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Die „Vttendsrfer Zeitung" -»-scheint Dcenstag, Donners, rag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich t Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inserat bi, vormittag io Uhr. Inserate werden w't io Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Nr. 75. Freitag» den 24. Juni 1904. 3. Jahrgang. Oertlichrs und Sächsisches. Gttendorf.Gkrilla, 2z. Juni 1904. — Kirschen werden jetzt schon in größeren Mengen angeboten. Dies gibt Veranlassung, die vielen Liebhaber dieser Frucht darauf hin zuweisen, daß es strafbar ist, die Kerne und sonstigen Ueberreste auf Fußwege usw. zu werfen; denn durch diese Unsitte gefährdet man die gesunden Gliedmaßen der Mitmenschen. Auch vor dem Verschlucken der Kerne ist zu warnen. Infolge ihrer geringen Größe und Form können sie leicht in den Blinddarm ge raten und dort Entzündungen Hervorrufen, die unter Umständen den Tod herbeiführen. — Wichtig für Mieter ist eine kürzlich vom Amtsgericht Dresden ergangene Entscheidung. Viele Mieter kommen jetzt in die Lage, mcht zu wissen, an wen sie die Miete zahlen sollen, weil infolge von Konkurs, Verkauf des Hauses oder Pfändung der Miete mehrere Herren oder deren juristische Vertreter Anspruch auf die Miete erheben. In dieser unerquicklicher Situation befand sich kürzlich auch ein Ge- schäftsgehilfe in Dresden, dem erst ein Zahlungs verbot durch das Amtsgericht zugestellt worden war und von dem später der Zwangsverwaltsr deS Hauses die Miete forderte. Der betreffende Mieter verweigerte die Zahlung, da er nicht wußte, was er machen sollte; schließlich stellte sich heraus, daß die Forderung des Zwangs- verwallers berechtigt sei. Nun wurde der Mieter dazu verurteilt, die Kosten des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens zu tragen. In der Urteilsbegründung ist unter anderem aus geführt worden: Wollte der Beklagte die Un gewißheit, an wen er eigentlich zu zahlen hätte, nicht auf sich nehmen, hätte er nach Z 372 des B' G--B. den Mietzins bei dem Amtsgericht hinterlegen müssen. Daraus ergibt sich, daß in solchen Fällen die Mieter immer gut tun, den Mietzins beim Amtsgerichte zu hinterlegen, wenn sie sich vor unnötigen Geldausgaben sichern wollen. — Der Ansichtspostkarten-Sport gelangt NUN wieder in seine Hochsaison und schon Mehren sich die unanbringlichen Karten bei der Post ins ungezählte. Alle Warnungsrufe durch die Presse, alle Warnungstafeln über Briefkasten und an Ausflugsorten „Marke und Adresse nicht vergessen!" vermögen die Uebel stände nicht beseitigen. Es ist nur zu natürlich daß in der fröhlichen Stimmung und bei der Eile auf Ausflügen und Reisen die Aufschrift vergessen oder auch die Frankierung Unterlasten wird. Ebenso erklärlich ist es, daß in der Adressierung Irrtümer, Verwechselungen und Auslastungen Vorkommen, wodurch eine Be stellung der Karten einfach unmöglich wird. Derartige unanbringliche Karten sind dann fast auSnahmloö dem Feuertode geweiht, denn bei der Aufgabeanstalt ist der Absender durch die einfache Namens- oder gar nur Vornamens angabe nicht zu ermittel!', Es kann daher nicht dringend genug geraten werden, auf allen Karten stets auch die volle Adresse des Ab senders anzugeben, was am besten an einer Schmalseite der Aufschriftsseite der Postkarten geschieht. Paisiert dem Absender dann wirklich mal ein Irrtum in der Adressierung, so ist für ihn wenigstens die Karte nicht verloren, sondern er erhält sie auf Grund dec vollständigen Angaben des Absenders nach seinem Wohno t zugesandt. Wie schnell und leicht wird nur oft ein beleidigender Verdacht wegen des Ab handenkommens dieser oder jener Ansichtskarte ausgesprochen und gewiß meist ganz unbegründet. Wird einem bekannt, daß eine Karte den Empfänger nicht erreicht Hal und man legt Wert auf ihre Wiedererlangung oder nach trägliche Zustellung an den Empfänger, so wende man sich nochmals wegen Nachforschung an die Post unter genauer ^Bezeichnung der Karte. Wird die fehlende Karte dann unter den längere Zeit aufbewahrten unanbringlichen Sendungen vorgesunden, so wird sie gegen Entrichtung einer Nachforschungsgebühr von 20 Pfg. zurückgegeben. Ist nichts zu ermitteln, o ist diese Gebühr nicht zu entrichten. — Neue Telegraphenanstalten. Heute wird m Lichtensee, Wendischfähre, Dittmannsdorf iei Sayda und Zadel (Sachsen) je eine mit der Posthilfsstelle vereinigte Telegraphenanstalt und öffentliche Fernsprechstelle in Wirksamkeit treten. Die neuen Telegraphenanstalten sind ugleich Unfallmeldestellen. — Der Preiskampf auf dem Petroleummarkt ;ält an. In New-Dark hat der Petroleum- vnig Rockefeller den Preis wieder um 10 Pf- jerabsetzen lassen; um ebenso viel sanken die Petroleumpreise in Hamburg. Es ist bereits mitgeteilt worden, daß Rockefeller damit die europäische Konkurrenz treffen will. Dem Publikum bringen die Ermäßigungen jetzt, da wir die laugen Abende haben, weniger Vorteil. Rockefeller hat sich auch bemüht, in Rumänien Fuß zu fassen. Dies ist ihm nunmehr insofern geglückt, als er in Bukarest eine rumänisch amerikanische Petroleum-Gesellschaft mit einem Grundkapital von 2 Mill. Fr. gründete. Auf dem rumänischen Petroleummarkt hat aber die Berliner Diskontogesellschaft bisher immer noch die Oberhand, und sie wird ihre Interessen dem amerikanischen Spekulanten gewiß nicht prcisgeben. Dresden. Bei einem Postamte der inneren Altstadt sind am Dienstag nachmittag wieder falsche Geldstücke angehalten und be schlagnahmt worden. Es waren dies ein Zweimarkstück mit der Jahreszahl 1873 und zeichen und ein Einmarkstück mit der Jahreszahl 1875 und dem Münzzeichen v. Die Prägung des ersterwähnten Falsifikats kann als gut bezeichnet werden, während die jenigen des letzteren mangelhaft ist. Im übrigen sind die nachgebildeten Stücke aus minderwertigem Metall hergestellt und klanglos. — Zusammenstoß. Am Mittwoch fand vor der Germania-Apotheke in der Wettinerstraße ein heftiger Zusammenstoß zwischen einem Automobil und einem Radfahrer statt, wobei der letztere eins Kopfwunde davontrug und mit zertrümmertem Vehikel heimkehren wußte. — Bei dem am Dienstag nachmittag in der sechsten Stunde sich entladenden Gewitter schlug der Blitz am Erfurter Platz und in das Grund stück Gehe-Straße 17 ein. Während der Blitz am ersten Ort, ohne Schaden anzurichten, in die Blitzableitungsvorrichtung der Straßenbahn oberleitung schlug, traf der Strahl in die Gehe- Straße den hohen freistehenden Schornstein des Hofgebäudes. Die Wirkung des Strahls war eine gewaltige, denn der Schornstein wurde im oberen Teile völlig zerschmettert und dann bis unten total aufgerissen. Gleich Granat splittern wurde» kleinere Mauerstücke durch die Fenster in dis Wohnungen der nahestehenden Vorderhäuser geschleudert, wahrend zentnerschwere Teile auf das Dach des Hofgebäudes und in den Hof stürzten. Das Dach wurde bis auf die Decke einer Wohnung durchschlagen, in der sich ebenso wie auf dem Hof im kritischen Momente zum Glück niemand befand. Die alamierte Feuerwehr barg das Mobiliar der bedrohten Wohnung und suchte durch den starken Wasserstrahl einer Dampfspritze den immerhin noch etagenhohen Rest des Schorn steins, der einen wcitklaffenden Riß zeigte, umzulegen. Diese Arbeit wurde zum Teil vereitelt, da die Zementmauer äußerst fest war. Nachdem man die Ueberzeugung erlangt hatte daß der stehende Rest eine baldige Einsturz gefahr nicht bilde, rückte die Feuerwehr gegen 8 Uhr abends ab. Radeburg. Die diesjährige General versammlung des „Konservativen Vereins im Amtsgerichtsbezirk Radeburg" fand am Sonn abend im Ratskellersaale statt und erfreute sich eines zufriedenstellenden Besuches. Nauwalde. Ein Blitzschlag zerstörte am Dienstag gegen ^6 Uhr das vor wenigen Jahren erst neugebaute Anwesen des Hütten ¬ arbeiters Kasanka- In kurzer Zeit standen sowohl das Stallgebäude als auch das Wohn haus in Hellen Flammen. Beide Gebäude brannten vollständig nieder. Leipzig. Die diesjährige Michaelismesse beginnt für deu Groß- und Kleinhandel am Sonntag den 28. August und endet Sonntag den 18. September. Die Ledermesse wird Mittwoch den 14. September eröffnet. Die Meßbörse für die Leder-Industrie wird an demselben Tagen nachmittags von 5 bis 7 Uhr im großen Saale der neuen Börse am Blücher- platze abgehalten. Crimmitschau. Ein am Dienstag nach mittag um 3 Uhr hier niedergegangenes Ge witter war mit einem 6 Minuten andauernden heftigen Hagelschlag verbunden. Die Hagel körner waren zum Teil so groß wie Wallnüfse. Der durch das Unwetter in Garten und Feld angerichtete Schaden ist noch nicht zu übersehen, jedoch sehr bedeutend. Die Heu- und Obst ernte ist nahezu vernichtet. Gegen 5 Uhr zog abermals ein sehr starkes Gewitter auf. Zwickau. Die Auslieferung des in Monaco aufgeeriffenen früheren Kassierers Colditz, der die Vorortgemeinde Niederplanitz um 38500 M. bestohlen hat, ist genehmigt worden. Colditz Transport hierher ist bereits im Gange. Falkenstein. Unglaubliche Roheiten wurden in der Nacht vom Sonntag zum Montag auf dem Friedhöfe ausgeführt. Von mehreren Personen wurde der Zaun durchbrochen und eine große Anzahl Gräber verstümmelt, und viele Leichensteine wurden umgestürzt, Grab platten abgehoben, solche zerbrochen oder um gekehrt aufgelegt usw. Von den Tätern fehlt jede Spur. Der Kirchenvorstand setzt aus ihre Ermittelung eine Belohnung von 50 Mk. aus. Klingenthal. In der Werkstatt des Schmiedemeisters Renz explodierte am Sonntag eine Benzinflasche. Der Meister selbst, seine Gehilfen und mehrere Zuschauer, im ganzen sieben Personen, wurden im Gesicht und an den Händen mehr oder weniger schwer ver brannt, Ein fünfjähriges Kind ist am meisten verletzt. Renz baute sich ein Automobil und wollte den Motor auf seine Gebrauchsfähigkeit prüfen. Dabei hat ein Funken der Zündung eine offenstehende Benzinflasche zur Explosion gebracht. Die Flasche soll nur einen halben Liter Benzin enthalten haben. Oberwiesenthal. In Dörnberg, zum benachbarten Joachimthal gehörig, hat das vier jährige Kind eines Bergmanns zwei Schlaf pulver, die einst der verstorbenen Muller ver ordnet waren, eingenommen, Das Kind ist nach kurzer Zeit der Wirkung des Giftes er legen. Aus dem Vogtlands. Mit der Heuernte wurde im oberen und östlichen Vogtlands be gonnen. Der Ertrag ist sehr zufriedenstellend. Die Wiesen stehen in^seltener Pracht und Fülle- Auch dis Roggenfelder berechtigen zu den besten Hoffnungen. Infolge des günstigen Standes der Kleefelder hat man mit der Grünfütterung begonnen. Ein Preisrückgang der Butter ist bereits zu verzeichnen. Die alten Kartoffeln fallen ebenfalls im Preise immer mehr. Auch eine Mahnung bringen die „G. N." van einem Leser wie folgt: Fürst Bismarck, der Mann der plastischen und drastischen Vergleiche und Beispiele, erinnerte, wie in den Tagebuchblättern Bosses erzählt wird, einmal einen Beamten, der einen unhöflichen, ablehnenden Bescheid gegeben hatte, an den Gegensatz zwischen Franz I. und Karl V.: Franz I. habe so artig abgelehnt, daß jeder entzückt, Karl V. so unhöflich ge währt, daß jeder empört gewesen sei. Bosse gibt der preußischen Bürokratie den Rat, sich dieses Bismarcksche Geschichtchen hinter die Ohren zu schreiben, denn sie leiste an form loser Grobheit und bockledernen Steifhut oft geradezu Unglaubliches. Der Vergleich von Franz I. und Karl V. trifft noch heute zu, wenn man beispielsweise die französische und deutsche Bürokratie neben einander hält. In ihrem Kern ist die französische Bürokratie viel schlimmer als die deutsche, denn sie ist langsamer und formalistischer, aber weil sie höflicher ist, erscheint sie liebenswürdiger. Dem Schreiber dieser Zeilen ist es vor wenigen Monaten in Mentons passiert, daß er an einem Postschalter Briefmarken verlangte, während der Beamte mit dem Abschlusse einer Rechnung beschäftigt war. Nach etwa einer Minute gab der Be amte die verlangten Briefmarken und sagte dabei: „Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen nicht geantwortet habe und Sie habe warten lasten aber ich hätte mich sonst bei meiner Rechnung irren können." Und nun die deutsche Postverwaltung. Mir liegt das Formular einer Antwort auf die Anmeldung zur An schließung eines Nebenanschlusses an das Fern sprechnetz vor. Gerade die Fernsprechverwaltung ist ja doch nicht nur Behörde, sondern zugleich auch Kaufmann, der seine Geschäfte macht, sie hätte also darum doppelten Anlaß zur Höflichkeit. Das ganze Formular ist in dem Tone gehalten, in dem der Vorgesetzte zum Untergebenen spricht- Der Glanzpunkt aber ist die Stelle, wo davon die Rede ist, daß man die Bestimmungen über die zu zahlende Vergütung auf dem Fern sprechamts einsehen könne. Es ist wirklich keine ganz höfliche Zumutung an den Käufer, von ihm zu verlangen, daß er zur Fernsprech stelle läuft, um zu erfahren, was er zu zahlen hat, statt daß man dem Formular die betreffenden Bestimmungen einfach beifügt. Dabei ist die Postverwaltung noch eine unserer höflichsten Behörden und sie rangiert in dieser Beziehung jedenfalls gleich hinter der Polizeibehörde, die — ich meine damit nicht bloß die Schutzleute auf der Straße, sondern auch der Bureaux — nicht nur relativ, sondern auch absolut höflich ist. Ich möchte aber einmal einen Menschen von Selbstgefühl sehen, der sich nicht unangenehm berührt fühlt, wenn er Formulare resp. Zu stellungen von den Gerichten bekommt. Ein kleines Beispiel. Wenn man einen Prozeß ge führt hat, so hat es die Gerichtsbehörde zu nächst mit der Kostennote gar nicht so sehr eilig, es vergehen meist mehere Wochen, ehe die Rechnung an die Zahlungspflichtigen gelangt. Aber das Publikum muß es eilig haben, denn in der Rechnung findet sich der freundliche Vermerk, daß, wenn nicht binnen einer Woche Zahlung geleistet werde, ohne weiteres Zwangs beitreibung stattfinden werde. Wie kommt man denn dazu, in so unhöflicher Form zur Eile anzutreiben? Wer in aller Welt wird sonst Rechnungen mit einem derartigen Zusatze zu präsentieren sich gestatten? Der Grundfehler liegt darin, daß der deutsche Beamte er stehe hoch oder niedrig, sich als Vorgesetzter des Publikums ansieht. Das ist er aber in keiner Weise, denn jeder selbständige Staatsbürger ist nur Untertan des Staals und Königs, aber kein Minister und kommandierender General ist sein Vorgesetzter, geschweige denn irgend ein anderer Beamter Ich meine, daß die leitenden Staatsmänner allen Anlaß hätten, grundsätzlich eine andere Art der Behandlung des Publikums sowohl im schriftlichen, wie im mündlichen Verkehr herbeizuführen, denn Beamten- und Bürgertum sollen im Kampfe gegen die Ge walten des Umsturzes zusammenstehen. Wenn jeder Wahlzettel seine Geschichte erzählen könnte, so würde Mancher sozialistische vielleicht berichten, daß er von einem Manne abgegeben worden, der durch unfreundliche Behandlung allmählich in sozialdemokratische Stimmung hineingeärgert worden ist." Wir betrachten solches Sozialdemokratentum als Zeichen politischer Unreife, aber menschlich verstehen können wir es wohl.