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Ottendorfer Zeitung. Vie „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich t Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bi, vormittag w Uhr. Inserate werden mit ;o Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Nr. 66. Mittwoch, den 8. Juni 1904. 3. Jahrgang. Oertlichrs und Sächsisches. Dttendorf-Vkrilla, 7. Juni 1904. Der vergangene Sonntag war ein prächtiger Tag, ter hinauölockte in die herrliche Natur. Hier konnte man sich überzeugen, daß die gesamte Vegetation in einer Ueppigkeit strotzt, wie man sie nur in besonders gesegneten Jahren zu sehen bekommt. Namentlich das Getreide hat sich wunderbar entwickelt. Wenn unsere Fluren auch weiterhin vor Wetlerschaden be wahrt bleiben, dürfen die Landwirte der hiesigen Gegend einer reichen Ernte entgegensehen. — Die diesjährige Heidelbeer-Ernte in der Dresdner Heide dürfte leider doch nicht so reichlich ausfallcn, als man nach dem Blüten ansatze hoffen konnte. Auf großen Flächen der verschiedenen Abteilungen haben die Heidelbeersträucher nicht nur die Fruchtansätze, sondern auch sämtliche Blätter verloren und bieten einen traurigen Anblick dar. Was daran schuld ist, ob der Frost, der Boden oder ein Insekt, ist noch nicht erwiesen. — Nach der Postveroidnung können Post sendungen, die an verstorbene Personen gerichtet sind, den Erben ausgehändigt werden, wenn sich diese durch Vorlegung des Testaments, der gerichtlichen Erbbeschsinigung usw. ausge wiesen haben. Damit hieraus nicht Unzu- träglichkeitcen bei der im Postanweisungsoerkehr ohne Einzelquittung erfolgenden Zahlung von Diensteinkünften, Pensionen und Hinterbliebenen- bezügen usw. entstehen, bestimmt der Finanz Minister, daß derartige Postanweisungen von der absendenden Kasse auf der Vorderseite über dem Vordruck „Postanweisung" in hervor tretender Weise handschriftlich oder durch Stempel abdruck oder Druck mit dem Vermerk „Bezüge aus der Staatskasse" zu versehen sind. Die so gekennzeichneten Postanweisungen werden, schreibt die „Neue politische Korrespondenz", falls der Empfänger inzwischen verstorben, von den Postanstalten der absendenden Kaste mit dem Vermerk „Empfänger verstorben" als unbestellbar zurückgesandt werden. Dresden. Der Verein für Radwettfahren hat für den 12. Juni ein Rennen allerersten Stiles vorbereitet. Altmeister Robl, der mit großem Glücke ohne jeglichen Schaden wie durch ein Wunder bei dem Breslauer Sturze davon gekommen ist, wird der vorjährige Weltmeister Dickentmann, der Robl in Breslau schlug, gegeuübergestellt. Es wird daher einen erst klassigen Sport im Birkenwäldchen geben. — Bei Sr. Majestät dem König wieder holten sich bedauerlicherweise im Lause des Sonntags die Anfälle von Darmkolik. S«. Majestät ist genötigt, auch fernerhin das Bett zu hüten. Die. Nacht war durch nervöse Unruhe mehrfach gestört. Fieber ist nicht vor handen. Tie Herztätigkeit ist regelmäßig und kräftig. Die Reise nach Ems muß bis auf weiteres verschoben werden. Die Königlichen Leibärzte beriefen am Sonntag noch Herrn Geh. Medizinalrat Professor Dr. Curschmann aus Leipzig. — Das dritte Bataillon des Schützen- Regiments kehrte gestern von den Uebungen bei Königsbrück in die Garnison zurück- Ein Sonderzug, der Königsbrück abends 6 Uhr 6 Minuten verließ, beförderte das Bataillon bi Klotzsche, wo kurz nach 7 Uhr der Fußmarsch nach unserer Albertstadt angetreten wurde. — Zur Verhaftung des Grafen Eugen Reffüguier de Miromont, der im Verdach steht, sein Kind durch Mißhandlungen getötet zu haben, ist mitzuteilm, daß die in hiesige und auswärtigen Tagesblättern gebracht Meldung, der Graf sei gegen Kaution aus der Haft entlassen worden, auf Erfindung beruht- — Ein entsetzlicher Unglücksfall ereignete sic am Sonnabend in der Möbelfabrik vormals O. Zimmermann zu Rabenau. Der 22jährige Maschinenarbeiter Börner aus Spechtritz war an der Kreissäge beschäftigt. Als die Säge i vollem Gange war, zersprang sie plötzlich; n Stück ging dem Bedauernswerten in den Leib, zerschnitt drei Rippen, die Lunge und das Rückgrat halb und blieb dann stecken. Der >od trat sofort ein. Meißen. Die Entwickelung der Reben 't bis jetzt gut; die Gescheine haben sich stark usgebildet und der Traubenanhang ist im allgemeinen befriedigend, versprach allerdings vor einiger Zeit noch bester zu werden. Durch die naßkalte Witterung hat sich leider eine größere Anzahl der Gescheine in Gabeln um- zewandelt. Königsbrück. Auf dem Plane des hiesigen Schützenhauses fand am Sonnabend die Bezirks-Tierschau mit Prämiierung statt- Zur Ausstellung kamen 13 Bullen, 5l Kühe, 57 Kalben, 6 Ochsen, 13 Stück Jungvieh, 4 Böcke und 21 Ziegen. Das Preisrichter- Komitee bestand aus den Herren: Geheim. Oekonomierat Hähnel-Kuppritz, Landcsiierzucht- Jnspektor Medizinalrat Prof. Dr.Busch-Dresden, Ireissekretär Prof. Dr- Gräfe, Klein-Bautzen, Geh. Oekonomierat Steiger. Rittergutspachter Blümig - Räckelwitz und Tierzucht - Inspektor Dietrich-Bautzen. Kamenz. Ein ruchloser Baumfrevel ist ürz vor der genannten Station verübt worden. Als der nachnittagö 2,58 Uhr von Bischofs werda dort einlaufende Personenzug in der Nähe des Kellingschsn Vorwerkes vorbeifuh--, waren daselbst mehrere große Steine auf die Schienen gelegt, welche bei einem etwaigen Hereinfallen in die dort angebrachten Zivangs- schienen die Maschine leicht zum Entgleisen hätte bringen können. Glücklicherweise trat dieser Umstand nicht ein, da die Maschine das Hindernis beiseite geschleudert und so ein un absehbares Unglück verhütet wurde. Von der Polizei sind die Frevler in zwei Kamenzer 12- und 14jährigen Schulknaben ermittelt worden. Wurzen. Großes Aufsehen erregt hier die Nachricht, das die Vereinigten Schuhfabriken, Aktiengesellschaft, Konkurs angemeldet haben. In der Fabrik wurden ca. 200 Personen be schäftigt. Leipzig Der deutsche Flottenoerein be schloß einstimmig in einer Versammlung, an der 2000 Mitglieder teilnahmen, dem Beschlusse der Dresdner Hauptversammlung vom 16. April, nach welchem in eine Agitation zur Vergrößerung und zwar zum schnelleren Ausbau der Flotte eingetreten werden soll, ihre uneingeschränkte Zustimmung aus patriotischen und wirtschaftlichen Gründen geben. Plauen. Die von den hiesigen Aerzten geforderte freie Aerztewahl ist in einer Freitag abend abgehaltenen Generalversammlung der gegen 40000 Mitglieder zählenden Ortskranken kaste angenommen worden, ebenso die Forderung der Aerzte, die nach hier kommenden Aerzte erst nach zweijähriger hiesiger Praxis zuzulasten. Ausnahmen sollen nur in denjenigen Distrikten stattfinden, in denen kein Arzt wohnt. Dagegen hat die Ortskrankenkasse Plauen die weitere Forderung der Aerzte, den Vorsitzenden des aus drei Ortskrankenkassenmitgliedern und drei Aerzten bestehenden Schiedsgerichts zu Wechseln und das Amt eines Vorsitzenden zeitweise auch einem Arzt zu übertragen, vorläufig abgelehnt. In dieser Beziehung soll nun weiter mit den Aerzten verhandelt werden. Mit der Ein führung der freien Aerztewahl ist eine Erhöhung des Aerztehonorars nicht verbunden. Georgen grün. Genesen ist der Weber Klotz, der sich nach der Ermordung seiner Ehefrau und schwerer Verletzung seines er wachsenen Sohnes, als dieser die Mutter schützen wollte, selbst zu töten suchte. Er wird nun mehr in das Zwickauer Gerichtsgefängnis über- geführt. Schönheider-Hammer. Am Sonnabend nachmitlag gegen 5 Uhr ereignete sich auf dem hiesigen Bahnhnf ein Unfall insofern, als beim Ausrangieren eines Güterzuges der Hilfs weichensteller Richter auf der an westlichen Bahnhofsseite gelegenen Brücke zwischen Schienen und Brückenbelag hängen blieb und unter die Wagen der Rangiergruppe geriet. Dem Un glücklichen wurden hierbei beide Beine über fahren. Es erfolgte alsbald seine Beförderung nach dem Kreiskrankenstifte Zwickau. Langenbernsdorf. Ein peinlicher Vorfall ereignete sich hier anläßlich eines Be gräbnisses. Als der Sarg ins Grab gesenkt werden sollte, erwies dieses sich als zu eng, sodaß der Sarg in etwa 30 Zentimeter Tiefe hängen blieb. Auf Anregung des Geistlichen begab sich die Trauerversammlung zu einer Leichenfeier in die Kirche. Unterdes aber ver achte der Totengräber den Sarg mit Erde zu ledecken, um so seinen Fehler nicht merken zu assen. Nach Aussagen von Augenzeugen hat er den Sarg sogar mit Füßen zu Boden mmpfen wollen, wobei der Deckel aufgesprungen und ein Arm des Verstorbenen sichtbar ge worden sei. Der Totengräber entschuldigte sich wegen seiner Fahrlässigkeit mit dem — schlechten Wetter. Cainsdorf. Hier wurde der Geschirr- ührer Carl Hermann Otto von seinem eignen Geschirr, dessen Pferde vor einem Motor radfahrzeug scheuten, überfahren und so schwer verletzt, daß er alsbald verstarb. Elsterwerda. Ein bedauerlicher Unfall trug sich vorigen Freitag Nachmittag im be nachbarten Dorfe Biehla zu. Als der Hüfner Brundisch sein Pferd ausspannen wollte, das ich kurz vorher auf dem Nachhausewege vor einem Fahrrads gescheut hatte, schlug das wahrscheinlich noch erregte Pferd aus und traf Brundisch so unglücklich, daß derselbe einen Rippenbruch und die Zerreißung einer Niere davontrug. Schon gegen Abend war der erst 29 Jahre alte, kräftige Mann, Vater von zwei Kindern, eine Leiche. Alle Bemühungen des Arztes waren vergeblich. Aus der Woche. Auf der Halbinsel Liautung geht jetzt die letzte Szene des ersten Aktes im russich-japauischen Krieges vor sich. Mit grauenvoller Bewunderung sieht die Welt auf die japanischen Kämpfer. Ein Volk, das vor dreißig Jahren in der großen Politik ein ganz untergeordnete Rolle spielte und kaum zu den Kulturvölkern gerechnet wurde, geht mit Energie, Geschick und Erfolg, der größten Kriegsmacht der Erde zu Leibe. Die Japaner wissen aber auch, um was es sich handelt. Innerhalb der letzten dreißig Jahre haben sie die europäische Kultur bei sich einge führt, aber nur deren beste Stücke; sie sind dabei — und das unterscheidet sie von uns — Mäßig, nüchtern, bedürfuislos geblieben, sie haben den Europäern, die zu ihnen kamen oder zu deneu sie'kamen, das Beste abgelernt und abgelauscht und dies auf ihre uralte Kultur äußerst wirkungsvoll gepfropft. Lern- und wißbegierig, sind sie schnell, sehr schnell vor wärts gekommen. Sie fühlen sich heute als solche den Europäern ebenbürtig, wenn nich überlegen. Aber kein europäisches Kulturvolk mochte bis dahin ihre Gleichberechtigung an erkennen; sie blieben in den Augen der Europäer immer die gelben, schlitzäugigen Kerle, vor denen zu warnen eine Pflicht war. „Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter!" Diese Nicht achtung mußte in dem selbstbewußten Jnselvolke einen Patriotismus entflammen, für den sie durch Einheit der Abstammung, der Religion, der Volksbildung und gemeinsam getragener Verachtung vorbereitet waren. Sie wollen sich jetzt als Nation ihre Geltung in der polititischen Welt erobern, und da alle desselben flämmenden Gedankens sind, erklärt sich der antike Helden mut, der Tausende und Abertausende freiwillig in den Tod treibt, damit ihre Leiber zu Brücken werden, um den uachstürzenden Volksgenossen das Herankommen an die letzten Schanzen des Gegners zu ermöglichen. Vor Port Arthur haben sich immer in Hülle und Fülle frei willige Besatzungen für die japanischen Brander gefunden, deren Mannschaften dem fast sicherem Tode verfallen waren. Gegen eine solche Tapferkeit läßt sich nicht anfkommen, am aller wenigsten von einem „Auch"-Kulturvolk wie die Rusten. Gewiß, der Russe ist ein tapferer Soldat, der sich lieber niederhauen,-stechen und -schießen läßt, ehe er von seinem Platze weicht. Aber diese Tapferkeit ist doch mehr eine passive, während die von starker Volks- und Vaterlands iebe beseelte der Japaner eine aktive ist. Große Bedeutung hatte man russischerseits den Kosaken beigelegt, die, vorzügliche Reiter, auf ihren kleinen ausdauernden Pferden und ihre angen Lanzen in den Kriegen der letzten hundert Jahre der Schrecken aller Feinde Ruß- ands gewesen waren. Aber die Zeiten haben ich gewaltig geändert. Gegenüber den modernen Schnellfeuerwaffen ist der Kosak einfach macht- ss und man versteht es, wenn die Japauer m ihren überlegenen und zurückhaltenden Meise erklären, der Kosak als Mensch sei viehisch, als Soldat wertlos. Wie der Krieg noch auS- aufen möge: der Nimbus Rußlands als erste Militärmacht ist stark im Erblasten begriffen und daran können Großmäuler wie Skydlow ebensowenig ändern, wie die warmherzige Sympathie, die Frankreich seinem Busenfreunde und Verbündeten entgegenbringt. — Die Nachrichten vom Herero-Aufstande haben zunächst mit denen aus Ostasien das gemein, daß man sie in Betracht kommenden geographischen Namen immer erst auf der Karte suchen muß und sie selten in verstümmelter Form findet. Die Schilderungen der Missionare in Südwest afrika haben gleich nach Beginn des Aufstandes m der deutschen Volksseele einen Zwitterzustand von Mitgefühl mit den von den Händlern un- rarmherzig ausgeplünderten armen Halbwilden und der Staatsnotwendigkeit, vor allem Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, erzeugt. Aber m dieser Beziehung ist denn doch in den letzten Wochen ein erheblicher Umschlag in der öffentlichen Meinung zu bemerken gewesen. Neuere unparteiische Berichte lasten nicht den geringsten Zweifel daüber, das die Hereros auch keineswegs die besten Brüder sind und sich auf das Nasen- und Ohrenabschneiden so gut verstehen, wie nur irgend ein berufsmäßiger Chirurg. Ist in der Politik überhaupt Sente- mentalität wenig am Platze, so am wenigsten da, wo große Interessen auf dem Spiele stehen, und diejenigen, gegen die sie ausgefochten werden muffen, sich keineswegs durch besondere Würdigkeit auszeichnen. — Das sonstige Kunterbunt der Woche brachte des Betrübenden und Erheiternden mancherlei. Der älteste deutsche Bundesfürst, der seit 44 Jahren sein Mecklen- burg-Strelitz beherrschte, ist in den Tod gegangen; Deutschland und Amerika sind in direkte Kabel verbindung getreten; Combes hat sich bei seinem Vorgehen gegen den päpstlichen Stuhl von seiner Kammer ein Vertrauensvotum geholt; Fürst Dolgorucki, der ehemalige Anwärter auf den bulgarischen Thron, hat auf offener Straße den russischen Minister des Aeußern Grafen Lambs dorff verknufft. Dieser Fürst ist seit der Zeit seiner Anwartschaft sehr heruntergekommen; er hat das große Vermögen seiner Frau verjuchheit und Lambsdorff sollte ihm eine gute Staats pfründe verschaffen, was dieser aber pflichtgemäß nicht tat. Die Dolgorucki, die direkt von Rurik abzustammen vorgeben, haben unter Peter II., den Kaiserinnen Anna, Katharina, und Elisabetb in Rußland eine bedeutende Rolle gespielt, die sie abwechselnd auf die höchsten Stufen der Macht und dann wieder nach Sibirien führte; auch Alexander II. ging nach dem Tode seiner ersten Gattin (einer Prinzessin von Hessen) mit einer Dolgorucki eine morganatische Ehe ein. Bei solcher historischen Vergangenheit und solchen Familienbeziehungen darf man sich in Rußland wohl gestatten, einen Minister auf offener Straße durchzuprügeln.