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Ottendorfer Zeitung : 10.04.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-04-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190404101
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040410
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040410
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-04
- Tag 1904-04-10
-
Monat
1904-04
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 10.04.1904
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politische Kuncllckau. Der russisch-japanische Krieg. *Auch die nächsten Tage nach dem Feste haben keine besonders wichtige Nachrichten vom ostastatischen Kriegsschauplätze gebracht. Aus den spärlichen Berichten, die vorliegen, gewinnt man aber den Eindruck, daß die Russen Korea überhaupt geräumt haben, um sich dagegen auf dem rechten User des Jalu um so dauerhafter sestzusetzen. Die Einzelmeldungen über stattgehabte Gefechte kann man völlig auf sich beruhen lassen, denn ste lauten je nach der Seite, von der ste kommen, ver schieden. * Uber den japanischen Feldzugs plan meldet Meuters Bureau' aus Schanghai vom Montag folgende auf ihre Richtigkeit hin schwer kontrollierbare Einzelheiten. Nach Mel dungen ans Kobe befinden stch gegenwärtig 260 000 Mann japanische Tmppen auf dem Marsche. Außerdem fink in den Garnisonen 60 000 Mann unter den Waffen, abgesehen von den Reserven der dritten Klasse, die noch nicht mobilisiert sind. Der General st ab bewahrt über den Feldzugsplan Stillschweigen, man nimmt aber an, daß die japanischen Streitkräfte in drei Armeen geteilt operieren werden. Die Pferde und die Mannschaüen der Reiterei scheinen der europäischen Kavallerie nicht gleichwertig zu sein, aber die javanischen Offiziere erklären, daß die Kavallerie sich ihrer Aufgabe gewachsen zeigen werde. Der größere Teil der nach Korea abgehenden japanischen Artillerie scheint keine schweren Ge schütze zu führen, aber man glaubt, daß Japan mehrere Batterien mit schweren Ge schützen besitzt, die der besten Feldartillerie eben bürtig find. Außerdem hat Japan mehrere Batterien Berg-Artillerie. Das in ganz Korea und der Mandschurei herrschende Tauwetter hat die Straßen unpassierbar gemacht. * Leutnant Schober begibt fich nach Port Arthur mit einem neuen Apparat, bestehend aus mehreren Ballons, die einen kleinen Korb tragen sollen. Es soll das eine Art Fessel ballon sein, der von Port Arthur auf steigen wird. An klaren Tagen wird man von dem Ballon aus die Bewegung der japanischen Flotte überwachen können und vor Überraschungen gesichert sein. * * * Der Herero-Anfftand. * Der zweite Transport argentinischer Reittiere ist mit 547 Pferden und 253 Maultieren in Swakopmund eingetroffen. * Die Meldung, Samuel Maharero, der Führer des jetzigen Herero-Aufstandes, sei Ehrenmitglied der Deutschen Kolonial gesellschaft, wird im Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft als „selbstverständlich nicht zutreffend" bezeichnet. Der Oberhäuptling stehe nicht aus der Liste der Ehrenmitglieder und habe nie darauf gestanden. * -- * Deutschland. *Der Kaiser, der die Feiertage vor Messina verlebt hatte, befindet fich gegenwärtig in Palermo. Die kaiserlichen Prinzen haben am Mittwoch von Mailand aus die Rück reise angetreten. * Ium Befinden deS Kaisers schreibt die Mordd. Allg. Ztg.' in offiziösem Sperrdruck: „Die von einer größeren Zahl ausländischer Blätter während der letzten Tage verbreiteten ungünstigen Angaben über das Befinden des Kaisers sind ausnahmslos erfunden. Der Kaiser erfreut fich andauernd des besten Wohlseins. * Der deutscheKronprinz reiste nach Kopenhagen, um als Vertreter des Kaisers dem Könige aus Anlaß seines am 8. d. statt findenden 86. Geburtstages die Glück wünsche des Kaisers zu überbringen. *Der gegen die Regelung der Thron folge in Oldenburg eingelegten Ver wahrung des Herzogs Ernst Günther haben stch dessen Onkel Prinz Christian von Schleswig- Holstein-Sonderburg-Augustenburg und dessen Sohn Prinz Albrecht in einem Protest in der ,Kieler Ztg/ angeschlossen. (Wird aber wohl nichts nützen, nachdem der Landtag ge sprochen hat.) *Das Kriegsministerium in Berlin — Ver- sorgungs- und Justiz-Departement — wünscht einen Überblick zu erhalten, wieviel verab schiedete Offiziere Zivilanstellung haben. Höchstwahrscheinlich ist dieser Wunsch infolge der zu erwartenden Revision des Pensionsgesetzes entstanden. *DiewasserwirtschaftlichenVor- lagen insgesamt sollen gleichzeitig am 11. April nebst den dazu gehörenden Anlagen und Denk schriften dem Preuß. Abgeordnetenhause zugehen, so daß das am 12. d. wieder zusammen tretende Hmis sie alle gleichzeitig vorfindet. *JmEisenbahnverkehrmitRuß- land steht eine bemerkenswerte Erleichterung bevor. Am 19. April soll in Warschau eine Besprechung von Vertretern der deutschen und russischen Eisenbahnen über die Einführung von Umsetzwagen (nach dem System Breid- svrecher) abgehalten werden. Diese Wagen können ohne Umladung von den deutschen auf die breiteren russischen Geleise und umgekehrt übergehen. Schon seit längerer Zeit Verkehren solche Wagen zwischen Danzig und Warschau. *Die jetzt nach Berlin kommenden Russen werden, wie aus zuverlässiger Quelle verlautet, bei ihrer Anmeldung ans der Polizei einem scharfen Verhör unterworfen. Sie müssen über ihre Vermögensverhältnisse, ihre Herkunft, shre Absichten in Berlin genau Auskunst geben und erst, wenn diese befriedigend ausfällt, wird ihnen der Aufenthalt gestattet, jedoch mit dem Bemerken, daß sie als Ausländer nur geduldet werden und ihnen die Auf enthaltserlaubnis jederzeit genommen werden kann. * Eine Verordnung des Gouverneurs von Kamerun bestimmt, daß vom 1. Juli d. ab im Verwaltungsbezirk Duala von der farbigen Bevölkerung eine Kopfsteuer erhoben wird. Steuerpflichtig ist jeder arbeitsfähige erwachsene eingeborene Mann, sowie jedes arbeitsfähige unverheiratete erwachsene farbige Weib. Die Höbe der Steuer beträgt für den Kopf und das Jahr drei Mark. Sie ist zahlbar im voraus zur Hälfte je am 1. April und am 1. Oktober des Jahres. Frankreich. *Jn Paris will man wissen, daß der Ein spruch des französischen Botschafters gegen die jüngste Rede des Papstes in vatika nischen Kreisen große Bestürzung hervorgerusen habe. Nur der Papst sehe den kommenden Ereignissen gelassen entgegen; er wolle auf seinem gegen Frankreich eingeschlagenen Wege sortschreiten und soll sogar entschlossen sein, den Nuntius in Paris gerade zu dem Zeit punkte abzuberufen, an dem Loubet seine Reise nach Italien antrete. Selbst vor einer Kün digung des Konkordats werde der Papst nicht zurückschrecken. Wenn eS zum Bruch mit Frankreich komme, werde er sich D euts ch- land zuwenden. Spanien. *Jn Barcelona werden anläßlich der bevorstehenden Ankunft des Königs von Spanien Unruhen befürchtet. Die Regierung ordnete strenge Maßnahmen zur Unterdrückung anarchistischer Umtriebe an. Am Tage der An kunft des Königs in Barcelona sollen 52 Ver- ammlungeu abgehalten werden; die republi kanische Partei bestimmte 150 Redner, die in diesen Versammlungen sprechen sollen. Zur Begrüßung des Königs Alfons hat die italienische Regierung zwei Kreuzer nach Barce lona entsandt. Balkanstaaten. *Die Reinigung der serbischen Hofluft von den Verschwörern und Königsmördern hat den Zweck gehabt, einen geordneten diplomatischen Verkehr der fremden Mächte mit Serbien wieder zu ermöglichen. Der serbische Minister des Äußern, Pafitsch, hat die bekannten, zur Lösung der Offiziersfrage ergriffenen Maß nahmen der serbischen Regiemng durch Zirkular ¬ depesche zur Kenntnis der diplomatischen Ver tretungen Serbiens im Auslande gebracht. In dieser Depesche bezeichnet der Minister die in Rede stehende Angelegenheit als für die serbische Regiemng mit dem soeben Verfügten vollständig abgeschlossen und gibt der Erwartung Ausdruck, daß die diplomatischen Beziehungen der Mächte zu Serbien nunmehr ihren normalen Charakter annehmen werden. Amerika. * Das Marineministerium in Washington macht bekannt, daß das süd atlantisch e Geschwader ungefähr am 1. Mai durch den Suezkanal anstatt ums Kap der guten Hoffnung nach Madagaskar segeln werde. Es stellt in Abrede, daß diese Route wegen des Krieges gewählt werde. Im ganzen würden 16 amerikanische Linienschiffe und Kreuzer wäh rend des Sommers im Mittelmeer sein, aller dings nicht gleichzeitig. Afrika. * über eine englische Schlappe im Nigeriagebiet wird berichtet: In London eingegangenen Nachrichten zufolge hat die kürz lich gebildete Expedition zur Bestrafung derOkpotos, die im vergangenen Jahre zwei englische Beamte getötet haben, im Distrikt Bassa in Nordnigeria einen scharfen Zusammen stoß mit den Okpotos gehabt. Bei diesem ge lang es den Feinden, in das englische Karree einzudringen. Dabei wurden viele Per sonen getötet. Unter den Getöteten ist kein Europäer. Vie russische Reiterei im Rriege. Dem ,Berl. Tgbl.' wird aus Petersburg geschrieben: Der russische Vormarsch nach Korea hat fich bisher nur durch einige kleine Reitergefechte, die mehr als Vorvostengeplänkel anzusehen find, gekennzeichnet. DaS Vordringen der russischen Kosaken in Nordkorea trug eben einen reinen Rekognoszierungscharakter, obgleich einzelne dieser Abteilungen bis zu zweitausend Mann stark unk mit berittenen Batterien versehen sind. Erst letzthin konnte General Mischtschenko, der während des Boxeraufstandes noch Oberst war und Aigun am Amur zerstörte, melden, daß er die japanischen Reitervorposten seit Tagen vergeblich Zum Angriff gereizt und daher schließlich selbst angegriffen Habs. Dieser erste direkte Angriff auf dem festen Lande (bei Tschöngdschu) ist auf eine direkte Anordnung Kuropatlins zurnckzuführen, der sofort nach seinem Eintreffen im Hauptquartier wissen wollte, wie es sich mit der Schlagfertigkeit dieser Truppen verhält, da er das Übergewicht seiner Kosaken gut kannte. Dieser erste Versuch ist denn auch durchaus nicht zugunsten der Japaner ausgefallen, und wenn es auch ver früht wäre, aus diesem ersten kleinen Gefecht auf die weiteren Landkämpfe zu schließen, so hat doch das Hissen der Fahne des Roten Kreuzes auf zwei Stellen der unter Kreuzfeuer genommenen japanischen Truppen einen sehr schlechten Ein druck gemacht. Der russischen Reiterei soll in diesem Kriege in erster Reihe der Ausklärungsdienst und so dann der Grenzschutz zufallen, welcher Aufgabe sie bisher in einem gewissen Grade gerecht ge worden ist. Seit den achtziger Jahren, in denen man eine Reform der russischen Kavallerie durchführte, ist mau von der Idee zurück gekommen, daß der Reiterei eine entscheidende Rolle in der Schlacht zusällt. Infolgedessen wurden alle damals vorhandenen Reiter- Regimenter in Dragoner-Regimenter umge wandelt, und die Kavallerie an ein selbständiges Handeln gewöhnt, indem sie wie Infanterie- Regimenter einexerziert wurden, «m im Not fälle abzufitzen und wie Infanterie in die Schlacht eingreifen zu können. Selbst bei den vier vorhandenen Garde - Kürasfierregimentern wurde keine Ausnahme gemacht, und auch fie haben im Falle der Verwendung zu Fuß vor zugehen und die Infanterie zu stützen oder selbständig einzugreifen, statt von der Infanterie gestützt zu werden. Auf dem ostasiatischen Kriegsschauplatz kommen von der russischen Reiterei nur Kosaken zur Verwendung, die für jene Gebiete auf ihren unermüdlichen kleinen Pferden auch wohl das geeignetste Material bilden. Zudem besitzt Rußland in Kriegszeiten nicht weniger als 147 Kosakenregimeuter, 47 einzelne Sotnien und 38 berittene Batterien, zu denen noch einige Jnfanteriebataillone kommen, sodaß die Kosakenwehrmacht in Kriegszeiten auf etwa 176 000 Mann zu veranschlagen ist, die in Friedenszeiten allerdings nur ein Drittel davon beträgt. Dieser Umstand zeigt, daß Rußland nach dieser Hinsicht mit genügend Material ver sorgt ist, doch werden wohl auch die trans baikalischen Kosaken mit ihren Reserven für den gegenwärtigen Feldzug genügen, da bisher nirgends aus dem europäischen Rußland Reiterei nach Ostasien abgesandt worden ist. Im gegenwärtigen Kriege wird den Kosaken eine Hauptrolle zusallen, da fie zu Rekognos zierungen und raschen Märschen am besten ge eignet find. Das hat General Nennenkampf im Feldzuge 1900 bewiesen, als er mit seinen Kosaken Tageseilmärsche von 125 Kilometern zurücklegte und den Chinesen durch dieses Vor gehen keine Zeit ließ, sich zu sammeln. Auch in diesem Feldzuge kommandiert General Rennenkampf die transbaikalischen Kosaken und wird mit ihnen einen der besten russischen Truppenteile repräsentieren, die überall dort vorgeschickt werden, wo es auf Mut und Ausdauer ankommt, und dem Feinde der Weg verlegt und der Rückzug abgeschnitten werden soll. Von hlab unct fern. Am Sarge des Altreichskanzlers zu Friedrichsruh wurden am 1. April zahlreiche Kränze niedergelegt. Vertreter von 19 Vereini gungen taten das gemeinsam um 4 Uhr nach mittags. Es befanden fich darunter: Alldeutscher Verband, Ostmarken-Verein, Evangelischer Bund und Allgemeiner deutscher Schulverein. Kriegs gerichtsrat Dr. Reuter von der Ortsgruppe Dresden des Alldeutschen Verbandes hielt eine tiefempfundene Ansprache. Die Anwesenden verharrten dann noch einige Zeit vor den Särgen des fürstlichen Paares. Auch herrliche Rosenkränze waren niedergelegt worden. Am Fußende des Sarges des Fürsten war noch be sonders ein großer Lorbeerkranz befestigt. Fürst Herbert Bismarck war durch eine Erkrankung in seiner Familie in Berlin zurückgehalten worden. Zur Angelegenheit der Kleist-Grabstätte gibt Gustav Zieler im Feuilleton der Münchener ,Allg. Ztg/ nachträglich einige Aufklärungen, die um so bemerkenswerter sind, als neuerdings in Berlin Versuche gemacht werden, die befriedigend erledigte Angelegenheit zu verwirren und für die Verlegung der Grabstätte Stimmung zu machen. Zieler schreibt: „Man hat gleich, als diele ersten Zeitungsnachrichten auftauchten, daß Kleists Grab bei der Parzellierung des Geländes zerstört und an eine andere Stelle verlegt werden solle, im Reichskanzlerpalais der An gelegenheit volle Aufmerksamkeit zugewandt. Bei näheren Nachforschungen ergab stch dann aber, daß von feiten des Prinzen Friedrich Leopold niemals daran gedacht worden ist, beim Verkauf jener Wald parzelle bas Grab des Dichter» antasten zu lasten. Von Anfang an hat vielmehr der Prinz die Absicht gehabt, das Kleist-Grab der Nation zum Geschenk zu machen, und nur unter der Bedingung, daß bei dem Verkaufe des Landes das Grab nicht geschädigt würde, hat er die Erlaubnis zu Ver kaufsverhandlungen überhaupt gegeben, über diese Feststellung werden mit uns sicher alle Verehrer des Dichters lebhafte Genugtuung empfinden und jetzt erst sich de» Nationalgeschenkes recht freuen können." Umsichgreifen der schwarzen Blatter«. Außer dem in Altenbochum festgestellten Pocken fall sind vom Elisabeth-Krankenhaus zu Bochum zwei weitere pockenverdächtige Fälle gemeldet worden. Das Krankenhaus ist vorläufig sür acht Tage gesperrt, die mit den Kranken in Berührung gekommenen Personen find ab gesondert und alle sonst erforderlichen Schutz maßnahmen getroffen worden. Ein Pocken kranker ist auch in das Krankenhaus zu Koesfeld eingeliefert worden. Tod eines Grohindustriellen. In seiner Villa in Sachsenhausen ist der Chef der Welt firma Johann Liebig u. Komp, in Reichen berg-Böhmen, Herrenhausmitglied Heinrich Frh. v. Liebig, im 65. Lebensjahre gestorben. Das laufende Fcuillcion „Die Mildemschm Erben" wirb durch folgende Erzählung unterbrochen: U Vas VieUiebcken. 1) Humoreske von Artur Röhl.*) Es war nur ein einfaches Haselnüßchen, klein und braungrau, und man konnte es dem winzigen Ding, wie es zwischen lauter purpurnen Trauben und goldenen Äpfeln aus einer gläsernen Fruchtschale der Tafel des Regiments- kafinos lag, nicht ansehen, welches Unheil es mit dem verwachsenen Kern, den es in fich barg, anzurichten bestimmt war. Indes es wehte .auch heute durch die Räume des Kasinos eine Luft, die dem Übel Vorschub leistete. Zur Feier irgend eines denkwürdigen Tages in der Ge schichte des Regiments hatte stch zu einem Feft- esfen das gesamte Osfizierkorps mit seinen Damen versammelt, und dicht vor dem zwischen üppigen Treibhausfrüchten liegenden Haselnnß- chen auf der Silberschale saß die trotz ihrer Jahre und trotz ihres ziegelroten Teints noch immer ungemein gefallsüchtige Frau Oberst leutnant von Reiherschweif, und ihr gegenüber der als größter Schwerenöter des Regiments bekannte Leutnant Tucholski, und dieser machte Frau von Reiherschweif, ohne sich an ihr spitziges, ziegelrotes Gesicht zu stoßen, über den Tisch hinüber, wie er es für seine militärische Pflicht hielt, eifrig den Hof. Und Herr von Reiherschweif, der zur Linken der Frau Oberst leutnant saß und zufrieden war, daß ihm ein andrer die Aufgabe, seine Gemahlin zu unter *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. halten, abnahm, hätte gegen die Aufmerksam keiten des Premiers auch nicht ein Wort ein wenden mögen, hätte nicht die hoch mit Äpfeln, Trauben und Nüssen beladene Fruchtschale gerade zwischen ihnen gestanden, und hätte er nicht gewußt, wie leicht man in einem solchen belebten Gespräch nach so einer Nuß oder Mandel hinlangt und just, um den Fingern Beschäftigung zu schaffen, fie aufknackt. Und wenn da n solch Ding einen verwachsenen Kern hat, ist der Verdruß da! Irgend einer bietet dem andern stets solch ein Vielliebchen zu essen an, und das kostet dann unnötig Geld, ob man gewinnt oder ver liert, denn auf das Geschenk folgt schicklicher weise doch immer ein Gegengeschenk. So ist's einmal Sitte. Herr von Reiherschweif hätte am liebsten einer der auswartenden Ordonnanzen besohlen, die gefährliche Schale von der Tafel fortzu nehmen oder wenigstens sie so beiseite zu rücken, daß weder seine Frau noch der Leutnant Tucholski zu den Früchten hinlangen konnten. Herr von Reiherschweif erschrak bei einer jeden Bewegung, die Herrn Tucholskis eifrige Hände über seinen Teller hinüber machten. Ah, wenn er nur gewußt hätte, wie er der gefährlichen Unterhaltung der beiden in unauffälliger Weise hätte ein Ende machen können! Indes, fie waren nicht zu stören. Der Leutnant schwa dronierte auf Frau von Reiherschweif los, und diese lachte, und der Herr Oberstleutnant sah ein, es konnte gar nicht anders, es mußte so kommen, die kleine, braune Haselnuß lag auch gar zu verführerisch zwischen allen den Äpfeln und Trauben da, dem Schwerenöter drüben mußte fie bei jedem Blick, mit dem er sein ziegelrotes Vis-a-vis beglückte, in die Augen stechen. Und richtig geschah auch plötzlich, was der Oberstleutnant so lange voll inneren Bangens vorausgesehen hatte. Das Hasel nüßchen ward Leutnant Tucholskis Beute, das Vielliebchen war, sowie er es unter seinen Fingern aufgeknackt hatte, fertig, und Herr von Reiherschweif fing an, sich mit Ingrimm zu fragen, womit die „Alte" nun die unausbleib lichen Kosten des Vielliebchens bestreiten würde; denn wenn fie dächte, daß er, solche Allotria begünstigend, mit seinem Portemonnaie für sie in die Bresche springen würde, irrte fie fich. Im andern Fall würde ihr Wirtschaftsgeld herhalten müssen, mit dem sie schon so wie so behauptete, nie auskommen zu können. Viel leicht würde es wegen des Vielliebchens nun eine ganze Reihe von Tagen in seinem Haus halt einen Gang weniger bei Tisch geben! Und nun auch noch darüber vor dem Un glücksmenschen, dem Leutnant, lachen zu müssen, ihm in dem von der Etikette vorgeschriebenen verbindlichen Ton zu sagen, daß man ihn für einen Tausendsassa halte, und daß man sich freue, ihn mit seiner Alten solch neckisch Kurz weil treiben zu sehen! Dafür schlug der Oberstleutnant aber, sowie er mit seiner Gemahlin dem Tafelsaal des Kasinos den Rücken gewendet und in seine vier Pfähle heimgekehrt war, einen unverfälschten, weit kräftigeren Ton an. „Dalberei!" wetterte er in seinen Schnauz barl hinein. „Als ob nicht alles schon so wie so zu viel Geld kostete! Sich nun auch noch wie ein paar unzurechnungsfähiger Kinder solch lächerliche Extraausgabe auf den Hals zu laden! Hat eS, potz Blitz, auch nicht übrig! Dieser Windhund, dieser Tucholski! Liegt seinem Vater gewiß auch schwer genug auf der Kaffe. Wirst aber, das sage ich dir, nicht einen Groschen Geld um die närrische Geschichte aus dem Hause heraustragen. Kannst ihm die Lederhoseuträger schenken, du weißt, die plumpen Dinger, die mir vergangenen Weihnachten deine Schwester, die Erna gestickt hat. Ich habe das Zeugs, das einem schwer wie Sielen auf die Schultern drückt, noch nicht ein einziges Mal umgehabt. Die kannst du ihm geben. Hast du gehört? Oder irgend was anderes der Art. Du wirst schon was finden. Aber Geld darf es nickt kosten. Das wäre noch einmal! Um diesen Tucholski und diese dumme Haselnuß!" Frau v. Reiherschweif war übrigens, seit fie aus der die Sinne verwirrenden Festatmosphäre des Kasinos in die abkühlende Luft getreten, auf die Haselnuß, die Veranlassung zu dem unglücklichen Vielliebchen gegeben, auch gar nicht mehr gnädig zu sprechen. Die gute Dame fühlte genau wie ihr Herr Gemahl die Sträflichkeit des Übermutes, bei einem Hause voller Kinder sein knapp bemessenes bißchen Geld für solche Narreteien vergeuden zu wollen. Mn war das Unglück einmal geschehen, und kein Schmälen, meinte sie, wusch von den Folgen rein. Indes darin gab sie ihrem Ehe herrn vollkommen Recht, in große Unkosten durfte man sich um den Leutnant keinesfalls stürzen. Wenn möglich, mußte es ganz ohne
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