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Ottendorfer Zeitung : 27.05.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190405277
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040527
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040527
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-05
- Tag 1904-05-27
-
Monat
1904-05
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 27.05.1904
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politische Kunälckau. Der russisch-japanische Krieg. * Der Rückzug derJapaner in der Mandschurei beruht nach einer ,Reuter'- Meldnng aus Niutschwang auf folgenden Um ständen. Die Japaner trafen am Montag 60 Meilen westlich von Fönghwanqtschöng auf 32 000 Russen in sehr starker Stellung und zogen sich vorsichtigerweise sehr schnell, aber in guter Ordnung zurück. Ein Bericht desselben Bureaus aus russischer Quelle besagt, daß zwar keine eigentliche Schlacht statt gesunden habe, daß aber die Kosaken die Flanken der japanischen Division beunruhigt hätten, bis diese wieder zum Hauptkorps ge stoßen sei. Die Verluste während dieses Rück zuges seien auf beiden Seiten beträchtlich gewesen. * Inzwischen soll die B e l a g eru n g von Port Arthur bereits ihren Anfang ge nommen haben. Nach einem Telegramm der ,Daily News' aus Tientsin wird Port Arthur von einer japanischen, 45 000 Mann starken Armee ringsum belagert, deren vorderste Linien nur sieben englische Meilen von den russischen Batterien entfernt stehen. Täglich finden Schar mützel an der Bahn entlang statt. Die Japaner stellen sechszöllige Schiffsgeschütze aus Stahl rädern auf, wie es die Engländer bei Lady smith taten. Man glaubt, sie würden den Sturm eröffnen, wenn ihre Zahl auf 50000 Mann gebracht ist. Einem Gerücht zufolge marschiert eine russischeArmee von 70000 Mann zum Entsatz von Port Arthur heran. Die Japaner beschleunigten daher ihre Angriffs maßregeln. Die Festung werde täglich von der Seeseite her durch die japanische Flotte beschossen. Eine Bestätigung dieser Angaben von andrer Seite liegt zurzeit nicht vor. *Die Japaner haben Kaiping ge nommen und die Russen nach Niutschwang zu zurückgetrieben. Der Herero-Aufstand. * Die Enthebung des Gouverneurs Leutwein von Deutsch-Südwestasrika von der Stellung als Kommandeur der Schntztruppe wird in der neuesten Nummer des .Militär wochenblatts' amtlich bekannt gegeben. Natürlich fübrt Leutwein die Geschäfte so lange weiter, bis General v. Trotha, der sich schon unter wegs befindet, in Swakopmnnd eingetroffen sein wird. * Unruhen in Deutsch « Südwestafrika werden auch im Süden des Schutz gebietes erwartet. Wie der ,Schief. Ztg.' aus Berlin geschrieben wird, lauten die aus dem Süden des Schutzgebietes, aus Groß- Namaland eingetroffenen Berichte so, daß dahin noch eine Trnppenabteilung von mehreren hun dert Mann verlegt werden soll. In dem süd lichen Landstriche am Oranjeflusse stehen unter dem Kommando des Hauptmanns von Koppy noch 350 Mann. Infolge der Kämpfe mit den Hereros und der dadurch entstandenen Gerüchte ist unter der Bevölkerung eine große Unruhe entstanden. * * * Deutschland. * Der Kaiser wird am 28. d. die zweite Garde-Jnfanterie-Brigade auf dem Döberitzer Übungsplatz exerzieren. * Fürst Ferdinand vonBulgarien leitete Schritte ein, um von Kaiser Wil helm empfangen zu werden. Der Fürst will die Intervention des Kaisers beim Sultan er langen, damit dieser den Widerstand gegen die Erhebung Bulgariens zum König tum aufgebe. * Die geschiedene Großherzogin von Hessen heiratet, wie der Magd. Zeitung' aus Koburg gemeldet wird, nun doch den Großfürsten Kyrill von Rußland. Der Zar, der bisher seine Einwilligung versagte, hatte endlich nachgegeben. Der Grund der Bewilligung liegt in dem heldenhaften Be nehmen des Großfürsten vor Pott Arthur, wo er sich vor dem Untergang des „Petropawlowsk" mit Mühe rettete. Zwischen Koburg und Darmstadt schwebten längere Zeit Verhand lungen, da der Großherzog von Hessen, falls sich seine geschiedene Gemahlin wieder ver heiratete, keine Apanage mehr zahlen wollte. Die Großherzogin hat aber den Erfolg dieser Verhandlungen nicht erst abgewartet; sie hat vielmehr auf die Apanage verzichtet. *Die Frage, durch welche Maßnahmen die Auswüchse des Kurpfuschertums zu bekämpfen seien, ist zur Zeit Gegenstand der Erörterung in den maßgebenden Verwaltungs stellen des Reichs und der Bundesstaaten. Die R e i ch s v er w a l t u n g hat die in Preußen getroffenen Maßnahmen und gegebenen An regungen den übrigen Bundesregierungen zur Äußerung mitgeteilt. Diese Äußerungen sind Herzog Paul Friedrich zu Mecklenburg ch. Herzog Paul Friedrich, der am Freitag in Kiel, 22 Jahre alt, gestorben ist, war der älteste Sohn des Herzogs Paul Friedrich von Mecklenburg- Schwerin und dessen Gemahlin Marie, geborenen Prinzessin zu Windisch-Grätz; er wurde am 12. Mai 1882 geboren. Als kaiserlich deutscher Leutnant zur See war der verstorbene Herzog zuletzt an Bord S. M. S. „Mars" kommandiert unb wurde als Großherzoglich Mecklenburgischer Leutnant L la «uks des ersten Grobherzoglich Mecklen burgischen Dragoner - Regiments Nr. 17 ge führt. Das Hinscheiden dieses eifrigen, vielver sprechenden Offiziers, der mit vollster Hingebung an seinem Berufe hing, bedeutet einen überaus schmerz lichen Verlust sowohl für die Kaiserliche Marine wie für das mecklenburgische Fürstenhaus, das erst im Jahre 1897 ein jugendliches Mitglied, den damals 26 jährigen Leutnant zur See Herzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin bei dem Unter gang des von ihm kommandierten Torpedobootes „8 26" verloren hat. eingegangen und bilden nunmehr den Gegen stand der Prüfung. *Bei der Reichstags stichwahl in Frankfurt a. O. - Lebus zwischen dem Nationalliberalen Bassermann und dem Sozial demokraten Braun wurde am Freitag Basser mann mit 14 388 Stimmen gewählt. Braun erhielt 11882 Stimmen. In der Haupt wahl am Freitag voriger Woche waren für Bassermann 11747, für Braun 11407 und für den bündlerisch-antisemitischen Kandidaten 2872 Stimmen abgegeben worden. *Nach dem Ergebnis der Reichstags ersatzwahl im Wahlkreis St.raßburg - Land muß zwischen Blumenthal (Demokrat) und Hauß (elsäffische Landespartei) Stichwahl stattfinden. Frankreich. * Der Matin' behauptet daß ein von der russischen Regierung an die europäischen Staaten übersandtes Projekt zur Bildung einer inter nationalen Konvention gegen die Anarchisten von Deutschland, Österreich, der Türkei, Dänemark, Schweden, Rumänien, Bulgarien, Serbien und der Schweiz unter zeichnet sei, ohne daß die Parlamente der be treffenden Länder Mitteilung davon erhalten hätten. Nur Frankreich und England hätten bisher die Unterschrift abgelchnt. Nach der Mitteilung des Matin' verpflichtet das Projekt die Mächte, einen Anarchisten derPolizei seiner Heimat auszuliefern. Malte«. *Zu der päpstlichen Protestnote gegen den Besuch Loubets in Rom bestätigen nunmehr vatikanische Blätter, daß die Note tatsächlich in zwei verschiedenartigen Exemplaren abgefaßt worden ist. Der ,Popolo Romano' teilt mit, die in der,Humanitö' veröffentlichte Note sei nicht die vom Nuntius an Delcassö zugestellte, sondern sei die von Merry del Val den Vertretern der bei dem heil. Stuhl akkre ditierten katholischen Mächte übermittelte, durch welche man diesen inhaltlich die an Frankreich gesandte Depesche zur Kenntnis brachte. Letztere habe nicht den Satz bezüglich des Nuntius ent halten. ,Popolo Romano' fügt hinzu, er sei in der Lage, auf Grund positiver Informationen zu behaupten, 1) daß die an die andern Staaten übergebene vatikanische Note, wie sie in den Zeitungen veröffentlicht ist, authcntifch sei, 2) daß keine Abschrift der Note an Preußen, Rußland und England zugestellt sei, da sie ausschließlich an katholische Mächte gerichtet wurde, um festzustellen oder von neuem sestzustellen, daß die Oberhäupter ihrer Staaten nicht würden vom Papst empfangen werden können, wenn sie gleichzeitig mit dem Papst und dem König von Italien in Rom Höflichkeiten austauschen wollten, 3) daß dies der wahre und einzige Grund besagter Dokumente sei. Der Vatikan begreife nicht die Erregung, die durch sie hervorgerufen worden sei. *Das Zerwürfnis zwischen Frank reich und dem päpstlichen Stuhl ist jetzt in ein neues Stadium getreten. Der fran zösische Botschafter beim Vatikan hat Rom verlassen, um sich nach Paris zu begeben. Vor seiner Abreise stattete er dem päpstlichen Staatssekretär Merry del Val nochmals einen Bestich ab. Rustland. * In Odessa kam es zu einer revo lutionären Studentendemonstra- tion, wobei Kosaken einschritten. Die Wider stand leistenden Studenten erhielten Hilfe durch mehrere Hunden Arbeiter. Darauf begann ein regelrechter Kampf, der von 9 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags andauerte. Auf festen der Kosekcn wurden 5 getötet, 15 verwundet, auf feiten der Gegenpartei dreißig Arbeiter getötet, ebenso 15 Studenten. Amerika. * Wegen der Entführung eines Ameri kaners durch marokkanische Banden ist von Washington aus die Entsendung eines Kriegsschiffes nach Tanger angeordnet worden. (Ein Deutscher, Berichterstatter der ,Köln. Ztg.', ist vor einiger Zeit in der Nähe Tangers ermordet worden; bisher scheint deutscherseits nichts geschehen zu sein, um Ge nugtuung und Bestrasung der Mörder zu er langen.) Heilanstalten für Lungenkranke vorhanden, von denen die Mehrzahl gleichfalls auch Minderbe güterten und Kranken der Versicherungsanstalten zu mäßigem Preise Aufnahme gewährt. Im Bau begriffen find zurzeit 9 Heilanstalten, pro jektiert außerdem noch 18 Anstalten. Die für die Errichtung der vorgenannten, bis zum Be ginn des Jahres 1904 eröffneten Volks-Heil stätten verausgabten Geldsummen betragen ins gesamt mehr als 30 Mill. Mk. Die Zahl aller im Betriebe befindlichen Anstalten überhaupt, einschließlich 51 Kinder-Heilstätten für Vor tuberkulöse hat sich auf 235 erhöht. Seit Be gründung unseres Vereins im Herbst 1895 haben wir Zuschüsse an 65 Anstalten mit über 1V« Millionen geleistet und damit die Er richtung zahlreicher Volks-Heilstätten finanziell erst ermöglicht. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß der nach wissenschaftlichen Grundsätzen geführte Kampf gegen die Tuber kulose sichtbare Erfolge aufzuweisen hat. Für die Jahre 1892—1900 waren zehn deutsche Staaten an der Statistik über die Tuberkulose beteiligt. Nach dieser Statistik starben in jenen 10 Bundesstaaten in den vier Jahren 1897 bis 1900 trotz der Zunahme der Bevölkerung im Durchschnitt jährlich 7566 Personen weniger an Tuberkulose als durchschnittlich in jedem Jahre des Zeitraumes von 1892 — 1895. Für die Jahre 1901 und 1902 steht uns eine gleiche Statistik aus zwanzig Bundesstaaten zur Verfügung. Danach betrug der Rückgang der tuberkulösen Sterblichkeit von 1900 bis 1901, 4,40 Prozent, von 1901 bis 1902 1,04 Prozent. Und auch die Statistiken über die Heilerfolge lassen mit Sicherheit erkennen, daß sich die deutschen Heiluätten für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Erkrankten in fortgesetzt steigendem Umfange bewährt haben. Der Staatssekretär hob dann gegenüber dem Hin weis auf die Kosten der wissenschaftlichen Tuberkulose-Bekämpfung hervor, daß die zu nehmende Verbreitung einer Volksküche mit allen ihren wirtschaftlichen, psychologischen und sittlichen Folgen für ganze Volkskreise und einzelne Familien am Ende der Rechnung für den Haushalt von Staat und Gemeinde auf dem Gebiete der Gesundheitspflege, der Armen pflege und schließlich auch in vielen Fällen auf dem Gebiete des Strafrechts kostspieliger sei als eine rechtzeitige vorbeugende.Kranken pflege, die die weitere Verbreitung der Seuche in der Familie verhindert und die Ernährer derselben arbeits- und erwerbsfähig erhält. Mit der wachsenden industriellen Beschäftigung unsrer Bevölkerung wächst die Gefahr der Berufskrankheiten in bedrohlichem Maße, und das übt eine ungünstige Rückwirkung allgemein auf den körperlichen Zustand der beteiligten Bevölkerung aus. Graf Posadowsky schloß mit den Worten: „Die Zukunst wird schließlich oem Volke gehören, welches sich körperlich am widerstandsfähigsten und damit am wehr fähigsten erhält. Wer deshalb dafür kämpft, den Massen Leben und Gesundheit zu erhalten, der kämpft für die Stärke und für die Zukunst unsres Vaterlandes." Lungenheilstätten. Das deutsche Zentralkomitee für Lungen heilstätten trat am Freitag vormittag im Reichs- tagsgebäude in Berlin zu seiner 8. General versammlung zusammen. Es hatten sich zahl reiche Vertreter von Lungenheilstätten aus allen Teilen Deutschlands eingesunden. Die Kaiserin, die Protektcrin des Vereins, hatte dem Vorstände die Mitteilung werden lassen, daß sie verhindert sei, der Versammlung beizuwohnen, da sie dem gleichzeitig tagenden VaterländischenFrauenverein ihr Erscheinen zugesagt habe. Eingeleitet wurden die Verhandlungen durch eine Rede des Staatssekretärs Grafen Posa dowsky, der die Mitglieder der Generalver sammlung begrüßte. Über die Lungenheilanstalten teilte er folgende Zahlen mit: An in Betrieb befindlichen Volksheilstätten besitzt das Deutsche Reich mit Beginn des Jahres 1904 insgesamt 69. Die Anzahl der in diesen Anstalten zur Verfügung stehenden Betten beläuft sich auf zusammen 5800. Außerdem find in Deutschland noch 25 Privat Von unci fern. Ein Vermächtnis der Friederike Kemper abgelehnt. Die verstorbene Schrift stellerin Friederike Kemper hat der Stadt Breslau 30 000 Mk. zur Errichtung eines Leichenschau hauses, in dem Gestorbene zur Verhütung der Gefahr des Lebendigbegrabenwerdens sieben Tage aufgebahrt bleiben sollten, hinterlaffen. Auf Antrag des Magistrats hat die Stadt verordneter-Versammlung die Annahme des Vermäch n sscs abgelehnt. Weibliche Tapferkeit. Dem Fräulein Emmy Liedrum in Detmold ist in Anerkennung der im August v. unter Einsetzung des eigenen Lebens glücklich ausgesührten Rettung einer jungen Dame im Seevade Juist die Rettungs medaille am Bande verliehen worden. Beim Überschreiten der Gleise aus dem Bahnhof in München-Gladbach geriet der Maschinenputzer Esser unter eine Lokomotive und wurde gräßlich verstümmelt. Der Tod trat sofort ein. Ot Eine Geläkeirat. 11) Erzählung von M. Teil mar. (Fortsetzung.) Dabei schien es Olga, als ob ihrem Manne das Sehen und Hören aller der schönen Dinge nicht den geringsten Genuß gewählte. Er be hielt überall das müde, teilnahmlose Wesen, mit dem nur dann und wann jene Haft und Eile abwechselte. Nur einmal hatte seine Frau einen Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkt, der an den lebhaften früherer Tage erinnerte, und das war bei einer sehr sonderbaren Gelegenheit. Sie schlenderten die Leipzigerstraße ent lang. Olga musterte im Vorbeigehen die Schaufester. Auf einmal blieb Alfred stehen und wandte sich an einen fremden Herrn mit der Frage: „Können Sie mir wohl Auskunft darüber geben, was für eine Tracht das ist? Sind es Diakonissen?" „Nein, mein Herr, das find Schwestern vom Hilssschweftern-Verein" wurde ihm höslich er widert. Darauf betrachtete Alfred die Damen, um die es sich handelte und die ihnen entgegen kamen, mit gespannter Aufmerksamkeit. Und noch für eine ganze Weile behielten seine Züge einen interessierten, befriedigten Ausdruck. Das war vor drei oder vier Tagen ge wesen. Während Olga an der Seite des jungen Prosessors, der ihr das Heraustreten auf die Terrasse vorgeschlagen hatte, unter einer Dattelpalme Platz nahm, behielt sie ihren Mann im Auge, der heute ganz besonders abgespannt aussah. Alfred hatte sich im Saal in eine Fenster nische zurückgezogen, wo er sich unbeobachtet glaubte. Das Licht und die Heiterkeit um ihn her schienen ihm wehe zu tun, denn er drehte sich um, blieb regungslos gegen das Fenster gelehnt und starrte hinaus in das Dunkel. Mit einem Seuszer wandte Olga den Kopf, um dem Professor darauf Antwort zu geben, wie ihr das neue Panorama gefallen habe. In einer solchen Gesellschaft, wie sie hier versammelt war, kann sich jeder einzelne be wegen oder auch nicht bewegen, ganz wie es ihm gefällt. Niemand nahm von dem einsamen Träumer Notiz. Er konnte ungehindert an die Eine denken, der sein heißes, leidenschaftlich pochendes Herz gehörte. Ach, sie nur noch einmal sehen, ein einziges Mal von ferne sehen — mehr begehrte er ja nicht. Aber dieser Wunsch begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Alfred hatte überall nach Gabriele ausgeschaut, und überall vergebens. Ein Kreis plaudernder Damen ließ sich in seiner Nähe nieder. Wie sade erschien ihm jetzt diese Unter haltung, an der er sonst wohl munter teilge nommen hätte! Was kümmerten ihn das reizende Arrangement des heutigen Abends und die Zuvorkommenheit der Wirtel Was ging es ihn an, daß man mit der bengalischen Be ¬ leuchtung und dem Abbrennen der Rakete« nur noch auf die Baronin v. Rauenstein wartete! Und wie abgeschmackt war der kleinliche Klatsch, der sich an die Erwähnung dieses Namens schloß! Was sollte die arme Frau nicht alles verbrochen haben! Sie sollte ihren bejahrten Mann des Geldes und Ranges wegen ge heiratet, auf seinen Tod spekuliert, den ältesten Sohn eigentlich geliebt haben! Sie sollte ent setzlich hochmütig geworden sein, obgleich sie irgend etwas auf dem Gewissen haben mußte. Denn kurz vor der Verlobung hatte der Diener des alten Barons, als er zufällig an der Tür vorüberging, ganz deutlich gehört, wie sie zu Geheimrat Wundermann geäußert hatte, sie wollte dem Herrn Baron erst noch ein Ge ständnis machen, und wie der Arzt darauf erwidert hatte, dazu wäre der Herr Baron jetzt zu schwach, und sie sollte es nur ohne Geständnis tun, denn es wäre ja ein gutes Werk! Jawohl, ein gutes Werk, wenn man Rang und Reichtum dadurch gewinnt! Es fehlte auch nicht an Stimmen, die die Baronin verteidigten, die auszusagen wußten, daß sie sich lange hätte bitten lassen, daß die beiden Söhne sogar vor ihr gekniet und sie an gefleht hätten, das Leben des Vaters zu retten, denn er würde sterben, wenn sie ihm die Bitte abschlüge, daß sie an dem Morgen, wo sie end lich ihr Jawort gegeben, ganz verweint aus gesehen hätte; daß sie nun aber mit rührender Treue den alten, kranken Mann pflegte, und daß es eine ganz besondere Ausnahme wäre, wenn sie heute wirklich noch heraus käme. „Jedenfalls eine Frau, die auch schwer zu tragen hat," dachte Alfred und gab sich Mühe, dem Streite nicht weiter zuzuhören, da traf eine Bemerkung sein Ohr, die ihn wie ein elektrischer Schlag berührte. „Ist es denn wahr, daß fie immer noch in Schwesterntracht geht?" hatte die ärgste Ver leumderin hingeworfen. Die beredteste Verteidigerin erwiderte darauf: „Ja, wenn fie um den Baron ist, der fie in keinem anderen Anzuge sehen will. Sie Hut die Erlaubnis der Oberin. Heute abend kommt fie natürlich nicht iu Schwesterntracht." „Nein, sondern in höchst eleganter Toilette," verkündete die Spötterin, während aller Blicke sich auf die Eingangstür richteten und eine Be wegung durch den Saal ging. Man mußte allerseits auf Frau von Rauenstein gewartet haben. Alfred, der sich bei dem letzten Teile des Gespräches dem Saale wieder zugewendet hatte, blickte auch auf die Eingangstür. Durch diese Lür Kat — Gabriele! — Ja! Die Dame im schwarzen Atlaskleide mit den funkelnden Brillant sternen, mit dem frauenhaften Häubchen auS wertvollen Spitzen — sie war seine heißgeliebte Gabriele, und doch in jeder Bewegung die Baronin von Rauenstein. Gabriele grüßte nach rechts und links mit ernster, anmutiger Würde. Man drängte sich um sie, man schien ihr Verbindliches zu sagen. Sie blieb freundlich, aber zurückhaltend. Jetzt trat Frau Professor Eberhard mit einigen Damen an sie heran. Eine derselben war Olga. Sie
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