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Ottendorfer Zeitung : 03.08.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190408035
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040803
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040803
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-08
- Tag 1904-08-03
-
Monat
1904-08
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 03.08.1904
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politische Kuncilckau. Ter japanisch-russische Krieg. *Nach dem erfolgreichen Vorgehen der Japaner bei Niutschwang und Taschit - schiao ist auf dem Kriegsschauplätze eine momentane Ruhe eingetreten. Die noch ein gelaufenen Meldungen beschränken sich auf eine mehr oder minder ausführliche Schilderung der Kämpfe der letzten Tage. Nach einer dem ,Berl. Lok.-Anz.' zugegangenen Meldung aus Tientsin rüsten sich die Japaner nunmehr zum energischen Angriff auf Port Arthur. Der Sturm soll mit 80000 Mann unternommen werden. In Petersburg gibt man sich der Hoffnung hin, daß Port Arthur zu halten sein wird, während die Japaner vom Gegenteil überzeugt find. M * Deutschland. * DieKais erj a ch t „H o h e nz o ll ern" befindet sich auf der Rücksahrt; sie ist am Freitag in Molde eingetroffen. Bald darauf lief auch dort das deutsche Ubungs- geschwader ein. * Der Bruder der Kaiserin, Herzog Ernst Günther von Schleswig-Holstein, läßt einen von ihm an Geh. Rat Budde ge richteten Brief veröffentlichen, worin er sich sehr energisch dagegen verwahrt, mit dem „Konto L" in der Mirbach-Affäre in Verbindung gebracht zu werden. Er habe nie ein Hehl daraus ge macht, daß er die P o mm ern b a n k und ihre Leiter für ungeeignet zu einer näheren Ver bindung mit dem Hofe gehalten und daß er ein Gegner der Art und Weise sei, wie Frh. von Mirbach „freiwillige" Spenden veranlaßt habe. Für die .Deutsche TageSztg.' bedarf es keines weiteren Wortes, „daß nach einem solchen Brief der Oberhofmeister nicht in seinem Amte bleiben kann." Die Kritik, die der Bruder der Kaiserin an dem Vorgehen des Oberhosmeisters übte, sei „ganz ungewöhnlich und geeignet, im höchsten Maße Aufsehen zu erregen, obwohl sie nach Lage der Sache begründet und gerechtfertigt erscheinen muß." * Der neue deutsch-russische Han delsvertrag ist am Donnerstag in Berlin durch den Reichskanzler Grafen v. Bülow und den Präsidenten des russischen Ministerkomitees Herrn v. Witte unterzeichnet worden. — Herr v. Witie, der eigentlich nach Paris weiterfahren wollte, ist mit Rücksicht auf die Ermordung seines Kollegen v. Plehwe sofort nach Petersburg zurückgereist. *Zu den neuerlichen Gerüchten wird an geblich authentisch gemeldet: Der Gouverneur Oberst Leutwein hat keinen Urlaub nachgesucht, auch ist es nicht wahrscheinlich, daß er in nächster Zeit ein solches Gesuch stellt, da er schon seit der Abgabe des Truppenkommandos die Absicht ausgesprochen hat, daß er im August eine Inspektionsreise nach dem Großnamalande machen will. Von der Mitteilung, daß der Generalleutnant v. Trotha gemeldet habe, er müsse nun sofort den Angriff auf die Hereros beginnen, weiß man amtlicherseits nichts. Der Angriff ist auch tatsächlich noch nicht erfolgt und nicht in Aussicht. (Nun weiß man ja ganz genau, wie es steht.) Öftere.. ich-Ung ar«. * Kaiser Franz Joseph ordnete nach dem Militär-Verordnungsblatt' die Enthebung des Feldmarschalleutnants Erzherzog Otto, auf Grund des von demselben aus Gesundheitsrücksichten gestellten Ge suches, vorbehaltlich späterer anderweitiger Ver wendung im Dienste, von seinem Kommando als Chef der Kavallerie-Division in Wien an. — Die Begründung der Enthebung des Erz herzogs Otto, des jüngeren Bruders des Thronfolgers Franz Ferdinand, „mit Gesund heitsrücksichten" deutet nur zum geringsten Teile die wahren Motive dieser Aufsehen er regenden Tatsache an. Erzherzog Otto weilt schon seit längerer Zeit nicht mehr am öster reichischen Hose. In der Bevölkerung werden die Gründe, die ihn von der Residenz fern halten, mit lebhaftem Bedauern erörtert. — Ein andrer Erzherzog, dessen Verhältnis zu einer Hosratstochter in Prag durch einen halb jährigen Urlaub behandelt werden sollte, kehrt jetzt angeblich geheilt nach Böhmens Haupt stadt zurück. Ruhland. Ministerv. Plehweist am Donners tag mittag das Opfer eines Bomben- Attentats geworden. Er war im Begriff, nach dem Sommerpalast des Zaren zum Vor- trag zu fahren. In der Nähe des Warschauer Bahnhofes wurde von einem Restaurant aus eine Bombe unter seinen Wagen geworfen, der in tausend Stücke ging. Herr v. Plehwe wurde dabei förmlich zerfetzt, auch sein Kutscher ist tot. Es sollen noch zahlreiche Passanten verwundet sein. Durch den Lustdruck platzten ringsumher Tausende von Fensterscheiben. Der Mörder des Ministers v. Plehwe nennt sich Poros- niew; er soll einem nihilistischen Komitee ange hören. Er selber wurde verwundet und im Hospital operiert. Dadurch soll die Lebensgefahr, in der er schwebt, beseitigt sein; doch konnte er noch nicht eingehend vernommen werden. * Plehwe ist 58 Jahre alt geworden. Er war der Nachfolger des gleich ihm beim Volke verhaßten und gleich ihm ermordeten Sipjagin. Angesichts des neuen Mordes wird an eine Äußerung erinnert, die Plehwe gleich nach seiner Ernennung zum Minister gegenüber einem Matin'-Mitarbeiter tat. Er sagte u. a.: „Attentate werden vielleicht in den nächsten zwei Monaten noch Vorkommen. Ich bin sicher, daß sie dann seltener sein werden. Die revolutionäre Partei ist nur stark durch die Schwäche der Polizei. In zwei Monaten wird die Polizei stark sein. Der ehemalige Polizei chef kannte seine Pflicht nicht, er war zu schwach, ich habe ihn ersetzt und habe völliges Ver trauen zu der Tätigkeit des neuen Polizeichefs." *An Einzelheiten über das Atten tat kann das ,Berl. Tgbl.' noch folgendes melden: Der Attentäter stürzte in dem Augen blick, als Plehwe in geschlossener Kutsche die Tür des Gasthauses passierte, auf die Straße und schleuderte die Bombe gegen den Wagen. Eine furchtbare Detonation erfolgte. Der Minister und der Kutscher waren sofort tot, der Wagen lag in Trümmern. Ein hinter dem Wagen auf dem Rade herfahrendcr Geheim polizist wurde leicht verwundet. "Bei einer zweiten, dem Wagen deS Ministers folgenden Kutsche, in der zwei Agenten saßen, wurde der Kutscher leicht verwundet, desgleichen ein auf dem Trottoir stehender Geheimagent, der dann den Attentäter sofort verhaftete. Der Attentäter ist ein junger blonder Mann mit dunklem Schnurrbart, er trug die Uniform der Eifen bahnschaffner und rief mit nichtrusfischem Dialekt aus: „Nieder mit der Regierung und den Ministern!" Auf der Stelle, wo die Bombe niederfiel, ist ein großes Loch ins Pflaster und in die Erde gerissen. Auch mehrere Passanten wurden leicht verwundet. * Wie der Hamburger Korrespondent der ,Frkf. Ztg.' von besonderer Seite aus Peters burg erfährt, find bei dem Bombenattentat außer dem Minister v. Plehwe noch 20 Personen umgekommen. — In Wien glaubt man mit Bestimmtheit zu wissen, daß das Attentat be reits am Mittwoch abend stattgefunden habe; die Zensur hätte aber alle Depeschen da rüber zurückgehalten. Frankreich. * Der ministerielle ,Temps' gibt dem russi schen Bundesgenossen guten Rat. Er schreibt: Plehwe sei ebenso seiner reaktionären Gesinnung wie den bereits in Industrie und Handel schwer fühlbaren Folgen des Krieges zum Opfer gefallen. Es sei h o ch an derZeit, daß die russische Regierung der unerträglichen Lage im Innern ein Ende mache und politische und Verwaltungs-Maß regeln ergreife, die, wenn schon nicht denen der Weststaaten gleich, so doch dem erwachenden Volkswillen Rechnung tragen. *Die Entsendung der französischen Kreuzer „Kleber" und „Galilöe" nach Tanger ist als Beginn des kräftigen Eingreifens Frankreichs in die marokkanischen Angelegenheiten anzu sehen. Unter dem Schutze der beiden Kriegs schiffe wird zunächst die französische Polizei in Tanger und Umgegend ein gerichtet werden. Das weitere Vorgehen hängt von der Haltung der umwohnenden Stämme ab. * Der Bischof von Dijon ist nach Rom abgereist. (Also doch!) Balkanstaaten. * Zur Dardanellenfragc wird aus Konstantinopel gemeldet, es sei zweifellos, daß sich englische Kreuzer vor die Dardanellen legen werden, wenn Schiffe der russischen Freiwilligen- Motte die Erlaubnis zur Passage durch den Bosporus erhallen. Vie russischen Zchisisbeschlag- nahmen. Mit wachsendem Staunen hört man von stets neuen Beschlagnahmen neutraler, nament lich englischer Schiffs durch Kreuzer der russi schen Frciwilligen-Flotte. Man sollte annehmen, daß man in Petersburg allen Grund hätte, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben und es ist daher unbegreiflich, daß die russische Regie rung nicht energisch für Abstellung der Be schwerden sorgt, die in nicht mißzuverstehender Form von feiten Englands erhoben werden. Merkwürdigerweise ist ein Teil der russischen Presse nicht dieser Ansicht. Der von dem englischen Botschafter in Petersburg anläßlich der Beschlagnahme der „Malacca" überreichte Protest schließt mit dem Hinweise, daß eine „sehr ernste" Lage geschaffen sei. Dis ,Now. Wrem.' bemerkt dazu: „Die britische Politik liebt es, ernste Lagen zu schaffen. Im Jahre 1878 wurde auch eine ernste Lage geschaffen, als unsre siegreiche Armee vor den Toren Konstantinopels stand, und ein festes Wort genügte, um die Dardanellen und den Bosporus zu besetzen. Wir nahmen diese ernste Lage für ernst; die aus London kommenden Versicherungen, daß England bereit sei, uns den Krieg zu erklären, daß seine Flotte den Befehl erhalten werde, die Dardanellen zu forcieren, wurden von uns als unumstößliche Wahrheit genommen. Wir gaben nach und gerieten im Resultat unter das internationale Gericht, daS die Früchte unsrer Siege schmälerte. Bald nach dem Berliner Kongreß überzeugten wir uns, aber zu spät, daß damals nicht unsre, sondern die englische Lage ernst erschien. Die britische Regierung hatte ein ris kiertes Spiel getrieben; sie fürchteie das eine Furchtbare, daß wir nicht nachgeben werden und England dann Krieg führen müßte. Nichts fürchtete man in Rußland so wie die eventuelle Unvermeidlichkeit, mit England Krieg zu führen, das durch einen fast einjährigen Krieg auf zwei Fronten erschöpft war. Aoer die bis zur Frech heit kühnen britischen Minister riskierten es, den Erfolg durch bloße Schreckmittel zu erringen. Die Wahrheit des Sprichwortes, daß nur der gewinnt, welcher riskiert, ist von dem britischen Ministerium im Jahre 1878 glänzend erwiesen worden. Allen ist der zweite glänzende Erfolg der britischen Diplomatie erinnerlich, der allein durch das System der Drohungen erreicht ist: Faschoda. Frankreich gab den bloßen Drohungen Englands nach, und doch war England tatsächlich niemals weniger bereit, seine Forderungen durch den Krieg zu unterstützen. Aber die britischen Minister klimperten so geschickt mit den Waffen, daß sie Frankreich durch bloße Noten erschreckten. Frankreich gab nach, verlor auf immer seine Stellung in Ägypten und überzeugte sich auch erst „xost ksstum", daß England mit ihm eine ebenso geschickte Komödie gespielt hat, wie mit uns im Jahre 1878. Sind nicht auch in dem „Ernst" der Lage, der angeblich wegen der Beschlagnahme der „Malacca" emporwächst, die Elemente jener glänzenden, hypnotisierenden Ein schüchterung vorhanden, die sich in den beiden von uns angeführten Fällen so erfolgreich er wiesen hat? Allerdings, nach den Erfahrungen des zweijährigen Burenkrieges mit seinen ge waltigen Ausgaben und neuen Steuerlasten sollte diese Waffe stark abgestumpft erscheinen müssen. Bian wird natürlich einwenden, daß die britische Flotte damals keinen Prüfungen unter zogen wurde und bis jetzt das Prestige Eng lands zur See nicht erschüttert ist. Aber wer kann dafür bürgen, daß die Geschicke Englands sich unbedingt zur See entscheiden müssen? In jedem Falle ist es bei der jetzigen Methode der Einschüchterung zeitgemäß, daran zu erinnern, welche Wirklichkeit sich hinter jenem Trugbilde barg, das die britische Diplomatie so kunstreich hervorzuzaubern verstand. Es ist besser, über Streitfragen des internationalen Rechts zu ver handeln, als zu Drohungen zu greifen." Unterschätzung des Gegners, die ja stets mit eigener Uberhebung verbunden ist, ist stets ein grober Fehler, das sollte der Verlauf des Krieges in Ostafien die russische Presse doch ge lehrt haben. Im übrigen befindet sich die ,Now. Wr.' auf ganz falschen Wegen. Daß England 1878 nicht in der Lage war, ihre Drohung zu verwirklichen, möchten wir bezweifeln; heut liegen die Verhältnisse jedenfalls ganz anders. Damals war Rußland durch einen verlustreichen Krieg geschwächt, stand aber siegreich vor Konstantinopel. Heut erwehrt es sich nach einem ungünstigen Feldzuge nur mühsam der Streiche der Japaner, seine Flotte ist in ihrem besseren Teile lahm gelegt. Bessere Chancen könnten sich England kaum bieten, wenn es be absichtigte, den Rivalen in Ostasien sür abseh bare Zeit lahm zu legen. Von unci fern. Dante iu Berlin — das ist die künst lerische Revanche, welche Italien sür die Gabe unseres Kaisers an Italien, für Goethe in Nom, plant. Die ,Scena illustrata', das in Florenz erscheinende vornehmste illustrierte Kunstjournal Italiens, hat die Idee gehabt, Italien müsse als Gegengabe für Goethe in Rom ein Stand bild Dantes der deutschen Neichshauptstadt widmen. Dante gilt den Italienern als die edelste Gestalt unter ihren Dichtern, und so sucht das Blatt für seinen schönen Gedanken Stimmung zu machen. Die ,Scena' beschränkt sich vorläufig darauf, einen Aufruf sür eine italienische Subskription zum Zwecke der Er richtung einer Statue des unsterblichen Ghibellinen in Berlin anzukündigen. Die bedeutendsten Männer Italiens auf dem Gebiete der Literatur, der Wissenschaften und Künste sowie die hervor ragendsten Zeitungen stimmten freudig diesem Plane einer nationalen Courtoiste zu, und der kürzlich verstorbene Philosoph Giovanni Bovio schrieb: „Der Vorschlag, ein Dantemonument nach Berlin als Gegengabe für die Goelhe- statue in Rom zu schicken, ist schön. Wohin er auch kommen wird, wird er Gedanken, Sprache und Glück Italiens bringen." Reife Trauben an der Mosel. In Winningen, dem bekannten Moselweinorre, wurden infolge des außergewöhnlich heißen Sommers in einem Weinberge des Weinbau bezirkes bereits die ersten reifen Trauben ge funden. K Der Tauberer von Paris. 12j Roman von S. I. Wehmann. ,U°n'etzu.!g.i Jede Minute schien der Gräfin eine Ewigkeit, und das schwarze Zimmer schien ein Grab tief unter der Oberfläche der Erde. Die Totenstille und das Geheimnisvolle der Um gebung, die schwarzen Behänge an den Wänden, die Hoden Kerzen mit ihrem gelblich flackernden Lichte und überdies die kabbalistischen Zeichen, die sich in dem unsteten Lichte gräßlich zu ver zerren schienen, füllten die zarte Frau mit un heilvollen Ahnungen. Sie war von Natur furchtsam und zurück haltend ; nichts andres als der quälende Durst ihrer vergeblich schmachenden Seele, das un befriedigte Sehnen nach der Liebe ihres Gatten konnte sie zu dem verzweifelten Schritte be wegen, sich dem Schwarzkünstler anzuvertrauen. Und so kam es, daß sie sich plötzlich inmitten der mystischen Welt des Zauberers fand. Aus ihren Wangen war die Farbe gewichen, aus ihren Augen sprach Entsetzen, sie wagte nicht einmal, zu ihrem Schöpfer im Gebete Zuflucht zu nehmen, und dennoch bereute sie nicht, daß sie gekommen. War nicht all ihr Beten umsonst gewesen? Waren nicht ihre heißen Tränen in langen qualvollen Stunden vergebens geflossen? Trotz allen Flehens hatte Gott ihr nicht geholfen. Das einzige Gut, das ihr das Leben begehrenswert machte, war die Liebe ihres Gatten und als sie sah, wie dieses Gut ihrem schwachen Griffe täglich ferner und ferner entrückte, stieg der Trotz des vornehmen Geschlechtes ihr in den Nacken und riet ihr, eher zu gottloser Zauberei Zuflucht zu nehmen, als gottergeben auf den einen Wunsch ihrer Seele zu verzichten. O nein, sie bereute ihn nicht, den verzweifelten Schritt. Zwar war das Haus des Zauberers grauen voll, doch noch entsetzlicher war das eigene liebeleere Heim, in dem rauhes Schelten und trunkenes Fluchen ertönte. O, welch' ein Heim, wo jeder Gegenstand, den sie einsam betrachtete, ihr höhnisch ent gegenrief, daß der Traum ihrer Brautzeit ein Wahngebilde gewesen und daß der Gatte, der in entschwundenen Tagen so oft süße Worte in ihr williges Ohr flüsterte, sie betrogen und nur nach ihren Gütern die lüsterne Hand aus gestreckt habe! O nein, sie bereute ihren Schritt nicht ... die Zeit zum Beten und tatenlosen Klagen war vorüber und der sie täglich schalt — der niemals mit ihr sprach, ohne sie zu mahnen, wie häßlich und ungeschickt sie sich neben seinen Freundinnen am Hofe ausmache l War es denn nicht möglich, ihren Wangen eine frischere Farbe, ihren abgehärmten Zügen einen höheren Reiz zu geben? Vielleicht war noch nicht alles verloren! Hatte Gott nicht Er barmen mit ihr gehabt, so würden sich vielleicht jene mystischen Kräfte mitleidiger erweisen, von denen man überall in ehrfurchtsvollem Flüster töne sprach. Was hätte das Leben sür einen Zweck ohne ihn, den Mann der Liebe? Leben, Tod und Seligkeit hing davon ab, ihn zurück- zngewinnen. Vorwärts denn, so lange sie noch rhre Gedanken regieren, noch Fuß und Finger regen konnte! <sie hatte schon so vieles versucht — knechtische Unterwürfigkeit, willigen Gehorsam, liebendes Zureden und ergebenes Schweigen. Ja sie hatte sich gedemütigt, hatte mit bluten dem Herzen alle Opfer gebracht, an die ihre schmerzende Seele nur denkeu konnte. Ver gebens — alles vergebens! Wenn der Schatten ihres Schicksals am schwersten auf ihrem Gemüts gelastet, dann hatte sie sich in bunten Flitter gehüllt, um dem Gatten zu gefallen, ja sie hatte versucht, die Tränen hinter Lachen zu verbergen, um dann doch wieder nur höhnischen, brutalen Abweisun gen zu begegnen. Als fröhliches, unschuldiges Mädchen, dessen Seele dem Vater im Himmel und allen guten Bestrebungen zujubelte, sah sie sich plötzlich in den Netzen dieser unheilvollen Liebe gefangen. Wenige Jahre hatten genügt, um das jugend- frische Geschöpf in ein verzweifelndes, lebens müdes Weib umzuwandeln! O, daß der geheimnisvolle Mann doch bald wiederkäme! Daß er doch schon hier wäre und ihr das unschätzbare Gut überreichte, das sie zu Gott und Menschen und vor allem zu dem ge liebten Gatten zurückführen sollte! Wie dieser Wunsch aus ihrer bangen Seele hervorzitterte, warf sie sich unbewußt auf die Knie und betete — betete in dem schwarzen Zimmer des Zauberers von Paris! „Madame," sagte plötzlich eine Stimme neben ihr, „Madame, macht ein Ende — oder Ihr brecht den Zauber, den ich in diesem Gemache gefangen halte!" Madame de Vidoche schrie auf und wankte zum Stuhle. Die Gestalt des Schwarzkünstlers schien von übernatürlicher Größe. Seine Augen glühten seltsam. Auf bleichen Zügen lag ein mystisches Grinsen. Ja, er glich dem Tode, dem leibhaftigen Tode. „Madame," klang seine Grabesstimme, „meine Hoffnungen haben sich erfüllt. Von heute an ist das Sternenbild der Venus neun Tage lang im Aufsteiger! begriffen, um sich am nennten Tage liebend mit Mars zu vereinigen. Ihr hättet zu keiner besseren Zeit kommen können, mir Euer Anliegen vorzutragen. Unter so ungewöhnlich günstigen Bedingungen werdet Ihr ohne Mühe erreichen, was Ihr begehrt. Die Einflüsse find so stark, daß Ihr sogar beten dürft, Madame, sobald Ihr dieses Haus ver lassen habt. Eine Bedingung jedoch ist für den Ausfall Eures Unternehmens entscheidend: Ihr dürft über Euren Besuch bei mir kein Wort verlieren zu irgend einem sterblichen Menschen. Auch müßt Ihr genau befolgen, was ich Euch zu tun geheiße und müßt acht geben, daß Ihr von niemand gesehen werdet, wenn Ihr meine Vorschriften ausführ!. Sollten Euch dabei menschliche Augen erblicken, so würde die Wirkung sich in eine entgegengesetzte verwandeln, und anstatt des unsehlbaren Liebes trankes würde ein Getränk erstehen, das Haß, unauslöschlichen Haß in die Seele des Trinken den hineinlegt." Madames Lippen waren trocken und weiß. Sie bezwang sich jedoch und murmelte: „Und Ihr seid auch gewiß, daß es wirken wird?" „So sicher, wie Feuer brennt und Wasser löscht!" antwortete der Astrolog feierlich. „Also
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