Suche löschen...
Ottendorfer Zeitung : 12.08.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190408126
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040812
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040812
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-08
- Tag 1904-08-12
-
Monat
1904-08
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 12.08.1904
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
politische Kunälckau. Der russisch-japanische Krieg. *Wie's um Port Arthur steht, läßt sich bei dm widersprechenden Berichten darüber nicht angeben. Die japanischen amtlichen Mel dungen wissen von einem bereits erfolgten und abgeschlagenen Sturme nichts; von einem solchen, der zwischen dem 3. und 5. d. stattgesunden haben soll und bei dem die Japaner furchtbare Verluste erlitten hätten, melden russtscheQuellen. Auch dieNachrichtenüber die Verproviantierung des großen Kriegshafens sind widerspruchsvoll; der Hunger soll wüten, berichten chinesische Quellen, während rusfischer- seits gemeldet wird, Port Arthur sei noch auf Monate hinaus mit lebendem Vieh versorgt. In Tokio ist man freudigst erregt durch die Nachricht von dem Selbstmord des Komman danten der Festung General v. Stössel, von dem man offenbar in Rußland nichts weiß. Nach russischer Auffassung ist Port Arthur un einnehmbar; nach einer Tschifu-Mitteilung be reiten sich die Russen zur Übergabe vor und erwidern das Feuer der Japaner schon nicht mehr. Wer hat recht? *Jn der Mandschurei ist es scheinbar wieder einmal für kurze Zeit still geworden, wie schon häufig nach größeren Kämpfen. Kuropatkin soll von Petersburg aus jetzt die strikte Weisung erhalten haben, nicht weiter zurückzuweichen, sondern angriffsweise vorzugehen. Sonstige Meldungen bringen nur die Nachlesen von den Gefechten der letzten Zeit. *Wie Admiral Togo meldet, näherten sich am 5. d. zwei japanische Torpedobootszerstörer dem Hafeneingang von Port Arthur. Vierzehn russische Torpcdobootszerstörer liefen daraufhin aus dem Hafen und versuchten, die japanischen Schiffe abzus chneid en. Als die Japaner Verstärkung erhielten, griffen sie die Russen an, die sich hierauf schleunigst in den Hasen zurückzogen. Die Japaner hatten keine Verluste; ob die russischen Torpedo- bvotszerstörer unbeschädigt in den Hafen zurück kehrten, ist nicht bekannt. * General Kuropatkin soll, über die russischenMißerfolge befragt, geäußert haben: „Für das Kennenlernen der uns bisher unbekannten japanischen Taktik haben wir nun mehr das Lehrgeld bezahlt; es ist zu hoffen, daß wir esinkurzemmitZinseszinsen zurückbekommen werden." * 4: 4- Deutschland. * Der Empfang der südwestafrika nischen Farmer durch den Kaiser ist nach einer Meldung der .Nordd. Allg. Ztg/ während der bevorstehenden Anwesenheit des Monarchen in Berlin in Aussicht genommen. *König Georg von Sachsen verlieh anläßlich seines 72. Geburtstages viele Orden und Titel an Beamte und Industrielle; auch begnadigte er zahlreiche zu Freiheitsstrafen verurteilte Personen. *Der Entwurf eines Gesetzes zur Ver besserung derWohnungsverhält- nisfe, wie er aus Grund der bisherigen Be ratungen von den beteiligten Ministerien aufge stellt worden ist, ist nebst Begründung im ,Reichsanz.' veröffentlicht worden. Der wichtigste Abschnitt des Entwurfs, der die Grundsätze über die Benutzung der Gebäude zum Wohnen und Schlafen aufstellt, entspricht den Be stimmungen des früheren Entwurfs. * Wie offiziös gemeldet wird, ist gegenwärtig eine Novelle zur Gewerbeordnung in Arbeit. Die Vorbereitungen dazu sind schon vor längerer Zeit in Angriff genommen worden. Veran lassung dazu gaben namentlich die Verhältnisse bei der Zulassung zu Gastwirtschaften. Indessen sind auch andre Fragen in Erwägung gezogen worden. So die, ob Arbeiter, die gegen ihre Mitarbeiter tätlich geworden find, sofort entlassen werden können. *Die Reichstags-Ersatzwahl in Schaumburg-Lippe ist auf den 1. Sep tember festgesetzt. * Nach einer Bekanntmachung des Reichs kanzlers ist die Erweiterung der Be - festigungsanlagen von Posen und ihrer Rayons in Ausficht genommen. * Interessante Ereignisse stehen, wie ver schiedentlich gemeldet wird, im bayrischen Landtage bevor. Bei Beratung des Antrags betr. Abänderung der Regentschaft soll es zu hochpolitischen Erörterungen kommen, bei denen unter Umständen die Öffentlich keit ausgeschlossen werden soll. *Mit dem Lloyddampfer „Wittekind" ging am 6. d. von Hamburg ein Truppen transport kür Südwestafrika mit 14 Offizieren, 350 Mann und 400 Pferden ab. *Für Südwestafrika soll, wie nach der ,Köln. Ztg/ in militärischen Kreisen be stimmt verlautet, in wenigen Tagen in Münster eine recht umfangreiche Verstärkung der Ver pflegungsformation zusammengestellt werden, nämlich eine weitere Proviantkolonne n- Abteilung und fünf Proviantkolonnen, außerdem eine Feldsignalabteilung mit Scheinwerfern. Nach Bildung der neuen Einheiten würden sie noch vor dem 28. d. abgehen und ihnen bald auch Ersatzformationen für die Feld-Regimenter und die Artillerie- Abteilungen folgen. Das Nachschieben der Ersatzeinheiten läßt darauf schließen, daß man auf eine längere Dauer der Kämpfe oder doch des Kriegszustandes in Südweftafrika rechnet. Öfterreich-Ungar«. * Nach jahrelanger Obstruktion der Tschechen drohen nunmehr die deutschen Parteien in die schärfste Opposition zur Regie rung zu treten. Der Vollzugsausschuß der deutschen Parteien beschloß, für den Fall, daß die Regierung fortfahren sollte, Maßregeln gegen die Deutschen Österreichs zu treffen, wie die Öffnung der deutschen Lehrerbildungsanstalten Schlesiens für Tschechen und die Errichtung italienischer Kurse an der Innsbrucker Universi tät, in der nächsten Session in die schärfste Opposition zu treten. Ministerpräsident Körber wurde von dem Beschluß verständigt. Italien. * Der Bruch zwischen Frankreich und dem päpstlichen Stuhle ist, wie in vatikanischen Kreisen erzählt wird, vom Papste fast mit Gleichmut ausgenommen worden, da er dieses Ereignis nicht etwa erst in der letzten Phase des Konfliktes herannahen sah, sondern von dem Eintritte dieser Wendung seit der Übernahme seines hohen Amtes überzeugt war. Leo XIII. war, um den Bruch zu verhüten, zu Zugeständnissen bereit, der neue Papst war dagegen stets der Ansicht, daß der Bruch unvermeidlich sei, es wäre vergebliche Mühe, ihn durch Zugeständnisse aufhalten zu wollen, die die Kirche an ihrer Würde und ihrem Ansehen beeinträchtigen könnten. In der Regel bedeute der diplomatische Bruch noch i n keiner Weise die Kündigung des Kon kordats und es ist deshalb noch lange nicht als feststehend anzuschen, daß diese Maßregel in der Absicht der französischen Regierung und der Volksvertretung liegt. Rußland. *Wie aus Kaukasien mitgeteilt wird, wurde nachts der Kreischef von Surmalin Oberst leutnant v. Boguslawski während eines Basars im Dorse Jgidyr durch einen Schuß getötet. Der Täter ist noch nicht ermittelt. Balkanstaaten. * Das europäische Geschwader der Ver. Staaten hat den Befehl erhalteü, nach den türkischen Gewässern abzugehen. Die Flottendemonstration hat den Zweck, auf die Pforte einen Druck auszuüben, da es dem ameri kanischen Gesandten in Konstantinopel nicht ge lungen war, eine zufriedenstellende Antwort des Sultans bezüglich der Rechte amerikanischer Bürger in der Türkei zu erhalten. * Die Verschiebung der Krönung König Peters, die nunmehr zweifellos ist, soll ihreürsache in weit ernsteren Umständen haben, als allgemein angenommen wird. Die Regie rung mußte zur Überzeugung gelangen, daß die Stimmung in der Bevölkerung nicht allein infolge der wirtschaftlich schlimmen Lage gegen die Krönungsfeier gerichtet sei, sondern hauptsächlich deshalb, weil die Volksmeinung sich noch immer nicht mit dem verbreche rischen Thronwechsel ausgesöhnt hat, und Kundgebungen in diesem Sinne anläßlich der Krönungsseier in einem großen Teile des Landes befürchtet werden mußten. Amerika. *Der von den Demokraten als Kandidat für die Präsidentschaft der Ver. Staaten aufgestellte Oberrichter Parker hat sein Amt als Chefrichter des Appellhofes von New Jork niedergelegt. Alle Politiker find von diesem Schritte überrascht. Er zeigt damit ein starkes Vertrauen Parkers in den Ausgang der Präfidentschaftswahl, da sein Nachfolger im Richteramt in diesem Jahre für einen langen Termin gewählt wird. Afrika. * Wie aus verschiedenen Nachrichten in letzter Zeit ersichtlich war, scheinen dieZuständein der ehemaligen Burenrepublik durchaus noch nicht geordnet zu sein. Neuer dings haben sich nun die Burenführer geweigert, dem Vorschlag der Regierung beizupflichten, daß ein Drittel des Gesetzgebenden Rats ernannt und zwei Drittel gewählt werden sollen. Sie erklären, sie können nichts annehmen als einen vollständig gewählten Ge setzgebenden Rat. Asien. *DieenglischeTibet-Expedition hat am 3. d. ohne weitere Kämpfe wohlbehalten die „heilige Stadt" Lhassa erreicht. Ku Mick es, von äem nichts bekannt wirä. Unter diesem Titel veröffentlicht die Zeit schrift ,Kuznica' eine Reihe interessanter Skizzen aus Russisch-Polen. 1) Das Warschauer Publikum kehrt aus dem Konzertgarten „Bagatela" zurück. Die Straßen bahn ist überfüllt. Da ein Polizeikommisfar keinen Platz für seine Frau darin findet, ver haftet er den ersten besten Passagier, läßt ihn durch einen Schutzmann nach seinem Revier bureau abführen und bietet den nun frei gewordenen Platz seiner Frau an. Nach zwei Stunden findet er beim Betreten seines Bureaus den Verhafteten darin vor. Er klopft ihm nun leutselig auf die Schulter mit den Worten: „Ach, Sie sind noch hier? Gehen Sie nur ruhig nach Haus, die Sache hat sich aufgeklärt!" Was tat jener Herr? Nun, er ging ruhig von dannen. 2) In einem Städtchen Russisch-Polens, im Gouvernement Lublin, findet ein Ball statt. Es erscheint darauf ein Finanzbeamter, voll ständig betrunken, und will tanzen. Einige junge Männer werfen ihn zur Tür hinaus. Nach einer Weile kehrt der Beamte unter Polizeibedeckung zurück, flucht, zetert und be nimmt sich derartig, daß die Damen sich schleunigst entfernen. Andern TageS reichen die jungen Leute bei der Gouvernements- Verwaltung eine Beschwerde gegen den be treffenden Beamten ein. Es wird ihnen aber dort der Rat zu teil, d°e Beschwerde zurück zuziehen, da die Sache ein „häßliches Ende" nehmen könne. Angeblich soll nämlich einem Beamten im Ballsaal die goldene Uhr und ein Portefeuille mit einigen Hundert Rubeln ver loren gegangen sein. Man verdächtige natürlich niemand, aber die Sache könne unangenehm werden usw. So ging auch dieser Beamte straffrei aus. 3) Ein Herr A. eilt quer über die Trebacka- straße in Warschau und wird von einem Wagen überfahren. „Paß doch auf," ruft er dem Kutscher zu, der ihm als Antwort die Zunge zeigt. Nun ruft A. einen Schutzmann herbei, der den Wagen anhält. Aber aus dem Fenster beugt sich der Eigentümer des Wagens, über häuft den überfahrenen mit Schimpfwörter! und gebietet dem Schutzmann, den überfahrenen zu verhaften, was der Polizeibeamte auch tut. Auf die Frage des Verhafteten, wer jener Herr war, der ihn verhaften ließ, entgegnete der Schutz mann : „Ich kenne ihn nicht genau, es ist aber ein hoher Beamter." Es war tatsächlich ein „der Person des Gouverneurs beigegebener Beamter", wie es in der russischen Amtssprache heißt. Herr A. kam auf 24 Stunden ins Potizeigefängnis und wofür? Weil der Kut scher eines Beamten ihn überfahren und ihm dann die Zunge gezeigt hatte. Was tat Herr A. ? Er saß ruhig die 24 Stunden ab. 4) Ein Herr S. fährt auf seinem Zweirad die Mokotower Chaussee in Warschau entlang. Ein Beamter hält ihn an. „Wohin fahren Sie?" „Spazieren." „Haben Sie die Er laubnis aus dem Rade zu fahren?" Herr S. zeigt das rote Billet vor. „Das gilt für das Rad, aber nicht für den Fahrer," wird ihm bedeutet. „Der Fahrer hat einen Paß," erklärt Herr S. „Ach was, Paß," sagt der Beamte, „jeder Spitzbube hat einen Paß!" Was tat Herr S. ? Nun, er zog einen halben Rubel hervor. Und was tat der Beamte? Er steckte das Geld ein und sah sich um, ob nicht ein zweiter Radler in Sicht sei. 5) Ein bekannter Gynäkologe wird von einem Husurenosfizier aufs Land zu dessen Frau gerufen. Als ihm darauf ein sehr geringes Honorar angeboten wurde, nahm er dasselbe nicht an. Der Offizier überwies das Geld dem Roten Kreuz — im Namen des Arztes. Letzterer gab der Verwaltung des Roten Kreuzes eine diesbezügliche briefliche Ausklärung. Was tat die Verwaltung? Sie steckte das Geld ein und schwieg. 6) Herr L. bemüht sich um einen Auslands paß. Alles ist erledigt. Der Beamte hat den Paß in der Hand und findet keinen Grund, ein Trinkgeld herauszupressen. Da kommt ihm plötzlich ein genialer Gedanke. „Haben Sie einen Julandspaß?" fragt er. „Natürlich, hier ist er," entgegnet Herr L. „Dann kann ich Ihnen den Auslandspaß nicht geben, denn eine Person kann nicht im Besitze zweier Pässe sein." Was tat nun Herr L. ? Er legte einige Rubel auf den Tisch, und plötzlich konnte eine Person ohne weiteres zwei Pässe ihr eigen nennen. Von unä fern. Ein Geschenk Kaiser Wilhelms an den König von Dänemark. Der deutsche Gesandte von Schoen hat dem König Christian ein Gemälde der Maler Noster und Bohrdt als Geschenk des deutschen Kaisers überreicht. Dasselbe stellt Kaiser Wilhelm in dänischer Admiralsuniform auf Deck eines Linienschiffes dar. Im Hintergründe ist die Kopenhagener Reede mit der „Hohenzollern" und mehreren Kriegsschiffen sichtbar. Großes Bahnunglück in Amerika. Bei Pueblo im Staate Kolorado stürzte ein Eisen bahnzug in die Fluten des Missouri. Mehr als 100 Personen fanden dabei den Tod. Seine 100. Ozeanreise macht der gegen wärtige Führer des von New Jork nach Deutschland kommenden Norddeutschen Lloyd- dampfers „Bremen", Kapitän Mierech. Er hat 1869 seine seemännische Laufbahn begonnen, in der er niemals einen Unfall zu verzeichnen ge habt hat. Seit 1889 ist er Kapitän. Am 27. Januar 1898 rettete er die ganze Mann schaft des britischen Dampfers „Jago", der auf hoher See in einem Orkan unterging. Er erhielt für diese brave Tat englische und deutsche Auszeichnungen, sowie ein Geschenk der Königin Viktoria. Die Dürre. Auch das gesamte Strom gebiet der Weichsel ist soweit ausgetrocknet, daß jede Schiffahrt unmöglich geworden ist. Feuer im Kaliwerk. Auf dem unweit Alfeld gelegenen Kaliwerk der Gewerkschaft „Desdemona" entstand am 6. d. in dem in Betrieb befindlichen Förderturm auf unaufgeklärte Weise Feuer, das den Turm in kurzer Zeit ein- äscherte. Die Trümmer des Turmes versperrten den Ausgang des Schachtes, in dem sich eine größere Anzahl Bergleute befand. Die Feuer wehren, die sich auf den Schutz der benachbarten massiven Bergwerksgebäude beschränken mußten, waren aufs äußerste bemüht, den Ausgang des Schachtes von den Trümmern zu befreien, nm die Bergleute zu retten. Es gelang schließlich, das Feuer auf seinen Herd zu beschränken. K Ver Tauberer von Paris. 16j Roman von S. I. Weymann. «Fortsetzung.» Alle Hände waren bereitwillig, auf das un glückliche Mädchen zu deuten und ihr die träufelnden Kerzen in das Gesicht zu halten, damit der Kapitän sie besser erkennen konnte. Margot wurde vorwärts gezerrt, bis sie zitternd vor dem gefürchteten Mann stand. Der Kapitän hatte jedoch kaum zur ersten Frage an gesetzt, als das Mädchen mit einer plötzlichen Gebärde der Verzweiflung sich vor ihm auf die Knie warf. Sie war das Bild des leibhaftigen Entsetzens und händeringend rief sie aus, daß sie alles gestehen werde — alles, wenn man sie nur schonen und nicht der Folter unter werfen wolle. „Sprich, Mädchen!" sagte der Kapitän mit einem raschen Seitenblick auf Madame. „Sprich, Mädchen, aber nur die Wahrheit!" Die Folter mit allen ihren unheimlichen Instrumenten schien einen schwarzen Schatten in das Zimmer zu werfen. In diesen Zeiten lag das Verbrechen des Giftmordes wie ein Schreckensgespenst auf der Seele des französischen Volkes, namentlich glaubte man allgemein, daß treulose Frauen oft zu diesem Mttel griffen, um sich des Ge mahls, dessen sie überdrüssig geworden, auf bequeme Weise zu entledigen. Es kam so weit, daß die Ehemänner sich vor ihren Frauen nicht mehr sicher fühlten, die ja oft Beweggründe und stets Gelegenheit hatten, das Verbrechen im geheimen zur Aussühnmg zu bringen. Die Strenge des Gesetzes hielt mit der Gefahr gleichen Schritt; je schwerer sich die Entdeckung der Schuldigen bewies, desto furchbarer war das Geschick derer, die schuldig oder unschuldig einen Verdacht auf sich lenkten. Trotz ihrer hohen Stellung, trotz ihrer Blutsverwandtschaft mit den edlen Familien Bourbon und Tremouille entging die Prinzessin von Condö nicht den Qualen der Folter, als die öffentlicke Stimme sie als Mörderin be zeichnete. Ost genügte der plötzliche Tod eines hochgestellten Mannes, dis ganze Dienerschaft den Schrecken des peinlichen Verfahrens zu überliefern, und in erster Linie suchte man von der vertrauten Dienerin der Gattin Geständnisse zu erpressen. Derartige Ereignisse wurden gierig aufgegriffen, um in den Gefindestuben mit allen grausigen Einzelheiten verhandelt und durchgeklatscht zu werden. Das Schreckliche bot von jeher der Phantasie der Ungebildeten in hohen und niederen Schichten einen be sonderen Reiz. Margot hatte derartigen Schilderungen oft mit wonnigem Grausen gelauscht, doch jetzt plötzlich hatte sich ihre Rolle geändert: anstatt von der gemütlichen Gesindestube aus den Blick neugierig in die Geheimnisse der Folter kammer zu werfen, sah sie sich plötzlich selber der drohenden Gefahr gegenüber, zur praktischen Erkenntnis dieser Geheimnisse zu gelangen. In ihrer Furcht, daß der günstige Augenblick eines Geständnisses unbenutzt vorübergehen könnte, war sie bereit, alles zu opfern, — ihre Treue zu der Herrin, der sie so viele Wohltaten ver dankte — ja im Notfälle diese Herrin selbst. „Ich will alles gestehen, alles!" jammerte sie. „Ich schwöre bei der heiligen Jungfrau, ich werde die reine Wahrheit sagen und nichts verheimlichen. Sie ging heute abend zu einem Hause im Quartier Tournelles!" „Sie? Weib, wen meinst du mit sie?" fragte der Kapitän. „Die gnädige Frau. Sie blieb über eine Stunde dort und ich wartete vor der Tür. Sie hatte mir gesagt, ich solle mich von nie mand sehen lassen. Als wir zurückkehrten, lief ein Knabe hinter uns her. Madame schickte mich fort und sprach mit dem Knaben vor der Kirche von St. Gervais. Ich konnte nicht ver stehen, was sie zusammen sprachen. Als wir nach Hause zurückgekommen waren, legten wir uns zur Ruhe. Nach einiger Zeit kam Madame zu meinem Bette, um zu sehen, ob ich schliefe. Dann huschte sie aus dem Zimmer und kam hierher. Ich schlich ihr jedoch nach und sah, daß sie etwas in den Krug dort tat. Was es jedoch war, und in welcher Absicht sie den Trank mischte, weiß ich nicht, so wahr mir die heilige Jungfrau helfe! Ich schwöre, daß ich es mcht wußte!" Der Kapitän wies sie barsch zur Ruhe. Dann drehte er sich langsam zu der bleichen Frau an seiner Seite. „Madame," sagte er mit scheuem Blicke und unsicherer Stimme, „Madame, ist dies Wahrheit?" Sie stand bewegungslos, beide Hände an den Busen gepreßt, gleich einer Statue aus weißem Marmor. Ihr Blick war nach oben gerichtet — ausdruckslos, starr und leer. Es war, als hätte der eisige Hauch des Schicksals den Lebensfunken in ihr erlöscht und Seele und Blut, Körper unk> Geist zur starren Masse ge wandelt. Sie schien kaum zu atmen; kein andrer Laut war vernemlich, als das Klage geheul des Windes im Kamin. Der Chevalier glaubte, Frau von Vidoche habe seine Frage nicht gehört. Er war erst kürzlich aus dem Heere zum Polizeidienst ver setzt worden und fühlte sich in seiner neuen Be- schäftigunq nicht wohl; wenn ihm jedoch seine neuen Pflichten jemals zuwider gewesen, so war es in diesem Augenblick. Er vergaß, daß er als strenger Beamter der Gerichtsbarkeit im Zimmer stand. Ein menschliches Rühren über kam ihn und er neigte sich flüsternd zum Ohr der armen Frau. „Ist es wahr?" wiederholten endlich die blutlosen Lippen und in dem Schweigen drang jede Silbe deutlich bis in die entfernten Winkel. „Ist es wahr, daß ich meinen Gatten getötet habe? Ja, ick> habe ihn getötet. Ich liebte ihn und jetzt habe ich ihn vergiftet... ich liebte ihn, wie kein Mensch vorher geliebt wurde ... ich hatte ja niemand anders, den ich lieben konnte und jetzt habe ich ihn ge tötet . . . Gott hat erlaubt, daß es geschehen sollte... Es ist Wirklichkeit... Ihr lebt und ich lebe, aber mein Gatte ist tot. Es ist kein Traum . . . Gott hat es zugelassen." „Mein Gott!" murmelte der Kapitän, wäh rend einige der Frauen schluchzend den Kopf in ihren Tüchern verbargen; „mein Gott! Sie ist wahnsinnig!" Aber Madame war nicht wahnsinnig oder doch nur für einen kurzen Augenblick.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)