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Ottendorfer Zeitung : 28.02.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190402280
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040228
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040228
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-02
- Tag 1904-02-28
-
Monat
1904-02
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 28.02.1904
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I Sine kostbare Eisenbahnladung, die den Neid aller besitzlosen Klassen zu erwecken imstande ist, traf am Dienstag in Berlin ein. Es handelte sich um vier und eine halbe Million Mark in Gold, die von der Reichsbank-Haupt- stelle in Posen abgesandt und für die Reichs bank bestimmt war. Der Transport wurde unter ganz besonderen Sicherheitsmaßregeln be werkstelligt. Armer „Konsul"! Der in Berlin erfolgte Tod des Schimpansen „Konsul" erregt in Eng land großes Aufsehen. Der Affe interessierte nicht nur das gewöhnliche Publikum, sondern auch die Gelehrten, und man hatte gehofft, daß er in seiner Menschenähnlichkeit immer noch weitere Fortschritte machen werde. Er hatte seinen eigenen Leibarzt, Dr. Scott, der stets mit ihm reiste, ihn aber nicht vor den Folgen einer heftigen Bronchitis zu schützen vermochte. Der Wert des Affen, der den Namen Konsul trug, wird auf 25 000 Pfund berechnet. Sein wirklicher Wert soll jedoch ein weit höherer ge wesen sein, denn in London sicherte er seinem Besitzer eine Einnahme von 200 bis 300 Pfund wöchentlich. Sein Leben war für 20 000 Pfund versichert. Konsul.wird einbalsamiert und nach Paris gebracht werden. Hinrichtung. Der Matrose Kohler, der im Hafen des Piräus den Oberfeuerwerksmaat Briedritzki ermordet hatte, ist am Dienstag in Aurich hingerichtet worden. Über das Mahagoniholz der Lüneburger Heide schreibt man der.Deutsch. Tagesztg/: Bis vor einigen Jahren brauchte man das hier an den Bächen der Heide und in wasserreichen Niederungen reichlich wachsende Holz der Ellern meistens nur zur Fabrikation von Holzpantoffeln und als Brenn material. Vor dreißig Jahren gab es in jedem größeren Heidedorfe Leute, meistens HSuslinge, die im Winter oder abends in ihrer freien Zeit Pan toffeln machten. Das Holz dazu gab die Eller her. Dann kamen die Pantinenfabriken, und der Neben verdienst der kleinen Leute auf dem Lande ging in die Brüche. In den Panlinenfabriken kann man sehen, wie das Holz der Eller, besonders wenn cs dünn gesägt oder geschält wird, eine lebhafte rötliche Farbe annimmt. Das hat man sich zu nutze ge macht und mit Erfolg versucht, Fournicrholz daraus herzüstelien. Im letzten Jahre - sind große Mengen Ellernholz im Süden der Heide aufgekauft und nach den Rheingegenden usw. versandt worden, um dort als Mahagonifournier verwendet zu werden. Vor dem Ankäufe von Mahagonimöbeln, die ja jetzt Mode werden, w>rd man fragen müssen, ob man echte oder unechte Mahagoniauflage vor sich hat. Ein Opfer ihres Berufs ist die 25 jährige Diakonissin Martha Wendt in Henkenhagen ge worden. Bei der Pflege eines Typhuskranken steckte sie sich an und war nicht mehr zu retten. Ein explodierender Arrestant. Auf der Chaussee zwischen Salzwedel und Bergen a. D. wurde am Montag nachmittag der einer Brand stiftung verdächtige Maschinenbauer Röhl aus Bergen von einem Gendarmen verhaftet. Wäh rend des Transportes nach der Stadt, bei dem der Beamte den Arrestanten führte, erfolgte plötzlich eine heftige Explosion. Röhl war zu Boden gestürzt und aus seinen Kleidern schlugen die Hellen Flammen. Der Arrestant hatte es, wie sich alsbald herausstellte, verstanden, zwei Pakete Pulver in seiner Hosentasche unbemerkt in Brand zu stecken, in der Absicht, sich selbst in die Luft zu sprengen. Der Gendarm erlitt mehrere Brandwunden an den Händen. Röhl selbst wurde am Unterleib und am Oberkörper erheblich verbrannt. Er bedauerte es, keine Gelegenheit gefunden zu haben, sich das Pulver in den Mund zu stecken, um sich mit sicherem Erfolge in den Tod zu expedieren. Beim Soldatenspielen. In dem kleinen Dorfe Waldmatt, unterhalb der Burg Windeck bei Baden-Baden gelegen, ereignete sich ein schwerer Unglücksfall. Mehrere Schulknaben im Alter von 10—14 Jahren spielten „Soldateles" und wollten dabei auch echten Kanonendonner hören. Einer der Schüler brachte eine Patronen hülse herbei, und ein anderer holte aus dem Hause seines Vaters, eines Holzmachers, Spreng pulver, welches allem Anscheine nach recht ober flächlich verwahrt wurde. Die Hülse wurde nun gefüllt und mit brennendem Papier angezündet. Sofort ging der Schuß los und zerschmetterte dem 13 jährigen Schüler Kist fast vollständig den Kopf. Der bedauernswerte Knabe starb bald darauf an den schweren Verwundungen. Die Breitlinge, die in diesem Winter in ge waltigen Zügen die Danziger Bucht ausgesucht haben und auch in ungeheuren Mengen gefangen worden sind, bilden dort jetzt nicht bloß ein billiges Volksnahrungsmittel, und gehen nicht mehr allein als „Ostsecsprotien" in das Innere von Deutschland und darüber hinaus, sondern die Händler haben sich mit diesen Fischen neuerdings auch den russischen Markt erobert. Sie werden dort nämlich wie Anchovis zubereitet und kommen vielleicht als diese feine Delikatesse mit russischer Marke wicoer zurück. Wie groß dieser Versand ist, geht daraus hervor, daß ein einziges Fischaussuhr-Geschäft nach dem .Gesell.' 2000 Zentner Breitlinge nach Riga ver laden hat, da in der dortigen Bucht der Anchovis vollständig ausgeblieben ist. übrigens werden starke Breitlingsschwärme gewöhnlich auch als die Vorläufer größerer Lachszüge angesehen. Ein Schleppenverbot. Der Prager Stadt rat beschloß, eine Polizeiverordnung zu erlassen, in der den Damen das Tragen von Schleppen in den Straßen und öffentlichen Anlagen aus Gesundheitsrücksichten verboten wird. Ein langer Schlaf. Ein seltener Fall von Lethargie hat sich, wie aus Paris ge meldet wird, in dem Flecken Harveng in der Nähe von Mons ereignet. Ein Mädchen von etwa 24 Jahren, Leon Cornu, hat 37 Tage lang in tiefstem Schlaf gelegen. Das junge Mädchen ist Bauernmagd. Infolge eines heftigen Schreckens verfiel sie in einen katalep- tischen Zustand, aus dem sie nichts zu erwecken vermochte. Nur ein kaum bemerkbares Atmen und ein leichtes Schlagen des Herzens Zeugte noch von dem Vorhandensein des Lebens in dem unbeweglichen Körper. Das Mädchen wurde die ganze Zeit hindurch künstlich mit Eiern und Milch ernährt. Vor einigen Tagen erwachte sie plötzlich ohne äußere Ursache. Sie ist körperlich sehr schwach und erinnert sich an garnichts. Die Schlaftänzerin Madeleine, von deren Auftreten in Paris vor einigen Monaten aus führlich berichtet wurde, gibt zurzeit in München einige nicht öffentliche Vorstellungen. Bisher hat bloß im Hause eines Bankiers eine kleine geladene Gesellschaft diese merkwürdigen Vorführungen be urteilen können. Ein paar Wiederholungen sollen vor den Mitgliedern der psychologischen Gesellschaft Nachfolgen. Aber ein öffentliches Auftreten wird, da es sich um hypnotische Zustände handelt, nach der ,Köln. Zig/ nicht erlaubt werden. Die in Tiflis geborene, aber mit einem französischen Schweizer vermählte Frau Madeleine reist in Be gleitung des Ehepaars Magnin aus Paris. Sie wird von Magnin in hypnotischen Schlaf versenkt und übersetzt dann die Klänge jedweder ihr vor gespielten Musik in plastische Tanzbewcgungen von solch ausdrucksvoller Schönheit, daß die wenigen Zuschauer des ersten Auftretens gar nicht Rühmens genug davon zu machen wissen. Es setzten sich ab wechselnd einige der bekanntesten Komponisten und Kapellmeister Münchens ans Klavier, und was immer sie auch vortrugen, jedweder Stimmung soll die hypnotisierte Tänzerin in ihren Bewegungen vollkommen gerecht geworden sein. Ein Vortrag des Nervenarztes v. Schrenck-Notzing war dieser Vorführung vorausgegangen. Bon einer Lawine getötet. Am Süd- abbang des Simplon wurden, wie aus Domo- dossola gemeldet wird, vier Arbeiter durch einen Lawinensturz verschüttet. Drei der Ver unglückten waren Schweizer, dci vierte stammte aus Italien. Während eines Übungsmarsches aus der Höhe Lapare, nördlich von Barcelonette, wurden neunzehn Mann des 157. Liniew insauterie-Regimenls durch eine Lawine ver schüttet. Bei der Katastrophe büflen zehn Sol daten ihr Leben ein, wählend die übrigen zwai gerettet werden konnten, aber schwerlrank im Lazarett daniederliegen. Die Artistin Minna Alix, die, wie man sich erinnern dürfte, vor einem Monat bei einer Schleifen,ahn in einem Madrider Zirkus verunglückte, ist ihren schweren Verletzungen er legen. Sie lag 25 Tage im Hospital und starb, ohne die Sprache und das Bewußtsein wieder erlangt zu haben. Personen - Fahrpreise nach Gewicht. Eine interessante Neuerung ist auf einer Eisen bahn in Kolorado geschaffen worden. Die Rapid - Transit - Eisenbahn - Gesellschaft hat auf ihrer Strecke Personensahrpreise nach Gewicht eingesührt. Die Strecke ist 48 Kilometer lang und hat 10 Stationen. Die Passagiere, die den Zug benutzen wollen, haben einzeln einen schmalen Durchgang und ein Drehkreuz zu passieren. Am Ende des Ganges ist eine Wage, hier bletbt der Reisende einen Augenblick stehen, sein Gewicht wird abgelesen und er erhält dann auf Grund seines Gewichts nach einer be stimmten Tabelle sein Billet verabwlgt. Gericktskatte. Flensburg. Wegen Mojestätibeleidlgung wurde ein Schuhmacher Grüneberg aus Aastrup zu sechs Monat Gefängnis verurteil. Freiburg i. Schl. Ein Automobil passierte im vergangenen Herbst wiederholt in rasender Ge- schwinoigkeit zum großen Unwillen der Bewohner die Straßen unserer Stadt. Als Besitzes des Wagens wurde schließlich der mecklenburgische Kammerhcrr Graf Vckwr Voß ermittelt und zur Anzeige gebracht, worauf ihn oic Polizei in eine strafe von 25 Mk. nahm. Das Schöffengericht, bei dem der Graf Widerspruch gegen das Strafmandat eingelegt hatte, hat jetzt in seiner letzten Sitzung die Strafe auf 30 Mk. erhöht. 1. Schweidnitz. Wegen Beleidigung des Kaisers verurteilte die hiesige Straskammer den Tischler meister Hermann Maiwald aus Sorgau zu einem Jahre Gefängnis. Leitmeritz. Der frühere Besitzer der Nussiger Zucker-Raffinerie Franz Fieber, der vor dem hiesigm Schwurgericht angeklagt war, von Ende Dezember 1896 bis Scptemb« 1898 die Kommerz- und Diskonto-Bank in Hamburg unter dem Scheine, daß er Eigentümer eines großen Zuckerlagers sei, zu Belehnungen veranlaßt zu haben und der Bank dadurch einen Schaden von zwei Millionen Mark zugesügt zu haben, ist nach zweitägiger Verhandlung mit 11 Stimmen gegen eine Stimme freigesprochen worden. Die Verluste im Kriege. Der Krieg zwischen den Russen und den Japanern ist seit langer Zeit der erste, bei dem Streitkräfte zu Lande und zu Wasser zur Ver wendung kommen, und nie sind in einem Kriege so viele moderne Zerstörungsmittel nutzbar ge macht worden. Aber trotz der großen Ver besserungen der Waffen in den letzten Jahren bleibt doch immer zu berücksichtigen, daß, wie man nach früheren Kriegen berechnet hat, im allgemeinen von etwa 500 Kugeln eine töiet. Die moderne Kriegführung der Schützenlinien vermindert wahrscheinlich die Sterblichkeit noch. Im deutsch-französischen Kriege tötete von 400 Kugeln eine, im Krimkriege von 740 eine, und im Burenkriege waren die Zahlen etwa die gleichen. Bei einem großen Kriege werden freilich viele Millionen Kugeln verschossen. Im Krimkriege wurden von den französischen Sol daten, die im Gefecht waren, 31 Prozent ge lötet oder starben an Krankheit, und von den Engländern hatten 22V- Prozent dieses Schick sal. Im deutsch-französischen Kriege gingen 20 Prozent der Franzosen zugrunde, im nord- amerikanischen Bürgerkrieg aber nur 6 Prozent. Im südafrikanischen Kriege starben von 448 435 englischen Soldaten 22 047, also etwa 5 Pro zent, und auf Seite der Buren von 75 000 nur 4400, also etwa 6Vr Prozent. Gefangene oder Verwundete, die wieder genasen, find dabei nicht milgezählt. Diese letzten Zahlen zeigen, daß die Verluste der Buren im Verhältnis etwas größer als die der Engländer waren. Dies führt zu einem interessanten Vergleich zwischen den Verlustzahlen von Siegern und Besiegten. Am meisten nähern sich diese Zahlen einander bei der Schlacht von Waterloo, in der die französischen Verluste 24 Prozent, die Verluste der Verbündeten 22 Prozent betrugen. Wenn man aber den Durchschnitt der fünfzehn größten Schlachten des vorigen Jahrhundert nimmt,., so halten die Sieger 15 Prozent Verluste, die Besiegten dagegen 27 Prozent. In der Schlacht bei Sedan waren die Heere nicht gleich groß. Die Franzosen hatten 124 000 Mann im Felde stehen, die Deutschen 190 000. Die Verluste betrugen an Toten und Verwundeten 38 000 und 9000, so daß man 31 Prozent und 5 Pro zent rechnen muß. In der Schlacht bei Leipzig standen 300 000 Deutsche und Verbündete gegen 171000 Franzosen und Verbündete. Die Verluste der stärkeren Seite betrugen 16 Pro zent, die der schwächeren 36 Prozent. Die Sieger haben augenscheinlich stets leichtere Verluste als die Besiegten, wenn auch manch mal von teuer erkauften Siegen zu berichten ist. Der niedrigste Verlust der Sieger in einer großen Schlacht beträgt 5 Prozent, wie es bei Sedan der Fall war. Am meisten nähert sich dem die Schlacht bei Königgrätz mit 7 Prozent. Die schwersten Verluste als Sieger hatten die Franzosen in der Schlacht bei Marengo; dort hatten die Franzosen 25 Prozent Tote und Verwundete, die unterliegenden Österreicher 30 Prozent. Die größten Zahlen auf der Verlustseite finden sich in der Schlacht bei Gettysburg im nordamerikamschen Bürgerkriege, in der die Verluste der Besiegten 40 Prozent betrugen. Die geringsten Verluste als ' Be siegte in einer großen europäischen Schlacht halten die Österreicher bei Solferino, nämlich nur 14 Prozent. Kuntes Allerlei. Die Sündenböcke. Hans (da eben der Blitz einen Baum zersplittert, zu seinem Bruder): „Komm, wir wollen machen, daß wir fort- kommen, sonst find wir's wieder gewesen !" t,Jugend-.) Einschränkung. „Wie gefällt dir Rechts anwalt Schmoll?" — „Er hat etwas äußerst Gewinnendes." — „Aber leider nicht in seinen Prozessen." (,Lust. Wut.-) mich nun gleichfalls machte. Ich forschte lange vergebens, endlich lag das traurige Rätsel, über das ich mir jahrelang den Kops zerbrochen, gelöst, vor mir. Mein Schwiegervater hafte, nachdem Meine Frau aus seinem Hause ge schieden war und er allein lebte, angefangen, die ganzen Familienpapiere zu ordnen und hatte alsdann Mitteilungen aus seinen Erinnerungen und seinem Leben ausgezeichnet, die meiner Frau Familiengeheimnisse offenbarten, die ganz ge eignet waren, selbst Pinen starken Geist, und den besaß sie ursprünglich, aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er eröffnete ihr, daß seine Familie bereits seit mehreren Generationen mit erblichem Wahnsinn belastet sei, daß das Übel sich bis dahin aber stets nur bei den männlichen Nach kommen gezeigt habe, und daß es in auffallen der Regelmäßigkeit stets eine Generation über sprungen habe. Sein Vater fei wahnsinnig ge storben, er selber sei, wie sie ja am besten wisse, ganz gesund, und da sie nun eine Frau sei, glaube er, daß damit ein Wendepunkt in dem Familienübel eingetreten und daß nun keine Gefahr mehr für seine Fortpflanzung vorhanden sei. Er habe mit verschiedenen großen Nerven- und Irrenärzten konferiert und nach den Aus sprüchen dieser habe er sein Urteil gebildet und teile ihr dies mit, um sie zu beruhigen. Er fuhr dann fort, mitzuleilen, wie die Krankheit teils als Verfolgungs- und Größenwahn, teils auch als Mordlust aufgetreten sei, daß die Kranken aber selber ein hohes Alter erreicht hätten, woraus sich auch erkläre, daß die Familie mit ihm aussterbe, da mit wenigen Ausnahmen immer nur ein Nachkomme gewesen sei, usw. Wie ein Schleier fiel es mir von den Augen. Ich begriff, daß Anna vor sich selbst gebangt hafte, vor dem jähen Hervorbrcchen jener ent setzlichen Krankheit. Sie, die Engelsgute, die nicht imstande war, einen Wurm zu Men, fürchtete, Gatien und Kind ein Leid antnn zu können. Darum hatte sie mich, darum Ada von sich geschieden. Und darum, darum war die holde Menschenblüte dahingewelkt, gestorben — verdorben." Tränen rollten über Hagels blasse Wangen. Bezwungen von diesem aufrichtigen Mannes schmerz, legte Fanny ihre Hand auf seinen Arm. „O, wie Sie mir leid tun!" flüsterte sie. Hagel sah sic mit warmem Dankesblick an, dann aber faßte er ihre Rechte und drückte einen Kuß darauf. „Sie trösten mich, gnädiges Fräulein! Goit gebe, daß Sie gewillt wären, diesen Trost auch noch weiterhin aus mich und das verein samte Hans Hagel auszudehnen." Er halte die letzten Worte nur geflüstert. Aber Fanny Hellwald verstand sie doch und erschrak so darüber, daß es sie aus seiner Nähe drängte. Sie floh aus dem Zimmer und eilte die Treppe hinab, dem entlegensten Teil des Parkes zu. Dort erst hemmte sie ihre Schritte, deckte die Hände über die Augen und begann bitterlich zu weinen. Trat doch ein Gespräch vor ihre Seele, das die Tante gestern abend vor dem Schlafengehen mit ihr gehabt. Wieder hörte sie den Rat der Tante in ihren Ohren: „Du wirst klug genug sein, Mädchön, um dir zu sagen, daß Herr v. Hagel um dich wirbt. Ich weiß, du liebst ihn nicht, weil dein Herz allein an dem Manne hängt, von dem dich doch dip Armut scheidet. Trotzdem fordere ich von dir, daß du nicht nein, sagst, wenn Hagel das entscheidende Wort an dich richtet. Ich fordere es als Gegenleistung für die vielen Guttaten, die ich und mein verstorbener Gatts dir und deinen Eltern erwiesen haben. Dann, wenn du Schloßherrin auf Bradoczin geworden, wirst du imstande sein, auch meine Not zu lindern und mir wieder ein menschenwürdiges Dasein zu bereiten." „O Gott/ jammerte Fanny. Das Bild Leo v. Gröns stand dabei plötzlich in seiner stattlichen Schönheit vor ihrem geistigen Auge. Aber hatte die Tante nicht recht? — Von ihm war sie durch ihre beiderseitige Mittellosigkeit geschieden — und doch! Ihr Schluchzen wurde leidenschaftlicher. Man hörte ihr den Kampf an, der in ihrer Seele tobte. Da aber legten sich plötzlich zwei zarte Arme um ihren Hals und ein weiches Sümmchen flüsterte: „Ich habe Sie vom Balkon aus in den Park eilen sehen, Fräulein Fanny. Da duldete es mich auch nicht länger oben, und ich folgte Ihnen. — Aber was ist Ihnen? Sie haben ja geweint — oder weinen noch. — Liebes Fräu lein, wer hat Ihnen weh getan? Doch nicht etwa Papa? — Aber nein, der vermöchte das gewiß nicht! Denn der hat Sie ja so lieb, wie ich selbst Sie auch habe. — Lieber aber gewiß nicht," setzte die Kleine in rührendem Eifer hinzu, „denn das wäre niemand imstande — niemand auf der ganzen Welt!" Mit diesen Worten zog Ada v. Hagel Fanny zu einer nahen Bank, und als sie sich dort beide niedergelassen, lehnte sie ihr blondes Köpfchen cm Fannys Schulter und fuhr fort: „Ja, so teuer sind Sie mir!" Dann plöWch wieder die reine Kinderstim hebend, schaute sie mit einem Blick voll unbeschreiblicher Jimiakeit in das Gesicht der neben ihr Sitzenden. „Dars ich noch aufrichtiger gegen Sie sein?" flüsterte sie. Als Fanny nun einen herzlichen Kuß aus die L'ppen der Kleinen drückte, suhr diese mit be zaubernder Schüchternheit sort: „Seit ich sehe, wie gut Sie meinem lieben Väterchen gefallen, der ja - auch ein so einziger Mensch ist, meine ich, — aber zürnen Sie mir auch nicht des halb ? — daß es doch gar zu schön wäre, wenn Sie mein kleines Stiefmütterchen würden. Ich wollte ihnen gewiß immer ein gehorsames Kind sein und auch für meine Person alles tun, da mit Sic sich auf Bradocsin gefallen." „Davon bin ich überzeugt," entgegnete Fanny. Jetzt erschien ihr der Gedanke weniger schrecklich, in die Wünsche der Tante zu wil ligen und die Gattin des Mannes zu werden, der sich so augenscheinlich um sie bemühte. Seinem reizenden Kinde, das so viel ent behrte, Mutter zu sein, — das wäre ja doch ein Lebenszweck, in dem sie sich vielleicht auch an der Seite eines ungeliebten Gatten glücklich fühlen konnte. — MS» (Fortsetzung folgt.)
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