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politische Aunälchau. Der russisch-japanische Konflikt. * Endlich am Sonntag ist der Würfel ge fallen; Japan hat die diplomatischen Beziehungen zu Rußland abge brochen und der Zar hat darauf seine Gesandtschaft in Tokio unverzüglich abberufen. Die englische Botschaft hat die Vertretung der Interessen in Petersburg über nommen; der Zar ist auf dem Wege nach Moskau. Da die beiderseitigen Rüstungen schon seit langer Zeit mit Eifer betrieben wurden, ja der Truppenaufmarsch bereits erfolgt und die Motten klar zum Gefecht sind, so wird die Kunde von dem tatsächlichen Beginn des Krieges nicht auf sich warten lassen. "Wer trägt dieSchuld? In Peters burg behauptet man: Japan. Dort aber wird ebenso bestimmt Rußland als der Schuldige bezeichnet. In Wirklichkeit hatte man sich in Rußland drei Wochen lang Zeit gelassen, um auf die letzte japanische Note zu antworten. In dieser Hinzögerung hat man in Tokio eine b e - absichtigte Beleidigung erblickt und daraus die Folgerungen gezogen. * Die beiderseitigen Flotten waren schon am Montag in Aktion. Die russische Flotte hat den Hafen von Port Arthur verlassen, doch gewiß, um die Über führung japanischer Truppen nach dem Fest lande zu verhindern; auch die japanische Leitung soll 40 Schiffe haben auslaufen lassen. "Die japanische Gesandtschaft in London erklärt, die Nachricht von einem Gerücht er halten zu haben, daß die Iapaner bereits zwei russische Schiffe erobert hätten. Eine amtliche Bestätigung des Gerüchts fehle noch. "Koreas und Chinas Regierungen lassen versichern, daß sie in dem bevorstehenden Kampfe unbedingt neutral bleiben werden. Das wird ihnen aber schwer werden, weil der Kampf auf dem Boden des einen oder andern dieser Länder ausgefochten werden dürfte. "England bereitet sich auf alle Fälle vor. Die britische Marinebehörde hat die dienstfähigen aktiven und Reserve- Offiziere aufgefordert, sich fertig zu halten, um auf den Schiffen oder in den Depots sich einzufinden, für die sie im Fall der Mobil machung der Flotte bestimmt find. Sie sollen die Offiziere ersetzen, die eventuell zur Bemannung der in See gehenden Schiffe vor gemerkt sind. * * He Der Herero-Aufstand. * Wer die Lage in Omaruru, etwa 50 Kilometer nördlich von Karibib, berichtet folgendes Telegramm aus Windhoek, das der ,Kol.-Zeitsch/ zugegangen ist: Die Omaruru- kompanie ist von Okahandja über Karibib, wo 200 Mann über zwei Wochen lagen, auf Oma ruru gerückt und hat dies mit Sturm genommen. Der Widerstand war außerordentlich heftig. Auf deutscher Seite 4 Tote, 7 Vermißte und 14 Verwundete. Die Kompanie ist jetzt vom Feinde eingeschlossen und ruft 400 Mann mit Geschützen zum Entsatz. Der Ersatztransport, der von Swakopmund am 3. d. abging und am 5. d. in Windhoek zum Ersatz von Gobabis eintraf, wurde sofort zurück zum Entsatz Omarurus beordert. Die Outjokompanie hatte ein Gefecht bei Okaneno zu bestehen. * Die Herero haben sich auch aus der Nähe von Omaruru zurückgezogen. "Im südlichen Teil von Deutsch- Südwestafrika stehen gegenwärtig nach einer telegraphischen Meldung des Gouverneurs Leut wein Tiuppen-Abteilungen in der Gesamtstärke von 300 Gewehren und vier Ge schützen, die vorläufig dort bleiben sollen. (Die Mitteilung darf zwar als Bestätigung da für gelten, daß der Aufstand der Bondel - zwarts niedergeworfen ist, sie zeigt aber auch, daß der Gouverneur dem Frieden doch noch nicht ganz traut. Er hat für alle Fälle eine größere Truppenabteilung zurück gelassen, um einem erneuten Ausbruch des Auf standes vorzubeugen. "Der bisherige Gesamtverlust der Deutschen an Menschenleben wrrd auf 140 Per sonen geschätzt. Im Kampfe gefallen 32, er mordet etwa 50 Farmer und deren Angehörige; vermißt werden 58 Personen (darunter eine Patrouille von 7 Mann). — Die Bahn ist von der Küste bis Windhoek wieder fahrbar. * * * Deutschland. "Der hohe Ernst der politischen Lage hat das Kaiserpaar veranlaßt, seine für den 1. März geplant gewesene Mlttelmeer- fahrt vorläufig aufzugebenl * über den Stand der deutsch-italie nischen Handelsvertrags - Ver handlungen wird aus Rom entgegen andern Meldungen beuchtet, daß die Verhand lungen nach „an bester Quelle" eingezogenen Erkundigungen einen ordnungsmäßigen Verlauf nehmen. Eine Unterbrechung der selben steht nicht in Frage. * Die Sachverständigen-Kommisfion zur Vor beratung von Fragen der Reform des Strafprozesses wird in der zweiten Hälfte des März noch einmal zu einer Be ratung Zusammenkommen, um nach Erledigung der wichtigen Vorfragen im Sommer an die Behandlung der großen Fragen, der Zuständig keit der Schöffen- und Schwurgerichte und der Wiedereinführung der Berufung, heranzu treten. * Ein Antrag der sozialdemokratischen Reichs tagsfraktion zum Etat des Reichs-Eisenbahn- Amtes fordert einen Gesetzentwurf, durch den der Betrieb und die Verwaltung der deut schen Eisenbahnen dem Reiche über tragen wird. * Der Reichstagsabgeordnete Rosenow (Sozial demokrat, 20. sächsischer Wahlkreis) ist am Montag plötzlich am Schlagflusse verstorben. Er hat ein Alter von nur 33 Jahren erreicht. "An Neichsmünzen wurden ausgeprägt im Monat Januar für 401760 Mk. Doppelkronen, 4 760 140 Mk. Kronen, 200 000 Mk. Fünsmarkstucke, 3 096 600 Mk. Zweimarkstücke, 28 759,30 Mk. Zehn pfennigstücke, 34 421,15 Mk. Einpfennigstücke. "Durch einen Erlaß des Preuß. Fiuanz- ministers ist nach einer Reichsgerichtsentscheidung angeordnet worden, daß bei Geschäfts- übergängen im Laufe eines Jahres die Steuer nur einmal veranlagt wird; der neue Geschäftsinhaber kann also nicht nochmals zur Betriebssteuer herangezogen werden, wie es früher geschehen ist. Frankreich. "Die Revision des Dreyfuspro zesses dürfte bereüs am 25. Februar vor dem Pariser Kassationshof zur Verhandlung ge langen. Ruhland. "Die Reise des Zaren nach Moskau ist verschoben worden. (Von Moskau aus sollte das Kriegsmanifest erlassen werden). * Der Unterrichtsminister Dr. Sänger wurde auf sein Ersuchen wegen Krankheit seines Postens enthoben. Der Zar ernannte ihn zum Senator. Balkanstaaten. * Der deutsche, englische und italienische Botschafter wurden in besonderen Audienzen vom Sultan empfangen. Der italienische Botschafter stellte den zum Oberbefehlshaber der mazedonischen Gendarmerie ernannten General De Giorgis vor, der in der Uniform eines türkischen Divistonsgenerals erschien. Der Sultan empfing den General äußerst liebens würdig und sprach die Hoffnung auf desfen gute und treue Dienstleistung auS. "Die Beziehungen zwischen der Pforte und Bulgarien find infolge der Amnestie frage und der Aufrechterhaltung der Ausnahme maßnahmen in letzter Zett ungünstig ge worden. Die Abreise des bulgarischen Agenten Natschowitsch von Konstantinopel ist jedoch unwahrscheinlich. Er steht vorläufig noch in regem Verkehr mit dem Palafte. Amerika. * Der Transportdampfer „Summer" ist mit denletztenamerikanischenTruppen, die Kuba besetzt gehalten hatten, nach den Ver. Staaten abgegangen. * Wie aus Uruguay gemeldet wird, find die politischen Gefangenen auf der Isla de Flores freigelassen worden. Nach einer weiteren Meldung soll der Führer der Auf ständischen, Saraiva sich wieder gegen Norden wenden. Mehrere Abteilungen Regierungs- truppen bemühen sich, ihn zu umzingeln. ^3 clem Reichstage. Der Reichstag nahm am 6. d. das Gesetz betr. Verlängerung der Fricdenspräsenzstärke auf ein Jahr in dritter Lesung debattelos an. Die Fortsetzung der Beratung des Etats des Reichsamts des Innern brachte zunächst Ausführungen der Abgg. Rügenberg (Zentr.) und Mugdan (fr. Vp.), die für die Forde rungen der Arzte in deren Streit mit den Kranken kaffen eintraten und die freie Arztwahl befürworte ten. Zwischen den Abgg. David (soz.) und Frh. Hehl zu Herrnsheim (nat.-lib.) kam es zu einem lebhaften Meinungsaustausch über Sozialpolitik. Zur Abwechselung gab es dann einen scharfen Zu sammenstoß zwischen dem Abg. Korfanty (Pole) und dem Staatssekretär Graf Posadowsky wegen der Polenpolitik der Regierung. Die Sozialdemokraten Stückten und Stolle hielten mit den sächsischen Regierungsvertretern eine „Generalabrechnung" über den Krimmitschauer Streik. Damit war endlich die sog. allgemeine sozialpolitische Besprechung erledigt. Der Titel „Gehalt des Staatssekretärs" wurde be willigt. Am 8. d. steht auf der Tagesordnung die zweite Beratung des Etats für das Reichsamt des Innern. Nach der Geschäftsordnung Hätten nun die zum Titel „Gehalt des Staatssekretärs" ein gebrachten Resolutionen beraten werden müssen. Präsident Graf Ballestrem schlägt auf Grund eines Beschlusses des Seniorenkonvents vor, die Beratung der Resolutionen bis nach Erledigung der Etatsberatung auszusetzen, da nur noch 39 Sitzungen vor Ostern zur Verfügung seien. Alle Parteien stimmen dem Vorschläge des Präsidenten zu, dementsprechend werden die Resolutionen von der Tagesordnung abgesetzt. Darauf tritt das Haus in die Beratung des Etats ein; eine Reihe von Kapiteln werden ohne Erörterung bewilligt. Beim Kapitel Reichsgesund heitsamt, Titel „Gehalt des Präsidenten", fordert Abg. Scheidemann (soz.) von der Regierung energische Maßnahmen gegen die Verpestung der Flüsse durch die Abwässer der Industrie. Staatssekretär Graf v. Posadowsky erklärt, die Reichsregierung habe diesen Mißständen bereits ihr Interesse zugewandt. Es sei tatsächlich zu be fürchten, daß bald kein Fisch mehr in unseren Strömen leben werde. Das Reichsgesundheitsamt werde jetzt regelmäßig Untersuchungen der Flüsse vornehmen, um zwischen den Widerstreitenden Jnter- effen eine Einigung zu schaffen. Abg. Rettich (kons.) verlangt eine Vorlage zur Ergänzung des Fleischbeschaugesetzes. Staatssekretär Graf v. Posadowsky kann die Erfüllung des Wunsches nicht zusagen, weil noch keine Erfahrungen darüber gesammelt seien. Abg. Müller-Meiningen (stets. Vp.) übt Kritik an den vielen Geheimmittel-Verboten, für die kein genügender Grund vorliege. Harmlose Sachen verbiete man, geradezu schwindelhafte lasse man zu. Durch die Ankündigungsverbote würden der Presse große Schwierigkeiten bereitet. Staatssekretär Graf Posadowsky hält das Vorgehen der Regierung gegen den Geheimmittel- schwmdel für unbedingt notwendig. Da das Ver zeichnis sich fortwährend ändere, sei eine gesetzliche Regelung unmöglich. An der Erörterung beteiligten sich noch die Abgg. Götheln (frs. Vgg.), Müller- Sagan (sts. Vp.), Präsident des Reichs-Gesundheitsamts Dr. Kö h l er. Abg. Scheidemann (soz.): Sie (nach rechts) haben die Frage der Fleischbeschau schon im Land tag und im preußischen Ökonomie-Kollegium an gebracht. Jetzt fangen Sie auch damit im Reichs tag an, um für die große Woche im Zirkus Busch gründlich gerüstet zu sein. Wie Sie die hygienischen Zwecke des Gesetzes auffassen, hat hie Ausnahme der Hausschlachtung bewiesen. In Bayern ist fest- gestellt worden, daß das Fleisch einer ganzen Anzahl nach dort eingefirhrter Schweine mit Fischgeschmack be haftet war. Nachdem das Gesetz zustande gekommen ist, sind die Herren Agrarier noch viel deutlicher geworden hinsichtlich der Zwecke, denen dieses Gesetz nach ihrer Ansicht dienen sollte. Ein vom Bund der Land wirte herausgegebenes Handbuch enthält ohne jede Verschleierung die Feststellung, daß die Regierung mit dem Gesetz nur die Verpflichtung erfüllt habe, die Zufuhr ausländischen Fleisches im Interesse der dentschen Landwirtschaft abzuschneiden. Daß die deutfche Landwirtschaft den ganzen Bedarf des deut schen Marktes an Fleisch decken kann, ist bis jetzt nur ein nicht eingelöstes Versprechen. Abg. Mugdan (fr. Vp.) stimmt dem Redner vollkommen zu. Dringend notwendig sei die Reform des Krankenpflegewesens und des Apothekenbetriebes. Das praktische Jahr sollte allen Medizinern erlassen werden, die vor Erlaß der neuen Prüfungsordnung ihr Studium begonnen haben; diese selbst bedarf schärferer Fassung. Staatssekretär Graf v. Posadowsky: Nach dem Ablauf des ersten Jahres nach Inkrafttreten des Fleischbeschaugesetzes werde ich mich wegen einer anderen eventuellen Festsetzung der Gebühren mit den verbündeten Regierungen von neuem sofort in Verbindung setzen. Ich habe auch die Empfindung, daß ein Teil der Gebühren zu hoch gegriffen ist. Was die Reform des Apothekenwesens anbetrifft, so sind vom preußischenKultusministerVorbereitungenge troffen worden, die Verhältnisse im Apothekenwesen auf eine neue Grundlage zu stellen. In bezug auf die Ableistung des praktischen Jahres seitens der Arge wird vom Reichsamt des Innern Wünschen auf Be freiung von der Ableistung weitestgehendes Entgegen kommen bewiesen, über die notwendige Reform des Krankenpffegewesens sind an die Verbündeten Regie rungen Anfragen gerichtet worden, deren Beant wortung wir abwarten müssen. Nachdem noch die Abgg. Becker (nat.-lib.), Müller- Meiningen (st. Vp.) und Burckhardt (wirtsch. Vgg.), der für das Verbot von Geheim mitteln und die Verstaatlichung der Apotheken ein tritt, das Wort ergriffen, vertagt sich das Haus. Im Abgeordnetenhause wurde am 6. d. die Be ratung des Etats der landwirtschaftlichen Verwal tung fortgesetzt. Zu Prämienzwecken für Pferde rennen werden 731000 Mk. gefordert, 250 000 Mk. mehr als im vorigen Jahre. Abg. Wiemer (fr. Vp.) erklärte sich gegen die Forderung und führte aus, daß die Rennen kein Prüfstein der Leistungsfähigkeit der Pferde seien. Redner kritisierte zugleich das Totalisatorunwesen und sprach sich entschieden gegen den vom Landwirtschaftkminister empfohlenen Plan der Herabsetzung der Totalisatorsteuer aus. Minister v. Podbielski hielt dem Vorredner entgegen, daß die Sicherheit der Remontierung der Armee nur durch auf Rennbahnen vorgenommene Prüfung des Voll blutmaterials ermöglicht werde. In allen Pferde zucht treibenden Ländern, Frankreich, Österreich, England, habe sich der Totalitator als Mittel zur Hebung der Zucht bewährt. Die Wettbureaus aber feien zu bekämpfen. Nach längerer Debatte über diese Frage wurde die Forderung und der Rest des Kapitels bewilligt. In der Montag-Sitzung des Abgeordnetenhauses standen auf der Tagesordnung die erste Lesung der Gesetzentwürfe bett, die Reaelung der Richtergehälter und bett, die Dienstaufsicht bei größeren Amts gerichten. Die Abgg. Rören (Ztr.), Peltasohn (st. Vgg.) und Cassel (st. Vp.) äußerten Bedenken gegen die verschärfte Aufsicht der Amtsrichter. Justiz- minister Schönstedt hielt diese Bedenken für unbe gründet und erklärte, daß mit diesem Gesetz auch das Gefetz bett. Regelung der Richtergehälter fallen würde. Die Abstimmung über den Antrag auf Kommissions verweisung blieb zweifelhaft, sodaß Auszählung er folgen mußte. Diese ergab die Anwesenheit von nur 164 Mitgliedern. Da das Haus somit nicht beschlußfähig war, mußte die Sitzung abgebrochen werden. Vizepräsident Porsch beraumte die nächste Sitzung auf eine Viertelstunde später an. In der zweiten Sitzung wurde zunächst die Beratung des Etats der landwirtschaftlichen Verwaltung fortgesetzt. Am Schluß der Sitzung wurde die Abstimmung über die Justtzgesetze wiederholt. Beide Gesetzentwürfe wurden an eine besondere Kommission verwiesen. Am Dienstag fand keine Sitzung statt. Von >^ak uncl fern. Riesenbrand in Baltimore. Am Mon tag brach in Baltimore in dem Stadtteile, in dem sich die großen Manufakturwarenhäuser be finden, ein Brand aus, der sich mit furchtbarer Schnelle verbreitete. Nachdem 600 Häuser be reits eingeäschert waren, ließ der Bürgermeister die zunächst gelegenen Häuser durch Dynamit sprengen. Trotzdem war es bis Mitternacht noch nicht gelungen, des Feuers Herr zu werden. 20 Häuserblocks des Geschäftsviertels find zerstört, darunter mehrere öffentliche Ge bäude. Der bis Mitternacht angerichtete Schaden wird auf mehr als 40 Millionen Dollar geschätzt. Auch ist der Verlust mehrerer Menschenleben zu beklagen. Der Brand ist eine der größten Katastrophen, die das Land je heim- gefucht haben. K Vie fMäernleben brben. 1) Roman von M. Brandrup") „Fanny!" „Leo!" Die beiden jungen Leute, die einander so ganz unerwartet in einer Vorstadt Hohenburgs begegneten, reichten sich die Hände. Das Gefickt des Leutnants von Grön zeigte dabei jedoch eine gewisse Verlegenheit, der etwas Schmerzliches beigesellt war. Hiervon aber schien die schlanke, tief in Trauer gekleidete junge Dame absolut nichts zu bemerken, denn ein freudiges Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Ist das aber eine Überraschung!" rief Fanny, immer noch ihre Hand in der des stattlichen Offiziers lassend. „Wo in aller Welt kommst du denn her, Leo?" „Direkt aus der Kaserne in der Wallstraße, Cousine, wohin man mich in Quartier gelegt hat. Aber ich sagte dir ja noch gar nicht, daß für mich das Leben in dem schönen G—z sein Ende erreicht hat. Mein Regiment ist nämlich hierher versetzt worden," fuhr er fort, während feine Blicke wie gebannt an der jungen lieb reizenden Verwandten hingen. „Mich wundert es nur, daß du das nicht weißt." Fanny Hellwald errötete ein wenig: „Wir find noch auf keine Zeitung in Hohenburg abonniert," erwiderte sie, „aus der ich die Neuigkeit hätte erfahren können . . . Aber fage mir vor allem, wie geht es dir, Leo?" Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. „Ich bin gesund," entgegnete er kurz. „Doch was kannst du mir über euch berichten, Cousine?" „Nun, man muß das Leben eben nehmen, mit allem was es bietet," antwortete Fanny, fetzte aber schnell hinzu: „Denke aber nicht, daß ich dem verlorenen Glanz nachtrauere. Nur meinen armen Onkel vermisse ich. Es tut mir weh, nicht zuweilen seine Grabstätte be suchen zu können. Onkel Ferdinand war mir ein zweiter Vater, als ich die Eltern so früh verloren hatte. Tante Erna hielt es aber für geradezu unmöglich, an demselben Orte „einge- fchränkt" zu leben, wo sie . . ." Fanny Hellwald unterbrach sich und seufzte leise. Der Leutnant aber setzte ihren Worten fast heftig hinzu: „Wo sie vorher in Saus und BrauS gelebt hatte. Freilich, die Stellung Onkel Ferdinands war mit einem Einkommen verknüpft, das verdiente, geradezu „glänzend" genannt zu werden. Dazu kamen noch die bedeutenden Honorare, welche er für seine beliebten belle tristischen Arbeiten erhielt. Und alles, was er erwarb, legte er Frau Erna zu Füßen. Aber mochte es noch so viel sein, es genügte den Ansprüchen der oberflächlichen, leichtsinnigen Frau nicht! Um sich ihre Toilette aus Paris schicken zu lassen, daneben Juwelen und allen möglichen Tand, machte sie ohne Wissen Onkel Ferdinands Schulden — immer wieder Schulden, damit sie vermittelst der neuen die alten be zahlen konnte. Auf diese Weise hinterging sie ihren Gatten bis zum letzten Atemzug des Ahnungslosen — diese Frau, die Ferdinand Hellwald erst der vollen Misere einer Choristin des X.er Opernhauses entzogen hatte, damit aber auch der ganzen jämmerlichen Verwandt schaft des armen Tagelöhnermädchens, welche —" „Leo, ich bitte dich, sprich nicht so von der Frau, der ich immerhin zu großem Dank ver pflichtet bin," warf hier jedoch Fanny in die aufgeregte Rede ihres Vetters ein. „Du zuckst die Achsel und ich weiß, was du sagen willst. Aber Tante Erna litt es doch, daß die Waise ihres Schwagers Tochterrechte im Hause Hell- wald genoß. Ach, und so gut sie es bei ihren Charaktereigenschaften und ihrer Erziehung ver mochte, war sie mir ja Mutter." „Die albernste und verrückteste, die meine Augen je gesehen," grollte Leo von Grön. „Nicht weiter!" rief Fanny nochmals. Das schöne Mädchen mit den nachtdunkeln Augen, zu denen das prächtige Haar so gut paßte, dessen bläuliche Färbung die Elfenbein weiße ihres Teints noch zarter erscheinen ließ, hob flehend die Hände, „überdies," sagte sie dann mit weicher, klangvoller Stimme, „eignet sich unser Gespräch auch nichtsürdie offene Straße." „Darin hast du recht! Doch wir können ja gehen, Cousine." „Willst du mich begleiten?" fragte sie, und wieder strahlte die Freude aus den Augen des jungen Mädchens. Natürlich, Fanny! überdies war ich ja auch im Begriff, euch aufzusuchen, als uns der Zu fall hier zusammenführte. Beiläufig gesagt, irre ich aber schon seit einer halben Stunde in Stadt und Vorstadt umher, ohne den „Güntherschen Park" zu finden, auf den eure Adresse weift." „Das glaube ich, Leo," erwiderte das Mädchen und setzte im Vorwärtsschreiten hinzu: „Wir haben uns ja auch in das verborgenste Win kelchen Hohenburgs zurückgezogen." „Das wollte auch deine Tante?" Um den Mund Fannys glitt ein Schatten. „Es blieb ihr eben nichts anderes übrig," sagte sie dann leise, „wenn wir uns nicht auf eine Wohnung von einem einzigen Zimmer beschränken wollen." „Gott sei Dank, so habt ihr also in dem bewußten „Günterschen Park" ein geräumiges Quartier?" „Jawohl, Leo. — Trotzdem ist der Miet preis unseren Verhältnissen entsprechend." „Euren Verhältnissen entsprechend," wieder holte der Offizier, und in seinem hübschen Ge sicht mit dem stattlichen blonden Vollbart zuckte es. Dann fuhr er plötzlich wieder leidenschaft lich auf: „Fanny — wenn du wüßtest, was ich unter dem Gedanken leide, daß du dich in so trauriger Lage befindest!" „Aber es geht uns ja gar nicht so schlecht, als du denkst," entgegnete sie. „Tante hat eine jährliche Pension von zwölfhundert Mark." „Und damit wirtschaftet Frau Erna Hellwald nun? Sie, die, wie gesagt, das Geld früher förmlich aus dem Fenster warf?" „Das heißt, sie überläßt es mir, hauszu halten," entgegnete das Mädchen ernst, „wie sie es seinerzeit auch mir überlassen hat, uns hier das neue Heim einzurichten." „Was wohl nichts Leichtes war?" „Kaum, Leo, da man uns bei jener entsetz lichen Auktion nach des Onkels Tode nur