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Oie „Vttendorfer Zeitung" erscheint Vien»tag, Donners- rag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen ,,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Allode". Annahme von Inserat, n bi» vormittag ,o Uhr. Inserate werben w't ,k> Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Lür die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Nr.^ Oertliches und Sächsisches. Dttendorf-Vkriila, 2. August 1904. Ottend orf-M oritzd orf. Ein bedauerlicher Unglücksfall trug sich am vergangenen Sonnabend gegen 6 Uhr abends in hiesiger Gemeinde zu. 3 Kinder holten mittels Handwagen 1 Fiß Syrup vom Cunvcrsdorfer Bahnhof. Auf dem Rückwege verloren sie auf der ab schüssigen Dreödnerstraße in der Nähe der neuen Schule die Gewalt über den Wagen und fuhren direkt in den Straßengraben. Während 2 Kinder mit einem leichten Schreck davon kamen, wurde der 7 jährige Sohn des Bau arbeiters Hasch, welcher vor dem Faß auf den Wagen gesessen hatte, von dem nachstürzendin Faß verletzt, so daß der Tod infolge Schädel bruchs nach einigen Augenblicken eintrat. Die von dem Unglücke betroffenen Familien Hübner und Hasch werden im Dorfe tief bedauert. Die Schuld an diesem Unglücke ist niemand beizumessen. Da die beiden hiesigen Aerzre nicht zu erreichen waren so leisteten die Samariter der hiesigen Freiwilligen Feuerwehr Herr Scutlermeistei Nürnberger und Herr Tischler Dreßler bereitwilligst Hilfe. — Nach Dresden gelangter amtlicher Mit teilung zufolge sind neuerdings in Mainz, Elberfeld, Remscheid und Solingen falsche Hundertmarkscheine mit der Nr. 1285 925 v verausgabt worden. Die Falsifikate sind in der Länge und Breite etwa 2 mm kleiner und aus glattem Papier gearbeitet. Die bei den echten Scheinen vorhandenen Fasern fehlen; das Papier der echten Scheine ist geriffelt, das der unechten nicht. Der Druck auf beiden Seilen ist äußerst mangelhaft, in der Haupt sache ist er blaugrau, blaß und ausgelaufen. Die Warnung auf der vorderen Seite ist unleserlich, ebenso die beiten roten Stempel, die verschwommen sind. Die Nachahmungen der Unterschriften sind sofort zu erkennen. Neben der Ortsbezeichnung Berlin, steht auf den Falsifikaten dem 1. Juli 1898, statt den 1. Juli 1898. Auf der Rückseite über dem mittleren Frauenkopfe fehlt der Adler. Die beiden abschließenden Ränder sind sehr schlecht nachgemacht, Bei einiger Aufmerksamkeit sind die Falsifikate sofort gig solche erkennen. K l 0 ts cbe - Köni g swa l d. Fast 50 Jahre hat der Prioatus Wirch hierselbst das Amt eines Octsrichters in gewissenhafter Hingabe versehen. Vor kurzem legte er es nieder. Zu seinem Nachfolger wählte man Herrn Guts besitzer Ernst Günther. Drcsden. Glühender Sonnenbrand, er stickende Staubwolken, unendlicher Trubel bedeutender Mustklärm, ohreuzeireißendesPfeifen, Ouieken, Stimmengewirr, Maschienensausen, das war das Signum des vergangenen ersten Sonntags der Vogelwiese. — Der Elbspiegel sinkt noch Weiler, was bei der wieder eingetretenen Hitze und Trocken heit nicht verwundern kann. So konnte man gestern 221 unter Null am Pegel ablesen, der größte Tiefstand, der in diesem Sommer zu beobachten war. — Von einem hiesigen Kriminolgendarm wurde ein hier wohnhafter Schleiferlehrling verhaftet, der eine Anzahl Einbrüche und Diebstähle, unter anderem auch in der Warte halle der DampfWffahrtggksellschaft zu Nieder- poyritz, verübte. Der geständige Dieb hakle 200 Mark bei sich. — Gestern vormittag versuchte sich die Inhaberin eines Cafäö in dec Johann-Georgen- Allee durch Aufdrehen sämtlicher Gaehähne zu vergiften. Sie wurde mittels Unfallwagens in das Stadtkrankenhaus Fried.sthstadt gebracht. Pillnitz. Zwischen unserem Orte (End station der elektrischen Straßenbahn Dresden- Pillnitz) und der vielbesuchten Sommerfrische Graupa ist seit vorigen Freitag eine Omnibus- Verbindung eingerichtet worden. Obergruna. Ein Waldbrand wurde in diesen Tagen im Zallaer Wald noch rechtzeitig Mittwoch, den 3. August 1904. 3. Jahrgang. durch den sich in der Sommerfrische befindenden Schuldirektor Herren Breuel aus Dresden ver hütet. Bei einem Morgenspaziergang gewahrte er Brandgeruch, der, wie er sich überzeugte, von in Hellen Flammen stehenden Kiefern herrührle. Er rief nun sofort andere Sommer frischler und Waldarbeiter herbei, die das Feuer bald ablöschten. Kreischa. Der hiesige Gemeinderat beschloß in seiner Sitzung am 29. Juli ein stimmig, bis zu 50 o/o der Kosten des Baues und Betriebes der projektierten elektrischen Bahn Niedersetzlitz—Kreischa zu übernehmen damit erscheint nicht nur die Gründung des Gemeindeverbandes zum Bau der genannten Bahn, sondern auch diese selbst gesichert. Radeberg. Funken aus der Lokomotive verursachten am Sonnabend auf dec Strecke Arnsdorf—Radeberg einen Waldbrand. 70 gm Fichtenschohnung wurden vernichtet. Stadt Wehlen. Eine geharnischte Bekanntmachung ist seitens des Bürgermeister amtes im gestrigen amtlichen Teile des „Pirnaer Anzeiger" an die hiesigen Gastwirte erlaßen worden. Diese werden darin auf- gefordert, zunächst die Bierpreiöplakate deutlich sichtbar in jedem Schankraume anzubringen. Ferner wird den Wirten ungeraten, bei gleich namigen und gleichwerten Bieren nicht zweierlei Maß (Gefäße) zu verwenden. Es erregt hier berechtigtes Befremden, weun an einem Tische der eine Gast bei Bestellung eines Schnitt Münchner Bieres ein Dreizchntel-Literglas und der andere Gast bei gleichem Biere nur ein Zweiundeinhalbzehnlel - Schnitlglas bekommt- Wenn derartige Geschäftskniffe allgemein Platz greifen, darf man sich nicht wundern, daß die Sächsische Schweiz als teuer in Verruf kommt. Das Bürgermeisteramt droht, diejenigen Gast häuser öffentlich bekannt zu geben, in denen das gerügte Geschäftsgebaren ferner beigehalten wird. Radeburg. Bei dem am Mittwoch Nach mittag in der vierten Stunde hier aufgetretenen Gewitter schlug der Blitz in die massive Scheune des Gutsbesitzers Robert Grafe in Marsdorf. Die mit den diesjährigen Ernte vorräten an Roggen und Heu angefüllte Scheune wurde von dem mit rapider Schnelligkeit um sich greifende Feuer bis auf die Umfassungsmauern vollständig vernichtet. Diesbar. Der mit seinen Eltern in der Sommerfrische hier weilende 14 jährige, des Schwimmens leider unkundige Knabe Rudolf Heinsius aus Leipzig badete am gestrigen Sonnabend in der Elbe, geriet in die sogenannte Fahrtrinne und verschwand vor den Augen seiner Mitbadenden, die ihm nicht mehr helfen konnten, trotzdem, daß zwei zufällig anwesende Großenhainer Realschüler mit wahrer Todes verachtung Rettungsversuche machten. Der eine hatte Heinsius auch schon einmal gepackt, mußte ihn aber wieder fahren lassen. Die Leiche des kleinen Heinsius, ,die offenbar von der Strömung mitgenommen worden ist, konnte noch nicht gefunden werden. Fol bern. Ein schweres Antomobil-Unglück passierte gestern Abend in der 9- Stunde. Der Gutsbesitzer Max Wendt von hier war per Rad auf dem Wege nach Adelsdorf be griffen, als plötzlich am Dorfeingangs ein Automobil in ziemlich scharfer Gangart von hinten heran kam und ihn überfuhr. Herr Wendt, dessen Rad gänzlich zertrümmert wurde, kam unter das Automobil zu liegen und trug einen Knöchelbruch, sowie schwere Verletzungen an den Schultern und dein Rücken davon, sodaß sofort ärztliche Hilfe geholt werden mußte. Der Automovilfahrer, der ein Dresdner Herr sein soll und die Nr. 1216 fuhr, hat außer der Zahlung der beträchtlichen Schaden ersatz- und Heckungökosten natürlich auch noch polizeiliche Bestrafung zu gewärtigen. Die Verletzungen des Herrn Wendt fsind schlimmer Natur, sollen jedoch nach ärztlichen Ausspruch nicht gerade lebensgefährlich sein. Oschatz. Der Einbrecher, der in der Nackt zum letzten Sonntag in raffiniertester Weise den Einbruchsdiebstahl in das Gucklandsche Kaufmannsgeschäft an der Bahnhofsstraße beging, ist festgenommen und dem Polizei gewahrsam zugeführt worden. Es ist dies ein seit 14 Tagen in einer dasigen Wagen fabrik beschäftigter und von Dresden zu gereister, etwa 40 Jahre alter Schmied. Leipzig. Wegen Auflehnung gegen die Schulordnung wurden im Jahre 1902 hier 700 Strafverfügungen erlaßen, davon allein 618 gegen Fortbildungsschüler! » — Der Fürst!. Reuß-Greizer Oderamtsrichter Justizrat M. geriet in einer Rechtssache mit zwei hiesigen Anivälten in Meinungsverschieden- hesten, in deren Verfolg er sich zu der Aeußerung verleiten ließ, daß dec selige alte Rechtslehrer Georg von Wächter ob der Gelehrsamkeit der beiden Anwälte sicher staunen würde, wenn er noch lebte. Die beiden Juristen waren wenig erbaut von solcher Kritik ihres Wissens; sie verklagten Herrn Oberamtsrichter M. wegen Beleidigung, und obwohl dieser erklärte, daß ihm jede Beleidigungs- Absicht fern gelegen habe, schützte ihn dies nickt vor einer Geldstrafe in Höhe von 30 Mark. Glauchau. Aus gegegseitcher Eifersucht gerieten hier drei junge Fabrikarbeiterinnen auf der Straße in Streit, der alsbald in eine gewaltige Rauferei ausartete. Ihre Frühstückbemmchen flogen aus der Straße umher, und der Haarschmuck der Amazonen ging aus dem Leim. Nachdem sie sich unter gewaltigen Lärm gegenseitig gehörig abgeknupft hatten gingen zwei weiter und brachten unterwegs ihre Kleider und ihr Haar wieder in Ordnung, während die dritte als echte Evastochter hierzu ein großes Schaufenster als Spieget benutzte. Buchholz. Die Zuflüße zur städtischen Wasserleitung waren in letzter Zeil derart zucückgegangen, daß bei länger anhaltender Trockenheit die Wasserversorgung der Stadt hätte eingeschränkt werden muffen. - Nach dem von Frohnau neu erworbenen Stadlteile muß man das Wasser in einem großen Kesselwagen vor die Häuser fahren, wo es an die Bewohner verteilt wird. Neustädtel. Als sich am Dienstag früh ein Liebespaar aus Zschorlau, welches die hiesige Jahrmarktmusik besucht hatte, auf dem Heimweg befand, drängten sich unverhofft mehere junge Burschen an dasselbe heran und rissen den Liebhaber von dem Mädchen weg, gleichzeitig aber dem letzterem eine wertvolle goldene Damenuhr mit Kette vom Leibe und flüchteten. Die vom Raube benachrichtigte Gendarmerie hat inzwischen zwei der Tat dringend verdächtige Arbeiter aus Zschorlau ermittelt und ans Amtsgericht abgeliefert; Uhr und Kelte sind aber bei ihnen nicht gefunden worden. Einer der Burschen setzte seiner Arretur heftigen Widerstand entgegen, wurde aber schließlich doch überwältigt und dann gefesselt nach Schneeberg transportiert. Nus der Woche. Der Königsberger Prozeß hatte ein ent setzliches Bild von den russischen Zuständen ge geben ; alle schon bekannten Einzelheiten wurden da von „Sachverständigen" zu einem ergreifenden Panorama politischen Elends zu sammengestellt und so mancher Nicht-Russe mag beim Betrachten all der Scheußlichkeiten an die Pharisäerbrust geschlagen haben: alle aber waren froh, als endlich der Vorhang niederfiel, nachdem die politisch uud unbedeutenden An geklagten mit geringen Freiheitsstrafen belegt worden waren. Die Anklagen wegen Zaren- beleidigung und Hochverrat waren überdies zurückgezogen worden. Mit der Beendigung des Prozesses hörte seine Behandlung in der Presse noch lange nicht auf; im Gegenteil wurden nun die verschiedensten Deutungsversuche gemacht, die russische R-gierung angeklagt, auch verteitigt und den deutschen Behörden ziemlich allgemein der Vorwurf gemacht, sie seien in ihrer Gefälligkeit gegen Rußland mit der Einleitung dieses Prozesses gegen die Königsberger Schmuggler zu weit gegangen. Die russische Beschlagnahme deutscher Postschiffe gab dann dem „Dank vom Hause Romanow" einen drastischen Ausdruck und es war wohl nur die allgemeine Hundstags- uud Ferien stimmung, die ein schärferes „Ueberwallen der Tolksseele" verhinderte. Man war froh, als Rußland die Schiffe wieder frei gab, Besserung gelobte und Entschädigung versprach. In Deutschland hatte sich vielmehr die Anschauung Bahn gebrochen, die Zentralregierung in Petersburg sei an dem Unfug im Roten Meere unschuldig und wirklich hat sich heraus gestellt, daß ein allzuichneidigsr Großfürst sein ohnehin schon nicht auf Rosen gebettetes Vater land für vierzehn Tage der Möglichkeit eines kriegerischen Zusammenstoßes mit England aus- gesttzt hatte. Von da bis zu dem schon nebel hast oft angekündigtcn „allgemeinen Welt brande" wäre dann wohl nur ein kleiner Schritt gewesen. Jedenfalls waren die Wogen schon wieder geglättet und — abgesehen von den Aufregungen und Zwischenfällen des ostasiatischen Dramas — hätte so leicht wohl nichts die sommerliche Stille gestört, wenn nicht am Mittwoch abend in Petersburg wiederum eine Sprengbombe geplatzt und den in Rußland vielgehaßten Minister v. Plehwe in Stücke gerissen hätte. Nun ist Petersburg zwar, wie alle andern europäischen Städte, mit der übrigen Welt durch eine zahllose Menge von Telegraphendrähten verbunden, aber achtzehn volle Stunden waren diese Drähte für die Schreckensnachricht gesperrt. Weshalb? Das weiß eben nur die russische Sicherheitspolizei, die Herr v. Plehwe fest in der Hand zu halten glaubte, so daß ihm nichts passieren könnte. Die Meldung von dem neuen Morde hat zwar überall die natürliche und gebührende Entrüstung gegen die terroristischen Mordbuben hervorgerufen, in der die Kuliurwelt einig ist, aber sie hat nicht eigentlich stark überrascht, denn man ist aus Rußland an sehr scharfe Gewürze gewöhnt. Plehwe war vor drei Jahren der Nachfolger von Sipjagin geworden, der ebenfalls einem Attentat zum Opstr gefallen war. Er hat aber aus der Ermordung seines Vorgängers den falschen Schluß gezogen, daß die russische Polizeiverwaltung noch nicht enerisch genug jede freiheitliche Regung im heiligen Rußland zügele, und daß man noch schärfer zufassen müsse. Und durch seine Maßregeln hat er denn auch das ganze Rußland gegen sich auf gebracht; er machte sich zum energischen Ver treter eines Regierungssystems dcr Willkür, Ungerechtigkeit und Härte, das sich mit den Anschauungen unserer modernen Zeit in keiner Weise versöhnen ließ. Und da das arme Russenvolk keine politischen Ventile für seinen Zorn — keine Volksvertretung, keine unzen surierte Presse, keine Möglichkeit, sich öffentlich zu beklagen — besitzt, so erfolgt eben von Zeit zu Zeit eine Explosion, — das ist der für Rußland natürliche Verlauf der Dinge. Der Nährboden für den verderblichen und entsetzlichen Terrorismus wird leider von der Regierung selbst eine Frage der Zeit, wie lange dis Sipjagin, Bobrikow. Plehwe usw. ihre politischen Praktiken betreiben. Es wird wohl nicht allzuviel Deutsche geben, die die Zustände in unserm lieben Vaterlands für ideal halten; aber bei uns darf geschimpft werden; man wählt so rot wie möglich, läßt sich vielleicht selbst in der Volksversammlung vernehmen, — das erleichtert das schwer beladene Herz zehnmal mehr wie ^Pikrinsäure und ist weit ungefährlicher, selbst wenn ab und zu noch nebenher eine Faust in der Tasche gemacht wird.