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Ottendorfer Zeitung : 13.03.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-03-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190403131
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040313
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040313
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-03
- Tag 1904-03-13
-
Monat
1904-03
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 13.03.1904
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Das Dichtergrab am Wannsee, die Ruhestätte Heinrich von Kleists und seiner Freundin Henriette Vogel, wird nicht lange mehr den kleinen Waldhügel zieren, dessen Erde bie sterblichen Reste der beiden Unglücklichen seit bald hundert Jahren birgt. Das Terrain wird parzelliert und auch für den Bau des Friedrich Leopold-Kanals gebraucht, so daß eine Exhumierung der Leiche des Dichters in kurzem notwendig wird. Besitzer des Terrains ist bekanntlich Prinz Friedrich Leopold von Preußen. Es ist zu hoffen, daß rechtzeitig da für gesorgt wird, daß dem Dichter eine neue würdige Ruhestätte bereitet wird. Das Kriegsbeil begraben. Der Zwist, der seit der bekannten Börsengartenaffäre in Königsberg zwischen dem Militär und dem Beamtentum auf der einen und der Bürgerschaft auf der andern Seite herrschte, ist nunmehr beigelegt. Das bisher bestehende Perbot des Besuchs des Börsengartens für Offiziere ist auf gehoben worden. Der kommandierende General Frh. v. d. Goltz, die übrigen Generale und Oberpräfident v. Moltke haben ihren Eintritt in die Gesellschaft „Börsenhalle" zum Teil schon angemeldet, zum Teil in Ausficht gestellt. Damit verschwindet die letzte Erinnerung an die Zeit, als Graf Wilhelm v. Bismarck Ober- prästdent und Graf Finck v. Finckenstein kom mandierender General in der Hauptstadt Ost preußens waren. Ein begehrter Posten ist die Bade kommissarstelle in Kolberg. Unter den 131 Be werbern befinden sich pommerschen Blättern zu folge unter andern 1 General, 2 Obersten, 4 Oberstleutnants, 7 Majore, 1 Korvettenkapitän, 16 Hauptleute, 4 Rittmeister, 10 Oberleutnants, 14 Leutnants, 7 Bürgermeister, 2 Amts- und Gemeinde-Vorsteher, 2 Polizeileutnants, vier Polizeikommissare, 2 Redakteure, 2 Schriftsteller, 5 Landwirte, 17 Kaufleute, 2 Badeverwalter, 1 Photograph, 1 Revierförster, 1 Rentner, einer ohne Beruf. Ein fürstlicher Schuldner, der Prinz HÄy von Sagan (übrigens ein Franzose), gegen den ein Herr K. in Berlin Klage auf Zahlung von 304 462 Mk. durch den Justizrat Dr. Stranz hat erheben lassen, wird vom Gericht gesucht. Es handelt sich um drei Wechsel, die im Juli v. fällig wurden. Damals wohnte der Prinz von Sagan noch in Paris; da sein jetziger Auf enthaltsort unbekannt ist, wird Durchlaucht öffentlich zum Termin am 27. April d. vor die zwölfte Zivilkammer des Landgerichts Berlin geladen. — Ob er wohl kommen wird? Ein Automobilistentniff wurde dieser Tage vor dem Potsdamer Schöffengericht auf gedeckt. Ein Automobilführer hatte ein Stras- mandat erhalten, weil er zu schnell gefahren war, und dagegen Widerspruch erhoben. Er wies nach, daß er an dem Tage mit seinem Automobil, dessen Nummer im Vorbeifahren ein Polizeibeamter notiert hatte, gar nicht aus Berlin heraus gewesen sei, und nun kam zur Sprache, daß verschiedene Automobilisten an ihren Fahrzeugen eine Vorrichtung haben, durch die es ihnen möglich wird, sobald Gefahr im Verzüge ist, mit Leichtigkeit eine andere Nummer über die richtige zu schieben, so daß schon wiederholt dadurch falsche Anzeigen herbei geführt wurden, weil die Besitzer dieser Auto mobile gänzlich unbeteiligt an den Fahrüber tretungen waren und der Schuldige nicht mehr zu ermitteln war. Kein Attentat! Die Nachricht, daß auf den Personenzug Remscheid - Elberfeld ein Revolverschuß abgefeuert nnd dabei der Insasse eines Abteils der dritten Klasse getötet worden sei, ist dahin zu berichtigen, daß es sich um einen Selbstmord handelt. Dies geht aus den Aufzeichnungen hervor, die bei dem Selbstmörder vorgefunden wurden. Todessturz aus dem Eisenbahnabteil. Unwett der Station Mülheim am Rhein gerieten am Dienstag in dem von Düsseldorf nach Köln fahrenden Eisenbahnzvge zwei Fahrgäste in Streit. Ursache desselben bildete die Beschuldi gung eines der Passagiere gegen den andern, ihm sein Portemonnaie gestohlen zu haben. Der Beschuldigte verwahrte sich dagegen, ein Wort gab das andre, bis der Streit in Tätlichkeiten ausartete. Plötzlich öffnete der eine der Streitenden die Coupstüre und beide in heftigem Ringen befindliche Personen stürzten aus dem in voller Fahrt begriffenen Zuge. Der eine verstarb kurz darauf, während der andre lebens gefährlich verletzt in das Hospital befördert wurde. 1. Ein Einbruch i« das — Polizei- direkiionsgebäude in Wiesbaden wurde wäh rend der Nachtzeit verübt. Der verwegene Ein brecher, ein bereits vorbestrafter, 24 jähriger Bursche namens Adolf Heil, verschaffte sich durch eine Gartentür, in unmittelbarer Nähe des Zimmers des wachthabenden Polizei beamten, Eingang in das Gebäude, erbrach drei Diensträume im zweiten Stock und machte sich schließlich daran, den Kassenschrank zu erbrechen, in dem nur Dienstgelder aufbewahrt werden. Er wurde jedoch von einer Reinmachefrau bei der „Arbeit" überrascht und auf deren Hilferufe von herbeieilenden Beamten nach heftiger Gegen wehr festgenommen. Der unerschrockene Ver brecher ist nach Verbüßung einer längeren Frei heitsstrafe erst vor acht Tagen aus dem Zucht hause entlassen worden. Sein Komplice, der während des Einbruches im Garten der Polizei direktion Schmiere stand, konnte noch rechtzeitig die Flucht ergreifen, doch sind seine Personalien von dem verhafteten Heil verraten worden, so daß auch seine Festnahme nur eine Frage der Zeit sein dürfte. Die Tochter der „großen" Therese. Fräulein Eva Humbert hat sich zu dauerndem Aufenthalt in Hameln a. d. Weser nieder gelassen und erteilt dort Musik- und Sprach unterricht. Fräulein Eva weilte bereits im vergangenen Jahre mehrere Monate hindurch auf Besuch bei einer Hamelner Familie. Verhaftung. Am Sonntag wurde in Soest ein 25 jähriger Arbeiter verhaftet, dem zur Last gelegt wird, durch fortgesetzte rohe Behandlung seiner Frau ihren Tod herbeigesührt zu haben. Einer, der sich zu helfen weist. In Friesland ist es in gewissen Dörfern noch Sitte, daß der Gemeindediener von Haus zu Haus geht, um die Geburt oder den Tod eines Menschen anzuzeigen. Wenn er ein neugebore nes Kind zu melden hat, zieht er weiße Hand schuhe an; ist jedoch ein Todesfall zu ver künden, so trägt er schwarze Handschuhe. Un längst geschah es nun, daß in einem Dorfe eine arme Frau ein Kind zur Welt brachte, das bald nach der Geburt starb. Der Gemeindediener war in großer Verlegenheit: wußte er doch nicht, was für Handschuhe für diesen besondern Fall paßten. Schließlich half er sich, indem er einen schwarzen und einen weißen Handschuh aufzog; in dieser seltsamen Toilette trat er dann seinen Meldegang an. Ein Vater durch seinen dreizehn jährigen Sohn getötet. Der 38 jährige Fabrikarbeiter Lecomte in St. Di6 (Elsaß) kam in später Nacht betrunken nach Hause und ge riet mit seiner Frau wegen des Nachtessens in Streit, in dessen Verlauf er sie am Halse er griff und mit Erwürgen bedrohte. Das älteste Kind der Streitenden, der dreizehnjährige Lucien, ergriff in diesem Augenblick ein Messer, das seine Mutter im Bette versteckt hatte und versetzte seinem Vater zwei Stiche in die Brust. Tödlich getroffen fiel Lecomte, ohne einen Laut Von sich zu geben, zu Boden und gab bald darauf seinen Geist auf. Der junge Vater mörder wurde noch in derselben Nacht verhaftet, aber nach Feststellung der Umstände auf freien Fuß gesetzt. Do« Quixote-Feier. Im Frühling 1905 soll in Madrid die dritte Hundertjahrfeier des Erscheinens von „Don Quixote" durch große Nationalfeste begangen werden, für die nach dem Mulois' folgendes Programm geplant ist: Es sollen Cervantes-Denkmäler in den Städten errichtet werden, wo er gewohnt hat; seine Büste soll in allen Schulen Spaniens aufgestellt und eine nationale Gedächtnisausgabe seines Meister werkes veranstaltet werden. Man will Festzüge arrangieren, in denen alle Personen aus dem „Don Quixote" vertreten sein werden, ferner Ausstellungen und Theateraufführungen. Um diesen spanischen Festen einen allgemeinen Charakter zu geben, beabsichtigen die Ver anstalter, diejenigen ausländischen Persönlich keiten einzuladen, die sich mit dem großen spanischen Dichter beschäftigt haben. Die Exkönigin Natalie, die ursprünglich beabsichtigte, einen bedeutenden Teil ihres eigenen Eigentums sowie Besitzes aus dem Nachlasse des Königs Alexander von Serbien für humanitäre Zwecke testamentarisch zu ver machen, soll infolge gehässiger Äußerungen des jetzigen Belgrader Stadlpräfekten über ihre Person beschlossen haben, allen Besitz, der noch in Serbien liegt, durch ihren Anwalt einzuziehen und Serbien nichts zu hinterlassen. Eine ungeheure Überschwemmung ge fährdet in Pennsylvania (Nordamerika) zahl reiche blühende Städte im Tal des Susque hanna-Flusses. Die Überschwemmungen find die Folge des plötzlich eingetretenen Schmelzens des Eises infolge Tauwetters. 11 Personen sind bereits ertrunken, viele werden vermißt. In Harrisburg sind 200 Familien obdachlos, 1500 Personen haben Zuflucht in öffentlichen Gebäuden suchen müssen. Die Gewerbetätig keit in dem ganzen Überschwemmungsgebiet ist ernstlich bedroht. GericktskaUe. Düsseldorf. Wegen Herausforderung zum Zwei kampfe mit tödlichen Waffen verurteilte das Kriegs gericht den Rcserveleutnant Klemens Haas vom vierten Feldartillerie-Regiment zu zwei Wochen Festungshaft : gegen den Reserveleutnant Karl Len- brink von demselben Regiment wurde wegen Kartell tragens auf einen Tag Festung erkannt. Die Ver handlung fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Osnabrück. Das Schöffengericht zu Malgarten verurteilte den Kaufmann Rasch zu einer Geldstrafe von 15 Mk., weil er in einer Wählerversammlung zu Badbergen behauptet hatte, der Frh. v. Bar habe in seiner Wohnung die Bilder der Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III. und des Fürsten Bismarck mit welfischen Kalendern verhängt. Lin Trauerspiel aus hoher Zee. Aus London wird berichtet: Ein erschütterndes Trauerspiel erzählen die überlebenden des bri tischen Dampfers „Cygnet", der mitten im Atlantischen Ozean in Brand geriet und sank. Der „Cygnet" verließ am Weihnachtstage Lon don, um nach dem Mittelmeer zu gehen. An Bord befanden sich fünf Paffagiere, Major Little, seine Frau, ihr neunjähriger Knabe Edward und ihre zwei Mädchen im Alter von 4V- und 2V- Jahren. Am 29. Dezember wurde der „Cygnet" plötzlich von einer Bö betroffen, die das Schiff wohl ausgehalten hätte; aber am Nachmittage um 4 Uhr entdeckte der Maat, daß dicke Rauchwolken aus den Ventilatoren quollen. Nach fünf Minuten züngelten bereits die Flam men aus den Luken heraus, die ganze Ladung stand in Flammen. Des Kapitäns erster Ge danke war, die Pasfagiere zu retten. Das Boot mit den fünf Passagieren, dem Maat und vier Matrosen wurde herabgelassen. Das brennende Schiff war 60 Meilen von der spanischen Küste entfernt, fast genau westlich vom Vigo. Da die See noch sehr hoch ging und der Kapitän fürchtete, das offene Boot könne hoffnungslos ümhertreiben oder über schwemmt werden, befestigte er es mit einem Seil am Heck des Dampfers; er glaubte, so lange das Boot im Fahrwasser derSchiffe treibend gehalten werden konnte, wäre Aussicht auf Rettung. Der „Cygnet" war jetzt eine glühende Feuermasse. In dem Boot saß das kleinste Kind zu Füßen der Mutter und wurde von den schweren Sturz seen teils durch das Kleid geschützt, die andern Kiuder drängten sich unter einem Persenning zusammen. Niemand sprach. Man Höne das Zischen des Wassers. Plötzlich ertönte ein dumpfes Brüllen, ein Kraches des Holzes und ein Bersten des Stahls. Der Maat sah, daß die Luken des „Cygnet" gesprengt waren, daß durch die Spalten Feuer hervorschoß und daß das Feuerschiff "sie verließ — das Seil war zerrissen, das Boot war allein auf hoher See. Die Sonne ging im Westen glühend rot unter, der Feuerschein des Schiffes färbte die See golden. Dann verschwand auch das, der „Cygnet" war gesunken. Als die Nacht Herein drach, wurden die Ausgesetzten hungrig, aber im Boot fand sich nur Zwieback und kondensierte Milch vor. Major Little hatte auf dem Schiffe nicht nur all sein Geld und seine Schmücksachen gelassen, sondern auch alle Kleidung, Überzieher und Mäntel. Es wurde bitterkalt, schwere Seen stießen unbarmherzig gegen das kleine Boot. Die Kinderschliesen dann und wann im Rumpf des Bootes. Als Edward erwachte und um einen Trunk bat, konnte man ihm kein Wasser geben. Um Mitternacht wurden Zwieback und Milch ge reicht. Da die Kinder vor Kälte fast erstarrt waren, zog ein italienischer Matrose, Antonio Girardi, seinen Rock aus und hüllte den Knaben darein. Als er nach einer Stunde nachsah, wie es den Kindern ging, bemerkte er, daß Edward seinem vierjährigen Schwesterchen den Rock ge geben hatte. Die ganze Nacht mußten die älteren Passagiere und die Mannschaft das Wasser ausschöpfen. Beim Morgengrauen be merkte man, daß der freundliche Italiener fehlte. Eine Welle hatte ihn über Bord gespült. Den ganzen Tag spähte man nach Land oder einem vorüberfahrenden Schiff aus, aber nichts kam in Sicht. Der Maat wußte nur, daß die Küste 50 bis 60 Meilen entfernt war. Zwei Tage und zwei Nächte des Elends vergingen, und Verzweiflung bemächtigte sich der Schiff brüchigen. Gelegentlich versuchten die Matrosen, die Gesellschaft durch ein Lied zu erheitern, aber im geheimen glaubte jeder, daß der Tod infolge von Hunger oder Durst unausbleiblich wäre. Am dritten Tage wurde in dem Persenning ein halbes Glas Regenwasser gesammelt und sorg fältig verteilt. Als es niemand sah, gab ein Matrose seinen Anteil dem Knaben, weil er in der Stille der vorigen Nacht gehört hatte, wie Edward um die Rettung der Eltern und Schwestern gebeten hatte, und „bitte, vergiß nicht den Maat und die andern freundlichen Herren". Am selben Morgen kam ein Dampfer in Sicht, aber trotz aller Bemühungen blieben die Schiffbrüchigen unbemerkt. Die Nacht mit ihren vermehrten Schrecken brach herein. Die durchnäßten Kleider froren den Passagieren am Leibe. Die Kinder hatten schrecklich vom Frost zu leiden, die Haut schälte sich von ihren Armen und Beinen. „Aber sie murrten nicht ein einziges Mal," sagte der Maat, „jeder an Bord hätte gern sein Leben für sie gegeben." Am fünften Abend brach Major Little zu sammen. Danach können sich die Passagiere nur weniger Einzelheiten erinnern. Am nächsten Morgen traf sie ein Fischerboot, das sie auf nahm und in dem Städtchen Figueira landete, wo eine große Menge sie freundlich aufnahm. Major Little ist infolge der ausgestandenen Leiden gestorben, und Mrs. Little befindet sich jetzt mit ihren Kindern in London; aber ob gleich jetzt fast zwei Monate seit ihrer Rettung verflossen sind, sind sie noch ganz schwach und wie betäubt von ihren furchtbaren Erfahrungen. Kuntes Allerlei. Fatale Lage. Ein englischer Rechts anwalt interessierte sich für einen Mann, der von seinem Arbeitgeber beschuldigt war, ihm ein Paar Hosen gestohlen zu haben. Im festen Glauben, der Mann sei des Diebstahls zu Unrecht bezichtigt, verteidigte er ihn in solch überzeugender Weise, daß der Gerichtshof den Angeklagten freisprach. Der Freigesprochene zögerte indessen, die Anklagebank (in der man in England nur den Oberkörper der darin be findlichen Personen sieht) zu verlassen, und starrte den noch im Gerichtssaal befindlichen Kläger unverwandt an. „Was zaudern Sie noch?" fragte freundlich der Verteidiger seinen Klienten, „ich denke, Sie Haben schon Zeit genug verlieren müssen!" „Veil," war die Antwort, „um die Wahrheit zu sagen, ich habe die dummen Dinger an und fürchte nur, wenn ich jetzt gehe, daß mein Meister sie wieder erkennen wird." * * * Auf der Sparkasse: „Sie müssen diese Empfangsquittung unterschreiben!" — „Ich kann meinen Namen nicht schreiben ..." — „Dann schreiben Sie einfach: Analphabet!" Ganz zuletzt wollte Herr v. Hagel an einer geschlossenen Zimmertür vorübergehen. Ahnungs voll ergriff die junge Frau aber jetzt seinen Arm und sagte leise: „Nicht wahr, dort ist meine unglückliche Vorgängerin gestorben?" Herr v. Hagel nickte ernst. „Und auch ihr Bild hängt da," sagte er dann. „Zeige es mir, Johannes." Die Bitte schien ihn auf das peinlichste zu berühren. Dennoch öffnete er das kleine Kabinett, von dem aus Jahre hindurch so viel Trübsal über das ganze Haus gekommen war. Fanny trat mit merklichem Grauen über die Schwelle des vernachlässigten Raumes. Nur ein leeres Bettgestell stand in demselben, ein alter Tisch, ein Waschständer und ein paar Stühle. Zögernd schritt Hagel auf die Seite des Ge machs, wo das verhangene Porträt der armen Verstorbenen seinen Platz gefunden hatte. Mit bebender Hand zog er den schwarzen Krepp zurück, den er einst selbst über dem Bilde angebracht, und Fanny schaute gleich darauf in das feingeschnittene Antlitz von Adas Mutter. Dieselbe war im Brautschmuck gemalt und eine jener Erscheinungen, die, ohne wirtlich schön zu sein, doch nie vergessen werden von denen, welche ihr einmal nahe gestanden. „Welch ein Gesicht!" rief Fanny. Johannes von Hagel aber preßte die Lippen zusammen und senkte den Blick. Durfte er die Tränen zeigen, die in diesem Moment in seinen Augenblinkten? Es waren lange Minuten, in denen die junge Frau teilnahmsvoll in die Züge der Ver storbenen blickte. Dann machte Johannes diesem Schauen ein Ende, indem er den Schleier wieder über das Bild zog. „Komm nun, Liebe," sagte er darauf, „und laß es nicht nur das erste-, sondern auch das letztemal gewesen sein, wo du hier gestanden. Ebenso bitte ich dich: sprich nie zu meinem Kinde von der Toten. Warum wieder die furchtbaren Erinnerungen in der armen Kleinen wecken." „Es sei, wie du es wünschest," erwiderte Fanny ernst. Ihr Gatte aber setzte seinen Worten noch rasch hinzu: „Und dann noch eins: Versprich mir, bei dem Gedenken an alles das, was dir im Leben teuer gewesen — ich meine bei dem deiner Eltern, deines ver storbenen Onkels: vernichte dieses Bild, wenn ich gestorben bin, denn ich will es dem Kinde nicht als Erbe hinterlassen." „Auch das verspreche ich dir," entgegnete Fanny. Gleich darauf hatte das Ehepaar den trau rigen Raum verlassen, und der Schlüssel zu demselben steckie in Hagels Tasche. Schweigend geleitete der Hausherr Fanny nun über den schmutzigen Hof und öffnete ihr den Zugang der Viehsiälle. Ohne noch beson ders zu erschrecken, sah Fanny jetzt, daß sich im Pferdeabteil nur die beiden alten Gäule be fanden, die sie von Z. hierher gebracht hatten. Der Kuhstall barg nur drei magere Kühe, die Kälber, die Ada in ihrem letzten Briefe erwähnt hatte, und einige Ochsen, die der juugen Frau wie Jammergebilde erschienen. Aber sie sagte nichts über die Eindrücke, die sie empfing, besaß freilich auch nicht Ver- stellungskunst genug, um zu dem allen eine heitere Miene zu machen, trotzdem sie bemerkte, daß Johannes Blick an ihrem Gesicht hing. „Wenn du auch das Federvieh sehen willst," meinte der Gutsherr mit gepreßter Stimme, „so hast du nur auf dem Hofe Umschau zu halten. Dort tummeln sich Hühner, Enten und Gänse." „Ich bemerkte sie bereits," entgegnete Fanny. Dann deutete sie, über die Schwelle des Kuh stalles tretend, auf eine ältere Person, die eben aus dem „Schlosse" kam: „Apropos, Johan nes," sagte sie nun, „das ist wohl deine Wirt schafterin ?" „In der Tat, Liebling — niemand sonst als das Bradocziner Faktotum! Marinka, Alte, so komme Sie doch einmal her und begrüße Sie Ihre neue Herrin," befahl der Gutsherr. Die Angerufene gehorchte. Tief knixend stand sie gleich darauf vor Fanny. Aus dem blassen Gefickt der Greisin aber schauten ein Paar gute Augen wie in unsäglichem Mitleid zu der jungen Frau empor. Dann beugte sie sich und küßte demütig den Saum des einfachen schwarzen Kleides, das die Henin trug. „Gott segne Ihren Eingang, Panna," sagte Marinka. Die junge Frau wußte selbst nicht, wie es kam, aber das schlichte Geschöpf vor ihr hatte sofort ihr Herz gewonnen, und freundlich reichte sie ihm die Hand. „Möge Ihr Wunsch sich erfüllen, liebe Alte," entgegnete sie dann weich. Der greisen Wirtschafterin rannen ein paar große Tränen über das Gesicht, als sie in die Küche zuröckeilte. Fanny wünschte, auch diese in Augenschein zu nehmen, und ersuchte den Gatten, sie in das Reich seines Faktotums zu geleiten . . . Wie ganz anders aber fand sie dort alles, als sie es daheim gewohnt war! In der Küche von Rittergut Bradoczin fehlte es eben an all jenem Zierat, ohne den fich Fanny bisher kaum eine Küche vorzustellen vermocht hatte. Dazu trat hier noch deutlicher als in jedem andern Raume des Schlosses die Armut des Besitzers hervor: kein einziges Gerät war ganz, überall zeigten fich nur Scherben; selbst die eisernen Töpfe auf dem Bord des gewaltigen Rauchmantels über dem Riesenherd waren angeschlagen. Schneller, viel schneller noch, als sie den Raum betreten, verließ die junge Frau den selben auch wieder — wie sie sagte, „um ihre Sachen auszupacken." Der Gatte verstand sie aber doch und mit einem Seufzer auf den Lippen bot er ihr den Arm, um sie nach dem Schlafgemach zu begleiten, wohin der alte Kutscher das Gepäck der Herrin gebracht hatte. „Ich werde dir Ada zu deiner Hilfe schicken," sagte Hagel dort. „Mir aber ge stattest du wohl, daß ich mich auf ein Viertel stündchen in mein Arbeitszimmer zurückziehe, um die während meiner Abwesenheit einge gangenen Briefe zu lesen." „Gewiß," entgegnete Fanny. Als Johannes jedoch gegangen, sank sie in einen alten Sessel und begann bitterlich zu weinen. (Fortsetzung folgt.)
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