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poUrilcke Aunälckau. Der rusfisch-japanische Krieg. *Der offizielle ,Rußki Invalid' schreibt: Unser Rückzug vom Ialuufer, das wir seit den ersten Tagen des Krieges besetzt hielten, ist von keiner Bedeutung, weil der Jalupofition niemals der Charakter jener Verteidigungslinie zugesprochen wurde, auf der wir dem Gegner die Entscheidungs schlacht liefern wollten. Die Position am Jalu entbehrte vor allem strategischer Bedeutung und mußte von uns verlassen werden, sobald die Zwecklosigkeit ihrer weiteren Behauptung er kannt war. . Möglich, ja wahrscheinlich, daß dem so ist: aber zweifellos würde der Rückzug keinen so bösen Eindruck machen, wenn er nicht mit dem Verluste an so vielen Kanonen, der ganzen Maschinengewehrabteilang der Truppe und so vieler Gefangenen vor sich gegangen wäre.) *Die Javaner haben nach der Schlacht bei Kiulientscheng die Verfolgung der Russen in der Richtung auf Föngwangtscheng ausgenommen. Dabei sollen ihnen noch russische Geschütze in die Hände gefallen sein; ebenso sollen sie noch viele Gefangene gemacht haben. * Die Russen geben jetzt selber ihre V er- luste bei den Kämpfen am Jaluflusse auf 40 Offiziere und 2000 Mann an. *Mer einen mißglückten Angriff d erJ a p a n er auf Port Arthur wird russischer seits amtlich berichtet, daß 8 japanische Brander und 2 Torpedoboote, als sie in der Nacht zum Dienstag herankamen, um Minen zu legen, sämtlich in den Grund gebohrt wurden. * Das Wladiwostok-K re nzerge- schwader ist wiederum mit unbekanntem Be stimmungsort von Wladiwostok ausgelaufen. Das Geschwader wird wohl einen Streifzug, ähnlich jenem nach Gensan, bei dem es den „Kiuschu Mam" zerstört hat, versuchen. Die japanische Flotte unter Kamimura kann den Russen aber leicht einen argen Strich durch den Plan machen. * In Tokio ist der Befehl zur Ein berufung der zweiten Klasse der japanischen Reserve ergangen. Die Gesamtzahl der aufgebotenen Streitkräfte wird damit auf rund 300 000 Mann steigen. * * * Der Herero-Aufstand. * Generalleutnant v. Trotha ist nun doch zum Oberbefehlshaber in Südwest afrika ernannt wurden. *Als weitere Verstärkung sollen nach Südwestafrika hinausgesandt werden: SOO berittene und 500 unbeüttene Mann, zwei bespannte Feld-Batterien mit zugehöriger Mann schaft, sowie 150 Mann zur stärkeren Besatzung der Stationen im Süden des Schutzgebietes. Wenn man hierzu noch einigen Ersatz für die bereits vorhandenen Truppenteile rechnet, so wird die Kopfstärke des gesamten neuen Trans portes auf rund 1500 Mann kommen. * * * Deutschland. * Der Kaiser ist am Mittwoch mittag in Eisenach eingetroffen und mit dem Groß herzog nach der Wartburg gefahren. Abends traf der Kaiser beim Grafen Görtz in Schlitz ein. * Mer den bevorstehenden Kaiserbesuch in den R ei ch s l a nd e n ist bis jetzt folgendes bekannt: Der Kaiser wird am 10. Mai hier eintreffen und in Straßburg bis zum 14. Mai verweilen: am 14. Mai begibt sich der Kaiser nach Metz, wohnt dort einer Parade und der Einweihung der evangelischen Kirche bei und reist noch am gleichen Tage nach Saarbrücken, wo er an der Denkmalsenthüllung teilnimmt. Ein längerer Aufenthalt in Metz und Urville ist dieses Jahr nicht vorgesehen. * Der Schriftwechsel zur Vorbereitung von Handelsvertrags - Verhand lungen zwischen dem Deutschen Reiche und Oesterreich-Ungarn ist beendet. Es läßt sich, der ,Südd. Reichskorresp.' zufolge, zwar nicht genau übersehen, wie viel Zeit die beiderseitige Prüfung der nunmehr als Grund lage für die mündlichen Verhandlungen aus getauschten umfangreichen Vorschläge in An spruch nehmen wird, doch dürsten bald nach Anfang Mai diese Verhandlungen eröffnet werden; ob in Berlin oder Wien, steht noch nicht fest. Es könnte auch an einen zwischen beiden Hauptstädten gelegenen Ort, vielleicht an Breslau, gedacht werden. *Die Münz-Kommission des Reichstages zur Beratung der Münzgesetz-Novelle (Schaffung andrer Fünfzigpsennigstücke) lehnte alle Anträge auf Abänderung des Fünfzigpfennigstückes ab, auch die Resolution auf Durchlochung. Dagegen wurde nach längerer Verhandlung ein Antrag auf Wiederausprägung von Dreimark ¬ stücken mit sehr großer Mehrheit angenommen. Die Redner aller Parteien sprachen sich für die Beibehaltung der Taler aus. Mit dieser Abänderung wurde das ganze Gesetz an genommen. *Das Oldenburger Ministerium bereitet eine Landtagsvorlage vor, wonach die selbständige Negierung des Fürstentums Lübeck auf gehoben und an deren Stelle eine Amtshaupt mannschaft treten soll. Die Vorlage wird be gründet mit den mißlichen Finanzen des Fürsten tums. Spanien. *Der König von Spanien ist am Montag an Bord der „Giralda" in Melilla eingetroffen. Zahlreiche Marokkaner ließen sich bei den Empfängen vorstellcn. Balkanstaaten. *König Peter soll gekrönt, nicht nur, wie sein Vorgänger, gesalbt werden; zwar weiß man noch nichts von Kroninfignien, doch soll die Regierung bereits beschlossen haben, daß der feierliche Akt im Kloster Schitcha in der Nähe von Kraljewo, dem alten serbischen Krönungsorte, am 15. Juni als dem ersten Jahrestage der Erwählung Peters zum Könige, vollzogen wird. (Was bei dieser kostspieligen Zeremonie für die Befestigung und Gesundung der Zustände in Serbien herausspringen soll, ist nicht einzusehen l) Amerika. *Von 994 Delegierten zu den Präsi dentschaftswahlen haben sich 588 für eine Wiederwahl Roosevelts aus gesprochen, so daß dieselbe nunmehr gesichert ist. Allerdings ist die Mehrheit überraschend gering. *Es verlautet, daß ein Mobili sierungsbefehl an die brasiliani schen Truppen ergangen ist und alle Streit kräfte des ersten Militärdistrikts an den Punkten der Grenze .Zusammengezogen würden, die von den Peruanern besetzt worden find. (Daß die amerikanischen Raubstaaten nie lange Ruhe halten können!) Aus clem A.ei§bstLge. Der Reichstag erledigte am Dienstag endlich die zweite Etatsberatung. Gegen die Erhöhung der Matrikularbeiträge sprachen sich der Schatzsekretär und eine ganze Reihe Vertreter von Einzelstaaten im Bundesrat aus. Das Plenum blieb aber gegen die Stimmen einiger Konservativen dem Beschluß feiner Kommission treu. Die Redner ^er Rechten, Graf Schwerin-Löwitz und v. Kardorff, meinten, die Einzelstaatcn hätten es fa in der Hand gehabt, durch Kündigung der Handelsverträge und Ein führung des neuen Zolltarifs mehr Einnahmen zu schaffen. Am 4. d. stand der Gesetzentwurf betr. die Wetten bei Pferderennen (Totalisatorgesetz) zur ersten Beratung. Nach der Vorlage soll die von den Wetteinlätzen zu erhebende Stempelabgabe 20 Prozent der Spiel einlage betragen. Die Hälfte des Ertrages der Stempelabgabe soll den Vereinen zum Betriebe des Wettunternehmens überwiesen werden, denen solcher Betrieb gestattet wird unter der Bedingung, die aus den Betrieben zufließenden Einnahmen ausschließ lich im Interesse der Landespferdezucht zu verwenden. Ferner enthält die Vorlage ein Verbot privater Wettbureaus. Landwirtschaftsminister v. Podbielski be gründet die Vorlage und widerlegt die in der Presse erhobenen Einwände gegen dieselbe. Der große Rückgang der edlen Pferdezucht sei auf die Hohe Totalisatorsteuer zwückznsühren, denn die höchste Passion finde ihr Ende im Geldbeutel. In Eng land sei der Totalisator nicht «angeführt worden, aber dort bestehe der freieste Weltmarkt. Das Ge setz werde sicher die Pferdezucht fördern, und das sei auch für die Versorgung der Kavallerie mit gutem Pferdematerial wesentlich. Ohne Vollblut zucht gebe es keine Halbblutzucht und ohne diese keine sichere Remontierung. Abg. Rettich (kons.): Der Erfolg der zur Deckung der Kosten der Marinewrlage seinerzeit u. a. vorgenommenen erhöhten Besteuerung des Totalisators sei ein negativer gewesen. Den Vorteil hätten nnr die schwer kontrollierbaren privaten Wctt- bureans gehabt. Die vorgeschlagene Stempelabqabe von 20 Prozent scheine zwar noch zu hoch zu fein, seine Freunde würden "aber für die Vorlage ein treten. Abg. Singer (soz.): Bei dem Börsengesetz hätten die Konservativen Wahrung der Moral für ihre Haltung als maßgebend bezeichnet. Bei Ge setzen, die agrarischen Bestrebungen zugute kämen, scheine dieser Grundsatz nicht zn gelten. Die Ver teidigung des Totalisators und die Begeisterung dafür sei ein Beweis dafür, wie tief das Niveau sei, von dem aus man in Deutschland gesetzliche Maßnahmen zu rechtfertigen glaube. Wenn man die Landespferdezucht fördern wolle, so solle man allgemeine Staatsmittel dazu verwenden. Soweit die Voilagc auf dis als unsittlich zu bezeichnende Förderung des Totalisators ausgehe, ständen die Sozialdemokraten ihr gegnerisch gegenüber. Einver standen seien sie mit dem Verbot der privaten Wett- hureaus. Preußischer Landwirtschaftsminister v. Pod bielski legt dar, daß die Vorlage mit agrarischen Bestrebungen nichts zu tun habe. Gerade die Kreise der baute üuanoo seien häufig im Besitz von Renn ställen. Die Konsequenz der Singerschen Anschanung sei der stete Wettmnrkt von England. Man könne auch nicht alle Zuch'henaste in England kaufen, man müsse sie sich selbst erziehen. Er verweise nur darauf, baß der ..Patrick" eine halbe Million Mark und ein anderer Hengst 200000 Mark gekostet haben. Des halb halte er es für richtig, die heimische Pferde zucht zu fördern. Er bitte nochmals, das Gesetz zu bewilligen Abg. Fritzen-Düsseldorf (Ztr) schlägt vor, den Gesetzentwurf der Budgeckommission zu über weisen. Die sittliche Entrüstung des Abg. Singer sei unberechtigt. Durch die Ablehnung der Vorlage beseitige man den Totalisator doch nicht. Abg. Hagemann (nat-lib.) erklärt die Zu stimmung seiner Freunde zu deni Entwürfe. Abg. Ablaß (st. Vp.) spricht sich gegen das Gesetz aus. Der Totalisator sei eine unsittliche Einrichtung. Das Verbot des Spiels am Totali sator lasse darauf schließen, daß man glaube, ein anständiger Offizier dürfe dort nicht spielen. Dann dürfe aber ein anständiger Bürgersmann auch nicht am Totalisator spielen. Abg. Pachnicke (fr. Vgg.) erklärt, von dem Gesetz nnr den einen Satz annehmen zu können: Das geschäftsmäßige Vermitteln von Wetten für öffentlich veranstaltete Pferderennen ist nicht gestattet. Daß man Vereinen aus Neichsmitteln Geld schenke, ohne daß das Parlament dabei einen Einfluß aus üben könne, sei bisher noch nicht vorgekommsn. Im übrigen sei die Förderung der Pferdezucht nicht Reichs-, sondern Landessache. Der Entwurf wird an die Budgetkommission verwiesen. Es folgt die zweite Beratung des Gesetzentwurfs betr. die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. Stach einem Referat des Berichterstatters den Kommission, des Abg. Burlage (Zentr.), kommt der Sächsisch-Weimarische Geheimrat Paulssen auf einen in der ersten Lesung des Entwurfs von dem Abg. Müller-Meiningen vorocbrachten Fall eines früheren Kerbereibefitzers zurück, der wegen Brand stiftung zu fünf Jahr Zuchthaus verurteilt und später im Wiederaufnahmeverfahren sreigesprochen worden und durch die erlittene Hast verarmt war. Diese Angaben und die weiteren daran geknüpften Betrachtungen Wim in mehreren Punkten unzutreffend. Abg. de Witt tZe nr.) erklärt, das Ges tz gehe in seiner Tragweite weit über das Gesetz über die Entschädigung unscbnldig Verurteilter binans. Abg. Himburg (konso tritt kür die von der Kommission vorgeschlagene.Fassung der Vorlage ein. Abg. Mommsen <frs. Vgg.) bedauert, daß die verbündeten Regierungen Wei ergebende Anregungen in der Kommission als unannehmbar bezeiv nct hätten, und daß das Zentrum durch sein zwischen der ersten und zweiten Lesung erfolgtes Umfallen diese Haftung der Regierungen gestützt hätte. Staatssekretär Nieberding erklärt, die ver bündeten Negierungen hätten zu ihrem Bedauern den Gesetzentwurf fallen lassen müssen, -wenn die Kommission darauf bestanden hätte, auch denjcnigwi Entschädigung zn gewähren, die wegen Mangels au Beweisen sreigesprochen worden sind, während der Entwurf der Regierung den Beweis der Unschuld verlangte. Kein Land sei im Besitz einer Gesetz gebung, wie sie das vorliegende Gesetz darsielle. Das solle man bedenken, wenn man aussichtslose, weiter gehende Anträge stelle. Darauf vertagt sich das Haus. Am Dienstag fand im Abgeordnetenhause die erste Beratung der Kanalvorlage statt. Gefordert werden zusammen 280275 000 Mk. Minister von Budde empfahl die Vorlage. Er zeigte an der Hand des Vorgehens andrer Staaten, sowie der selbst die Steigerung de? Eisenbahnverkehrs übertreffenden, gewaltigen Zunahme des deutschen Wasserstraßen verkehrs, daß die Wasserstraßen sich im Zeitalter des Eisenbahnverkehrs keineswegs überlebt haben, son dern neben den Eisenbahnen ihre volle Bedeutung behaupten. Umgekehrt bleiben die Eisenbahnen in bezug auf Schnelligkeit und Pünktlichkeit der Be förderung den Kanälen überlegen, so daß eine Be einträchtigung -des Eisenbahnverkehrs nicht zu be fürchten sei. Ebensowenig sei auch eine- Beeinträch tigung des Ausbaues des Staatsbahnnetzes zu befürchten. Abg. Am Zehnhof lZentr.) hält zwar die jetzige Kanalvorlage besser als die frühere, behielt sich aber die endgültige Stellungnahme seiücr Fraktion vor. Abg. Graf Limburg (kons.) verlangte Kündi gung der Handelsverträge im Interesse der Land wirtschaft und hoffte, daß man in der Kommission zu einer Verständigung kommen werde. Nachdem Geheimrat Sympher technische Bedenken gegen die Ausführbarkeit der Emschertallinie widerlegt hatte, sprach Slbg. Rewaldt (freikons.) die Bereitwilligkeit feiner Partei zu einer Verständigung mit der Regie rung aus. In der am Mittwoch im Abgeordnetenhaus«: fortgesetzten ersten Beratung der Kanalvorlage nahm Finanzminister v. Rheinbaben das Wort, der sich Mühe gab, die finanziellen Bedenken gegen den Bau von Kanälen und gegen den Mittellandkanaliorso im besonderen zu entkräften. Abg. Wiemer (frs. Vp.) erklärte die Bereitwilligkeit seiner Partei, unter der Voraussetzung einer gerechten Heranziehung der Interessenten zu den Kosten der Vorlage beizu stimmen, obwohl sie nur einen Torso darstelle, nach dem das Hauptftück, der Mittellandkanal, preisgegeben sei. Abg. v. Epnern gab namens der National liberalen die Erklärung ab, daß diese sich noch ab wartend verhielten, da ihnen der dezimierte Mittel landkanal wenig nach Geschmack sei. Abg. Grabski (Pole) vermißte die vollständige Kanalisierung der Warthe und einen Oder-Warthe-Kanal. Ohne prinzipielle Gegner der Kanäle zu sein, würden die Polen ans politischen Gründen dagegen stimmen. Abg. Brömel (frs. Vgg.) trat namentlich für den Bau des Großschiffahrtsweges Berlin—Stettin ein. Von unä fern. Über neue Tollwutfälle wird der ,Schles. Ztg.' berichtet. Innerhalb vierzehn Tagen ist jetzt der dritte Fall von Tollwut im Kreise Leobschütz, und zwar in Branitz festgestellt worden. Die Hundesperre ist nunmehr über insgesamt 43 Ortschaften, die meist im südlichen, an Österreich angrenzenden Teil des Kreises liegest, verhängt. — Auch im Kreise Taruowitz ist wiederum bei einem durch den Amtssekretär Giller in Taruowitz getöteten Hunde durch den Kreistierarzt Tappe aus Beuthen Tollwut rn hohem Grade sestgestellt worden. O Sine Seläkeirat. 3) Erzählung von M. Tellmar. (ForgetzunL.) „Sterben!" hauchtenGabrieles Lippen, „sterben mit ihm — oder für ihn! — Nein, leben," rief fie dann beinahe freudig, „leben und ar beiten!" Sie sprang auf, und rastlos im Zimmer auf und nieder wandernd, die Hände fest ver schlungen, durchlebte fie Jahre in Minuten. Es waren nur reine und kraftvolle Gedanken, die hinter ihrer weißen Stirn arbeiteten. Und als der Morgen graute, hatte fie ihren Entschluß gefaßt, einen festen, unabänderlichen Entschluß. Sie wollte sich dem Schicksal beugen, aber sich nicht von ihm zertreten lassen. Sie wollte ihre Liebe als ein Heiligtum durch das Leben tragen, durch ein treues, arbeitsames Leben. Sie wollte vielen andern dienen, da sie dem einen, an dem ihre Seele hing, nicht dienen durste. Und sie kniete noch einmal nieder und betete, er möge nie entdecken, daß das, was er Freund schaft genannt hatte, die reinste, heiligste Liebe war. Die Sorge, er könne je den Irrtum er kennen, mit dem er sich selbst betrogen, ließ sie ihren eigenen heißen Schmerz fast vergessen. Denn fie wußte, daß sie in seinem Herzen die Stelle einnahm, die bei edlen Naturen nur ein mal — und dann für immer — vergeben wird. Sie sagte sich ohne Stolz, daß nie eine andere ihm das tief innerliche Glück gewähren konnte, das er in ihr gefunden hätte — einfach des halb, weil sie zueinander gehörten. Sollte es aber noch etwas wie ein Glück für ihn geben, so durfte er niemals zur Erkennt nis dessen gelangen, was sie ihm gewesen war, was fie ihm geworden wäre. Und dämm wollte fie gehen, ihm die Lebens bahn freigeben. Es war das einzige, was fie für ihn tun konnte. Manche Menschen find der irrigen Meinung, es gehöre notwendig zu einer mächtigen Emp findung, daß sie unser Denken und Wollen über den Haufen wirst. Als ob es der untrügliche Beweis für den Wert eines Renners aus edlem Blute wäre, daß er den Reiter ab wirft und mit seinen Hufen zerstampft! Wohl wird jede wahre und große Liebe, der die Erfüllung versagt bleibt, Augen blicke der Leidenschaft aufweisen, wo die ge folterte Seele in unaussprechlicher Qual zum Himmel schreit und nichts anderes fordert, als einen einzigen Tropfen irdischer Glückseligkeit; wo das arme, nach Glück durstende Menschen kind allen htinmlischen Lohn, welchen die Re ligion der Selbstüberwindung verheißt, und allen Frieden in sich gefestigter Frömmigkeit opfern möchte für einen einzigen Kuß von ge liebten Lippen. Doch nur schwache Naturen gehen daran unter. Starke Naturen besinnen sich auf sich selbst. Sie lernen ihre Empfindung beherrschen, ohne ein Titelchen davon einzu- büßen. Und so ist bei denen, die mit einer hoffnungslosen Liebe im Herzen wirken und streben und der Welt nützen können, nicht die Empfindung geringer, sondern der Wille größer als bei den widerstandslos Unterliegenden. Als Gabriele sich endlich zu kurzem Schlum mer niederlegte, geschah es mit dem beseligenden Bewußtsein ihrer Liebe und mit dem beruhi genden ihrer Seelenstärke. „Guten Morgen," hatte Gabriele gesagt. Sie schien eine Zeit nicht fähig, etwas anderes zu sagen. Der Vater hatte fie leise auf die Stirn ge küßt und betrachtete fie nun etwas verwundert und halb verlegen. Die Mutter hatte das ge liebte Kind lebhaft umarmt, dann aber schnell wieder frei gegeben, um nicht durch übergroße Zärtlichkeit ihre eigene Sorge und Kümmernis zu verraten. Das Mutterauge steht scharf. Die Geheim- rätin hatte längst die im Herzen ihrer Tochter aufblühende Neigung entdeckt und die schönsten Hoffnungen daran geknüpft. Sie gehörte nicht zu den bedauerlich ehrgeizigen Müttern, die um jeden Preis die Tochter verheiraten wollen, vom Schicksal gleichsam eine Quittung für gut ge leitete Erziehung verlangend. Sie hätte Ga briele tausendmal lieber einsam, als unglücklich gesehen, und ste hatte fich oft gesagt, daß ihr eigenartiges Kind nicht für jeden paßte und nur einen würde lieben können. Sie hatte fich ebenso gesagt, daß der Moment, in welchem Gabriele sich je der Liebe bewußt würde, über ihr ganzes Leben entscheiden müßte. Der Moment war gekommen, nicht zum Glück, wie fie so freudig gehofft hatte, sondern zu bitterer, opfervoller Entsagung. Die Ge heimrätin wußte nicht, was am gestrigen Abend vorgesallen war, aber ste wußte, daß er den Wendepunkt für Gabrieles Schicksal gebracht hatte. Sorglich machte die Mutter sich mit dem Frühstück zu schaffen. Sie schenkte Kaffee ein, tat Zucker und Sahne, hinzu, strich ein Brötchen mit Butter und schob, Tasse, und Teller vor Gabriele hin. ,Sie wollte ihr Zeit lassen, fich zu sammeln. , .. . „Iß und trink, mein Kind'," sagte fie dann freundlich und so unbefangen, wie es ihr mög- , lich war, „du bist angegriffen von gestern." „Ja — danke," antwortete Gabriele. Sie brach ein Eckchen von der Semmel ab und trank hastig ein paar Schlucke. Und dann begann sie plötzlich mit fester Stimme, indem sie Vater und Mutter je eine Hand reichte: „Ihr merkt es ja doch, daß ich euch etwas zu sagen habe, und es soll lieber gleich vom Herzen herunter. Laßt mich jetzt den Beruf er greifen, von dem ich euch schon manchesmal gesprochen habe: Laßt mich nach Berlin gehen und Krankenpflegerin werden:" Der Geheimrat ließ die Zeitung fallen, sprang auf und rief heftig: „Was soll das heißen?" „Das soll heißen," erwiderte die Tochter, „daß ich der oberflächlichen Vergnügungen müde bin. Du bist ja doch auch der Ansicht, lieber Vater, daß das Mädchen ebenso das Recht und die Pflicht hat, der Welt zu nützen, wie der Mann. Du hast mir oft gesagt: „Fülle dein Leben mit Arbeit, Kind, nur laß fie weiblich bleiben." Nun wohl, was ist weiblicher, als die arMen Kranken zu pflegen und zu trösten? Und gerade das würde mir Freude machen l — Ich denke es mir so schön! — Darf ich gehen? Ja, lieber Vater?" —