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Ottendorfer Zeitung : 28.08.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190408283
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040828
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040828
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-08
- Tag 1904-08-28
-
Monat
1904-08
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 28.08.1904
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politische Aunclfckau. Der rusfisch-japanische Krieg. * Die widersprechenden Meldungen über den Stand der Dinge um und in Port Arthur halten an. General Nogi, der die Belagening leitet, soll vom Mikado abberufen worden und Marschall Jamagata mit dem Oberbefehl im Süden betraut worden sein. *Die Nachrichten über Port Arthur, auf das jetzt die Blicke der ganzen Welt ge richtet sind, lauten immer noch unbestimmt. Die Japaner sollen schon mehrere Forts ge nommen und besonders dem in den Hafen entkommenen Flottenrest arg mitgespielt haben. Nur ein einzigesrussischesKriegs- schiff habe noch Kanonen an Bord. Die teilweisen Mißerfolge der Japaner wären auf das furchtbare Feuer der Forts und auf die große Anzahl der Minen zurückzuführen. *Auch die Insel Sachalin, die den Japanern schon lange wegen der Gelegenheit des Fischfanges ein Gegenstand des Neides ist und die sie gern als Siegespreis einheimsen möchten, hat die japanischen Granaten über sich dahinsausen lassen müssen. Die Japaner hatten in der Nähe von Korssakow , an der Süd- spitze von Sachalin, bekanntlich den „Nowik" auf den Strand gesetzt, und sie benutzten mm die Gelegenheit, ihre Geschütze auch gegen Korsakow selbst zu richten. Nachdem sie einige Schüsse abgegeben hatten, verließen sie den Ort, kehrten aber wieder und besetzten dann widerstandslos den Hafen. * Wie nach der Magd. Ztg.' im Haag ver lautet, soll die Frage der Beschlagnahme russischer Kriegsschiffe in neutralen Häfen , durch die Japaner dem Haager Schiedsgericht vorgelegt werden. *Der Marinegerichtshof in Schanghai hat festgestellt, daß die Russen den englischen Dampfer „Hipsong" ohne rechtlichen Grund zum Sinken gebracht haben. V * * Deutschland. * De»- Kaiser ist am Mittwoch auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow einge troffen und hat im kaiserlichen Zeltlager Woh nung genommen. * An den Präsidenten der Generalver sammlung der Katholiken Deutsch lands, Dr. Porsch, in Regensburg hat der Kaiser folgendes Telegramm gerichtet: „Den Mitgliedern der in Regensburg tagenden General versammlung der Katholiken Deutschlands-spreche ich meinen kaiserlichen Dank für die übermittelte Huldigung aus. Ich hoffe zu Gott, daß die Verhandlungen, vom Geiste desFriedens geleitet, guten Fortgang nehmen und der Ehre und dem Wohle des deutschen Vaterlandes dienen werden." *Vsm Bundesrat ist die Ausführung einer Fleischbeschau- und Schlachtungs statistik beschlossen worden. Demgemäß find über die in jedem Kalendervierteljahr der Schlacht vieh- und Fleischbeschau unterstellten Tiere von den Fletschbeschauern regelmäßig Nachweise unter Verwendung eines Postkartenformulars an den Kreistierarzl bis zum 8. Tage des auf jedes Kalendervierteljahr folgenden Monats, zum ersten Male am 8. Oktober 1904 einzureichen. Desgleichen find über die in jedem Kalender vierteljahr der Trichinenschau, einschließlich der Finnenschau, unterworfenen Schweine von den Trichinenbeschauern Nachweise an den Kreistier arzt m der für die Fleischbeschauer bestimmten Frist einzureichen. *Eine statistische Erhebung über die im Binnenschiffahrtsgewerbe übliche Arbeitszeit sollte gemäß den Beschlüssen des Beirats für Arbeiterstalistik im Herbst d. zur Durchführung kommen. Infolge der Störungen und Behinderungen, die das Binnen- schiffahrtsgewerbe durch die anhaltende Trocken heit erlitten hat, sind die Zustände in der Binnenschiffahrt während dieses Sommers jedoch so ungewöhnlich, daß die Erhebung im laufenden Jahre die normalen Verhältnisse nicht würde erfassen können. Die Aufnahme muß daher um ein Jahr hinausgeschoben werden. * Bayrische Marine - Rekruten werden in diesem Jahre zum ersten Male zur Einstellung gelangen. Es geschieht dies in Verfolg eines Beschlusses der Bundesfürsten, wonach fortan die Bevölkerung aller Bundes staaten zur Marine herangezogen werden soll. Bisher war der Bedarf an Rekruten für die Kriegs-Marine von Preußen allein durch Aushebung aus dem unter preußischer Ver waltung stehenden Reichs-Militärkontingent ge deckt worden, aus Bayern und den übrigen Bundesstaaten kamen nur Freiwillige zur Einstellung in die Marine. Da indessen bei dem steten Anwachsen der Marine dieser Modus oer Aushebung der Marine-Rekruten auf große Schwierigkeiten stößt, so erfolgte die obener wähnte bundesfürstliche Genehmigung. Die auf die einzelnen Bundesstaaten treffende Quote wird alljährlich bestimmt, dieses Jahr beträgt sie für Bayern rund 250 Mann. Der Bedarf an Rekruten für die Landarmee wird jedoch zuerst gedeckt, die Marine-Rekruten werden aus den überzähligen Diensttauglichen entnommen, deren gerade die bayrische Bevölkerung übrigens jedes Jahr einen sehr guten Prozentsatz stellt. England. * Die ,Times' veröffentlichen den Text einer Bekanntmachung des Gouverneurs von Malta, die dem Vernehmen nach auch von den Gouverneuren der übrigen britischen Kolonien erlassen werden soll, und die verfügt, daß, falls eine kriegführende Flotte sich entweder nach dem Kriegsschauplätze oder nach Stellungen auf dem Wege dahin begibt, um neutrale Schiffe aufzufangen, die verdächtig sind, Kriegskonterbande an Bord zu haben, ihr nicht gestattet werden soll, in britischen Häfen Kohlen einzunehmen, sei es direkt vom Gestade, sei es von den sie be gleitenden Kohlenschiffen. Die ,Times' fügen hinzu: „Diese Anordnung steht in absolutem Einklänge mit unsern Rechten und Pflichten als neutraler Macht und wird, wie wir glauben, den warmen Beifall der Nation finden." Rustland. *Die Taufe des russischen Thron folgers hat am Mittwoch in Peterhof mit großem Gepränge stattgefunden. Am Zuge in die Palaiskirche nahm auch Prinz Heinrich von Preußen teil. Nachdem der Metropolit dem Täufling das Abendmahl gereicht hatte, legte der Kaiser demselben den Andreasorden an. Glockengeläut und ein Salut von 300 Schuß kündigten in Peterhof wie in beiden Residenzen die vollzogene Taufe an. Das vom Prinzen Heinrich überreichte Geschenk des deutschen Kaisers besteht aus einem Pokal in romanischem Stil aus massivem Golde. * Das Gnadenmanifest desZaren aus Anlaß der Geburt des Thronfolgers, enthält nach der ,Köln. Ztg.' neben den gewöhnlichen Vergünstigungen für Gefangene, Verurteilte und Steuerzahler die Aufhebung der Körperstrafe für Bauern und Militär, sowie eine Erweiterung der Domizilrechte der Juden, denen jedoch Moskau wie bisher verschlossen bleiben soll. Die Aufhebung der Beschränkungen für die Juden ist schon im Frühjahr von Kokowzew angeregt und dann von Plehwe gefördert worden. * Durch Tagesbefehl des Kaisers vom 22. d. find 2039 Junker zu Offizieren befördert worden. *Der Mörder Plehwes soll nach einer Meldung des ,Daily Telegr.' aus Peters burg als der Student Matwejew vom Techno logischen Institut festgestellt worden sein. Das Blatt erfährt, daß Matwejew der Wohltat der vom Zaren aus Anlaß der Taufe des Thron folgers zu erlassenden Amnestie teilhaftig werden wird. Das Todesurteil werde in lebenslängliche Zuchthausstrafe verwandelt weroen. — (Das letztere will wenig glaub würdig erscheinen.) Balkanstaaten. *Die Komitatschis planen neue An schläge gegen die Eisenbahnen. In Konstan tinopel wurde ein Bulgare verhaftet, der einen genauen Plan für die Zerstörung der Bahn- stalion und der Werkstätten in Jedikule, einem Vorort von Konstantinopel, bei sich tmg. Es sollte Dynamit verwendet werden. Der Sicher heitsdienst ist längs der Eisenbahn verstärkt worden. * Oberst Alexander Masch in (Dragas Schwager), der bekanntlich als intellektueller Urheber des Belgrader Königsmordes gilt, trat einen längeren Urlaub an und reiste nach Ruß land ab. Man versichert, Maschin werde dem nächst in Pension gehen; hierdurch feien die Forderungen Englands erfüllt, bas in erster Reihe Maschins Entfernung forderte, bevor es die diplomatischen Beziehungen zum serbischen Hose wieder aufnimmt. Amerika. *Präsident Castro erwiderte auf den von dem amerikanischen Gesandten Bowen er hobenen Einspruch gegen die Beschlagnahme von Asphaltgruben der New Jork and Bermudez Company mit der entschiedenenWeige- rung, das Eigentum der Gesellschaft zurück zugeben. (Die Amerikaner mögen nun am eigenen Leibe verspüren, wie angenehm der diplomatische Umgang mit dem braunen Herrn Castro ist. Asien. *Die Verhandlungen mit den Tibetanern schreiten befriedigend fort. Die Tibetaner gaben zwei englische Untertanen aus Sikkin frei, die sie vor einem Jahre gefangen genommen hatten. Die Tibetaner erklärten, den Aufenthalt des DaIai Lama nicht zu kennen. Vie lieben Kosaken. Wie die Kosaken einen verwundeten Japaner zu trösten suchten, das schildert Krasnow, der Kriegsberichterstatter des ,Rußkij Invalid' in amüsanter Weise: „Der Japaner, ein Dragoner, der bei einem Kanonenschuß vor Schreck vom Pferde gefallen war (?) und sich beim Fall die Stirn zerschlagen hatte, war von den Russen gefangen genommen worden. Der „Feind" saß mitten unter den Kosaken und stöhnte ganz fürchterlich; von Zeit zu Zeit blickte er scheu auf, als fürchte er, im nächsten Augenblick massakriert und gefressen zu werden. Die Kosaken aber vergaßen ganz, daß sie einen Feind vor sich hatten, und betrachteten ihren Gefangenen mit deutlich erkennbarer Sympathie. „Na stehst du, da bist du gefangen, Brüderchen," redete ihn einer von ihnen, ein Hüne mit einem rotblonden Schneiderbärtchen, in russischer Sprache an. „Kopf hoch! Du darfst keine Furcht haben; wir werden dir schon nichts tun!" Ein andrer prüfte mit Kennerblick das Uniformtuch des Japaners und sagte: „Rote Hose, grüne Streifen, hübsch sitzen der Rock... Alles, was wahr ist: man kleidet sie proper in ihrer Armee. . ." Die andern Kosaken be fühlten nun gleichfalls die Uniform und drückten dem Mikado ihre höchste Anerkennung aus; darauf begann einer die Muskulatur des Japaners zu untersuchen: „Nicht übel," sagte er; „das Volk hat Muskeln, klein, aber kräftig . . . alles, was wahr ist. Das schlägt sich gut. . . Willst du essen, Brüderchen? . . ." Der Japaner, der natürlich kein Wort verstand, legte sich immer wieder die Hand an den Kopf und stöhnte zum Steinerweichen. „Tut's da weh, Brüderchen?" fragte ein Kosak. „Das geht bald vorüber, glaub's. Unser Doktor wird dich schon gesund machen. . . Und dann, nur keine Furcht, Brüderchen, vor den Kosaken. Wir find ja Menschen, jawohl, wir sind auch Men schen. Wir wissen wohl, was der Krieg ist. Da du unser Gefangener bist, müssen wir Mit leid mit dir haben, und wir haben's, Brüder chen, wir haben's . . . Sprichst du vielleicht chinesisch ? ... Pu - ha - u . . ." Aber der Japaner verstand chinesisch ebensowenig wie russisch und zeigte nur auf seinen Kopf, „'s tut weh? Verwundet? Tsche-Ho ... Pu-Ha°u . . . Nicht gut ? ... Ich verstehe schon . . ." Dann dreht sich der Kosak zu seinen Kameraden um und sagte: „Wie wär's, wenn wir ihm einen Schnaps gäben? Ich sag' euch, Brüder, Wodka kuriert sofort. . ." Der Amrag wurde ein stimmig angenommen, und alle holten sofort Schnapsfla;chen aus ihren Taschen hervor, obwohl die Vorgesetzten das Wodkatrinlen ver boten hatten. Der Japaner schien den Schnaps ganz nach seinem Geschmack zu finden. „Nicht wahr, Japoschka (kleiner Japaner), das schmeckt? Tschau-Ho, russischer Wodka!" Der Japaner nickte verständnislos mit dem Kopfe und trank Wodka, bis ihm das Haupt müde aus die Brust sank. Die Wunde am Kopse hatte er längst vergessen. „Gut, Brüderchen, schlaf' jetzt; fehlt dir gewiß, der Schlaf." Alan machte ihm ein Bett aus Stroh zurecht, legte ihm den Kopf auf einen Mantelsack, be deckte ihm den Kopf mit einem Mantel und bald schnarchte er wie ein überarbeiteter West europäer. Der Teekessel summte, und die Schnapsflasche ging im Kreise herum. Nach einer Pause sagte ein Unteroffizier: „Sobald er ewacht, muß er wieder Wodka bekommen, dann vielleicht ein wenig Tee; er ist so müde, der arme Junge!..." Als der Japaner erwachte, feierte er mit den Kosaken ein großes Ver brüderungsfest, und einige Stunden später wankten die Russen mit ihrem Gefangenen, der kaum noch auf den Beinen stehen konnte und wie eine Spiritustonne roch, ins Quartier, um den Bombenrausch gründlich auszuschlafen." Von unci fern. 3 Mart Ehesteuer. Eine eigenartige Sitte besteht in dem größtenteils wendischen Dorfe Gablenz des Kreises Rothenburg O.-L. Dort muß jeder, der in den Stand der heiligen Ehe tritt, eine Art einmalige Ehesteuer in Höhe von 3 Mark entrichten, die offiziell von dem Gemeindebooten eingezogen wird. Dieser Be trag wird dann im Laufe des Jahres von den Ehemännern des Ortes an drei aufeinander folgenden Sonntagen in den drei Gasthäusern durch ein sogenanntes Männertrinken klein ge macht, selbstverständlich zur größten Freude aller Pantoffelhelden, welche an diesen Tagen den Hausschlüssel mitnehmen dürfen. Der festgenommene Festredner. In Heringsdorf erregt die Verhaftung eines Bade gastes, der vermöge seines vornehmen Auftretens in den besten Familien- und Gesellschaftskreisen des Seebades Zutritt gefunden hatte, Aufsehen. Herr „Hans Gregor v. Bergen", der sich „Mit glied des Gärmerplatz-Theaters in München" nannte, entpuppte sich bei seiner Verhaftung als ein gewisser Adolf Hist, der seit längerer Zeit wegen Unterschlagung verfolgt wurde. Überaus komisch muß es berühren, daß dieser Desraudant just dazu ausersehen ward, bei der Feier zu Ehren des Geburtstages des Kaisers Franz Joseph im Lindemannschen Hotel die — Festrede zu halten. „Unvorbereitet, wie er sich hatte", ist der elegante junge Herr nun von der Polizei am Wickel genommen worden. Selbstmord eines frühreifen Liebes paares. Aus Kyritz wird gemeldet: Das noch nicht 14 jährige Töchterchen eines Musikers unterhielt mit einem 18 jährigen Mustkerlehrling ein Liebesverhältnis. In der vorigen Woche wurde das Pärchen vom Vater des Mädchens bei einer Zusammenkunft ertappt. Das 14jährige Kind erhielt von dem aufgeregten Manne eins Tracht Prügel. Der junge Mensch, der nun wohl Furcht vor der Staatsanwaltschaft hatte, beschloß darauf mit seiner Geliebten gemeinsam in den Tod zu gehen. Noch in derselben Nacht verschwanden beide. Jetzt hat man sie als Leichen aus dem nahen See gezogen. Überfall eines Wachtpostens. In Königs berg wurde an dem südlichen Fort bei Groß- Karschau der aus Köln a. Rh. gebürtige Grenadier Erden vom 3. Regiment von Strolchen überfallen und mit seinem eigenen Gewehr lebensgefährlich verletzt. Als Erden morgens um 2 Uhr abgelöst werden sollte, fanden ihn die Kameraden mit einem Knebel im Munde bewußtlos im Graben liegend. Neben ihm lag das Seitengewehr. Der Grenadier hatte während des Überfalles vergeblich versucht, einen Schuß abzugeben. Der Tat verdächtig sind eine Anzahl Strolche, die gegen Mitter nacht aus einem naheliegenden Grundstück allerlei Unfug getrieben, und dann singend und johlend über das Feld gezogen waren. Der Soldat wurde nach dem Garnisonlazarett geschafft, wo er seinen Wunden erlegen ist. K Der Tauberer von Paris. 23s Roman von S. I. Weymann. (Schluß.) Vater Bernard suchte seine Erregung zu ver bergen, indem er seine Finger liebkosend durch die schwarzen Locken deS Knaben streichen ließ. Das Gemurmel, das der Äußerung des Königs folgte, verstummte plötzlich wie mit einem Zauberschlage. Statt des vielstimmigen Geräusches tönte eine einzige, tiefe melodische Stimme. „Die Erzählung klingt wahrscheinlich l" sagte der Mann in der purpurnen Toga. „Soviel ich weiß, gibt es jedoch in Perigord keine Familie, die den Namen Baust führt!" „Wenn Seine Majestät und Eure Eminenz mir zu sprechen gestatten, so kann ich Aus- kunft geben," antwortete Chevalier de Breßly. „Ich stamme aus Perigord. Es gibt im ganzen Lande keine Familie dieses Namens. Jedoch weiß ich noch mehr. Vor ungefähr zwei Monaten sah ich diesen Burschen auf dem Markt platze von Fecamp. Er trug damals andre Kleidung, doch leierte er dieselbe Erzählung herunter, nur mit dem einen Unterschiede, daß er den Namen Perigord nicht erwähnte!" „Die ganze Geschichte ist erlogen!" sagte der König. „Jemand wird sie ihm eingepaukt haben!" „Die Weisheit Eurer Majestät hat ohne Zweifel das Richtige getroffen," erwiderte der Richter. Und sich zu Jehann wendend, fuhr er fort: „Weißt du, was die Daumschraube ist, mein Sohn? Dein Meister hat dich ohne Frage oft geschlagen und da hast du manch mal geglaubt, daß die Schmerzen gerade soviel waren, wie du ertragen konntest. Aber du hast dich geirrst, Bursche! Weißt du was die Daumschraube ist?" Jehann schüttelte den Kopf. Die Tränen traten ihm in die Augen. Aber dann siegte sein Trotz. Was wußte der Mann dort von den Schmerzen, die er seit seiner frühesten Kindheit hatte ertragen müssen? Pah! Daum schraube oder nicht Daumfchraube! Er wollte diesem bösen Mann, der beinahe so finster aussah, wie der verhaßte Schwarzkünstler, nicht die Freude bereiten, daß er weinte. „Ich spreche die Wahrheit!" sagte der Knabe. „Das ist ein weiser Entschluß. Wer hat dich diesen Unsinn gelehrt, . . ich meine die Erzählung, die du uns da soeben aufge- tischt hast?" „Ich weiß nicht. Ich habe sie gekannt, so lange ich mich erinnern kann." „Du böser, verstockter Bube!" „Ich muß den hochweisen Herrn Richter um Verzeihung bitten", klang wieder die tiefe Stimme des Kardinals. „Ihr seid ohne Zweifel ein gelehrter Mann und ich verstehe nichts von der Jurisprudenz und den Geheim nissen Eurer Zunft, aber dennoch will es mir scheinen, daß Ihr den löblichen Eifer, der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, ein wenig zu weit sucht. Die Daumschraube ist ohne Zweifel ein vortreffliches Ding in Euren erfahrenen Händen. Warum sollte der Knabe jedoch hierherkommen, sich selbst einer Tat zu beschuldigen, die ihn an den Galgen und zur Folter bringt, und zu gleicher Zeit die Abficht haben, in ganz unwesentlichen Dingen die Un wahrheit zu sprechen? Gestattet mir selber an den Burschen einige Fragen zu richten!" Und ohne erst die Antwort des sich demütig neigen den Richters abzuwarten, fragte der Kardinal freundlich: „Erinnerst du dich deiner Mutter, mein Knabe?" Jehann schüttelte den Kopf. „Deines Vaters?" „Nein l" „Irgend eines Ortes, der mit deiner frühesten Kindheit in Verbindung steht?" „Bault in Perigoid!" Herr von Breßly machte eine unwillige Ge bärde. „Einen solchen Ort gibt es nicht!" „Gemach, Chevalier!" sagte der Kardinal mit sichtlichem Unwillen über die Unterbrechung. „Doch wenn Ihr nun schon einmal am Sprechen feid, Herr Chevalier, so werdet Ihr vielleicht sagen können, ob sich in Perigord eine Familie rühmen kann, drei Marschälle von Frankreich unter ihren Ahnen zu zählen?" „Nicht daß ich wüßte!" „Oder doch eine Familie, die sich vom edlen Stamme Rolands herlestet?" „Das tun wir alle — wir — wir Fran zosen !" Ein zorniger Blitz zuckte in den Augen des Kardinals, doch nur einen Moment. „Er kennt weder Vater noch Mutter und erinnert sich nur an Bault, einen Ort, der nicht existiert!" murmelte der Kardinal gedankenvoll. Dann fuhr er freundlich fort: „Kannst du lesen, mein Knabe?" „Nein!" „Nun, dann merke auf! Erinnerst du dich nicht irgend eines großen Hauses — irgend eines Bildes, das über den Toren angebracht war — irgend eines Wappens über den Türen und Kaminen? Vielleicht an irgend ein Tier? Denke nach, Kleiner, und fürchte dich vor niemand! Auch nicht vor der Daumschraube und dem hochweisen Herrn Richter. Denke nach, mein Junge, . . . denke nach!" Jehann legte die Hand an die Stirn und schloß die Augen. Er flüsterte vor sich hin; dann begann er die Hand an der Stirn zu reiben, erst langsam, dann schneller. „Or, on » mount vert!" ries er wie mit plötzlicher Eingebung. Seine Worte glichen einem Schrei, der, kaum ausgestoßen, abbrach und verstummte. Nach einem Augenblick setzte er träumerisch hinzu: „Es war ein Baum — auf einem Hügel!" „Also doch!" sagte der Kardinal mit triumphierendem Lächeln. „Und nun, Herr Chevalier, muß ich Euch nochmals belästigen. Dieses Wappen gehört ja wohl der Familie..." „Martinbault, Eure Eminenz! Ein Baum auf einem Hügel... Or, on a wount vert... Ohne Frage, das ist die Familie Martinbault!" „Ganz recht! Und wenn ich mich recht erinnere, so war der Name der Frau von Vidoche vor ihrer Heirat —" „Martinbault!" donnerte es hundertstimmig durch den Saal, als habe sich plötzlich ein Orkan erhoben, der alles mit sich fortriß.
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