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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. .V 115, 19. Mai 1918. Einige Zeit bin ich nun schon in S. alz Feldbnchhändler tätig. Es ist eine dankbare Mission, die ich hier draußen erfüllen soll. Bis in die entlegensten Orte, bis in die Frontlinie hinein darf ich milhelfen, dem deutsche» Buche den Weg zu bahnen. Das deutsche Buch ist der Milschöpfer der geheimen Kräfte, die den Sieg für Deutschlands Fahnen erzwungen haben. Den Streitern von heute haben die geistigen Vorkämpfer ihren Glau ben, ihre Sehnsucht nach einem starken, unangreifbaren Vater- landc durch das deutsche Buch vermittelt. Heute im Ringen um Deutschlands Existenz ist es wieder das Buch, das den Kämpfer» Trost und Mut spendet, die Intelligenz schärst und die Gefahren und Sorge» vergessen läßt. Deutschlands Sieg ist zugleich ein Sieg des deutschen Buches und der deutschen Buchhändler. Wer da glaubt, der Krieg verrohe das Gemüt des Soldaten, der irrt. Wer dem Tode von Angesicht zu Angesicht gegenüber- gestanden hat, ist znm zweiten Male geboren worden. Eine neue Welt ist ihm aufgegangen. Er hat einen Schatz entdeckt, der früher im Getriebe des täglichen Einerleis verstaubte; ihm ist auf einmal bewußt geworden, daß er in sich Kräfte besitzt, mit denen er selbst dem Schwerste» trotzen kann. Eine Welt der inneren Schönheit ist ihm offenbart. Man sieht es diesen Leuten schon äußerlich an, sie haben alle jenen Blick ins Weite, ins Un endliche. Den Schatz müssen wir Buchhändler vorm abermaligen Verstauben bewahren. Das ist die heilige Aufgabe, die wir jetzt erfüllen sollen. Unser Geschästslokal haben wir nun fertig ausgestatlet. Alles lenkt die Gedanken vom Kriege ab. Der Besucher fühlt sich in die Heimat, in Friedenszeiten versetzt. Mil einer großen dunkel roten Leinwand habe» wir den Raum geteilt. Bilder schöner Frauen hängen in Weißen Rahmen vor dem roten Tuche. Auf dem Ladentisch, in den Regalen befinden sich Hunderte der besten Bücher, deren gelbe, blaue, rote und Weiße Einbände das male rische Bild vervollständigen. Zwischen den Büchern auf dem Tisch prangt in einer alten französischen Porzellanvase ein gro ßer Strauß Flieder und Kirschblüten, den heute früh ein Kamerad von vorne mitbrachte. Ein Gruß des Schützengrabens an di« Feldbnchhändler. Den ganzen Tag über haben wir zu tu». Da kommt dieser mit einem Anliegen, dann jener, den» der Buchhändler ist auch hier eine Art lebendiges Adreßbuch und ein Helfer in der Rot. Neulich habe» sie uns sogar in der Nacht hcrausgctrommelt. Eine Patrouille hatte den Weg verloren, und da mußte wieder der Feldbuchhändler einspringen. Und die Kunden? Sie kaufen viel und lassen sich gern leiten. Offiziere und Mannschaften sind glücklich, überhaupt einen Buchladen hier zu finden. Sie wollen nur gute Bücher kaufen und nichts, was mit dem Krieg zu tun hat. Nebenbei wirkt der Feldbuchhändler für die deutsche Sache. Er vertreibt die »Earotto ckes ^rclennes«, die die französische Bevölkerung über alles Neue unterrichtet, er verkauft Propa- gandaschristen zur Aufklärung der Bewohner des Okkupations gebietes. Es ist eine vielseitige Tätigkeit, die der Feldbnchhändler entfaltet. Heute sprach ich mit einem Kunden über die Reichsbuchwoche. »Ja ja, die Reichsbnchwoche«, meinte er, »ich erinnere mich noch der vorjährigen. Eine Tante von mir meinte es sehr gut, sie suchte im Keller und auf dem Boden alles zusammen, was ihr in ihren späteren Mädchenjahren von der deutsche» Literatur be sonders ans Herz gewachsen war, und sandte mir ein Füns- pfundpakct davon. Die alte Dam« hätte mir eine größere Freude gemacht, wenn sie mir für das Paketporto ein neues Buch beim Buchhändler gekauft hätte.« Nene Warschauer Eindrücke. Als ich in meinen »Warschauer Eindrücken« (Bbl. 1915. Nr. 282) von den Schwierigkeiten bei der Erlangung einer Reise« gcnehmigung berichtete, glaubte ich sicher, daß sic nur vorüber gehend sein und mit dem Fortschreitcn unserer militärischen Er folge im Osten auch baldigst Vcrkehrserlcichterungcn cintreten würden. Aber weit gefehlt! Die Erlangung einer Neisegench- nügung ist — und sicherlich ans guten Gründen noch schwie riger und umständlicher geworden; in sch» vielen Fällen wird sic abgelehnt und Militärpflichtigen überhaupt nicht erteilt. Aus Grund guter amtlicher Beziehungen und Befürwortungen versuchte ich Ende Dezember noch einmal, eine Genehmigimg zu erlangen, und wartete, wartete auf Bescheid, so daß ich schon diesmal die Hoffnung aufgab, als ich plötzlich Mitte März — also nach drei Monaten — von der hiesigen Polizeibehörde die Mit teilung erhielt, daß mir vom Gcncralgouvernenr die beantragte achttägige Aufenthaltsgenehmigung für Warschau erteilt wordeu sei, und zwar zur sofortigen Abreise. Infolge der noch nicht be endeten Ostermetz- und Qnartalsarbeitcn mußte ich jedoch den Termin weiter hinansschiebcn und benutzte die erste Aprilwoche zu der zweiten Reise ins Okkupationsgebiet. Während in den ersten Monaten die Züge unpünktlich — meist mit 1—2 Stunden Verspätung — eintrasen, wird jetzt die Fahrzeit genau inne- gehallen, sodaß ich pünktlich zur angesetzten Zeit sFahrzeit Posen—Warschau 81S Stunden) nachts in Warschau anlangte. Je mehr man sich der Grenze — oder richtiger gesagt: der frü heren Grenz- und Zollstation Skalmierschütz — näherte, desto un ruhiger wurde ich, da mir bekannt war, daß seit meiner ersten Reise auch hier bei der Zollrevision ganz erhebliche Erschwe- rungen cikigctretcn sind. Während im Vorjahre die Untersuchung sich fast nur auf zollpflichtige Sachen beschränkte, ist jetzt eine äußerst peinliche Durchsicht von Schriftstücken und Drucksachen angeordnct worden, natürlich unter Beibehaltung der sorgfältig sten Paß- und Gepäckrcvision. Meine gesamte Reiselektüre <die wirklich unschuldigen Ullsteinbände, Woche, Jugend, Tageszei tungen) wurde mir abgcnonunen, die Gcschäftspapiere durften »passieren« — da ich sic hier vorsichtshalber vorher amtlich ver siegeln ließ. Auf meine Frage, warum denn diese harmlosen Druckschristep nicht mitgenommen werden dürften, wurde mir geantwortet, daß keine Zeit wäre, alles genau zu prüfen, ob sich nicht dazwischen handschriftliche oder sonst unsichtbare Aufzeich nungen befänden. Also gab ich alles hin, versah das Wertvolle mit Namen und erhielt es prompt auf der Rückreise zurück. In Warschau war es gemütlicher als seinerzeit im Oktober 1915. Zwar besieht noch immer der Zwang, sich bei Ankunft auf der Kommandnnlnr seinen Quartierzettel z» holen, da man sonst in keinem Hotel Unterkunft findet; im übrigen ist man als Reichs deutscher und Geschäftsmann von täglichen Meldungen befreit. Das Leben und Treiben in Warschau hat sich der neuen Verwal tung angepaßt, und der Fremde, der sich in den Hauptstraßen bewegt, merkt nur wenig von dem großen Elend, das unter der armen Bevölkerung herrscht. Zwar ist die Teuerung groß, größer als bei uns, wie mir von Hausfrauen gesagt wurde und ich selbst an den Preise» in den Restaurants beobachten konnte, aber der leichtlebige Warschauer entbehrt nicht gern, und Cafes und Re staurants sind gut besucht. Der Zwangskurs von ./k 1.50 für den Rubel gilt hauptsächlich nur für Hotels und Wirtschafte», wo Militär verkehrt, im geschäftliche» Leben wird der Rubel zu ca. 1.70 berechnet, und vor Abschluß eines Geschäfts wird entweder Rubelzahlung oder Zahlung nach Kurs vereinbart. Im Buchhandel habe» die Verlagsbuchhandlungen sich dadurch zu helfen gewußt, daß sie einfach die Ladenpreise in Mark fest- setztcn, wodurch sie gleichzeitig eine nicht unwesentliche Erhöhung der Ladenpreise erzielten, da sie den Rubel mit ./k 2.— umrech, neten. Es ist alles teurer geworden, warum nicht auch die Bücher, wurde mir vielfach gesagt. Äußerst gering war die Produktion polnischer Literatur im letzten Halbjahr und ganz verschwindend die Herausgabe wissen schaftlicher Werke. Als hauptsächliche Gründe wurden die enorme Höhe der Papier- und Drnckpreise angegeben, sowie die Schwie rigkeit des Vertriebs über Warschau hinaus. Um besonders die 838