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5603 Nichtamtlicher Theil, HS 288, 13. December Hr A, Kröner, dem Verstorbenen mit den Worten widmete: „Nicht die Großthaten eines Genies allein, sondern auch das stille, treue und pflichterfüllte Wirken in cngbegrenzter Sphäre berechtigen zur höchsten Auszeichnung, zum Lorbeer, und eben dieser Mann, an dessen Grabe er stehe, habe in freudiger Hingebung aller seiner Kräfte und in gegenwärtig so seltener Pflichttreue in dem langen Zeitraum von 5t> Jahren, die er einem und demselben Hause an- gchört, wie wenige Andere ein Recht aus den Lorbecrkranz sich er worben, In diesem Sinne und im Auftrag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler schmücke er noch den Todten mit dem wohlverdienten Kranz," Ein Choral, von dem Hofthcater-Ouartett gesungen, schloß die erhebende Feier, — Friede seiner Asche! Reutlingen und das erste Jahrhundert des Buchdrucks.*) Bon Ludwig Uhland erzählt man, als er einmal mit Gustav Schwab einen Ausflug nach Reutlingen gemacht und sein Begleiter beim Anblick der Stadt die Worte aus llhland's Gedicht: „Die Schlacht bei Reutlingen" citirt habe: Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt! Wie haben da die Färber so purpnrroth gefärbt! da sei er alsbald eingefallen mit dem Verse: Wie haben da die Drucker so schnöde nachgedruckt Und manchem arme» Schlucker sein Honorar verschluckt! Daß die Klage, welche sich in dieser hübschen Improvisation ausspricht, nur zu berechtigt war, ist bekannt, Reutlingen ist durch den Nachdruck, wie er im vorigen Jahrhundert und im Anfang des gegenwärtigen dort geübt wurde, zu einem nicht gerade bcneidens- wcrthen Rus gekommen. Weniger bekannt, als diese Thatsachc dürste die andere sein, daß die schwäbische Reichsstadt vor jener Zeit schon einmal eine Rolle in der Geschichte des Buchdrucks gespielt hat, und zwar eine der späteren entgegengesetzte sehr ehren volle Rolle, Sie hat nämlich schon in den ersten Decennien nach Erfindung der Buchdruckerkunst Pressen in ihren Mauern beherbergt und fignrirt daher in der Zahl der Jncunabelstädte, und sie hat, davon abgesehen, auch auswärts durch ihre Söhne zur Verbreitung und Aufnahme der neuen Kunst sehr wesentlich beigetragen. Hieran zu erinnern, liegt eine besondere Veranlassung vor. Es ist nämlich wie für Wien, wo das Ereigniß nach den Berichten der Zeitungen festlich begangen wurde, so auch für Reutlingen Heuer das vierte Jahrhundert seit der ersten Ein führung der Buchdruckerkunst vollendet. Es war im Jahr 1482, daß dort die ersten gedruckten Bücher erschienen. Hätte freilich Zapf mit den Angaben in seiner „ältesten Buch- druucrgeschichtc Schwabens" Recht, so wäre dieses Jubiläum für Reutlingen noch früher wiedergekehrt. Denn derselbe führt (a, a, O. 2, 185) schon aus den Jahren 1480 und 1481 je einen Druck aus Reutlingen an. Allein von dem ersten dieser Drucke läßt sich die llncchtheit positiv Nachweise», der zweite aber ist ganz schlecht bezeugt und so haben die Bibliographen Panzer und Hain gewiß recht daran gethan, daß sie diese Drucke nicht mehr in ihre Ver zeichnisse ausgenommen haben. Dagegen ist die Existenz von Reut- lingcr Drucken aus dem Jahr 1482 vollkommen sicher, und zwar ist der erste Truck ein theologisches Werk, die Summa Illsnni (d, h, die Summa des Rainerius von Pisa), Dieses Werk trägt nämlich die Schlußschrist: Limo ckomini äl00L0l-XXXII, Sabbato anto epiplrnniv. ln Küblingen ckesoj auxiliante Opus termiuatum in- signe. Summa Slagistrutia alias kisanella vulgaliter ssioj appel- latum. Ikinit teliaiter. Ist dieser Druck hienach am Samstag vor Epiphanien (K. Januar) vollendet worden, so fällt er vor alle andern ans dem *) Aus dem Staats-Anzeiger für Württemberg, Jahr 1482 und es muß mit demselben, da er einen stattlichen Folioband bildet, schon im Jahr 1481 begonnen worden sein. Von diesem Gesichtspunkt aus könnte man also auch das Jahr 1481 als erstes Druckjahr von Reutlingen betrachten und wenn man es genau nimmt, so muß man dies auch dann thun, wenn man das Datum der Vollendung des ersten Drucks zu Grunde legt. Den» der Samstag vor Epiphanien 1482 war, da letzteres Fest in diesem Jahr auf einen Freitag fiel, der 31, December 1481, Diese Rech nung scheint nun zwar mit obiger Schlußschrist nicht zu stimme», da dort ja so unzweideutig gesagt ist: Lnno 1I6000I-XXXII,,, 6»n, Allein man muß sich nur erinnern, daß erst seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts das Jahr allgemein mit dem 1, Januar begonnen wird*), daß man speziell in den Zeiten, um welche es sich hier handelt, an vielen Orten Deutschlands das neue Jahr vom 25, December, als dem Tag der Geburt Christi, an datirtc. Nimmt man nun an, daß die letztere Art der Zeitrechnung damals auch in Reutlingen in Geltung gewesen ist — und es bleibt keine andere Wahl**) — so fiel der Samstag vor Epiphanie» bereits in das neue Jahr 1482, obwohl er nach unserer Rechnung der letzte Tag des Jahres 1481 ist, Uebrigens läßt man solche feinere Diffe renzen der Kalenderrechnung auch sonst für gewöhnlich aus der Seite liegen, indem man z, B, auch die Abweichungen des alten Stils vom neuen gregorianischen bei Gedenktagen n, dgl, nicht be achtet — thäten wir letzteres in unserem Falle, so kämen wir erst recht in das Jahr 1482 hinein — und so hat die Geschichte des Buchdrucks in ihrem Theil Recht, wenn sie, von obigem Sachverhalt sicher nichts ahnend und nur an die Jahreszahl, wie sie aus den ältesten Drucken steht, sich haltend, das Jahr 1482 als erstes Druck jahr von Reutlingen ausgibt. Wer der Drucker war, aus dessen Presse der erste Reutlinger Druck hervorgegangen, ist in diesem Drucke selbst nirgends gesagt; allein aus der Vergleichung der Typen ergibt sich mit aller Sicher heit, daß es derselbe Meister war, von welchem auch die nächst ältesten Reutlinger Drucke herrühren, und in diesen nennt sich der Drucker mit Namen: es warJohannes Otmar, lieber die Persön lichkeit dieses Mannes wissen wir nichts, als was seine Drucke selbst an die Hand geben. Aus diesen aber erhellt, daß er nicht etwa nur von auswärts zugezogen, sondern wahrscheinlich von Reutlingen selbst war. Er nennt sich nämlich ciris kvatlingensis, Bürger in Reutlingen, zwar erst von 1488 an; doch gebraucht er auch nach dieser Zeit noch die unbestimmteren Wendungen (in ksutlinzeo, cko 8,), in denen er früher seine Beziehungen zu dieser Reichsstadt ausgedrückt hatte, so daß die späte Anwendung jener genaueren Bezeichnung wohl nur zufällig ist. Da er sich weiter regelmäßig Nagistor heißt, so erhellt, daß er ein akademisch gebildeter Mann war, und in der That hat er bei vielen seiner Drucke die Arbeit des Correctors, welche nach dem, was man damals hierunter be faßte, einen wissenschaftlich gebildeten Mann erforderte, selbst besorgt. Es darf uns dies nicht wundern; denn es war in jenen ersten Zeiten etwas sehr Gewöhnliches, daß gelehrte Männer die Buchdruckerkunst ausübten, Otmar's Presse war für jene Zeit gut ausgestattet; sie besaß eine Anzahl von Alphabeten, Doch ist dar unter kein hebräisches und kein griechisches, auch keine Antiqua-, *) In der Republik Venedig galt bis 1797 der 1. März, in England bis 1753 der 25, März ais Jahresanfang. **) Denn wollte man etwa annehmen, daß in obigem Datum Epiphanien 1483 gemeint sei, so fiele der diesem Fest vorangehende der 30. Dcecmber (dies wäre dann nämlich jener Samstag) nicht nach dem nüchstgetegcnen NcujahrSsest, sondern »ach dem entscrntcn und snr die Rechnung viel weniger wichtigen Erscheinungssest bezeichnet würde.