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Ottendorfer Zeitung : 29.07.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190407293
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040729
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040729
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-07
- Tag 1904-07-29
-
Monat
1904-07
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 29.07.1904
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politische kunälckau. Die Schiffs-Beschlagnahmen. *Ter deutsch-russische Konflikt hat eine Verschärfung erfahren. Noch ist der deutsche Protest wegen der Beschlagnahme der für Japan bestimmten Post an Bord des deutschen Dampfers „Prinz Heinrich" nicht er ledigt und schon haben sich die Russen einen noch schwereren Eingriff in die deutsche .Handelsschiffahrt zuschulden kommen lassen. Der Dampfer „Scand i a" der Hamburg—Amerika- Linie wurde im Roten Meere von den Russen festgehalten und traf unter russischer Flagge mit russischen Osfizieren und Mann schaften besetzt in Suez ein. Auf den deutschen Protest gegen die Ausbringung der „Scandia" hat die russische Regierung erklärt, daß der Befehl zur s o fo rti g e n Fr e i l a s s u n g der „Scandia" bereits ergangen sei. * Daily News' will erfahren haben, die englische Regierung hätte beschlossen, daß kein russischesKriegsschiff mehr, in welcher Verkleidung es auch sei, den Bosporus passieren solle. Ein Teil des Mittelmeer geschwaders werde den Ausgang bewachen. *Zur Begleitung englischer Handelsschiffe sind mehrere englische Kreuzer und Tor pedoboote durch den Suezkanal in das Rote Meer eingelaufen. *Jn der Angelegenheit des „Prinz Heinrich" lient, nach der,Nordd. Allg. Ztg.', die amtliche russische Erklärung vor, daß die beiden einbehaltenen Postllücke so schnell als möglich zurückgegeben werden, und daß künftig solche Akte der russischen Hilfskreuzer nicht mehr Vorkommen sollen. In diesem wie im Falle der „Scandia" ist noch die Regelung der materiellen Entschädi gungsansprüche Vorbehalten und von russischer Seite zugesichert. *Der Reichspost Kämpfer „Prinz Heinrich" ist in den Gewässern von Ceylon ausgelaufen und erlitt eine Bodenbeschädigung. Post und Passagiere werden mit dem Dampfer „Polynesien" weiter befördert. *Auch der englische Dampfer „Ar- dov a", der sich auf der Fahrt von New Jork nach Manila und Japan befand, ist durch einen Dampfer der russischen Freiwilligen Flotte im Roten Meere beschlagnahmt worden. Der Minister des Äußern, Graf Lambsdorff, hat dem englischen Botschafter erklärt, die Kreuzer der Freiwilligen Flotte hätten die an sie abge sandten Instruktionen noch nicht erhalten. * Natürlich fühlt sich jetzt auch Amerika veranlaßt, sich in den Handel mit der Forde rung einzumiichen, daß Rußland in allen Fällen, in denen ein Zweifel darüber bestehen kann, daß für die japanische Regierung bestimmte Sendungen den Zwecken des gegenwärtigen Krieges zu dienen bestimmt seien, sich der Be schlagnahme enthalte. Dies gelte beispielsweise von amerikanischen Pferdeliefe rungen. Das Washingtoner Kabinett be ruft sich aus den Transvaalkrieg, in dem Eng land gegenüber amerikanischen Sendungen für die Buren diesen Standpunkt anerkannte. * * * Der japanisch-russische Krieg. * über die letzten Vorgänge auf dem o st - asiatischen Kriegsschauplatz, über die bisher nur gerüchtweise einiges verlautete, liegen jetzt genauere Nachrichten vor, aus denen hervorgeht, daß es dem japanischen Truppen- führer gelungen ist, die Russen nordwestlich vom Motienpaß abzudrängen. Kuroki rückte am Morgen des 18. vor und folgte den Russen längs des Laufes des Tschi. Die Russen schienen sich nach Norden zurückzuziehen, allein plötzlich machten zwei Bataillone mit 8 Ge schützen kehrt und richteten einen heftigen Angriff auf die japanische Vor hut, die schwere Verluste erlitt. Die Russen besetzten darauf eine durch die Flußfälle ge schützte Anhöhe. Um Mitternacht gingen die Japaner wieder zum Angriff über. Nach einem vorbereitenden Artilleriefeuer ging die japanische Infanterie zum Sturme vor; trotzdem sie durch ihre Artillerie geschützt wurde, erlitt sie durch das kräftige Feuer der Russen schwere Verluste. Der Sturmangriff war indessen er folgreich; die Russen traten den Rückzug an. Ihre Verluste werden auf über 1000 Mann geschätzt. — Auf der Straße nach Liaujang sind die Japaner damit sehr weit vorwärtsgekommen. An eine Rückeroberung der verlorenen, strategisch wertvollen Positionen ist kaum mehr zu denken. *Nach Nachrichten, die offenbar aus japa nischer Quelle stammen, beschränkten sich in der letzten Zeit die Japaner vor Port Arthur darauf, ihre Stellungen zu befestigen und alle Vorbereitungen zu treffen, russischen Ausfällen energisch entgegentreten zu können. Russischer seits bleibt man jedoch noch immer bei der kindi schen Behauptung, daß die Belagerer schwere Verluste erlitten. * Das Wladiwostok-Geschwader hat am Sonntag im Japanischen Meer ein britisches Schiff in den Grund ge bohrt. über das Vorkommnis meldet,Reuters Büreau' am Montag aus Tokio: Das Wladi wostok-Geschwader hat gestern bei Jedzu den von New Jork über Manila und Schanghai nach Jokohama bestimmten britischen Dampfer „Knight Commander" in den Grund gebohrt. Der Dampfer hatte Ladung verschiedener Art an Bord. Die Mannschaft ist auf dem Dampier „Tfinan" heute in Jokohama angekommen. Die europäischen Passagiere wurden von den Russen zurückbehalten. — Wie verlautet, hat das Wladiwostok-Geschwader auch zwei japanische Schoner versenkt. * * * Deutschland. * Der Kaiser hatDrontheim wieder verlassen, wobei ihm die Bevölkerung noch leb hafte Demonstrationen darbrachte. *Der Marine etat für 1905 wird an Fordemngen für Ersatzbauten zwei kleine Kreuzer enthalten. Forderungen für Ersatz bauten von Linienschiffen sind erst vom Jahre 1906 ab vorgesehen. * Der preuß. Justizmtnister Dr. Schön- stedt soll schon vor geraumer Zeit die Absicht ge äußert haben, vor der nächsten Tagung des Land tages aus dem Dienste zu scheiden. Maß gebend dafür würde aber nur das hohe Alter des Ministers sein, keineswegs die abfällige Kritik, die im Reichstage der Staatssekretär des Reichs- justizamt^s, Dr. Nieberding, an dem Kontraktbruch gesetz geübt habe und ebenso wenig der Königsberger Geheimbundprozeß. * In dem Königsberger Prozeß wurden am Montag drei Angeklagte frcigesprochcn und sechs nur wegen Geheimbündelei zu kürzeren Gefängnis strafen verurteilt. Die Angeklagten wurden wegen Hochverrats sämtlich freigesprochen. Angerechnet wurden als durch die Untersuchungshaft verbüßt: Nowagrotzkh ein Monat zwei Wochen, Klein sechs Wochen, Treptau ein Monat zwei Wochen. Kugel hat die drei Monat, zu denen er verurteilt wurde, durch die Untersuchungshaft verbüßt und ist unverzüglich aus der Haft entlassen worden. * Der bayrische Kr i e g s m i n i st er Frei- herr v. Asch hat sein Abschiedsgesuch eingericht. Der Vorsitzende des Ministerrats Freiherr v. Podewils ist nach Wildenwart ab gereist, um dem Regenten Vortrag zu halten. Die ,Allg. Ztg.' bemerkt dazu: „Geht der Minister, dann hat der Klerikalismus einen neuen Sieg errungen, und die Staatsautorität hat eine neue schwere Wunde erhalten." Das mag sein, aber ein Minister soll bei der Wahr heit bleiben und die Gesetze d,es Staates respektieren. Es geht nicht an, daß die öffent lich bekämpfte Duellpraxis im geheimen wieder in die Armee eingeführt wird. Er schwerend war natürlich, daß Herr v. Asch die Existenz eines Geheimerlasses in der Kammer ableugnete, dessen Wortlaut alsdann vom Abg. Heim verlesen werden konnte. Prinz- Regent Luitpold hat indessen, wie eine offiziöse Korrespondenz zu melden weiß, die Annahme des Abschiedsgesuches ab gelehnt und dem Minister unter Versicherung seines fortgesetzten Vertrauens den Wunsch ausgesprochen, daß er sein Portefeuille beibehalten möge. Demgemäß wird Freiherr v. Asch in seinem Amte verbleiben. *Jn der bayrischen Abgeordnetenkammer äußerte sich der Verkehrsminister von Frauen- dorffer u. a. auch über die Tarif frage. Er bemerkte, das Tarifwesen werde einheitlich weiter entwickelt werden. Ob sich freilich die völlige Einheitlichkeit der Personentarife für ganz Deutschland werde erreichen lassen, sei fraglich. In den Personentanfen hoffe er allmählich zu niedrigeren Taxen zu kommen und erwarte, daß die süddeutschen Staaten diesem Beispiele folgen werden. * Aus Deutsch-Südwestafrika hat General v. Trotha, wie die ,Tägl. Rdsch.' mit teilt, dem Auswärtigen Amt telegraphisch ge meldet, er sei genötigt, anzu greifen, da die mit Mühe und Not nahezu eingekreisten Hereros abzuziehen und ihm so in letzter Minute zu entgehen Miene machten. Balkanstaaten. *Der,Franks. Ztg.' geht auS Saloniki die Meldung zu, daß bei Florina eine 40 Mann starke bulgarische Bande von türkischen Truppen zersprengt worden sei. Die Bul garen ließen fünf Tote, zwei Säcke Dynamit und mehrere Schraubenschlüssel für Schienen- schrauben zurück. (Wann wird denn dieses Wespennest endlich einmal gründlich ausge räuchert werden?) Asien. *Aus Jchang (China) kommt die gerücht weise Nachricht, daß der französische Bischof, ein Pater und zwei Bekehrte g e - tötet und ein Pater zum Gefangenen gemacht seien; drei Kapellen seien in Lichuan verbrannt. 200 Soldaten seien von Jchang hinbeordert. Vie Brieftauben von Port Arthur. Unwillkürlich denkt man bei der Belage rung von Pott Arthur trotz der großen Ver schiedenheit der Umstände an die letzte große Belagerung von Paris, und dabei wird auch die Erinnerung daran wach, was die Brief tauben damals für eine Rolle gespielt haben. Es ist nun jetzt von verschiedenen Seiten be richtet worden, daß ein- bis zweihundert Brief tauben von den Russen nach der Mandschurei geschafft seien, die ihnen von französischen Taubenzüchtern zur Verfügung gestellt sein sollen, und daß auch schon aus dem belagerten Port Arthur Briestanbenposten ausgesandt seien. Ein Sachverständiger wendet sich nun in der ,Revue Scientifique' mit großem Eifer gegen die Ansicht, daß die Brieftauben den Russen überhaupt Nutzen bringen könnten. Die meisten andern Nutzliere lassen sich einfach von einem Lande in ein anderes übersiedeln und leisten dann an ihrem neuen Aufenthaltsort doch mehr oder weniger dasselbe wie in ihrer Heimat. Bei Brieftauben ist das nicht der Fall. Selbst wenn angenommen werden könnte, was kaum möglich ist, daß die Tauben in voller Gesund heit und jugendlicher Leistungsfähigkeit aus dem Kriegsschauplatz angekommen wären, könnten sie nicht sofort in Benutzung genommen werden. Sie müssen erst allmählich eingewöhnt werden, was nach einer so langen Reise sogar be sondere Schwierigkeiten haben dürfte. Selbst wenn gleich zu Anfang des Feldzuges an den Gebrauch von Brieftauben gedacht worden ist, so könnte ihre Dressur auf das dortige Ge lände höchstens jetzt erst begonnen haben. Sie müssen dann zwei bis drei Monate im Freien sich selbst überlassen bleiben, damit sie sich die Gegenden ansehen, sodaß sie wirkliche Berufs pflichten erst Ende August oder gar Ende September würden übernehmen können. Es ist daher nicht anzunehmen, daß aus Port Arthur Nachrichten durch Brieftauben an das russische Oberkommando gelangt sind oder gelangen werden. Es ist überhaupt sehr die Frage, ob selbst bei größter Mühe aus dem jetzigen Kriegs schauplatz Brieftauben zu gebrauchen sein würden. Gewöhnlich müssen die Tauben seit mehreren Geschlechtern in der betreffenden Gegend gelebt haben. Dazu kommt noch, daß die Brieftauben allmählich durch die drahtlose Telegraphie über flüssig gemacht werden. Von unci fern. Jahrtausendfeier in Mettmann. Die Feier des tausendjährigen Bestehens der Stadt Mettmann wurde am 23. d. durch einen Gottes dienst in beiden Kirchen eingeleitet. Dem Fest akte im Zelt wohnten als Ehrengäste bei der Minister des Innern Frh. v. Hammerstein, der Finanzminister Frh. v. Rheinbaben, der Ober- Präsident der Rheinprovinz, Dr. Nasse, und der Regierungspräsident von Düsseldorf, Schreiber. Nachdem Bürgermeister Conradi die Festgäfte begrüßt hatte, hielt Minister Frh. v. Hammer stein eine Ansprache, in der er die Stadt Mett mann zu ihrem seltenen Jubiläum beglück wünschte und ihr die besten Wünsche der Staats behörden überbrachte Deutsches Waisenhaus für Buren kinder. Verschiedene Burenireunde erlassen nunmehr einen Aufruf zur Errichtung eines Waisenhauses in Transvaal für Burenkinder aus deutschen Mitteln. Als erforderlich be zeichnen sie 60—80 000 Mk. einschließlich der Kosten für Unterhaltung des Heims auf 3 Jahre. Der .Reichsbote' teilt zu dem Plan weiter miß daß man schon zur Zeit des Friedensschlusses von Vereeniging mit dem Präsidenten Krüger darüber unterhandelte. Einbruch in ein Stationsgebäude. In Hofheim (Taunus) drangen in der Nacht zum Freitag Einbrecher in das Stationsgebäude und entwendeten den Kassenschrank, den sie auf dem Stationskarren fortsuhren. Der Kassen schrank enthielt außer Papieren 500 Mk. in Briefmarken und 100 Mk. in bar. Eine nicht krepierte Granate hatte ein Schmied, der von Thorn nach dem Rittergut Parchanie gezogen war, vom Thorncr Schieß platz mitgebracht. Einige Kinder spielten an der Granate so lange herum, bis eine Explosion erfolgte. Ein Kind wurde in Stücke gerissen. Mehrers andre wurden schwer verletzt in das Jnowrazlawer Kreiskrankenhaus gebracht. Notleidender Totengräber. „Sterben ist mein Gewinn", heißt es in der Bibel, und auf diesem Standpunkte müssen — im andern Sinne — vor allem natürlich die Totengräber stehen. Es scheint aber, als ob auch aus dem Gebiete stellenweise ein „wirtschaftlicher Rück gang" zu verzeichnen wäre. Wenigstens klagt der Totengräber eines Städtchens am Rhein über sein geringes Einkommen und bemerkt in einem Schreiben an das Bürgermeisteramt hierzu, daß er „von drei Leichen unmöglich den ganzen Monat leben könne I Unter solchen Um ständen wird dem Manne schließlich nichts übrig bleiben, als sich mit seinem Geschäfte „begraben zu lassen". Durch Bleivergiftung infolge fehlerhafter Wasserleitung einer Brauerei sind in Döbem fünfzig Personen erkrankt. Eine Person ist ge storben. Vom Münchener Durst. Die kürzlich ver öffentlichte Statistik über den Bierverbrauch in München hat für das Jahr 1903 einen Rückgang verzeichnet. In anbetracht des ganz außergewöhnlich heißen Sommers 1904, der sich noch recht gut aus zuwachsen scheint, dürfte die nächstjährige Statistik zur Freude der Münchener Bierfabrikanten etwas anders lauten. Zur gleichen Zeit des Vorjahres wurden im königlichen Hofbräuhause höchstens 25 Hektoliter Bier täglich verzapft, Heuer im Tag 60 Hektoliter, auf dem Hofbräuhauskeller nahezu 140 Hektoliter gegen 50 im Jahre 1903. Die Mathäserbrauerei bringt in ihrer Hauptwirtschaft an der Bayer-Straße täglich 200 bis 250 Hektoliter des braunen Nasses jetzt zum Ausschank, voriges Jahr den Tag kaum 80. In dem gleichen Verhältnis hat der Bierverbrauch während der letzten Glutwochen auf dem Augustiner- und Löwenbräukeller — den besuchtesten Kellern Münchens — zugenommen, wo jetzt täglich oder vielmehr allabendlich etwa 300 Hektoliter, statt 120 im Vorjahre, ihren Beruf nicht verfehlen. Der Dragoner in der Orgel. Eine un gewöhnliche Entdeckung machte man jüngst in der St. Georgskirche zu Hagenau. Während des Hochamtes entdeckte man nämlich einen in der Blasebalgbühne der großen Orgel versteckten Dragoner im Drillichanzug. Der „Findling" gab an, er habe sich abends in die Kirche be geben und sei beim Schließen der Kirchentüren mit eingeschlossen worden. Ein Unteroffizier nahm den Dragoner, der übrigens schon seit einigen Tagen „vermißt" wurde, nach dem Gottesdienste in Empfang und führte ihn sofort dem Regiment zu. O Der sauberer von Paris. 10j Roman von S. I. Weymann. <8orNetzmia.> „Mein Gott!" stöhnte Herr von Vidoche, indem er dem starren Blicke des Schwarz künstlers ohne Zucken begegnete, „mein Gott, könntet Ihr nur ahnen, Mann, was ich durch diese Frau gelitten habe. Während der letzten fünf Jahre habe ich mich wie ein Narr an dieses blasse Nonnengeficht und die allzeit winselnde Gestalt schmieden lassen! Fünf Jahre habe ich ihr Wimmern geduldig ertragen. Was? Zweimal des Tages, sage ich? — zehnmal — zwanzigmal hat sie täglich mich an meine Schulden und meine Armut er innert; war es auch nicht stets in Worten, so konnte ich doch den stolzen Vorwurf in jeder Bewegung und in jedem Blicke lesen. Ah! Und dann prahlt fie noch immer mit ihrer jämmerlichen Familie, ihren großartigen drei Marschällen — ihrem — ihrem —" Er hielt inne, denn der Atem war ihm ausgegangen. „Madame gehört einem alten Geschlechte an?" fragte Solomon plötzlich aufstehend. Sein Schatten an der Wand richtete sich gerade empor und rührte sich nicht. „Gewiß," antwortete der Edelmann bitter, „das ist ja gerade der Hauptpunkt — weit älter, als das meine." „Sie stammt aus Perigord?" „Ja!" „Drei Marschälle von Frankreich?" murmelte Solomon gedankenvoll und seine Augen nahmen einen seltsamen Ausdruck an. Zum ersten Male wandte er sich von seinem Gefährten ab. Seine Überraschung schien jedoch Mr ein paar Sekun den lang anzudauern. Dann sagte er wieder gleichgültig: „Nun? DaS ist doch nichts so Außergewöhnliches! Deswegen braucht man doch kein großes Geschrei zu machen!" „Aber Madame tut es! Alou visu! Sie tut es, den ganzen Tag lang, wenn auch jeder andre darüber lacht! Und dann erst — ihr großartiger Roland, dessen Blut fie in den Adern hat . . . Ja, Mann, fie ist eine Frau mit Rolandsblut! Denkt doch nur, wie ich es da überhaupt wagen kann, ihr nahe zu kommen! Puh I . . Ha! Ha!" Herr von Vidoche brach in ein kurzes, höhnisches Gelächter aus und ließ mit lautem Aufschläge seine Faust an die Seite niedersausen. „Welchen Namen führte sie vor der Heirat?" fragte der Schwarzkünstler. Der Edelmann stutzte argwöhnisch. „Ihr Name? Warum wollt Ihr das wissen?" „Wenn Ihr wünscht, daß ich ihr Horoskop stelle, so muß ich ihren Namen auS dem Munde des Gatten hören," erwiderte Solomon mit listigem Lächeln. „Dies ist eine alte Regel unsrer Kunst." „Diane de Martinbault I" war die mürrische Antwort. „Diane! Denkt Euch nur, eine Diane mit Rolandsblut!" Er brach wieder in sein heiseres Lachen aus. „Sie ererbte den ganzen Besitz ihres Vaters?" „Ja, wenn Ihr es wißt, warum fragt Ihr?" „Und fie hatte einen Bruder — einen Knaben, der starb — plötzlich starb — so un gefähr um dieselbe Zeit, als Ihr begannt, Euch ernstlich um die Hand des Fräuleins zu be werben?" Herr von Vidoche antwortete zuerst nicht. „Was hat denn all dieses dumme Gefrage mit unserm Geschäft zu tun?" polterte er nach einer Weile. Anstatt der Antwort begann der Schwarz künstler zu lachen. Erst schweigsam, dann laut — es war das höhnische Gelächter eines Teufels, daS mehr dem höllischen Frohlocken über eine verlorene Seele glich, als dem Gesühlsaus- bruche eines sterblichen Menschen, so durchseucht war es von schadenfrohem Spotte und absicht licher Beleidigung. Solomon machte durchaus keinen Versuch, sein Lachen zu unterdrücken, das so recht aus dem Herzen herauskam. Im Gegenteil, er suchte die krampfartigen Ausbrüche seiner Fröhlichkeit dem Edelmanne gerade in das Gesicht zu lenken. Und als der Fremde ihn mit wilder Ungeduld fragte, was er denn plötz lich habe, kicherte Solomon: „Sogleich, edler Herr, sogleich! Ich schwöre Euch, Ihr sollt zufrieden heimkehren. — O! Es ist zu köstlich!" Und damit lehnte er sich zurück und gab sich wieder seiner Heiterkeit hin, sodaß sein Schatten an der Wand einen wilden Tanz aufführte. Herr von Vidoche zitterte vor Wut. Sein erster Gedanke war, daß man ihm eine Falle gestellt habe, in die er ahnungslos hineinge laufen sei. Er glaubte, daß der Schwarzkünstler Zeugen versteckt habe, die seinen Bekenntnissen gelauscht hatten und daß nun, nachdem er fein Schicksal mit seinen eigenen Worten besiegelt hatte, die Schergen hervorstürzen würden, um ihn zu ergreifen. Er würde sich sofort auf den Schwarzkünstler geworfen haben, dessen Lachen er als Schaden freude über den gelungenen Streich deutete, hätte nicht der Trieb der Selbsterhaltung ihn zunächst gezwungen, mit der Hand am Schwerte in die dunklen Ecken zu starren in der Erwartung, daß das schwarze Verhängnis aus denselben plötzlich Hervorbrechen werde. So stand er eine Zeitlang und auf seinen Zügen zog Furcht und Scham tiefe Falten. Jedoch nichts bewegte sich — kein Laut er tönte mit Ausnahme des gurgelnden Ge lächters, das noch immer aus der Kehle des Schwarzkünstlers wie das Glucksen einer heiseren Henne hervorbrach. Herr von Vidoche erkannte, daß er sich ge irrt hatte. Legte sich jedoch auch seine Furcht, so steigerte sich um so mehr seine Wut, denn er schämte sich darüber, daß er seine Schwäche so offenkundig vor dem Schwarzkünstler gezeigt habe. Und nun drang er auf den Astrologen ein. „Hund," schrie er und aus seinen Augen leuchtete es wild, „Hund, wenn du nicht sofort mit deinem Grinsen aufhörst, so renne ich dir meinen Degen durch den Leib! Wirst du mir sofort das Ding geben, um dessentwillen ich ge kommen bin? Ja oder nein?" „Gemach! Gemach!" . Der Schwarz künstler wehrte den Ungestümen mit starkem Arme ab. „Ich hab's Euch ja doch versprochen und Solomon de Notredame bricht niemals sein Wort!"
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