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„Schuster" ein Schimpfname. Auf dem Verbandstage der süddeutschen Schuhmacher in Ulm verbreite sich Herr Burger-Würzburg über die Hebung und Wahrung der Standesehre und forderte, daß mit der Bezeichnung „Schuster*, mit der in Bayern vielfach ein Schimpfname verbunden werde, aufgeräumt werde. Sogar Behörden brächten den „Schuster" in Adressen zur Anwendung. Mehrere Redner teilten diese Anschauung, und es wurde beschlossen, daß jeder einzelne an der Beseitigung der verächt lichen Bezeichnung mitarbeiten soll. Die diebische Dohle. Ein junger Kauf mann in Friedrichstadt (Eider) hatte seinen Trauring aus dem Waschtisch liegen lassen; das Fenster der Schlafstube stand offen. Eine Dohle holte den Ring und flog damit fort. Spielende Kinder sahen zufällig, wie eine Dohle etwas fallen ließ; sie liefen darauf zu und fanden den Ring. Ein Mord aus verletztem Ehrgeiz wurde in der Nacht zum Montag auf dem Schützen platz zu Zeitz in einer Schaubude verübt. Ein Neger trat dort als Ringkämpfer auf. Nachdem der Schwarze von einem Konkurrenten bereits zweimal geworfen worden war, übermannte ihn beim dritten Gange die Wut, er stürzte dem überraschten Gegner an die Kehle und drehte ihm den Hals förmlich ab, so daß der Tod auf der Stelle eintrat. Dem Neger gelang es in der allgemeinen Verwirrung zu entfliehen. Eine Stadt, in der das Rauchen ver boten ist. Der Gemeinderat von Wsetin (Mähren) hat mit Rücksicht auf die herrschende Dürre das Tabakrauchen auf den Straßen ver boten. Die Polizei wacht streng über die Be folgung dieses Verbotes. Eine Stadt, in der man keinem Raucher begegnet, ist jedenfalls eine seltene Erscheinung. Lehrerelend in Galizien. Die jämmer lich bezahlten galizischen Lehrer haben sich in einer Versammlung in Lemberg über ihre Lage wie folgt geäußert: „Das Land gibt Millionen für die Restaurierung des Krakauer Königs- schlofses Wawel her, hat aber nichts für die Lehrerschaft, obgleich der Unterricht uns näher stehen sollte als der Wawel. Überlassen wir den Patriotismus den Reichen, wir aber wollen fürs tägliche Brot sorgen." — Die polnische Patriotenpresse ist über diesen Aufschrei der hungernden galizischen Lehrer empört und meint, die Lehrerschaft solle doch mit den Mitteln des Landes rechnen und soviel Hingabe besitzen, um noch einige Jahre auf die Erhöhung der Gehälter zu warten. Die französischen Gewehrfabriken ar beiten gegenwärtig an der Umformung der Lebel-Gewehre, um sie für den Gebrauch des neuen Geschosses einzurichten. Jede Fabrik ist imstande, täglich ein Minimum von 300 Ge wehren umzugestalten. Es handelt sich dämm, auf erheblich weitere Distanzen zu schießen, als dies bisher möglich gewesen ist. Bor der Hinrichtung. Ein Soldat, der Wegen der Ermordung eines Mädchens am 16. August in Birmingham hingerichtet werden sollte, bestand darauf, auf dem Wege zum Schafott eine Zigarre rauchen zu dürfen. Er rauchte ruhig weiter während aller Vorbereitun gen, die der Henker traf, und dieser nahm ihm erst im letzten Augenblick, als er dem zum Tode Verurteilten die weiße Haube über den Kopf ziehen mußte, die Zigarre aus dem Mund. Mit fast lustiger Stimme verabschiedete sich der Mörder von dem Henker und seinen Genossen, indem er rief: „Einige von euch werde ich wohl Wiedersehen!" Ohne Erlaubnis des Zensors dürfen die in Liaujang weilenden Kriegsberichterstatter nicht einmal geschäftliche Briefe oder Privat korrespondenzen abschicken. Als ein Korrespondent seiner Frau nach Petersburg telegraphierte: „Liebe Manja, ich küsse Dich innig," schrieb der Zensor darunter: „Ich erlaub's. Oberst leutnant R." Der verbrannte Arzt. Ein Arzt in Littlerock hatte sich bei einer Gesellschaft mit 21000 Dollar versichern lassen. Kürzlich ex plodierte in seinem Beisein eine Lampe in seiner Scheune. Der Arzt wurde verbrannt und soll seinen Verletzungen erlegen sein. Man fand nämlich in der Scheune einen unkenntlichen Leichnam. Nach dem Begräbnis zahlte die Ver sicherungsgesellschaft die gesamte Summe aus. Die Gesellschaft hat nun einen Prozeß ange strengt zur Wiedererlangung der Summe unter der Behauptung, daß der Mann noch am Leben ist. Die Nachforschungen haben ergeben, daß die Frau selbst an den Tod geglaubt hat, bis eines Tages zwei Männer zu ihr kamen und ihren Anteil an dem ausgezahlten Verstcherungs- gelde forderten. Sie gaben auch die Adresse an, wo der Doktor lebt, und wohin die Frau einen Teil des Geldes senden sollte. Diese Teilung des Geldes führte zur Entdeckung. Berliner Landgerichts I zu einem vorläufigen Ab schluß gelangt. Vor etwa 2 Jahren erstand der Professor Dr. Rudolf Siemering das Grundstück Nußbaum-Allee 31 zu Westend. Er hoffte dort eine Stätte zu finden, wo er nach seinem anstrengenden Schaffen Erholung und Ruhe finden könnte. Hierin sah er sich in der unliebsamsten Weise getäuscht. Von seinem Besitztum durch eine unbebaute Parzelle und die Akazien-Allee getrennt, liegt ein Grundstück, das der Gastwirt Klanetzki gepachtet hat. Diesem ist für die im Garten befindliche Sommerbühne eine Singspiel-Konzession erteilt worden. Die Konzession wurde nun in einer Weise ausgeübt, daß die benachbarten Grundstücke, insbesondere das Grund stück des Professors Siemering, durch Zu führung von Geräusch auf das empfindlichste ge schädigt wurden. Allabendlich von 6'/- bis 11 Uhr wurden auf der Bühne von weiblichen und männ 6m MunäerpferL Der alte Ben Akiba würde seinen weltbekannten Ausspruch doch wohl etwas modifizieren, wenn er Kenntnis hätte von einem Pferde, welches im Nor den von Berlin einem Herrn v. Osten gehört. Das Pferd, ein achtjähriger Hengst, besitzt tatsächlich Menschenverstand, und wenn ihm die Gabe der Sprache verliehen wäre, so würde es sich kaum von einem vernunftbegabten Wesen unterscheiden. Das Pferd ist nicht für öffentliche Zwecke abgerichtet, fein Besitzer hält das Tier nur zu psychologischen Studien und arbeitet täglich zwei Stunden mit ihm. Es handelt sich also hierbei nicht um Zirkuskunst stückchen, die nur Unkundige in Erstaunen setzen, sondern man kommt zu der Überzeugung, daß' hier tatsächlich folgerichtiges Urteil und logisches Denken zum Ausdruck kommen. Das Tier versteht zu rechnen, es kennt die Zahlen, die ihm nach Be lieben vorgeschrieben werden, und deutet durch Hufschläge Wert und Bedeutung der Zahlen an. Ebenso versteht es zu lesen, indem es die Zahl ausgeschriebener Worte außer der Reihe auf Wunsch seines Herrn oder eines Fremden angibt. Ebenso hat es Farben- und musikalischen Sinn. Wäre ihm nicht die Sprache versagt, so würde es sicher mit Erfolg um Aufnahme in die Menschheit petitionieren können. Bahnzusammenstotz. Zwischen einem Personenzuge und einem Wagen der elektrischen Straßenbahn, der mit Fahrgästen zu dem Pferderennen dicht besetzt war, fand in Chicago eiu Zusammenstoß statt. Acht Personen wurden getötet, 16 verletzt. Eine Junggesellensteuer wurde kürzlich wieder einmal in einer öffentlichen Frauenversammlung im Städtchen Salem (Wisconsin, Amerika) in Vorschlag gebracht. Die empörten Damen wollten energischen Protest erheben gegen die ehefeindlichen Bestrebungen und Ansichten der Herrenwelt im Staate Wisconsin. Die Versammlung nahm einen überaus stürmischen Verlauf. Die Reden der einzelnen Damen wurden durch dermaßen laute und erregte Zwischenrufe unter brochen, daß die Sprecherinnen ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen konnten. Den meisten Beifall fanden die Ausführungen einer schon ziemlich be jahrten Dame, die den Vorschlag machte, daß alle Männer, die über 25 Jahre alt und noch Jung gesellen sind, eine jährliche Steuer von — 1000 Dollar bezahlen müßten und aller bürgerlichen Rechte verlustig gehen sollten bis zum Tage ihrer Hochzeit. Eine junge Teilnehmerin an der Ver sammlung aber bereitete der Begeisterung, die auf diese Rede folgte, ein jähes Ende, indem sie darauf hinwies, daß unter solchen Umständen die Männer welt aus Wisconsin einfach auswandern würde. Nach langen und heftigen Debatten beschloß man endlich, in allen Staaten von Nordamerika mit dem Zentralbureau in New Jork Frauen-Vereine gegen die Ehefeindlichkeit der Männer ins Leben zu rufen. GericbtskaUe. Berlin. Ein interessanter Konzessionsstreit ist dieser Tage durch Urteil der 4. Zivilkammer des lichen „Künstlern" Couplets unter lärmender Musik begleitung zum Vortrag gebracht und nach jedem Vortrag folgte dröhnender Applaus durch weithin schallendes Händeklatschen. Natürlich waren die Nachbarn von diesen Genüssen wenig erbaut, sie taten sich unter Führung Prof. Siemerings zu sammen, nahmen sich einen Rechtsanwalt und ließen drrch diesen im Wege der Klage den Antrag stellen, im Wege der einstweiligen Versügung dem Gastwirt Klanetzki bei Vermeidung einer für jeden Zuwider handlungsfall festzusetzenden Geldstrafe zu unter sagen, fernerhin ruhcstörendes Geräusch in die Grund stücke der Antragsteller hinüberdringen zu lassen. Vor Gericht schilderte der Vertreter der Kläger alle die Nachteile, welche die Antragsteller durch die Nach barschaft der Sommerbühne zu erdulden hatten, in lebhaften Farben. Demgegenüber beantragte der Vertreter deS Beklagten Klanetzki, den Kläger kosten pflichtig abzuweisen. Nach § 26 der Reichsgewerbe ordnung könne der Besitzer einer mit obrigkeitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anstalt wegen schädlicher Einwirkungen nicht zur Einstellung des Betriebes, sondern nur zur Herstellung von Ein richtungen genötigt werden, welche die benach teiligenden Wirkungen ausschließen. Im vorliegenden Falle kann von einer wesentlichen Beein trächtigung der Benutzung des Grundstücks des Professors Siemering nicht die Rede sein. Dabei sei zu berücksichtigen, daß nur das Empfinden eines normalen Durchschnittsmenschen in Betracht gezogen werden könne, nicht aber eure besonders nervöse Empfindlichkeit oder ein durch persönliche Verhält nisse besonderer Art bedingtes Ruhebedürfnis. Stach den VerkehrSverhältniffen in dortiger Gegend ließe sich auch nicht behaupten, daß überhaupt ein Anspruch aus Nachtruhe für irgend jemand bestehe. Es gebe bekanntlich viele Personen, die gerade der artige Musik und Unterhaltung als Erholung suchen und angenehm davon berührt würden. Diesen gegen über könne das Empfinden vereinzelter Personen nicht in Betracht kommen. Der Kläger sei nicht be rechtigt, dem Betriebe des Beklagten eine andre Schranke zu setzen, als die Polizeibehörde ihm vor schreibt und müsse sich unbedingt die Ausübung deS dem Beklagten konzessionierten Betriebes gefallen lassen, soweit solcher sich innerhalb der polizeilichen Vorschrift halte. Die Zivilkammer schloß sich diesen Ausführungen an und verwarf den Widerspruch des Antragstellers. Vie Wohltaten der Bakterien. Die großen Entdeckungen über den unge heuren Einfluß einer großen Zahl von Bakterien auf die Übertragung von Krankheiten haben die ganze Sippe dieser Kleinwesen derart in Miß kredit gebracht, daß die meisten Menschen gar nicht mehr glauben wollen, daß man überhaupt etwas Gutes über die Bakterien sagen könnte. Das ist nun ein dicker Irrtum, denn man kann auf der andern Seite sogar nachweisen, daß die Bakterien sür viele Dinge, die zu unsrer Lebensführung und zum Lebensgenuß gehören, durchaus unentbehrlich find. Mann kann sogar die Frage aufwerfen, ob unser Leben ohne Bakterien überhaupt denkbar wäre. Diese Auf fassung ist noch nie in so ernster Weise hervor gehoben worden, wie durch die Forschungen von Dr. Charrin, der in einer der Pariser Akademie der Wissenschaften eingereichten Arbeit nach gewiesen hat, daß erwachsene Tiere in einer völlig bakterienfreien Luft und bei bakterien freier Ernährung in ihrer Lebensfähigkeit er heblich beeinträchtigt werden. Der Forscher hielt eine größere Zahl von Meerschweinchen, die die gleiche Menge von Nahrung erhielten. Alle Nahrungsstoffe waren durch Erhitzung von Bakterien befreit. Die eine Gruppe von Tierchen bekam sie in diesem sterilisierten Zustande zu fressen, während sie für die übrigen Tiere erst noch mit Staub bestreut, also sicher wieder mit Bakterien verunreinigt wurden. Es stellte sich heraus, daß die mit sterilem Futter versehenen Tiere nach einem Zeitraum von 3 bis 5 Wochen starben. Wenn eines der Meerschweinchen, wie es in wenigen Fällen geschah, auch bei der gewöhnlichen Er nährung früher starb, so ließ sich immer nach weisen, daß besonders giftige Bakterien in dem der Nahrung hinzugefügten Staube enthalten gewesen waren. Die Sektion ergab, daß die steril gefütterten Tiere Darmentzündungen und Gallenstöruugen erlitten hatten. Es ist zum Verständnis dieser Tatsachen zu berücksichtigen, daß in den Eingeweiden aller lebenden Wesen immer lebende Bakterien vorhanden find, die aber wegen der Berührung mit verschiedenen chemisch ungünstig wirkenden Stoffen ein schweres Dasein haben. Sie würden daher bald ganz verschwinden, wenn der Mensch und die Tiere nicht immer mit ihrer Nahrung aufs neue Bakterien aufnähmen. In der Tat haben die bakteriologischen Untersuchungen gezeigt, daß im Darm der steril gefütterten und daran ge storbenen Meerschweinchen überhaupt keine Bakterien mehr vorhanden waren. Die wichtigste Entdeckung CharrinS ist darin zu suchen, daß bei diesen Tieren die Ver arbeitung der Nahrung eine entschiedene Ver langsamung erfahren hatte, so daß schließlich die in den Nährstoffen enthaltene Zellulose und auch gewisse Eiweißverbindungen nicht mehr vom Körper ausgenommen werden konnten und deshalb Entzündungen mit tödlichem Ausgang hervorriefen. Danach erscheint es völlig klar, daß gewisse Bakterien innerhalb des menschlichen und sterischen Körpers nicht nur keinen Schaden anrichten, sondern von ganz entschiedenem Nutzen find. Deshalb wird man sich auch wohl überlegen müssen, inwieweit eine Befreiung der Nahrungsmittel von Bakterien dem Menschen zuträglich sein kann. Die Möglichkeit wäre denkbar, daß ein übertriebener Kampf gegen die Bakterien in wichtigen Beziehungen das Gegen teil von dem erreichte, was er erreichen wollte. (.Fr. Dtsch. Pr-0 Kuntes Allerlei. Bor Gericht. Richter (zur Zeugin): „Also, Sie weigern sich, Ihr Alter anzugeben?" — (Zum Gerichtsdiener): „Müller, holen Sie den gerichtlichen Taxator Herl" c,D°rfb.y es war Nacht und trotzdem habt Ihr sogar die Farbe seiner Augen erkannt? . . . Beschreibt seine Kleidung I" „Es war dunkel und ich sah ihn nur einen Moment!" „Und die Dunkelheit war nicht zu schwarz — der Moment war nicht zu kurz, daß Ihr die Farbe seiner Augen unterscheiden konntet? Für seine Kleidung aber reichte es nicht aus?" „Ich hätte dieses Gesicht überall erkannt. Und seine Haare? — er trug keine Kopf bedeckung !" „Um zehn Uhr nachts? Trug er einen Mantel?" „Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Doch nein — jetzt erinnere ich mich, er trug keinen Mantel!" „Nun, das ist doch schon etwas. Besinnt Euch nur recht, Madame! Gewiß, Ihr werdet mir die Art seiner Kleidung angeben können?" „Ich kann nicht — ich weiß nicht — ich erinnere mich nicht — es war so dunkel — und ich sah ihn nur ein paar Minuten —" „Aber soviel saht Ihr doch wohl: es war ein schmutziger Bursche mit rohen Gefichtszügen, vielleicht der Sohn dieses Schurken?" „Das war er nicht! Ich schwöre es, das > war er nicht. Er hatte edles Blut in sich — oder er sah wenigstens so aus!" „Seltsam, Madame! Wie Ihr Euch doch so plötzlich für den geheimnisvollen Boten be geistern könnt, auf dessen Befehl hin Ihr den Gatten vergiftet habt, den Ihr mehr liebtet als Euer Leben! Alles das reimt sich schlecht zusammen! Ich könnte verstehen, Madame, daß Ihr diesen Bolen verachtet und in die Hölle hinabwünscht, aber nicht, daß Ihr Euch für ihn begeistert! Ich warnte Euch Ihr habt gewagt, mit Euren Richtern zu spielen!" „Gott weiß, ich sprach die Wahrheit! Möge er sich meiner erbarmen!" „Ihr werdet sein Erbarmen allerdings brauchen, Madame!" erwiderte der Richter mit eisiger Stimme. Dann wandte er sich an die Umsitzenden und sprach mit ihnen in flüstern dem Tone. „Führt Madame zum Keller hinab!" rief einer der Beamten plötzlich. „Heilige Jungfrau! Vater im Himmel! Dulde es nicht! Ich spreche die Wahrheit! Fragt Solomon de Notredame!" Die Schergen hatten Madame bereits ein paar Schritte fortgezerrt, da stand der Richter auf. „Halt!" rief er. „Ganz recht — Solomon de Notredame! Ich ziehe Madames Jugend und ihr edles Geschlecht mitleidig in Betracht und werde ihr diesen Wunsch gewähren! Viel leicht wird dies genügen, um sie zum Geständ nisse der Wahrheit zu bewegen . . . Wir meinen Ernst, Madame, blutigen Ernst. . . Führt Solomon de Notredame herbei!" Jetzt ließ sich die Aufregung der Anwesenden nicht mehr zurückdrängen. Der Saal schien sich in einen ungeheuren Bienenschwarm zu verwandeln. Es schwirrte und summte und flüsterte, leise nur und mit verhaltenem Atem, und dennoch vereinigte sich das leise Ge räusch der einzelnen zu einem mächtigen, dumpfen Brausen. Der Richter erhob abwehrend die Hände und unter (einen drohenden Blick erstarb der Seufzer der Erwartung auf den Lippen der vornehmen Damen und Herren. Je lauter und unwillkürlicher der plötzliche Gesühlsausbruch gewesen war, desto unheimlicher war die Grabes stille, die der warnenden Gebärde des Richters folgte. Aller Augen wandten sich der Türe zu. Man begegnet oft der spöttelnden Frage, wo in aller Welt sich denn die Seele im menschlichen Körper befinde. Erinnerst du dich der Stunde, als du am Bette der sterbenden Mutter geweint? Hast du vergessen, wie du ihr in die brechenden Augen geschaut, uud schaudernd zu dem Be wußtsein kamst, daß der milde Glanz, der dein Herz so ost erwärmt hatte, der Ausdruck ihrer reinen Seele, allmählich erlosch und wie das Licht am Biaste eines forteilenden Schiffes in dem Meere des Todes untertauchte? Was war es, das dich damals mit unendlichem Weh packte, dir das Herz krampfhaft zusammenpreßte, die Brust beengte und das Blut feurig wirbelnd durch die Adern sandte? Es war der Schmerz deiner Seele, gegenwärtig in jedem Nerv, jeder Ader und jedem Atem deines Körpers! Und weiter. . es bedarf wohl nicht erst der Frage, ob dir der Augenblick noch erinnerlich, in dem du zum ersten Male einen langen Kuß auf die rosigen Lippen der Geliebten drückest! Was war es damals, das dich plötzlich der Erde entrückte und dir die Freuden des Paradieses erschloß? Wehe dem Menschen, der erst dann zum Bewußtsein seiner Seele kommt, wenn er in Schmach und Schande ertrinkt! Tod und Liebe machen die Seele erzittern — Schmach und Schande drohen die Seele zu zerreißen. Wehe der blassen Frau dort in den Händen ihrer Peiniger! Sie starrte und starrte, bis die Türe vor ihren Augen verschwand und wie ein Ungeheuer auSsah, mit unbestimmten Formen, schwarz — schwarz wie die Nacht, und rot — rot wie die Flammen der Hölle! Da donnerte von der Straße tausend stimmiges Geschrei durch die geöffneten Fenster. An dem großen Portale des Gerichtssaales ent stand eine Bewegung und die Schergen bildeten Spalier. „Solomon de Notredame !" schrie Madame, mit unwillkürlichem Impulse vorwärts stürzend. Die Knechte packten mit rauhem Griffe zu. „Du weißt es, du weißt es . . ." „Bringt das Weib zur Ruhe!" rief der Richter. Madame starrte mit aufgerissenen Augen umher. Die Anwesenden waren aufgestanden und reckten die Köpfe; Säbel klirrten, Schwerter rasselten und Fedem wallten. „Der König! Der König!" flüsterte es von Mund zu Munde. Die Menschenmenge schien mit ihrer tiefen Verbeugung plötzlich in die Erde zu sinken und Louis trat mit einigen Herren seines Gefolges in den Saal. Der König stand damals im Alter von un gefähr sünfunddreißig Jahren. Seine mittelgroße Gestalt hätte ohne ihre stolze Haltung und die prächtige Kleidung nicht gerade einen königlichen Eindruck gemacht. I ZP -- (Fortsetzung folgt.)