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politische Aunäscbau. Der russisch-japanische Krieg. *Bei der zögernden Angriffsweise der Javaner, die immer erst vorgehen, wenn sie in voller Stärke bei'ammen sind und für Rücken deckung gesorgt haben, find während der letzten Tage auf dem Kriegsschauplätze keinerlei nennens werte Veränderungen eingetreten. Die Tschun- tschusen, die am 1. Mai auf die Iantaistation einenüberfall gemacht,sind abermals inderDantai- Umgegend, in der Nähe der Kohlengruben, gesehen worden. Ihr Zweck war augenschein lich, die Kohlengruben zu beschädigen; denn der erste mißlungene Überfall war ebenfalls gegen die Kohlengruben gerichtet. Die von den Tschungtschusen verfolgte Aufgabe beweist, daß man es im gegebenen Falle nicht mit einfachen Räubern zu tun hat, sondern mit einer voll kommen organisierten Bande, die sich das Ziel gesetzt hat, durch Grubenschädigung die Eisenbahn der fie speisenden Kohlenquelle zu berauben. Unter den Tschungtschusen be finden sich laut Aussagen der Chinesen Japaner. Die Bande ist mit zwei kleinen Geschützen versehen. Die lokalen chinesischen Behörden ergreifen keinerlei Maßregeln gegen die Tschungtschusen. * Privatnachrichten zufolge haben kleine Scharmützel südlich vonKintschou auf der Halbinsel Liautung stattgefunden. Die Linie der Japaner breitet sich von Tschitschatau nach Thulitschau über eine Hügelkette nördlich von Kinischou aus, die die Stadt beherrscht. * Bei dem durch Zusammenstoß und Minen auflauf veranlaßten Untergange der japanischen Kreuzer „Kasuga" und „Doschino" find 740 Mann umgekommen. * Die japanische Versicherung, daß fie die Kosakenabteilung bei Andschu eingeschlossen hätten und fie in Kürze durch Hunger zur Übergabe zwingen würden, hat ein böses Dementi erfahren. Wie in Schanghai bekannt wird, machen sich vielmehr die Kosaken in Nordkorea in einer Weise be merkbar, die den Japaneni ernsten Anlaß zu Vorkehrungen gibt. Es ist ihnen sogar gelungen, die Verbindung zwischen den japanischen Armeen und dem Generalstabe zu unterbrechen, was natürlich zu unange nehmen Störungen führen kann. Nach einer Meldung der ,Agence Havas' haben Kosaken die Brücke bei Andschu zerstört und den Telegraphen nördlich von Pyöngjang abgeschnitten. Die Japaner schicken Ver stärkungen nach dem Norden von Korea, um die Verbindungen zwischen ihren Armeen und dem Generalstab herzustellen. * Admiral Skrydlow, der Nachfolger des beim Untergang des „Petropawlowsk" um- gekommenen Admirals Makarow, begibt sich „zu nächst" nach Wladiwostok. * Nach einer noch unbestätigten Petersburger Meldung ist der zum russischen Wladiwostok- Geschwader gehörende große Kreuzer „Bogatyr" in einer felsigen Bucht in der Nähe von Wladiwostok gescheitert. Die Mannschaft wurde gerettet. « * Der Herero-Aufstand. * Nach der neuesten Meldung des Gouver neurs Leutwein ist die Nordkolonne unter Zülow bereits in Okowakuatjiwi ange langt. Diese Wasserstelle liegt über 50 Kilo meter nördlich von Omaruru an der künftigen Trace der Otavibahn. Zülow hat damit be reits die erste Hälfte der Strecke Karibib- Waterberg zurückgelegt, ohne vom Feinde be lästigt worden zu sein. Der zweite Teil des Marsches wird wohl weniger angenehm werden. Die um Omaruru schwärmenden, namentlich bei der Bergdamera-Anfiedelung Okambaye be findlichen Banden werden bereits von deutschen Truppenteilen verfolgt, sodaß die baldige Be ruhigung jenes Bezirks erwartet werden darf. * * * Deutschland. *Das Kaiserpaar mitdenkaiserlichen Kindern wird am 11. Juli auf Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel eintreffen, um dort einen mehrwöchigen Sommeraufenthalt zu nehmen. *Kaiser Wilhelm hat den König von Spanien zur Teilnahme an den dies jährigen Kaisermanövern zwischen dem Gardekorps und dem neunten Armeekorps ein geladen. Der König hat diese Einladung an genommen. * Römische Berichterstatter melden, daß auch der Besuch des Königs Viktor Emanuel beim Kaiser Wilhelm in Potsdam in den letzten Tagen des August nun doch stattfinden wird, da zur selben Zeit die Herbstmanöver be ginnen, denen der König auf Einladung des Kaisers beiwohnen wird. Der mit der Bildung einer zweiten ostasiatischen Geschwaders beauitragte Konteradmiral Rodscbcst Wenski gilt nach Makarows Tode für die bedeu tendste Persönlichkeit der russischen Marine, deren Generalstabschef er bis jetzt war. Er wurde im Jahre 1848 geboren. 1865 trat er in den Marine- dimst, 1873 absolvierte er die Michael-Artillerie akademie mit Auszeichnung. Während des russisch- türkischen Krieges zeichnete er sich so aus, daß er das Georgskreuz und den Wladimir-Orden erhielt. Nach Beendigung des Krieges reorganisierte er die bulgarische Marine. Später kam Rodichestwenski als Militärattache! nach London. Während des chinesisch-japanischen Krieges befand er sich bei der Flotte im Stillen Ozcan. Anläßlich der Zusammen kunft des deutschen Kaisers mit Nikolaus II. bei Reval befehligte Nodschestwenski die Eskadre des Zaren. Rußland setzt auf ihn große Hoffnungen. * Herzog Paul Friedrich von Mecklenburg, Leutnant zur See in der deutschen Marine, ist am Freitag früh im Alter von 22 Jahren in Kiel gestorben. Der Verstorbene war der Sohn des Herzogs Paul l Friedrich und der Herzogin Marie, geb. Prinzessin zu Windischgrätz. *Mer die Frage, ob der Reichstag während des Sommers vertagt werden oder ob nach Pfingsten der Schluß der Session eintreten soll, ist, wie die ,Nat. Korresp/ erfährt, eine endgültige Entscheidung erst zu erwarten, wenn sich abmessen läßt, welches Maß von Arbeit noch nach Pfingsten von der gewählten Vertretung der Nation ge leistet werden kann. (Es ist wirklich nicht die Schuld der verbündeten Regierungen, wenn der Reichstag diesmal mit seinem Pensum nicht fertig wird.) * Für das abgelaufene Etatsjahr haben aus den im Etat der preußischen Staatseisenbahn- Verwaltung zur Prämiierung nütz- licherErfindungen vorgesehenen Mitteln 23 Beamten und Arbeitern der Eisenbahnver waltung Belohnungen im Gesamtbeträge von 14 500 Mk. für Erfindungen und Verbesserun gen, die für die Erhöhung der Betriebssicherheit oder in wirtschaftlicher Beziehung von Be deutung find, bewilligt werden können. * Die deutschen L a n d esv e r siche ru n gs- anst alten treten am 27. Mai zu einer Konferenz in Hannover zusammen. Als erstes und Hauptthema steht auf der Tagesordnung die Frage der Verschmelzung der Krankenversicherung mit der Invaliditäts- Versicherung. *Die bayrische Abgeordnetenkammer be schäftigte sich in Beratung des Kultusetats (Hochschulen) mit der Homöopathie, der Vivisektion und mit Krankheitsversuchen am lebenden Menschen (Einimpfung von Krankheiten). Ler Kultusminister erklärte sich gegen die Errichtung eines Lehrstuhls für Homöopathie, führte aus, daß die Vivisektion in Bayern zu keinen Mißständen geführt habe und daß Krankheitsversuche am lebenden Menschen in Bayern überhaupt nicht Vorkommen. Frankreich. *Die neue Spionage-Geschichte wird fast allgemein nicht mehr ganz ernst ge nommen, zumal da die Art, wie der Matiw fie zur Reklame ausschlachtet, mehr als unschön ist. Es handelt sich offenbar um Mitteilungen, die auch ohne direkten Verrat bekannt werden konnten. Trotzdem dauern natürlich die behörd lichen Feststellungen fort. England. * Die Londoner Blätter melden, daß infolge äußerst wichtiger Nachrichten aus Tibet auf Freitag ein Kabinettsrat einberufen wurde. Es verlaute, daß die Regierung einen großen Feldzug in Tibet zu unternehmen haben werde. Mehrere auf Urlaub befindliche Minister wurden nach London zurückberufen. Balkanstaateu. * König Peter wird, sobald Fürst Ferdinand von seinem Nusfluge nach Ungarn wieder inSofia sein wird, diesem dort seinen Gegenbesu ch machen. Amerika. * Man bläst in Südamerika wieder auf der Friedensschalmei. Der peruanische Ge sandte hat in Washington mitgeteilt, daß gegen wärtig nur geringe Gefahr eines Krieges zwischen Peru und Brasilien bestehe. Die Ver handlungen über die strittigen Gebiete hätten unter sehr günstigen Anzeichen begonnen, die die Hoffnung auf eine befriedigende Regelung rechtfertigten. Vie Protestnote -es Vatikans. Das Organ Jaurös' ,L'Humamte' veröffent licht den Wortlaut der Protestnote des Vatikans gegen die Romreise des Präsidenten Loubet. Die Note, aus der ein kurzer Auszug bereits bekannt gegeben ist und die allen Kabinetten der katholischen Staaten mitgeteilt wurde, lautet: „Das Erscheinen des Präsidenten der fran zösischen Republik Loubet in offizieller Form, um den Besuch Viktor Emanuels zu erwidern, ist ein Ereignis von außerordentlicher Wichtig keit gewesen, welche? der päpstliche Stuhl nicht vorübergehen lassen kann, ohne die ernsteste Aufmerksamkeit der Regierung daraus zu lenken, welche Eure Exzellenz vertreten. Es ist kaum notwendig, daran zu erinnern, daß die katholi schen Staatsoberhäupter, welche als solche durch besondere Bande an den obersten Hirten der Kirche geknüpft find, die Pflicht haben, größere Rücksicht gegenüber dem Papst in bezug auf seine Würde, seine Unabhängigkeit und seine unverjährbaren Rechte zu beobachten, als die Souveräne der nicht katholischen Staaten. Diese Pflicht wurde bisher anerkannt und beob achtet, ungeachtet gewichtiger Bedenken der Politik oder Bundesgenossenschaft oder der Ver wandtschaft, und fie lag dem ersten Beamten der französischen Republik um so mehr ob, als er durch solche Bedenken nicht beeinflußt wird, sondern im Gegenteil an der Spitze einer Nation steht, welche in den engsten traditionellen Beziehungen zum römischen Pontifikate steht, und welche im Sinne eines bilateralen Ver trages mit dem päpstlichen Stuhle Vorrechte besitzt und eine sehr bedeutende Vertretung im Kollegium der Kardinäle hat, also an der Leitung der Kirche teilnimmt, und welche über dies die außerordentliche Begünstigung genießt, das Protektorat über die katholischen Interessen im Orient auszuüben. „Daraus folgt: Wenn das Oberhaupt einer i katholischen Nation dem Oberhirten der Kirche eine schwere Beleidigung zusügt, indem es nach Rom kommt, um in dem apostolischen Palast selbst am Sitze des päpstlichen Stuhles dem jenigen, welcher uns gegen alles Recht die weltliche Souveränität und notwendige Freiheit vorenthält, seine Huldigung darzubringen, so wiegt diese Beleidigung um so schwerer von feiten des Herrn Loubet. Und wenn trotzdem der päpstliche Nuntius in Paris geblieben, so ist dies einzig und allein Erwägungen sehr ernster und ganz besonderer Art zu danken. Die Erklärung, welche Herr Delcassö im Parla ment gegeben hat und nach welcher in der Tat sache des Besuches des Herrn Loubet keinerlei seindselige Absicht gegen den päpstlichen Stuhl enthalten sein sollte, ändert weder an dem Charakter, noch an der Tragweite dieses Schrittes irgend etwas, denn die Beleidigung liegt in der Handlung selbst und ist um so schwerer, als der päpstliche Stuhl nicht verfehlt hatte, die fran zösische Regierung von der diesseitigen Auf fassung in Kenntnis zu setzen. „Die öffentliche Meinung hat sowohl in Frankreich, wie in Italien nicht verfehlt, den beleidigenden Charakter dieses Besuches einzu sehen, welcher von der italienischen Regierung absichtlich gesucht und herbeigeführt worden ist zu dem Zwecke, eine Abschwächung der Rechte des päpstlichen Stuhles zu bewirken und diesen in seinen Rechten und Würden zu kränken, deren Schutz und Verteidigung dieser im Inter esse der Katholiken der gesamten Welt für seine Hauptpflicht erachtet. „Damit nun eine so betrübende Tatsache nicht irgend einen Präzedenzfall schaffen könnte, hat der päpstliche Stuhl sich genötigt gesehen, in ausdrücklichster und ausführlichster Weise seinen Protest zu verlautbaren. Der unter- sertigte Staatssekretär setzt daher auf Befehl Sr. Heiligkeit durch gegenwärtiges Schreiben Eure Exzellenz von diesem Protest in Kenntnis und bittet, gegenwärtige Note zur Kenntnis Ihrer Regierung zu bringen. (gez.) Kardinal Merry del Val." Von unci fern. Ihren hundertsten Geburtstag beging dieser Tage Freifrau v. Harter in Obersasbach in Baden. Der Springwurmwiikler, ein seit einer Reihe von Jahren nicht beobachteter Rebenfeind, tritt in diesem Jahre wieder auf und richtet in einigen Gemarkungen in Rheinhessen großen Schaden an. Maikäferplage. In großen Masten tritt, nach der ,Schles. Zig/, der Maikäfer in den Fluren von Dittersbach, Kalkreuth und Wachs dorf des Kreises Sagan auf. Die Bäume sind voll besetzt von den Käfern, wie es seit Jahren nicht der Fall gewesen ist. Die Tiere werden in Massen vertilgt. Einer fast wunderbaren Rettung ver dankt ein dreijähriges Kind in der Nähe von Berlin die Erhaltung seines Lebens. Es war unter der geschloffenen Schranke eines Bahn überganges durchgekrochen, wurde von der Lokomotive eines Güterzuges erfaßt und ins Gleis geschleudert, wo es besinnungslos liegen blieb. Der ganze Güterzug ging über das Kind hinweg, ohne ihm den geringsten Schaden zuzufügen. Ein Deserteur von einem Magdeburgischen Infanterie-Regiment wurde am Mittwoch morgen auf einem Grundstück in dem Dorfe Parchau bei Burg gesehen. Obwohl der Deserteur in ständigst bat, ihn nicht zu verraten, ließ der Besitzer das Gehöft umstellen. Der Soldat lief darauf in die Scheune, steckte fie in Brand und 'entfloh. Von Reitern verfolgt, stürzte er sich tu den Perchauer See und ertrank. Die Scheune und ein Stall wurden eingeäschert. Aus Furcht vor Strafe. Im Donau- Main-Kanale hat man die Leiche der seit einer Woche vermißt gewesenen 12 jährigen Tochter einer Tagelöhnerswitwe gefunden. Das Mäd chen ist aus Furcht vor Strafe wegen einiger zerbrochenen Kaffee-Taffen in den Tod ge gangen. Sine Leläkeirat. 16j Erzählung von M. Tellmar. iFortsctzung.) Auch sein Weib I? Wäre es dahin mit ihm gekommen? Nein, arme Olga, das hast du nicht verdient! Und er ging zu seiner Frau wohl zehnmal des Tages, umarmte fie stürmisch, liebkoste fie, sah ihr angstvoll flehend in die Augen, als ob seine Seligkeit davon abhinge, irgend etwas darin zu entdecken. Und wenn er nach einer Weile dieses Etwas nicht gefunden hatte, dann sprang er mit unvermittelter Hast auf, stürmte ohne Ab schiedswort hinaus und schloß sich in sein Zimmer ein. Häufiger auch als sonst schlug Alfred seiner Frau einen Besuch bei den Eltern vor. Dort war er dann jedesmal von einer aufgeregten Lustigkeit, die zwar die Anwesenden mit fort riß, bei allen aber ein Gefühl des Unbehagens hinterließ. So kam der Mai heran. Es war ein wonniger, blühender Mai. So köstlich wie je hatte der Frühling seinen Segen über die Erde ausgestreut. Olga hatte sich ein Herz gefaßt und an einem lauen Abende ihren Mann, vor dessen wechselnden Stimmungen fie sich zu fürchten begann, zu einem Spaziergange überredet. Sie hatten den nahen Park besucht und gingen nun langsam den Weg am Flusse zurück. Drüben lag die Stadt mit ihren Doppel türmen in Feierabendruhe, und die Glocken, die den morgenden Sonntag eiuläuteten, klangen melodisch herüber. Die kleine Frau, die erst munter zu plau dern versucht hatte, war still geworden. Ihre Scherze über die geschmacklosen Anzüge der ihnen Begegnenden, mit denen fie Alfred hatte erheitern wollen, waren von ihm kaum gehört worden. Stumm gingen fie nun neben einander, fie die Vorübergehenden zu ihrem eigenen Ver gnügen weiter musternd, er den Blick in den blauen Abendhimmel versenkt, auf dem silberne Wölkchen friedlich daher schifften. Ach, der blaue Himmel und die feierlichen Glockenklänge zauberten ihn zurück zu eben solchem Frühlingsabend, wo er an Gabrieles Seite denselben Weg gegangen war. Sie waren der größeren Gesellschaft voran geeilt und waren auch still nebeneinander gegangen. Und doch, wie hatte er neben ihr sich reich ge fühlt und gut und stark! Und heute? . . . Ja, heute sah er mit voller, grausamer Klarheit, daß er damals glücklich gewesen, und daß er jetzt grenzenlos elend war! Und dann kam das weitere Erkennen. Er selbst hatte sein Unglück verschuldet, und nicht das seine allein! Gabriele war in die Welt hinausgestoßen, Gabriele, die er liebte, immer geliebt hatte! Fast wie Jubel tönte dies Be kenntnis in seinem Herzen. Und fie hatte ihn geliebt! Mutzte ihn geliebt haben! Als hätte ein Wunder seine blinden Augen sehend ge macht, so lag auf einmal alles klar vor seinen Blicken. Es war Selbsttäuschung gewesen, daß er Olga um ihretwillen gewählt hatte. Dem Mammon allein war er nachgegangen. Das hatte er ja freilich immer gewollt und für Recht und Pflicht gehalten, wie es hundert andere taten. Dann aber hatte sein Gemüt die häß liche, nackte Tatsache mit Blumen umkleidet, daß fie ganz verdeckt und vergessen wurde. Und die Blumen hatte er sorglich gepflegt. Aber fie hatten keine Wurzeln gehabt, nicht Saft und Kraft. Sie waren verwelkt, und es war nur Kummer und Sehnsucht übrig ge blieben. Statt Glück und Freude über ein weiblich Leben auszugießen, hatte er zwei treue Herzen in sein unseliges Geschick verflochten. Das hochherzige Mädchen, das er liebte, war tief verwundet in die weite Welt gegangen, und die schwache Frau, die ihm verstaute, konnte er nicht lieben. Er wußte nicht, was ihn mehr folterte, die Schuld gegen Gabriele, das Unrecht gegen seine Frau oder die eigene trostlose Ver lassenheit. Die Qualen, die Alfreds Seele peinigten, konnten auf seine Gesundheit nicht ohne Einfluß bleiben. Seine ohnehin nervöse Natur war der hochgradigen Erregung nicht gewachsen, mit der er sich abmühte, um einen Ausweg aus seinem Jammer zu finden. Er stürzte sich mit doppeltem Eifer auf den Dienst. Es war ja immer das Ziel seiner Wünsche gewesen, ohne materielle Sorgen mit allen Kräften seinem Bemfe leben zu können. Aber anstatt durch angestrengte Arbeit die kranke Seele zu heilen, fühlte er nur, wie nichts ihm recht gelang. Es ruhte kein Segen auf dem, was er vornahm. Die Schwiegereltern hatten Alfred längst mit Sorge angesehen und als eines Morgens Olga unerwartet in Buchenau anlangte und der Mutter schluchzend um den Hals fiel, ließ diese sie gar nicht zu Worte kommen, sondem erklärte be stimmt und traurig: „Dein Mann ist krank! Aber deine Tränen helfen ihm nichts. Laß uns vernünftig über legen, was zu tun ist." Sie kamen überein, daß Alfred einen längeren Urlaub nehmen müsse, und Frau Sed- ladczek begleitete ihre Tochter in die Stadt, um den Plan mit dem Schwiegersöhne gleich zu besprechen. Olga hatte keinen Vlick von der Uhr verwandt, sie wollte vor ihrem Manne zu Hause sein. Er durfte ja nicht merken, wie sehr fie um ihn bangte. Trotz der aufrichtigen Verehmng, die der Hauptmann für seine Schwiegermutter hegte, fuhr dieselbe unverrichteter Sache nach Buchenau zurück. Er hatte ihr rundweg und zuletzt ziem lich heftig erklärt, nicht stank zu sein und keiner Erholung zu bedürfen. Verstimmt ging er in den Nachmittags dienst. Der Oberst war auf dem Exerzierplätze. AIS Alfred an ihn heranstat, fragte der Vor gesetzte freundlich: „Na, wie geht's, lieber Lindner? Hoffent lich etwas besser?" Alfred stutzte. Woher wußte man, daß er leidend war? Leutselig fuhr der Oberst fort: „Sie sollten Urlaub nehmen, recht langen Urlaub. Man sieht Ihnen an, daß Sie den nötig haben."