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Ottendorfer Zeitung : 04.09.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190409045
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040904
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040904
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-09
- Tag 1904-09-04
-
Monat
1904-09
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 04.09.1904
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politische Auncischau. Ter russisch-japanische Krieg. * Die am Sonntag begonnenen Kämpfe um Liaujang toben noch immer und auf der ganzen Front, erbittert wird um die Ent scheidung gestritten, die für den weitern Verlauf des Feldzugs von größter Bedeutung sein muß. Seit Dienstag früh dauern die Angriffe der Japaner von Süden und Osten her fort, auch Umgehungsversuche der russischen Stellung im Westen find schon mehrfach gemacht worden, nach russischen Berichten, die nur sehr spär lich einlaufen, ohne Erfolg. Zunächst haben die Japaner versucht, durch ein furchtbares Artilleriefeuer die Russen mürbe zu machen, indem sie die russischen Stellungen mit einem wahren Hagel von Granat- und Schrapnell- fsuer überschütteten. Am Mittwoch soll das Geschützfeuer nicht so heftig gewesen sein, wie tags zuvor. Die Japaner suchten die linke Flanke der Russen zu umfassen. Die .Russische Tel.-Agentur' will wissen, daß die Japaner über 40 Kanonen „zurückgelassen" haben. * Nach zuverlässigen Nachrichten ist der allge meine Angriff der Japaner auf Port Arthur mit schweren Verlusten zurückge schlagen worden. Die Japaner eroberten nur zwei kleine Forts, wahrscheinlich die 2V- Kilo meter nordöstlich von der Stadt liegenden Forts 10 und 11. Man glaubt, daß die Japaner dieselben unter dem Feuer der andern Forts nicht werden halten können. Die Hoffnung der Japaner, die Festung jetzt sofort zu erobern, soll erschüttert sein. Es wird gemeldet, daß die Verteidigungsanlagen vorzüglich, und die Verluste der Angreifer außerordentlich schwer find; General Stössel zeige sehr ruhige Haltung. * Einem kaiserlichen Tagesbefehl zufolge wird allen Port Arthur verteidigenden Militär chargen vom 1. Mai 1904 bis zur Beendigung der Belagerung ein Monat gleich einem Dienstjahr angerechnet. * Bei Port Arthur soll es den Japanern gelungen sein, fich in den Besitz der Wasser leitung zu setzen, wodurch die Situation der Belagerten natürlich verschlimmert erscheint. * Aus Wladiwostok wird gemeldet, daß die Reparatur der Kreuzer „Rossija" und „Gramoboi" rasch fortschreitet und demnächst beendet werden wird, ferner daß fich der Statthalter Alexejew und General Linewitsch zurzeit dort aufhalten. — Letzteres scheint mit der Bildung einer neuen russi schen Armee zum Schutz Wladiwostoks zu- fammenzuhängen. 2 * Deutschland. * Der ,New Jork Herald' will angeblich von einer hohen ausländischen Persönlichkeit erfahren haben, Kaiser Wilhelm beabsichtige im russisch-japanischen Kriege seine guten Dienste als Vermittler anzubieten und werde fich mit einer Initiative in diesem Sinne an den Zaren wenden. An dieser Er zählung ist natürlich kein wahres Wort. * über den Gesundheitszustand des Prinz-Regenten Luitpold von Bayern waren ungünstige Nachrichten verbreitet worden. Dagegen meldet das .Wölfische Telegraphen bureau' unter dem 31. August: Prinz-Regent Luitpold ist gestern, wie im Reiseprogramm vorgesehen, nach Hohenschwangau übergefiedelt. Die auswärts verbreiteten Nachrichten über Schwächeantälle find völlig unbegründet. Der Prinz-Regent erfreut sich des besten Wohl seins. * Prinz Friedrich Leopold dürfte, wie die .Potsdamer Korrespondenz' meldet, die projektierte Reise nach dem o st asiatischen Kriegsschauplatz ins russische Haupt quartier nicht antreten. Die Reise war bereits bis zum 3. September verschoben worden, da der Prinz mit seiner Aus rüstung noch nicht fertig war. Seit einigen Tagen fühlte sich indessen Prinz Friedrich Leopold unpäß lich und seit Montag hat er sich genötigt gesehen, krankheitshalber das Bett zu hüten. Durch mehrfache Vorkommnisse in der letzten Zeit, namentlich aber durch das Fahrstuhlunglück in Berlin, ist er stark nervös überreizt, sodaß wohl kaum daran zu denken ist, daß er den Strapazen einer Reise nach Ostasien und den Beschwerlichkeiten auf dem Kriegsschauplatz ohne ernstliche Gefährdung seiner Gesundheit Wider stand leisten kann. *Der Bundesrat wird in seinem nächsten Arbeitsabschnitt auch Wünsche zu erfüllen haben, die auf größere Vereinheitlichung der im deutschen Reichsgebiet geltenden Arz neitaxen gerichtet find. Es kommt dabei vor allem darauf an, Ungleichheiten zu be seitigen, die in verschiedenen Staaten noch fort bestehen insofern, als für Herstellung von Arzneien unter besonderen Umständen, also beispielsweise zur Nachtzeit, sehr voneinander abweichende Preise gefordert werden. Wie weit auch mehr oder weniger erhebliche Preisherab setzungen für bestimmte Arzneien in Ausficht Der bisherige Chef des Generalstabs bei unsern südwestafrikanischen Truppen Oberstleutnant Charles be Beaulieu hat dem Tropenklima nicht lange Widerstand leisten können, er mußte infolge einer Herzkrankheit nach Europa zurückkehren. An seine Stelle ist Major Quade getreten, der vor seiner Abkommandierung zum Stabe der Schutztruppe nach Südwestafrika Major im Generalstabe des VIII. Armeekorps war. Der jetzige Chef des Generalstabes der Schutziruppe ist im Jahre 1879 beim Grenadierregiment Prinz Karl von Preußen eingetreten und wurde im Jahre 1880 Offizier. Im Jahre 1887 wurde er in das Infanterie-Regi ment Nr. 137 versetzt und wurde in diesem Regiment Regimentsadjutant. 1890 wurde er Adjutant der 65. Infanterie-Brigade in Mörchingen. Im Jahre 1892 wurde er zur Dienstleistung beim Großen Generalstab kommandiert und im März 189t unter Beförderung zum Hauptmann in den General stab der Armee versetzt. Im Jahre 1897 trat er uls Kompanie-Chef in das Infanterie-Regiment Nr. 23 in die Front zurück; er wurde 1899 in den Generalstab zurückversetzt. Im März 1900 erfolgte seine Ernennung zum Major, im April 1902 wurde er zum Generalstabe des VIII. Armeekorps kom mandiert. Von hier aus ging er nach Südwest afrika. genommen werden sollen, darüber ist bis jetzt etwas Bestimmtes noch nicht zu sagen. Im Reichsgesundheitsamt unterliegen die Vorschläge zurzeit einer prüfenden Behandlung durch Gut achter. * Das Rechnungsjahr 1903 schließt im Reichemit einem Defizit von 6 344 825,73 Mark ab. *Das Viehseuchengesetz wird ver mutlich abgeändert werden. Nach der,Nat.-lib. Korr.' ist eine Abänderung einiger Bestimmungen desselben bereits seit einiger Zeit in Erwägung gezogen worden. * Die ,Südw.-afrik. Ztg.' bringt eine nament liche Liste der von den Hereros zu Beginn des Ausstandes ermordeten Weißen. Die Liste zählt 123 Opfer des Aufstandes. Unter ihnen befinden sich 32 Farmer, 11 Farm angestellte, 37 Kaufleute und Händler, 7 Buren, 8 Handwerker, 10 Regierungsangestellte, 13 An gehörige der Schutztruppe und 5 Frauen. Miß handelt oder verwundet wurden außerdem noch 8 Frauen. In den Kämpfen mit den Hereros waren bis zum 2. Juli von der Zivilbevölkerung des Schutzgebietes gefallen 33 Deutsche und 3 Ausländer, die fich als Freiwillige in den Dienst de* Landesverteidigung gestellt hatten. Österreich-Ungar«. *Der serbische Gesandte in Berlin, Militschewitsch, der von König Peter beauftragt war, bei König Eduard in Marien bad eine Audienz anzusuchen und die Wieder aufnahme der diplomatischenBeziehungen zwischen England und Serbien zu erwirken, erhielt den Bescheid, König Eduard weile inkognito in Marienbad und habe dieses nur für wenige Stunden anläßlich des Besuches des Kaisers Franz Joseph abgelegt. Er könne daher den Gesandten nicht empfangen. England werde erst dann seine Haltung gegenüber Serbien ändern, wenn die gestellten Bedingungen erfüllt sein würden. Rustland. * Die ganze Hilflosigkeit Rußlands zeigt fich beim „Baltischen Geschwader", mit dem das „Riesenreich" wirklich keinen Staat machen kann. Der größte Teil der Schiffe, die übrigens schon wieder nach Kronstadt zurück gekehrt sind, besteht aus „alten Kästen". Bei der Probefahrt ist es schon zu erheblichen Un- sällen gekommen. Wie aus Paris gemeldet wird, sollen an einigen Schiffen der russischen Ostsee-Flotte nach einer Schießübung erhebliche Beschädigungen konstatiert worden sein. Auf einem Schiff find bei einer Schießübung durch Erplofion eines Geschützes ein Offizier und 30 Mann getötet worden. (Halbamtlich wird die Nachricht allerdings in Abrede gestellt.) Balkanstaaten. *Der frühere Sultan Murad V. ist an Zuckerkrankheit, an der er seit längerer Zeit litt, am Montag gestorben. Murad war Palastgefangener und so gut wie blödsinnig. Er war 1876 durch eine Palastrevolution auf den Thron gekommen und abermals durch eine Palastrevolution drei Monate später zugunsten des jetzigen Sultans entthront. Amerika. * Berichte, die im republikanischen Haupt quartiere zu Washington vorliegen, lassen am Wahltage Überraschungen erwarten. Mindestens 19 Trude Unions sind geneigt, den Sozialisten Drebs zu wählen, wodurch beide Parteien verlieren. Die Anhänger Bryans ziehen vielfach den Populisten vor. In mehreren westlichen Staaten ist eine Verbindung der Demokraten und der Populisten eingetreten, die die St. Louiser Beschlüsse ignoriert. Die Wahlw etten find günstig sür R o o s e v elt. Asten. * InTibet soll es „nach offiziös-englischer Verlautbarung" gut um die englische Sache stehen. Wie verlautet, haben die Verhandlungen mit Tibet zu einer befriedigenden Ver einbarung gesührl. Die englische Mission dürfte daher Lhassa früher verlassen, als die englische Regierung erwartet hat. * Das Wiederaufleben der Boxer- bewegungin Taming-Fu, Provinz Petschili, wird gemeldet. Als einige amerikanische Missionare in Taming-Fu erfuhren, daß Boxer am Orte seien, die sich „Tsaiyun" nennen, und sie zu ermorden beabsichtigten, bemühten sie sich ay den amerikanischen Gesandten in Peking zu telegraphieren; die Lokalbehörde verweigerte es, das Telegramm abzuschicken, aber ein befreundeter Engländer in Honan übernahm die Beförderung der Meldung. Der Vizekönig Juanschikai gab sofort die nötigen Befehle für den Schutz der Missionare; in anbetracht der Untätigkeit der Ortsbehörden und der Hoffnungslosigkeit, ihr Werk fortzusetzen, verließen aber die Missionare Taming-Fu und kamen auch alle sicher fort. Im belagerten Port Arthur. Ein amerikanischer Marineattachö, der Port Arthur nach einem Aufenthalt von drei Monaten verlassen durfte, hat einem französischen Journa listen einiges aus der belagerten Stadt mitge teilt. Nach seiner Schilderung, die die Not und Entbehrungen der gegenwärtigen Stunden uns ahnen läßt, verdienen die Bürger der Festung ebenso wie ihre Verteidiger die Tapferkeits ¬ medaille, auch wenn es den Japanern endlich gelingt, die Stadt zu nehmen. Man hat sich an den Kugelregen gewöhnt, der Wälle und Häuser zu allen Stunden des Tages überschüttet. Wenn es gar zu schlimm wird, zieht man sich in die Keller und in Erd höhlen zurück, die man zur Deckung vor den explodierenden Granaten ausgegraben hat, und deren manches Haus zwei oder drei besitzt. Einige dieser Erdgeschoßwohnungen find verhält nismäßig gut ausgestattet, ihre Bewohner haben fich darauf eingerichtet, in ihnen längere Zeit zu bleiben, wenn das Dach über ihren Häupten niedergekracht ist. Auch das Leben auf den Straßen hat nicht aufgehört. Da Lebensmittel genug vorhanden sind, halten viele Restaurants den Betrieb aufrecht, obwohl sie wahrscheinlich keine großen Geschäfte machen. Die Bürger gehen, so gut es sich tun läßt, ihrem Handwerk nach oder bewähren fich als Krankenwärter und Schanzarbeiter; vor kurzer Zeit spielte zu den gewöhnlichen Stunden auf dem großen Platze noch die Musik, und nachdem sie verstummt ist, baben Männer wie Frauen fich mit erstaunlichem Gleichmut an die Empfindung gewöhnt, die der aussteigende Rauch aus einem in Brand ge schossenen Hause oder das Einschlagen einer Granate in der Nachbarschaft einem friedlichen Staatsbürger für gewöhnlich verursacht. Nirgends hört man Klagen, nirgends Ausbrüche Ker Ver zweiflung. Man weiß, daß diese Schickung durchaehalten werden muß und erträgt sie mit einer Ruhe, die auch den Feinden Achtung einflößt. Besonders trägt zu der Aufrechterhaltung der Ordnung und Zuversicht der General Stössel bei, von dessen Tapferkeit und Umsicht der Er zähler nicht genug berichten kann. Auch die Soldaten find guten Mutes. Sie scheinen be weisen zu wollen, daß die Russen im passiven Widerstande sich mehr bewähren als beim An griff. Im Anfang bestand eine gewisse Be sorgnis vor den Folgen, die eine schlechte Temperatur und die Ansammlung von Leichen für die Gesundheit der Eingeschlossenen haben könnte. Aber diese Besorgnis ist bisher grund los geblieben, wenn auch der Kugelregen nicht gerade wie ein andrer Regen zur Erfrischung der Luft beiträgt. Zahlreiche Opfer sind natür lich gefallen; das war die unvermeidliche Folge der surchtbaren Stürme der Belagerungsarmee und der fast nie verstummenden Beschießung. Aber die Gewohnheit des Krieges stumpft das Gefühl für seine Schrecken ab, und die Unge wißheit der nächsten Stunde für jeden einzelnen verbindet alle mit einem gemeinsamen Gleich mut, der auch Leuten, die wahrlich keine Helden find, etwas Heldisches gibt. Wie lange fich die Stadt noch halten kann, vermag keiner mit Sicherheit zu sagen. Viel leicht wird ihr Schicksal schon in den nächsten Stunden entschieden, vielleicht zieht sich der Widerstand in mutigem Wahnsinn hin, bis Port Arthur ein Trümmerhaufen ist: in jedem Falle aber wird diese Verteidigung nicht nur für die Soldaten, die sür ihre Fahne kämpfen, sondern in fast noch höherem Grade für die tapfer duldenden Bürger eine Ruhmestat be deuten. Von unä fern. Die Wiederherstellung des Domes in Wetzlar. Die völlige Wiederherstellung des Domes in Wetzlar ist nunmehr gesichert. Der Kaiser hat dem Dombauverein eine Lotterie zur Wiederherstellung des Domes mit einem Rein gewinn von 650 000 Mk. genehmigt. Damit ist die Gewähr geboten, daß das begonnene Werk dnrchgeführt werden wird. Prinzessin Luise von Koburg ist aus Bad Elster, wohin sie vor etwa drei Wochen aus der Nervenheilanstalt bei Koswig zur Kur gekommen war, plötzlich verschwunden. Wohin sie ihren Weg genommen hat, ob sie allein, oder in wessen Begleitung sie entflohen ist, steht noch nicht fest. Daß es sich aber bei ihrem Verschwinden um eine Flucht, nicht etwa um einen Unglücksfall handelt, ist sicher, und zwar nimmt man an, daß der frühere Ober- leutnant Mattafilsch - Keglewitsch wieder die Hand dabei im Spiele gehabt habe. K 6m famüien-6ekeimms. 3) Kriminalroman von Eberhard Woldeuberg. I^on cyUl g.) „Nun ?" fragte Hartung, als Willi abbrach. „Außerdem weiß ich doch nicht, ob ich mit meiner Werbung bei Hilda Wechsler und bei ihren Eltem Gehör finden werde." „Uber diesen Punkt kannst du ganz beruhigt sein, lieber Willi," fiel jetzt seine Mutter ein. „Ich habe bereits in vorsichtiger Weise sondiert und kann dir nur die Versicherung geben, daß du mit offenen Armen ausgenommen werden wirst." Willi wagte nichts mehr zu erwidern. Er blickte betreten vor fich nieder. Bisher hatte er noch nicht im entferntesten daran gedacht, einem Mädchen näher zu treten und am allerwenigsten hätte er Hilda Wechsler hierbei ins Auge ge- saßt. Wenn er fich auch gestehen mußte, daß ihre imponierende Schönheit einen starken Eindruck auf ihn gemacht, so hatte er doch nie bei ihrem An blickeinstärkeres PochenseinesHerzens verspürt und noch nie war ihm der Gedanke gekommen, fich um ihre Liebe zu bewerben. Und jetzt tauchte vor seinem geistigen Auge das Bild eines wunderbar schönen, blauäugigen Mädchens auf, und ihm war, als flüstere eine silberhelle Stimme ihm die Worte ins Ohr: „Aus Wieder sehen — morgen!" Mit einem Male war er fich klar geworden, daß nicht Hilda es sein könne, die er lieben würde, aber zugleich sagte er fich auch, daß es schwer sein würde, seine Eltern von einer Verbindung abzubringen, die ihren Wünschen so sehr gelegen war. Und durfte er, den fie mit der zärtlichsten Liebe umgaben, ihnen ungehorsam sein, sie bitter kränken, indem er ihnen die Erfüllung ihres sehnlichen Wunsches verweigerte? Was sollte er tun, sollte er sie anflehen, von ihrem Vor satz abzustehen? Er vermochte das nicht über fich zu gewinnen. Diese Gedanken durchkreuzten sein Gehirn, während er nach den Worten seiner Mutter noch immer schweigend vor fich niederschaute, und plötzlich gedachte er auch des Zwischen falls mit dem Neffen des Bankiers, und er glaubte seinen Streit mit dem Studenten be nützen zu können, um gerechtfertigte Bedenken gegen den Plan seiner Eltern zu äußern. Als er den Vorfall berichtete, zeigte fich sein Vater sehr betreten darüber. „Ich will nicht sagen," bemerkte er, „du hättest dich nicht einmischen sollen, aber es wäre besser gewesen, du hättest den juygen Mann mehr geschont." Willi hatte eine Entgegnung bereit, aber da griff der Oberst für ihn ein. „Du hast ganz recht gehandelt," sprach der alte Herr, „der Bursche verdiente eine energische Zurechtweisung. Sein Onkel wird die Sache auch nicht anders betrachten und somit dürfte der Vorfall hinsichtlich unsres Planes von keiner Bedeutung sein." „Lassen wir jetzt dieses Thema fallen," wehrte Hartung ungeduldig ab. „Lieber Willi," wandte er fich an diesen, „ehe ich mit meiner zweiten Mitteilung beginne, bitte ich dich, mir zu versprechen, über das, was ich dir sagen werde, kein Urteil zu fällen, bis du mich zu Ende gehört hast." Seine Züge waren bei diesen Worten noch blasser und erregter geworden; er richtete das große Auge voll auf das Antlitz seines Sohnes und es lag ein Ausdruck in seinem Blicke, der Willi sonderbar bewegte. Seine Stimme zitterte leicht, als er antwortete: „Ich verspreche es. Wenn es dir aber Schmerz bereitet, davon zu reden, und es nicht unbedingt notwendig ist, daß ich es erfahre, so -" „Es ist notwendig," unterbrach ihn sein Vater. „Und wenn ich bis zum heutigen Tage gezaudert habe, dir diese Enthüllungen zu machen, so geschah es, weil ich dich vor einer frühzeitigen herben Erfahrung bewahren wollte und auch aus dem Grunde, weil ich warten wollte, bis du mich verstehen konntest. Du bist jetzt fünfundzwanzig Jahre alt und hast das Recht, in Familienverhältnisse eiuzudringen." „Du bist geradezu rätselhaft, Papa, sprach Willi bettoffen. „Es ist als hättest du mir ein großes Unglück mitzuteilen." „Ein Unglück!" sagte Hartung stauend, — „ja, das freilich schon vor mehr als dreißig Jahren geschehen ist, dessen Folgen aber die Zeit nicht aufzuheben vermag." Der Oberst richtete sich in der Sofa-Ecke auf und hustete leicht. Hartung verstand dieses Zeichen der Ungeduld, warf lächelnd einen Blick auf den alten Herrn und wandte fich dann an Willi mit den Worten: „Du hast schon oft geftagt, wer mein Vater war, wo er lebte, wie und wann er starb, ohne eine befriedigende Antwort zu er halten." „Darüber willst du mich jetzt aufklären?" „Ja. Doch zuvor will ich dir sagen, daß der Name Hartung ursprünglich nicht der unsrige ist. Ich habe mir denselben beigelegt, als ich mit meinen schriftstellerischen Erzeugnissen an die Öffentlichkeit trat. Mein Vater hieß Grabow." „Aber ich bin doch nicht auf diesen Namen getauft," entgegnete Willi beinahe fassungs los, „meine sämtlichen Zeugnisse lauten auf —" „Beruhige dich darüber. Zu deinem Inter esse habe ich seinerzeit die gesetzliche Zustim mung erworben, den Namen Grabow für immer abzulegen." „Ich verstehe," sagte Willi leise, „mein Großvater hat —" „Höre mich erst an," unterbrach ihn schnell sein Vater, „dann magst du urteilen. Vor un gefähr vierzig Jahren erhielt mein Vater die Stelle des Verwalters auf dem Stammgut deS Freiherrn von Lanken. Ich kam mit diesem Manne nur selten in Berührung und konnte mir auch in meinem damaligen Alter kein Urteil über ihn bilden, doch war er allgemein als hart und geizig verschrien. Mochte dem nun sei», wie ihm wollte, mein Vater war mit seiner Stellung sehr zufrieden. Meine Eltern, ich nebst einer Schwester und einem älteren Bruder wohnten ganz allein in dem alten großen Schlosse. Dasselbe war dem Verfall nahe, da nichts zu seiner Erhaltung geschah. Der Freiherr lebte in Dresden und kam viel leicht kaum einmal im Jahre nach seinem Gute. Dasselbe lag sehr einsam inmitten eines großen verwilderten Parkes, neben dem fich die ärm-
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