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Ottendorfer Zeitung : 24.08.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190408241
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040824
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040824
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-08
- Tag 1904-08-24
-
Monat
1904-08
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 24.08.1904
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politilcke Kunälckau. Der russisch-japanische Krieg. "Seit Freitag vor acht Tagen sind weder von russischer noch von japanischer Seite Meldungen über die Lage der Dinge um und in Port Arthur ansgegangen und man er fährt jetzt nur, daß die Japaner den General Stössel zur Übergabe ausgefordert haben. Diese ist aber mit der Versicherung ver weigert worden, Port Arthur werde bis aufs äußerste verteidigt werden. Die Auf forderung zur Ergebung scheint auch — militär- technisch betrachtet — reichlich zu früh erfolgt zu sein; denn die Japaner sind noch andert halb Kilometer von der eigentlichen Umwallung der Feste entfernt. Ob sie in den letzten Tagen derart Terrain gewonnen haben, daß ihre Forderung berechtigter erscheint, ist nicht bekannt geworden. * .Kurz vor der Ablehnung der Kapitulation hat General Stössel einen Tagesbefehl an die Soldaten und Bewohner Port Arthurs erlassen, der folgenden Wortlaut hat: „Tapfere Verteidiger von Port Arthur! Es ist ein Augenblick gekommen, wo wir unsre Kräfte vereinigen müssen, um diesen Flecken der russischen Erde, die Festung Port Arthur, zu ver teidigen. Unser großer Kaiser, unsre gemeinsame Mutter, das Vaterland Rußland, erwarten von uns die bedingungslose Ausführung einer heiligen Pflicht: die ganze Festung vor dem Anpralle des Feindes zu schützen. Jeder von uns möge der heiligen Worte des Eides eingedenk sein und in seiner Brust die Überzeugung einp ragen, daß es für ihn keinen Ort gibt, als den Ort, der ihm aus den Wällen der Festung überwiesen wurde. Dem Beispiele unsrer tapferen Ahnen folgend, werden wir keinen Schritt zurückweichen, wir werden den Feinden nichts überlasten und ihnen mit Mut und Ent schlossenheit entgegengehen. Wir werden die Gegner für den frechen Überfall bestrasen. Ihr Helden, gedenkt, daß Gott mit uns ist l Stössel, General." * Aus der Mandschurei hört man seit geraumer Zeit so gut wie nichts. Daß von japanischer Seite strengstes Stillschweigen über den Fortschritt ihrer Operationen gegen Kuropatkin bewahrt wird, ist allerdings nicht weiter auffällig, es entspricht ja ihrem von Beginn des Krieges an streng durchgeführten Prinzip; aber auch Kuropatkin ist in der letzten Zeit gänzlich verstummt, während er früher mit einer Ausführlichkeit, die manchmal in Er staunen setzte, über seine Aktionen Aufschluß erteilte. Ein gutes Zeichen für Rußland ist seine jetzige Schweigsamkeit schwerlich, und die Stimmen derer mehren sich, die das Spiel für die Russen als verloren betrachten. *Das Schicksal dec im Hafen von Schanghai befindlichen russischen Schiffe ist noch immer in der Schwebe. Wie verlautet, erwartet man dort» das Ein treffen der japanischen Flotte; Japan sei ent schlossen, die sofortige Ausfahrt der russischen Schiffe aus Schanghai zu verlangen oder deren Entwaffnung nach dem Vor bilde von Tsingtau zu erzwingen. * Die beiden Kreuzer des Wladiwostok- Geschwaders, „Rossija" und „Gromoboi", die nach dem Seegefecht in der Koreastraße mit Beschädigungen entkommen waren, während der dritte Kreuzer „Rurik" sank, find am Mitt woch in Wladiwostok eingetroffen. (Danach bestätigt sich der nachträgliche Untergang der .Rossija" nicht.) * * * Deutschland. * Der Kaiser gedachte Montag, 22. d. vor mittags, vom Schloß Wilhelmshöhe kommend, zur Teilnahme an der Truppenschau auf dem grotzenSandeinMainz einzutreffen, wo er von dem Großherzog Ernst Ludwig von Hessen empfangen wird. *Prinz Heinrich begab sich am Freitag zum Kaiser nach Wilhelmshöhe und wird von dort als dessen Vertreter zur Teil nahme an der Taufe des russischen Thron folgers nach Petersburg reisen. * Prinz Karl Anton von Hohen- zolIern ist am Mittwoch in Genua an Bord des Postdampfers „Sachsen" nach dem Kriegs schauplatz abgefahren. "Die Abreise des Prinzen Friedrich Leopold von Schloß Glienicke nach dem russischen Hauptquartier in Ostasten ist für Sonntag, den 28. d., festgesetzt. * Die Bevölkerung des Deutschen Reiches wird im neuesten ,Statistischen Jahr buche' nach dem Stande um Mitte dieses Jahres auf 59 495 060 Personen geschätzt. Bei der letzten Volkszählung, die am 1. Dezember 1900 stattgeiundsn hat, ist eine Einwohnerzahl von 56 367 178 Köpfen festgestellt, so daß in den seitdem verflossenen3Vr Jahren eine Bevölkerungs zunahme um etwa 3,13 Millionen oder 5,5 vom Hundert stattgefunden hat. Von 1895 bis 1900 hatte sich dis Bevölkerung um 4,09 Millionen vermehrt. Seit Errichtung des Deutschen Reiches bis Mitte dieses Jahres hat die Bevölkerung um rund 18,5 Millionen oder 45 vom Hundert zugenommen. * Gouverneur Oberst Leutwein ge denkt, Privatnachrichten zufolge, die aus Windhoek in Kiel eingetroffen find, zur Wieder herstellung seiner Gesundheit einen Urlaub nach Deutschland anzutreten. * Die Summen, die zur Entsch ädigung der südwestafrikanischen Ansiedler nötig sein dürsten, glaubt der Ansiedelungskommissar Dr. Rohrbach wie folgt annehmen zu können: für die Farmer 3,5 Millionen, für die Kaufleute 2,5 Millionen, für kleinere Verluste etwa 6- bis 700 000 Mk. Österreich-Ungar«. "In Troppau fand ein von vielen Tausenden besuchter deutscher Volkstag statt, wobei es zu Unruhen kam. Frankreich. * Die Aushebung derKongrega- tionen begegnet immer weiteren Schwierig keiten. Aus Clermont-Ferrand wird berichtet: Die Bevölkerung verhinderte am Mittwoch die Vertreibung der Ursulinerinnen zu Ambert und griff den überwachenden Gendarmerie-Offizier und den Gerichtsschreiber an. Da kein Schlosser das Tor des Klosters aufbrechen wollte, verließ der Liquidator den Platz und benachrichtigte die Behörden, daß es ihm unmöglich sei, den Auftrag auszuführen. * Die großen französischen Manö ver des 7. und 8. Korps, die in dem Departement Cote d'Or stattfinden sollten, werden wegen des Wassermangels ausfallen. Schweiz. * An der internationalen Regierungs konferenz für Arbeiterschutz, die im Mai 1905 in der Schweiz stattfinden wird, hat nach der ,Soz. Prax.' nunmehr auch die eng lische Regierung sich zu beteiligen beschlossen. Es liegen somit von sämtlichen ausschlaggebenden Staaten Europas, Deutschland, Osteneich- Ungarn, Belgien, Frankreich, Italien, Holland, Luxemburg, England und der Schweiz, Zusiche rungen der Teilnahme vor. Darauf gestützt, wird die schweizerische Bundesregierung nunmehr wohl im Herbst die offizielle Einladung erlassen, um die noch fernstehenden Staaten, vor allem die Ver. Staaten und Rußland, zur Beschickung der Konferenz zu gewinnen. Italien. *Das 44. Infanterie-Regiment, das in Viterbo in Garnison liegt, hat revoltiert. Nach einem längeren beschwerlichen Marsche verlangten die Soldaten Verteilung der Rationen. Sie warfen ihre Waffen weg und lehnten sich gegen ihre Vorgesetzten auf. Eine große Anzahl wurde verhaftet. (Von wem, wird nicht berichtet.) Rußland. "Die Taufe des russischen Thronfolgers Alexis wird am 24. d. in Petersburg statt finden. "Der neue Generalgouverneur von Finn land, Fürst Obolensky, ist in Helfingfors eingetroffen. Balkanstaaten. "Der Pforte mangelt es wieder einmal an Kleingeld. Aus Konstantinopel wird ge meldet, daß die Pforte neuerdings wegen einer Platzanleihe unterhandle im Betrage von 200 000 Pfund zur Bestreitung der Soldzahlung beim Fest der Thronbe steigung des Sultans. Amerika. "In Ecuador übersandten die Kammern der Regierung einen Antrag betr. die Trennung der Kirche vom Staat und die Konfiszierung der Kirchen- g ü t e r. Australien. "Das Arbeiter-Ministerium des australischen Bundes ist vom Amte zurückgetreten, nachdem der Gouverneur seine Zustimmung zur Auflösung des Parlaments verweigert hatte. Von äem erleben in 8üäwestafriba erzählt recht frisch ein Unteroffizier Willy Jentsch in einem Briefe vom 20. Juli aus Okosondieso, den der .Kottbuser Anzeiger' veröffentlicht. Der Briefschreiber gehört der Maschinengewehrab teilung unter Major v. Estorfs an. Wie sieht nun das Lager eines jeden Truppenteils aus? Mit dieser Frage leitet er seinen Bericht ein und beantwortet sie in folgender Weise: Ich beginne gleich bei unsrer Maschinengewehrab teilung. Zuerst kommt in vorderster Linie um den ganzen Truppenteil hemm ein 1V- Meter hoher Dornenverhau, der zum Schutze gegen nächtliche Überfälle dient; hinter demselben stehen im Abstand von 20 Schritt die abge- protzien Maschinengewehre und zwischen diesen unsere Villen. Es bewohnen die Mannschaften des 1. Gewehres die Villa zum blutigen Knochen, die des 2. den Gasthof zum hungern den Herero, die des 3., also des meinigen, die Villa Tintenfaß und die des 4. die Villa An schuß. Unsre Villen sind besser und praktischer wie im Manöver die Zelte, sie bestehen ganz aus Laubgeflecht, schützen gegen alle Witterungs einflüsse und find sehr geräumig, im Hinteren Teile bietet der Schlafraum genügend Platz für 12 bis 15 Mann. Der vordere Raum wird durch eine Laubwand vom Hinteren Teil ge trennt, in demselben befinden sich unser Tisch und Stühle, beides aus Wasserwurzeln herge stellt. Soch eine Wurzel wächst ungefähr 1 Meter unter der Erde, wiegt gegen 2 bis 3 Zentner und wird über 1 Meter hoch und 2 Meter breit. Ihr könnt Euch somit vor stellen, daß so ein Ding gute Tischplatten liefert, zumal man nur die Knollen durchzusägen braucht, auch unsre Waschbecken haben wir uns daraus hergestellt. Außer Tisch und Stühlen haben wir in dem Raum auch unsre Gewehrständer aufgestellt. Material dazu liefert ja die Natur hier in genügender Weise. Hinter unsrer Villa befindet sich der Feuerherd, der eine Plattform von 1V- Quadratmeter hat, um diese Plattform herum haben wir einen Graben gezogen, worin bequem gegen 15 Mann sitzen können. Da hinter stehen die Geschirr- und Sattelständer, ebenso die Ständer für die Schlafdecken. Letztere werden jeden Morgen nach dem Auf stehen darauf ausgebreitet und bleiben den ganzen Tag darauf hängen. Es darf hier überhaupt nichts auf dem Erdboden liegen, denn die Termiten würden es bald auffressen. Neben den Geschirrständen hat jedes Gewehr seine Protze stehen, ebenfalls mit 20 Schritt Abstand und gut ausgerichtet. Sowie die Sonne untergsht und die Pferdewache von der Weide heimgekehrt ist, begibt sich ein jeder zu seinem Gewehr, und nun beginnt ein gemüt liches Beisammensein um das Lagerfeuer; nachdem sich jeder das warme Abendbrot, Erbenkonserven, Reis, Tee, Kaffee oder was man sonst gerade gekocht, hat munden lassen, wird die Pulle (Rum enthaltend, V- Liter für 10 Mann) getrunken. Ihr müßt nämlich wissen, daß hier im Lande die beste Arznei der Rum und eine Pfeife Plattentabak ist, leider langt nur V- Liter-Pulle bei 10 Mann nicht weit, aber wenn es nicht mehr gibt, muß man auch mit wenigem zufrieden sein. Nach dem sich also ein jeder durch einen Schluck gestärkt hat, wird gesungen und komische Vor träge gemacht, so geht das fast alle Abende. Überhaupt herrscht hier bei uns in der Ost- abteilung eine große Gemütlichkeit, des öftem werden auch vom Stabe Spiele angesetzt, z. B. Sackhüpfen, Wurstschnappen, Wettlaufen und andres mehr, und bekommt jeder, der als Sieger hervorgegangen ist, seinen Preis. Von unä fern. Eine nette Rechnung, meint die ,Tägl. Rundsch.', wird der preußischen Eisenbahn- Verwaltung demnächst überreicht werden. Bei der auf Schloß Primkenau beratenden Kon ferenz, an der auch Herzog Ernst Günther, der Oberprästdent und der Eisenbahnpräfident teil nahmen, wurde als zweifellos festgestcllt, daß die Eisenbahnverwaltung wegen Fuukenfluges für den Schaden des großen Waldbrandes auf zukommen habe. Der Oberpräfident erstattete drahtlich Bericht an den Kaiser. Die Quelle der Oder ist nach einer Mel dung aus Mährisch-Ostrau versiegt. Eine weite Strecke liegt das oberste Flußbett völlig trocken. In Breslau beträgt am Oberpegel die Fahrtiefe nur noch 30 Zentimeter. Ein Gerichtsurteil vo« 274 Seiten. Im Verhältnis zu der länglichen Dauer des Pommernbank-Prozesses in Berlin steht das Urteil, das soeben den Beteiligten zugestellt worden ist. Wer es studieren will, muß sich durch einen dickleibigen Band von 274 Seiten hindurchwinden. Urost ist gerade in den allerheißesten Tagen in. Ostfriesland und in der Lüneburger Heide mehrfach eingetreten; die Buchweizenbauern und Imker erlitten dadurch beträchtlichen Schaden. Die Temperatur schwankte in solchen Fällen binnen eines halben Tages um mehr als 20 Grad. Zurzeit ist sie wieder gleichmäßiger und die Bienenvölker kämpfen ihre mörderischen Schlachten, denn „wenn die Heide blüht, fallen die Drohnen." Ein seltenes Fest feierte det Turnverein zu Kamen i. Wests. Vor 50 Jahren gründete, wie die ,Tägl. Rundsch.' meldet, der damalige Lehrer Karl Hammacher den Verein, wurde sein Erster Vorsitzender und hat das Amt nun 50 Jahre bekleidet, jahrelang zugleich Turnwart. Wie viel entsagungsvolle Mühe und Arbeit und Liebe zur Sache liegt darin! Noch heute ist er fast jeden Turnabend in der Halle und macht trotz seiner 82 Jahre noch oft der Altersriege die Stabübungen vor! Der Verein enthüllte seinem unermüdlichen Vorsitzenden vor der Turnhalle ein Denkmal mit seinem Brustbilde, eine seltene, aber wohlverdiente Ehre! Achtzehn Jahre als Brieftaube uner müdlich und unverdrossen von einer Stadt zur andern fliegen, ist gewiß ein redliches Stück Arbeit. Eine Taube aus der Zucht eines Lieb habers in Plauen i. V. hat es geleistet. 1868 wurde die Taube in Dienst genommen, den sie stets prompt besorgte. Nur einmal blieb die Leichtbeschwingte aus, und zwar beinahe neun Monate. Das Ziel des „Botenganges" war Metz. Dort hat sie richtig den Brief bestellt, sie muß also auf dem Rückwege vorübergehend dienstuntauglich geworden sein. Um so größer war die Freude, als die schon verloren Geglaubte eines schönen Morgens in Plauen wieder auf tauchte und sich durch Picken am Fenster zur Stelle meldete. Eine wegen der Dürre aufgehobene märkische Bauernhochzeit ist jedenfalls noch nicht dagewesen und gehört mit zu den Abnormitäten dieses Sommers. Die Hochzeit sollte in einem Dorfe in der Nähe von Potsdam, auf dessen Gemarkung weithin berühmte Kartoffeln ge wonnen werden, stattfinden und war für die nächsten Tage angesetzt. Jetzt haben aber die geladenen Hochzeitsgäste von dem Hochzcits- geber die Mitteilung erhalten, daß die Hochzeit bis zum Herbst verschoben sei, und zwar weil nicht bloß auf dem eigenen Acker, sondern auf der ganzen Gemarkung die Kartoffeln infolge der Dürre so schlecht geraten wären, daß man den Hochzeitsgästen ganz unmöglich seifig, schmeckende vorsetzen könne. Die Herbsternte würde voraussichtlich mehlige Kartoffeln bringen und bis dahin sei deshalb die Hochzeit ver schoben. O Ver Tauberer von Paris. 21 j Roman von S. I. Weymann. Heute wie damals ist es die Pflicht des französischen Richters, den Angeklagten genau zu beobachten und aus jedem wirklichen oder scheinbaren Selbstverrat des unglücklichen Ge fangenen, der natürlich unter dem Druck seiner Lage leidet, Vorteil zu ziehen. Der oberste Richter bemerkte, wie die Ge fangene die Anwesenden unruhig musterte. Er folgte forschend ihren Blicken und fragte, den formellen Beginn der Verhandlungen beiseite setzend, um den Augenblick auszunutzen, was Madame suche. „Solomon de Notredame aus der Rue Touchet!" „O!" rief der Richter, einigermaßen über- rascht, daß er so ohne weiteres zum Haupt punkte der Anklage würde schreiten können, „das ist ja wohl der Mann, von dem Ihr das Gift gekauft habt?" „Gift? Nein, nicht Gift! — Ja doch, es war Gist — aber ich glaubte, es sei ein Liebes trank !" „Ein Liebestrank? Und Ihr wagt dem Gerichtshöfe ein derartiges Märchen vorzu schwatzen? Ihr habt ja selbst soeben zuge standen, daß es Gift war, und seit wann ver wendet man Gift zum Liebestranke? Wißt Ihr denn nicht, Madame, daß wir Mittel haben, Euch zum Eingeständnisse der Wahrheit zu pressen? Wißt Ihr denn nicht, daß Ihr vor denen steht, die über Euer Leben und Tod, ja und mehr als das, zu entscheiden hüben? Sprecht die Wahrheit, Madame, denn nur dann könnt Ihr auf des Königs und Eurer Richter Gnade hoffen. — Ihr wußtet, daß es Gift war!" „Gott ist mein Zeuge, ich spreche die Wahr heit. Ich forderte einen Liebestrank!" „Madame, in diesem Hause befindet sich ein Keller, der sich gut dazu eignet, die Erinnerungen eines schuldigen Gewissens zu wecken und das Gedächtnis zu stärken. — Ihr wußtet, daß es Gift war!" „Gott allein kann in mein Gewissen schauen. Ich spreche die Wahrheit! Ich liebte meinen Gatten mehr als mein eigenes Leben!" „Narrheit, Madame! Ihr liebtet ihn — — und habt ihn vergiftet! Das ist mir eine schöne Art von Liebestrank! Und würden Eure Richter Euch Glauben schenken, so wäre in Zukunft kein Mann in ganz Frankreich vor solchen Liebestränken sicher!" Die beisitzenden Richter nickten zustimmend. Auch Madame sah, daß die Bemerkung des Vorsitzenden eine tiefe Berechtigung hatte. Sie schwankte einen Augenblick auf ihren Füßen und die Knechte mußten fest zupacken, um sie aufrecht zu erhalten. Würde sich Gott denn nicht endlich ihrer erbarmen? Sagte sie die Wahrheit, so be schuldigte man sie der Lüge. Sollte sie zur Lüge greifen? Doch dann würde sie eine Schuld auf sich laden und überdies sich doch nicht retten können. Sollte sie einfach die Richter bitten, so schnell wie möglich die un barmherzige Strafe des Gesetzes an ihr zu vollstrecken? Doch sie stand ja nicht hier, um ihr Leben zu verteidigen! Es galt ja den Namen ihres Vaters rein zu halten, den Namen der geliebten Mutter und der stolzen Ahnen! „Gott weiß es, ich liebte ihn! O, könnte ich mit ihm tauschen und an seiner Stelle auf der Bahre liegen! — Es war nur ein Zufall . . . eine Verwechslung ... der Trank war nicht für ihn bestimmt, sondern für mich!" „Eh?" rief der Richter und ein Summen des Erstaunens schwirrte durch den Saal. „Eh? Was sagt Ihr da?" „Der Trank war für mich bestimmt, nicht für meinen Gatten. Solomon de Notredame wies mich an, das Pulver in meinen eigenen Becher zu mischen — beide Päckchen auf ein mal, damit das Mittel desto stärker wirke — während der nächsten neun Tage, bis sich Venus mit Mars vereinigt!" „Und Ihr wäret weise genug, die Vorschrift des Schurken nach eigenem Gutdünken umzu ändern ? Ihr scheint mir in der Schwarzkunst wohlerfahren, Madame!" „Nicht nach eigenem Gutdünken. Solomon sandte mir einen Boten nach und trug mir auf, seine früheren Vorschriften zu änderm, weil mein Gatte eine dunkle Gesichtsfarbe besäße." „Ein prächtiger Grund, Madame! Ich glaube, es würde sich Euch lohnen, eine ge scheitere Ausrede zu ersinnen. — Doch halt, nicht zu viel auf einmal! Zunächst also der Bote. — — Wann wurde derselbe zu Euch gesandt?" „Unmittelbar, nachdem wir das Haus des Astrologen verlassen hatten. Er lies hinter uns her und holte uns bei der Kirche von St. Ger vais ein." „Und hat jemand anders dm Boten gesehen, als Ihr selber?" „Meine Dienerin Margot!" „Führt die Dienerin aus dem Saal!" be fahl der Richter. Dann wandte er sich wieder zu Madame. „Beschreibt mir den Boten. War eS eine Frau oder ein Mann?" „Es war ein Knabe!" „Ein Knabe, um zehn Uhr nachts? Hattet Ihr denselben schon vorher gesehen?" „Ich wußte, daß er dem Astrologen diente, denn ich hatte beide zusammen im Gasthaus Les Andelys getroffen!" „Und hattet Ihr denselben auch im Hause des Schwarzkünstlers gesehen?" „Nein!" „Nicht bei Eurem ersten Besuche?" „Nein!" „Aber doch wohl bei Eurem zweiten und dritten oder späteren Besuch?" „Ich war nur einmal dort!" „Vielleicht wird Euch Euer Gedächtnis später besser dienen. Ihr seid also jetzt an der Kirche von St. Gervais angelangt. Es war bereits Nacht und Ihr erkanntet den Knaben doch?" „Zuerst nicht, aber dann, als er zu sprechen begann." „Trotz der Dunkelheit?" „Er hatte ein so süßes Gesicht — ein Ge sicht, das in mir seltsame Erinnerungen weckte. Er hatte blaue Augen und schwarze Haare." „Es war Nacht, Madame: Bedenkt doch.
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