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politische Kunälchau. Der russisch-japanische Krieg. *Die letzten Meldungen vom ostasiatischen Kriegsschauplätze lassen eine entscheidende Wen dung zu Lande nahe erscheinen. Es wurde dieser Tage über die Niederlagen be richtet, die die Russen am 31. Juli und 1. August an ihrer Ostfront erlitten haben; danach ist auch eine Niederlage des süd lichen Flügels der Kurop atkinsch en Armee zu verzeichnen. Wie die beiden Backen einer Kneifzange steht jetzt fast die ganze javanische Hauptarmee um die russischen Heeres abteilungen Kuropatkins herum. Nach den Niederlagen der letzten Tagen ist die russische Südarmee, wie General Kuropatkin selbst meldet, am Dienstag über Haitscheng hinaus nordwärts zurückgegangen. * über die Gefechte bei Haitscheng liegt eine amtliche Meldung des Generals Kuroki vor. Danach wurden die Russen am 1. August nach zweitägigen heftigen Kämpfen aus zwei festen Stellungen bei Kushulintzu und Jangzuling (Janselin) verdrängt und in die Flucht geschlagen. Die russischen Abteilungen flohen auf Anping und auf Tanghoyen zu. Die Japaner eroberten eine Anzahl Feld geschütze. In der Meldung heißt es, daß die Japaner gegen schroffe Abhänge vorgehen mußten, ohne eine passende Stellung für ihre Artillerie zu haben. Dabei sei eine Hitze von gegen 40 Grad Celsius gewesen. Wei Port Arthur haben die Japaner, wie nach einer ,Reuters-Meldung in Tokio ver lautet, nach dreitägigem, hartnäckigen Kampfe Shantaikau, eine wichtige Verteidigungs position, genommen. * In Inkan, dem Hasenort von Niutschwang, richten sich die Japaner häuslich ein. Es wird gemeldet, die japanische Regierung habe beschlossen, Inkan dem Handel zu eröffnen. Den neutralen Schiffen wird freier Verkehr gestattet werden mit der einzigen Einschränkung, daß Kriegskonterbande formell verboten ist. * * Deutschland. *Nach der sogenannten „kleinen Reichs» finllnzrefor m" werden bekanntlich vom Beginn des laichenden Etatsjahres ab den Einzelstaaten die Erträge aus der Branntweinverbrauchsabgabe und der Maischbottichsteuer, sowie aus den Reichs- stempclabgaben überwiesen. Die Erträge aus der ersten Steuerart haben sich bisher günstig ent wickelt Die Branntwein Verbrauchsabgabe hat zwar im ersten Viertel des laufenden Etatsjahres gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres ein Weniger aufzuweisen, gegenüber dem Etat aber hat sie ein Mehr von 3,3 Mill. Mk. abgeworfen. Dabei ist zu beachten, daß der Monat Juni 190t gegen über dem des Jahres 1903 ein Mehr von nahezu einer Million Mark aufzuweisen hat. Die Maisch- bottichsteuerhat sich zwar bisher bester als im Vorjahre entwickelt. Sie weist in dieser Beziehung ein Plus von nahezu litt Mill. Mk. auf. Im Vergleich zum Etat ist der Ertrag aber immer noch ein sehr ungünstiger. Tatsächlich Hai sie in den ersten drei Monaten nahezu ^4 Millionen Mark erbracht, während ihr ganzer Jahressrtrag im Etat auf 14,7 Millionen Mark angesetzi ist, nachdem der Reichstag den Vorschlag der verbündeten Regierungen um 2 Millionen Mark erhöht hatte. Selbst hinter den Erwartungen der verbündeten Regierungen ist der tatsächliche Ertrag recht stark zurückgeblieben. Jedenfalls zehrt hier das Weniger das Mehr bei der Branntweinverbrauchsabgabe nahezu auf. Die den Einzelstaaten verbliebenen Reichsstempel abgaben weisen, soweit Börsen st euer und Schiffssrachturkundenstempel in Betracht kommen, hinreichende Erträge auf, die Lojesteuer aber ist mit 31/2 Millionen hinter dem EtatSanschlage zurück geblieben. Demnach ist das Ergebnis der den Einzelstaaten zu überweisenden Einnahmen im ersten Vierteljahre kein günstiges. * General v. Trotha meldet aus Erindi- Ongoahere: Die zweite Kompanie des Feld- regiments 2 wurde am 2. August um 8 Uhr vormittags von 150 Hereros bei Okateitei an gegriffen. Der Angriff wurde abgeschlagen. 50 Hereros tot, diesseits schwer verwundet 1 Unteroffizier, leicht verwundet 2 Mann, außer dem 2 Witbois tot, einer verwundet. *Für tapferes Verhalten im Herero- Au f st a n d e ist eine Reihe von Auszeichnungen verliehen worden, im ganzen 89 Orden und Ehrenzeichen. Die für Eingeborene neuge stiftete Kriegsverdienstmedaille haben erhalten Hendrik Witboi und der Unterkapitän Samuel Isaak die erste Klasse in Gold und der Vormann Max Katuokombanda die zweite Klasse in Silber. Österreich-Ungarn. *Die österreichischen Kaisermanöver dürften wegen derWassernotinBöhmen, die eine Wasserversorgung der Truppen un möglich macht, abgesagt werden. Italien. * Der Papst hatte Mittwoch vormittag anders bandeln können. Auf Professor Paw low machte der Mörder einen wenig intelli genten Eindruck. Die äußere Verwundung ist ziem lich harmlos, doch wurden dem Attentäter zwei Zehen amputiert; die Wunde im Becken flößt Be sorgnis ein; falls jedoch Komplikationen nicht eintreten, dürfte seine Überführung aus dem Ge fängnisse an der Wiburger Seite für Einzelhaft nach der Peter-Pauls-Festung dieser Tage schon er folgen. — So viel ist bereits durch die Unter suchung genau festgestellt, daß das Attentat die Umsturzpartei zum Urheber hat, und wohl vorbereitet in jeder Hinsicht war. Eine Anzahl Verhaftungen wurden bereits vorgenommen. Dieser Tage hofft die Untersuchung auch den Namen des Mörders zu erfahren, doch herrscht begreiflicher weise noch tiefstes Schweigen, bis die Spur durch Recherchen festgestellt ist. Preußische Prinzen auf dem Wege zum Kriegsschauplatz. ; ?IE fMMcsi stiopoio v<m füfluösfibi fmdir Kkfll.kdiiM vm t-ionfistLolEU Prinz Friedrich Leopold, General der Kavallerie, ist zur Entsendung in das russische und Prinz Kart Anton von Hohenzollern, Major im Großen Generalstabe, zur Entsendung in das japanische Hauptquartier ausersehen worden. Prinz Friedrich Leopolo gehört der Armee seit 1875 an. Früher kommandierte er die 22. Division in Kassel. Er steht L la suits des 1. Garde-Regts. zu Fuß und des 1. Lcib-Hus.-Regts. Nr. 1 und ist Chef des Schleswig-Holstein. Ulanen-Regts. Nr. 15. Prinz Karl Anton von Hohenzollern ist der dritte Sohn des Fürsten Leopold von Hohenzollern. Er ist mit der Prinzessin Josephine von Belgien vermählt. eine lange Besprechung mit dem bisherigen Nuntius in Paris Lorenzelli, der ihm über die Lage Bericht erstattete. *Der Papst soll beabsichtigen, über Combes den höherenKirchenbann zu verhängen. Rußland. *Nach polnischen Blättermeldungen haben anläßlich der Ermordung Plehwes vorgenommene Hausdurchsuchungen der russischen Polizei ein ungemein reichhaltiges Material in die Hände geliefert. Aus den vorgefundenen Papieren geht heüwr, daß ganz Rußland von ge heimen revolutionären Gesell schaften förmlich unterwühlt ist, deren Organisation selbst die höchsten Kreise bis in die unmittelbarste Nähe des Thrones einschließt. Das oberste Ziel der Palastrevolutionäre ist, den Zaren zum Verzicht auf die Allein herrschaft und zur Erlassung einer freisinnigen Verfassung zu zwingen. Die Re'gierungskreise find überzeugt, daß Rußland sich am Vor abend einer Revolution befindet, und daß nur außerordentliche Maßregeln den Aus bruch einer solchen verhindern können. *Die Verhöre, die bisher mit dem vermeint lichen Mörder Plehwes angestellt worden sind, blieben vollständig resultatlos. Sein Befinden hatte sich in den letzten Tagen verschlimmert, ja es wurde sogar befürchtet, er würde seiner Verwundung erliegen. Der Fieberzustand war infolge starker Eiterung der Wunde außergewöhnlich hoch. Da die Operation nicht sehr gut gelungen war, wurde sofort der be kannte Chirurg Professor Pawlow hinzugezogen, der den Eiter fortschaffte. Jetzt ist die Gefahr vorüber. Im Gespräch mit Pawlow äußerte der Attentäter, er sei Russe, Volksschullehrer sowie Land statistiker und 26 Jahre alt. Er bereue wohl sein Verbrechen als solches, doch habe er nicht Amerika. * Eine sremdenfeindlicheHaltung nimmt der Präsident der Negerrepublik Haiti, General Nord, ein. Nach einem Telegramm aus Port au Prince klagte er in einer Ansprache bei einem öffentlichen Empfang die Fremden an, daß sie den Wechselkurs und die Warenpreise in die Höhe trieben in der Absicht, seine Re gierung zu stürzen. Er deutete an, er würde strenge Maßregeln zu seiner Verteidigung er- ergreifen und nahm in drohender Weise Bezug auf das, was sich 1804 in Haiti ereignet hatte. Die Fremdenkolonie ist darüber beunruhigt. (Im genannten Jahre wurden von dem nach maligen Negerkaiser Desfalines alle Weißen auf Haiti ermordet.) Kerlin als fremäenstaät. Als Fremdenstadt darf Berlin in den Sommermonaten noch weit mehr gelten als während des übrigen Jahres. Nicht nur, daß die Zahl der auswärtigen Besucher gerade in den Monaten von Juni bis September stets die größte zu sein pflegt, der fremde Besuch wird vielmehr auch dadurch noch besonders merklich, daß die Einheimischen während der warmen Jahreszeit in großen Scharen der Stadt den Rücken kehren und sie neidlos den Provinzialen und den Ausländern überlassen. Schon ein flüchtiger Blick auf die Friedrichstadt, die von dem Fremdenpublikum vorzugsweise bevölkert wird, und andrerseits auf die Viertel besonders des Westens und Südwestens, die eine Massen flucht ihrer Bewohner aufs Land, an die See, in die Berge zu verzeichnen haben, lehrt, daß im Sommer Berlin nicht den Berlinern, sondern den „Außsrhalbichen" gehört! Leider lassen sich über den zeitweiligen Auszug der Reichs hauptstädter aus ihrem Heim keine Halbwegs verläßlichen Zahlen beibringen, da nur in den wenigsten Fällen das polizeiliche Meldeamt von der Sommerreise in Kenntnis gesetzt wird; da gegen wird jeder zureisende Fremde sorgsältig notiert, und aus diesen Aufzeichnungen geht hervor, daß durchschnittlich in den letzten Jahren etwa 80 bis 90 000 auswärtige Besucher pro Sommermonat in Berlin angekommen find. Im August vorigen Jahres betrug ihre Zahl sogar schon 99 735, sodaß, wenn es gut geht, vielleicht noch im lausenden Jahr die 100 000 überschreiten wird. Zum erstenmal hat jetzt das Berliner Statistische Amt auch den Anteil der Ausländer an dem Berliner Fremdenver kehr veröffentlich! und zwar zunächst für den Monat Juni d. Es waren in dem genannten Monat im ganzen 78 276 Fremde in Berlin eingetroffen, darunter natürlich weitaus die meisten aus dem Deutschen Reiche. Aus Ruß land reisten zu 5094 Personen, aus Österreich 1891, aus Schweden 1023, aus England 935, aus Dänemark 844, aus Frankreich 597, aus Holland 471, aus der Schweiz 266, auS Belgien 203, aus Norwegen 188, aus Italien 165, aus den Balkanstaaten 81, aus Spanien 35, aus der Türkei 31 und aus Portugal 28. Von den andern Weltteilen war Amerika recht stattlich mit 2096 Personen vertreten, Afrika mit 80, Asien mit 67 und Australien mit 27. Auffallen muß der ungewöhnlich große Fremdenstrom aus Rußland, der den Verkehr aus Österreich bei nahe um das Dreifache übersteigt. Ferner ist es merkwürdig, daß das große Asien nur den 30. Teil von den Besuchern schickt, deren sich Berlin aus Amerika erfreuen darf. Es wird interessant sein, später, wenn diese Statistik erst zu einer gewissen Größe gediehen ist, den per sönlichen Verkehr des Auslandes mit Berlin genauer zu betrachten. Von uncl fern. Über den Tod des Leutnants Peytsch vom 9. Thüringischen Infanterie-Regiment wird noch gemeldet, daß der Verunglückte in Gesell schaft mehrerer Kameraden einen Ausflug von Diez nach Ems unternommen batte. Als die Offiziere wieder nach Diez zurückgekehrt waren, vermißten sie ihn. Die Nachforschungen waren zunächst erfolglos, bis am andern Morgen ein Bahnwärte: hinter Ems die schrecklich zugerich- tete Leiche des Offiziers auf den Gleisen fand. Der Verunglückte ist zweifellos aus dem fahrenden Zuge gestürzt, ohne daß dies von seinen Kameraden bemerkt worden war. Über eine» enttäuschten Ausstellungs besucher schreibt die. ,Düsseld. Zig/: Es war im alkoholfreien Restaurant zum Jungbrunnen, vom Volksmund die „Lattenburg" genannt. Herein tritt ein bergischer Bauer, der es sich in einem stilisierten Stuhl beguem macht. „Gövvt mech e Glas Bier!" sagt er zu dem fein be frackten Kellner, der mit spitziger Zunge er widerte: „Bedaure sehr, Bierhaben wir nicht!" — „Dann doth mech e Körnche!" — Bedaure, Schnaps führen wir auch nicht!" — „Wat, e Körnche hat er och nit!" — „Denn gövvt mech zwei Zigarre!" — „Zigarren führen wir auch nicht!" — „Die Kähls hant die Konzession nit gekräge!" sagte das Bäuerlein und sah das Haus mit mitleidigem Lächeln au, als er den Jungbrunnen kopfschüttelnd verließ. Der Ausflug in den Tod. Eine aus 30 Personen bestehende Gesellschaft von Aus- flüglern unternahm, wie aus Radautz be richtet wird, mit der Zahnradbahn eine Partie nach Falken. Als der Zug gerade an einer steilen Stelle eine Schlucht passierte, versagte die Bremse, ein Wagen wurde aus den Schienen geschleudert; von den Ausflüglern wurde eine Dame getötet, während die übrigen Personen mehr oder minder schwer verletzt wurden. Übermut tut nie gut. In der Halber- städter Straße zu Magdeburg machten auf dem Dache eines Hauses junge Leute ausgelassene Springübungen, wobei einer namens Bertold fehltrat und vier Stockwerke tief herabstürzte. Er war sofort tot. K Der sauberer von Paris. 14s Roman von S. I. Weymann. (Forvebunq.; Madame hatte ihre Träumereien noch nicht be endet, als sie am Hause arlangten. Der Tür- Wächter schlief in seinem Verschlage und die Tür stand weit offen. Sie schlüpften in den dunklen schweigenden Hof und traten in die Vorhalle. Zwei Diener lagen schlafend auf den Bänken und aus dem Gefindezimmer tönte das Gespräch der andern — niemand bemerkte ihren Eintritt. Das Glück hätte sie nicht freundlicher begünstigen können. Mit über mütigem Lachen und dankbarem Herzen eilte Madame die große Treppe hinauf und ver schwand in ihren Gemächern. Margot folgte. Sie sahen beide nicht den Schatten, der hinter ihnen über die Brücke gehuscht war, dann durch dis Straßen, über den Hof und in das Haus. Ein Diener, der herbeikam, als er die Treppen knarren hörte, glaubte, eine kleine schwarze Gestalt zu bemerken, die in den oberen Gemächern verschwand. Doch im Hause gab es keine Kinder und da die Gestalt einem Knaben glich, so rieb sich der Diener die schlaftrunkenen Augen und meinte, daß er sich geirrt habe. In späteren Jahren konnte Jehann niemals ganz erklären, warum er eigentlich das Unter nehmen gewagt und sich der Gefahr ausgesetzt habe, das fremde Haus zu betreten. Allerdings durfte er nicht zur Rue Touchet zurückkehren und er wußte keinen andern Ort, wo er sonst vor der rauhen Nacht Schutz finden konnte. Eine andere Erklärung vermochte er nicht zu geben. Somit folgte er den Frauen und stand nun unschlüssig und fröstelnd unter der großen Hängelampe am oberen Ende der Treppe. Vor ihm hingen schwere Gardinen. Als der Diener zu der Treppe kam, kroch Jehann schnell zwischen den Vorhängen hin durch und befand sich in einem prächtigen Ge mache, halb Vorhalle, halb Wartezimmer, das von einer goldenen Lampe sein Licht empfing. Gegenüber wölbte sich ein Kamin aus weißem Marmor und zur Linken wie zur Rechten ver deckten seidene Vorhänge zwei prächtig ausge legte Türen. Auf einem Dreifuß in der Nähe des Kamins standen irdene Krüge und in der Milte des Zimme s glitzerten auf einem kleinen Tische kristallene Flaschen mit farbigen Gläsern, um die herum kleine Meine Teller allerlei Näschereien verlockend darboten. In diesen Tagen speiste man um elf Uhr zu Mittag und um sechs Uhr zu Abend; bevor man sich um neun Uhr zur Ruhe legte, nahm man noch einen kleinen Imbiß. Jehann schmiegte sich, vor Frost und Er regung bebend, in eine Ecke; er erschrak, als er plötzlich seine bleiche Gestalt im Spiegel bilde an der Wand vor sich sah. Ach, es war so kalt im Zimmer doch draußen auf der Straße war es noch viel kälter und dort würde er sicher erfrieren. Jehann hörte, wie die Frauen in dem Ge mache zur linken Hand sich plaudernd hin und her bewegten; sonst war alles still und man konnte im ganzen Hanse keinen andern Laut vernehmen. Nach ein paar Minuten unschlüssigen Wartens glitt er über den glatten Parkettboden zur Türe rechts und setzte sich in die Ecke hinter den lang herabwallenden Vorhängen, die er um seine fröstelnden Glieder hüllte. Bald fühlte er den wohltätigen Einfluß der wärmenden Ecke und er hätte nur allzugern die schweren Augenlider geschloffen, um im Schlafe sein Elend zu vergessen. Vergebens bemühte er sich, die wilden Phantasien, die sein Hirn durchkreuzten, zu verscheuchen. Die Lider fielen nur halb über seine Augen und gleich einem Nebelbilde sah er, wie die purpurnen Dämpfe zitternd von den glühenden Kohlen aufstiegen. Er bewunderte die Farben der einzelnen Stücke: schwarz am äußeren Rande, grau an der Seite, und gelb und goldig in der Mitte. Er lauschte, wie die Dämpfe zischten und wie die Stücke prasselnd zersprangen und dann hörte er, wie ein Diener in der Vorhalle gähnte. Zuletzt, ganz zuletzt öffnete sich eine Tür in der Nähe. Er sah, wie Madames bleiches Gesicht einen Augenblick lang aus den gegen überliegenden Vorhängen hervorlugte. Dann teilten sich die Gardinen und Madame trat mit hastigem Schritte in das Gemach. Aber mals blieb sie stehen, angestrengt nach allen Richtungen lauschend. Sie war in ein leichtes Kleid gehüllt, das die schönen Formen ihres schlanken Körpers deutlich hervortreten ließ. Auch schien sie barfuß zu sein, denn sie schwebte geräuschlos über das Parkett dahin. Am Tische stand sie still und nickte mit zufriedenem Lächeln. Ihre Wangen waren leicht gefärbt. Sie beugte sich zu den Gläsern nieder, doch konnte sie offenbar nicht finden, was sie gesucht hatte. Fröhlich wie ein Kind hüpfte sie zu dem Dreifuß in der Nähe des Kamins und prüfte die einzelnen Krüge. Dann trug sie eins der Trinkgefäße zum Tisch zurück und nahm den Deckel ab. Sie wandte dabei dem lauschenden Knaben ihren Rücken zu. Jehann betrachtete mit atemloser Spannung ihre Bewegungen, doch konnte er nicht sehen, was vorging, obgleich er es wohl ahnte. Madame hob dann den Pokal empor, be trachtete ihn mit verklärtem Blicke und — setzte ihn an die eigenen Lippen. Beinahe hätte Jehann laut aufgeschrien. Das Herz stand ihm still und er machte sich bereit, plötzlich aus seinem Versteck hervorzuspringen. Doch im nächsten Augenblick erkannte er seinen Irrtum, Madame halte das Gefäß nur geküßt und jetzt murmelte sie ein kurzes Gebet. Sie drückte das kleine Päckchen an ihr Herz und kehrte zur Tür ihres Gemaches zurück. Plötzlich blieb sie stehen und warf einen Kußfinger in die Richtung des Tisches. Dann fiel der Vorhang über ihre tränenfeuchten Augen. 7. Klytämnestra. Kaum war Madame verschwunden, als die große zum Hofe führende Pforte donnernd in das Schloß fiel. Die Vorhänge bewegten sich in dem kalten Windhauche, der über die Treppen wehte. In der Halle ertönte lautes Fluchen. Jehann zuckte zusammen, denn er kannte die Stimme nur allzugut. In fieberhafter Er- Wartung schmiegte er sich in die Ecken seines