies mit heiserem Gurgeln vor sich her, als wolle er Kühlung über die Flammen blasen, die ihm sein Inneres verzehrten. „Ist — ein — Pulver — darin?" stöhnte er. „Ich weiß nicht . . . doch, hier ist etwas," stammelte der Mann. „Gestattet mir, daß ich Hilfe hole. Ihr seid krank, edler Herr, Ihr seid . . ." „Verloren ... und verdammt!" Ein furchtbarer Schrei der Verzweiflung rang sich jetzt aus seinem geöffneten Munde. „Ich bin — vergiftet . . . Meine Gatlin . . . O mein Gott! Gnade! Gnade!" Er verlor den Halt am Tische und drehte sich wie ein Kreisel um seine eigene Achse. Im nächsten Augenblicke lag er zuckend am Boden. Schrei auf Schrei preßte sich aus seiner brennenden Kehle, daß das ganze Haus in schrillem Echo wiederklang. Die Schlafenden erwachten — Türen wurden aufgerissen — über all tönten hastige Fußtritte und von allen Richtungen tanzten flackernde Kerzen wie Irr lichter herbei, um einen Augenblick vor der ver hängnisvollen Türe Halt zu machen und dann durch die Vorhänge in das Gemach zu schlüpfen. Der Baron wälzte sich ans dem Boden. Er schlug im Todeskampfe um sich und riß den Tisch nieder, sodaß die brennende Lampe erlosch und in Scherben auf den Boden rollte. Der plötzliche Wechsel zum Halbdunkel verwischte die scharfen Umrisse der Szene. Doch dann be gannen die glühenden Kohlen ihr purpurnes Licht auszugießen und die flackernden Kerzen warfen einen gelblichen Schein auf die bleichen Gestalten der Diener, die sich im Hintergründe drängten. Das Haus, das noch kurz vorher im Schutze der Nacht so friedlich dagelegen hatte, dröhnte jetzt von wildem Aufruhr. Die Frauen wagten sich kaum in das Zimmer. Sie standen draußen vor der Tür und drückten die Hände auf die Ohren, um dre gräßlichen Schreie nicht zu hören. Die Besonnenen rannten zum Doktor, andre zum Priester und einige zur Wache. Es war, als habe der Nachtwind die Kunde von dem Ereignis in die Straßen hinab getragen, denn in kurzer Zeit füllte sich der Hof mit Fremden, die neugierig zu den Fenstern empor- stanten. Herr von Vidoche, der noch soeben voll Lebenslust die Treppe hinaufgeschritten war, wälzte sich jetzt auf einer Pritsche, auf die man ihn gelegt halte, unfähig, einen andern Laut von sich zu geben, als ein leise klagendes Wimmern. Im ersten Augenblicke hatte es nicht an bereitwilligen Händen gefehlt. Man öffnete sein Wams, entfernte den steifen Kragen und einige der Kaltblütigsten ermannten sich sogar, den zuckenden Körper niederzu halten. Aber dann plötzlich ertönte das Zauberwort „Gist"/ Memand wußte, wer es zuerst aus gesprochen, und dennoch packte es die Herzen aller mit Furcht und Grausen. Einer nach dem andern trat scheu zurück in den dunklen Hinter grund, um nicht gesehen zu werden und doch alles beobachten zu können — einer nach dem andern — ja alle, alle — sogar die Leute, die die fieberglühenden Glieder niederhielten — selbst Margot, Madames vertraute Dienerin, bis die Gattin allein sich tränenlos über den zuckenden Körper beugte. Jetzt ertönte Säbelklirren auf der Treppe und aller Blicke wandten sich zur Türe. Die Vorhänge wurden auseinandergerissen und zwischen ihnen erschien die hohe, militärische Gestalt des Kapitäns der Wache, des Chevalier du Guet. Der Offizier suchte zunächst mit forschendem Blick die ganze Szene in sich auf zunehmen, dann legte er seine Hand auf die
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