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Ottendorfer Zeitung : 05.02.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190402051
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040205
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040205
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-02
- Tag 1904-02-05
-
Monat
1904-02
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 05.02.1904
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Mit dem Luftschiff von Berlin nach Posen. Freitag trafen von Berlin kommend mit dem Ballon „Siegfried" des Berliner Luft schiffervereins drei Mitglieder dieses Vereins in Posen ein. Es waren dies eine Dame und zwei Herren. Die Abfahrt war in Berlin mittags erfolgt; die Luftschiffer landeten nach einer etwa fünfstündigen Fahrt in Posen unweit des Exerzierplatzes des 6. Regiments. Die Landung ging schnell und glatt von statten. Die Fahrt war gleichfalls in der denkbar besten Weise verlaufen; der Ballon hatte sich durch schnittlich in einer Höhe von etwa 1000 Meter bewegt. Umgehung des Kinderschutz-Gesetzes. Die Direktoren der Spezialitätentheater und Variötös führen lebhafte Klage darüber, daß sie bei dem Abschluß von Verträgen mit Artisten, die zu ihrer „Arbeit" Kinder verwenden, meistens über das Alter der auftretenden Kinder ge täuscht werden. Das kann für den betreffenden Etablissementsleiter sehr unangenehm werden, da er die Verantwortung dafür trägt, daß auf seiner Bühne keine Kinder beschäftigt werden, die nach ihrem Alter dem Kinder- Schutzgesetz unterstehen. Empfindliche Polizei- flrasen, im Wiederholungsfälle sogar Kon zessionsentziehung, drohen dem Unternehmer, wenn er zu leichtgläubig ist. — Das Schutz gesetz hat übrigens in der Artistenschaft tief greifende Wirkungen gezeitigt. Zahlreiche Trupps, die auf die Mitarbeit von Kindern angewiesen find, haben ihr Auftreten ganz aufgegeben oder sich ins Ausland wenden müssen. Ein armloser Maler. In Düsseldorf starb dieser Tage der Genremaler Adam Siepen. Der Verstorbene, der ohne Arme auf die Welt gekommen war, malte mit dem linken Fuße. Anfangs der 70 er Jahre siedelte er von Düren, wo er längere Zeit Privatunterricht im Malen erhalten hatte, nach Düsseldorf über, bezog hier die Kunstakademie und wurde in die Malklasse des Professors Röttings ausgenommen. Seine sein durchgeführten Genrebilder erfreuten sich großer Beliebtheit; viele von ihnen sind in Privatbefitz, namentlich nach England, über gegangen. Erfroren. Ein 60 jähriger Handwerks- bursche ist nachts auf der Landstraße bei Lebus erfroren. Der Mann war aller Barmittel ent blößt. Er war auf der Wanderschaft und ist eine Strecke von der Stadt entfernt erschöpft zusammengebrochen. Totschlag im Armenhause. Im Armen hause zu Kenkhausen gerieten zwei weibliche Insassen in Streit, in dessen weiterem Verlaufe die eine der Frauen ihrer Gegnerin mit einem Handbesen einen kräftigen Hieb versetzte. Die Getroffene kam zu Fall und stürzte mit dem Kopse gegen eine Fußleiste, wobei sie so schwere Kopfverletzungen erlitt, daß sie bald darauf ver starb. Der sofort herbeigerufene Arzt stellte fest, daß der Tod nicht durch den Schlag mit dem Besen, sondern durch den Fall der Frau herbei geführt worden ist. Die Täterin wurde ver haftet und in das Amtsgerichtsgefängnis zu Wermelskirchen eingeliefert. Dem irdischen Richter entzogen. Der Doppelmörder Kaufmann Senftleben, der sm l l. Dezember v. seine beiden Kinder durch Gas tötete, erhängte sich im Hamburger Unter suchungsgefängnis. Zwei frühere Selbstmord versuche mißglückten durch die Aufmerksamkeit der Wärter. Liebestragödie. In Quaritz bei Glogau versuchte der Schlossermeister Prebutsch ein Mädchen, das seinen Heiratsantrag zurück gewiesen, zu erschießen; sie wurde am Arm und au der Seite verwundet. Dann richtete er die Waffe gegen sich selbst und lötete sich durch drei Schüsse in die Schläfe. Opfer der spanische» „Schatzgräber". Ein Rentner aus Neunkirchen ist das Opfer der spanischen Schatzschwindler geworden. Er reiste, nachdem er einen der bekannten Schwindel briefe erhalten hatte, persönlich nach Barcelona, wurde am Bahnhof von den „Herren" in Empfang genommen und war bereits nach Verlauf einer Stunde 6000 Mark los, dafür aber glücklicher Besitzer eines gefälschten Millionenwechsels. Nach den Schwindlern wird er wohl zeitlebens vergeblich suchen. Acht Personen durch geschmolzenes Metall verletzt. In der Maschinenfabrik von Dengg u. Komp, in Wien platzte ein Gesäß, in dem sich geschmolzenes Metall befand. Dieses er goß sich in den Raum, wodurch acht Personen schwer verletzt wurden, darunter zwei Ingenieure. Ein Irrsinniger. Im Elysee zu Paris, dem Wohnsitz Loubets, wurde ein Irrsinniger verhaftet, der den Präsidenten sprechen wollte, um von diesem zum Minister des Äußern er- ernannt zu werden. a) Herero-Speer, b) Ovambo-Speer im Gebrauchs der Herero-Hirten, o) Kirri der Herero, äs National- Kopsschmuck der heidnischen Hererofrauen aus Leder, Eiscnperlcn und Straußeneierstückchen. s) Messer in Holzscheide, im Gebrauch der Herero, jedoch — wie b — Ovambo-Arbeit. ein Augenzeuge erzählt. Auf dem Roulettctisch setzte sich auf Nummer 13 eine Fliege hin, und zwar zu einer Zeit, in der die Spieler ständig Unglück hatten. Die abergläubischen Spieler tauschten heimlich Blicke aus und suchten in ihren Taschen nach Geld zu neuen Einsätzen. In wenigen Augenblicken waren die Nummern 13 bis 24 reichlich mit Einsätzen bedeckt. Darauf erhob sich ein ältlicher Spieler und häufte Goldstücke um das Fleckchen, wo die Fliege gesessen hatte, wobei er die Nummern 10—17 besetzte. Die Elfenbeinkugel ging um das Rouletterad herum, ein Augenblick bänglicher Erwartung folgte, und dann verkündete der Bankhalter, daß — die Nummer 13 gewonnen hatte. Merkwürdigerweise kam dieselbe Nummer dreimal hintereinander heraus. Die Fliege kostete dem Kasino 100 000 Mark. Der abgestempelte Beamte. Eine nette Sache ist in Tiflis passiert. Ein junger Mann, der sich dem Eisenbahndienst widmen wollte und angenommen worden war, sollte sich von einem Arzt untersuchen lassen. Da es aber häufig vorgekommen ist, daß Dienstanwärter, die sich nicht ganz gesund sühlten, nicht per sönlich zum Arzt gingen, sondern irgend eine vorgeschobene Person schickten, drückte die Bahn- kanzlei dem erwähnten jungen Manne „der Sicherheit wegen" den Bahnstempel auf die Hand, auf daß der Doktor wisse, daß es der Richtige sei. Der Chef der Transkaukasischen Bahn fand aber dieses Verfahren, das an orientalische Sklavenmärkte erinnerte, „unerhört", und der Chef der Bahnkanzlei bekam eine riesige „Nase", die er in der Karnevalszeit gut ver werten kann. Den Arm aus dem Gelenk geredet hat sich der Prediger Kaylor aus Pilisburg, der auf der Versammlung des Generalvereins der Presbyterianer in New Dort eine Ansprache hielt. Er begleitete seine Worte mit energischen Gesten, wobei er seinen Arm in eigentümlicher Art senkrecht zu erheben Pflegte. Als er diese Bewegung wieder einmal besonders kräftig aus- führte, konnte er den Arm nicht wieder herab- lasfen. Das Gelenk versagte den Dienst. Tie seltsame Haltung, die Kaylor infolgedessen ein nahm, erregte zuerst die Heiterkeit der Zuhörer, die sich nicht erklären konnten, warum der Redner die Geste eindriiiglicher Ermahnung dauernd beibehielt. Schließlich rief der Redner um Hilfe. Es wurde eine Ambulanz geholt, die den so seltsam Verunglückten ins Kranken haus schaffte. Obwohl die Hereros größtenteils mit guten Schußwaffen versehen sind, so haben doch viele von ihnen noch Wurfspeere und Keulen im Gebrauch. Unsere heutige Abbildung zeigt verschiedene Arten davon. Der eine Speer wird von den Hereros be nutzt, während der andre ein Ovambospeer ist. Letzterer findet sich aber auch bei Hererohirtcn vor. Neben zwei Keulen ist noch ein Messer in Holzscheide ab gebildet, welches die Hereros verwenden, das aber von Ovambos angefertigt wird. Der Kopfputz ist der nationale Kopfschmuck der heidnischen Herero frauen. Er ist aus Leder, Eisenperlen und Straußenei- stückchen hergestellt. Selbstmord des Sohnes des Schweizer Bundespräsidenten. Aus Dijon wird ge meldet: Wie erst jetzt bekannt wird, hat am Donnerstag abend hier der Sohn des schweize rischen Bundespräsidenten Arnold Comiesse, der nach längerem Aufenthalt in den französischen Kolinien am Sumps fieber litt, in einem Anfall von Geistesstörung Selbstmord begangen. Wieder ein italienisches Bauwerk in Gefahr. Der alte herzogliche Palast in Mantua, der noch von dem Glanze eines der größten Höfe der Renaissance, vom Hofe der Gonzaga erzählt, war schon vor einigen Jahren großen Erneuerungsarbeiten unterworfen worden. Ein sizilianischer Architekt mutzte den „Lacenare" von Bibbiana, der herabgefallen war, und andere gefährdete Kunstwerke retten. Aber in dem selben Palast der Gonzaga ist jetzt ein anderes Meisterwerk in großer Gefahr, und zwar die sogenannte Zodiatuskuppel, das Werk von Costa Juniore. Diese Kuppel, deren künstlerischer Wert sehr groß ist, droht jeden Augenblick ein zustürzen. Eine Glück bringende Fliege. Dieser Tage ereignete sich am sogenannten „Selbstmörderüsch" in den Spielsälen Monte Carlos folgende Episode, die Gericktsballe. Kiel. Eine Theatervorstellung wurde unlängst in dem Lokale des Gastwirts G. hierselbst ver anstaltet. In einem Zwischenakt spielte Fritz Fried mann die Nolle des Verteidigers einer Person, die wegen Mordes angeklagt war. Im Hinblick auf eine Polfteiverordnung vom 15. August 1890 war der Gastwirt G. angeklagt worden, die u. a. bestimmt, daß Gastwirte von Veranstaltungen, Lei denen ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft nicht obwaltet, 24 Stunden vorher Anzeige erstatten sollen. Nach Ansicht der Polizeibehörde waltete bei der Soloszene, die Fritz Friedmann spielte, kein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft ob. G. habe aber trotzdem die vorgeschricbene An zeige nicht erstattet. Während das Schöffengericht G. freisprach, verurteilte ihn das Landgericht zu einer Geldstrafe. Diese Entscheidung focht G. durch Revision beim Kammergericht an und führte durch seinen Verteidiger aus, von einem einfachen Gastwirt könne man unmöglich verlangen, daß er erkennen könne, ob es sich um Darbietungen von höherem Interesse der Kunst oder Wissenschaft handle oder ob dies nicht der Fall sei. Er habe geglaubt, daß Fried manns Darbietung ein Höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft innewohne. Das Kammergericht erachtete aber diesen Einwand nicht für durchgreifend, wies die Revision des Angeschuldigten als unbe gründet zurück, da das Landgericht ohne Rechtsirr tum feststelle, daß die Soloszene Fritz Friedmanns keinen Anspruch auf ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft habe. — Das hiesige Schwurgericht verurteilte die Teilnehmer an den im Juli hier stattgehabten Kra wallen zu sechs Monat bis zwei Jahr Gefängnis. KVerlmer Junior vor GeriM. Wen« man zn lebhaft träumt. Frau Schneidermeister Müller soll sich des Hausfriedens bruchs und der Beleidigung schuldig gemocht haben; sie steht' deshalb vor dem Schöffengericht. Vor sitzender: Angeklagte, erzählen Sie uns mal mög lichst kurz und wahrheitsgemäß die Vorgänge, wegen deren Sie unter Anklage ü ben. — Ange- >. klagte: Det is nich mit een paar Worte abjemachr, > Herr Präsident. Ick muß Ihnen wenijüeus in kurze Züge meine sieben Jahre lange Leidens geschichte erzählen — so lange bin ick nämlich ver heiratet —, da werden Sie mir milderne Umstände nich versagen können. Als ick Aujusten seinerzeit heiratete, hatte ick natürlich keene blasse Idee, wat for een je- fährlicher Dongschuan er is. Erst in die Ehe ent puppte er sich richtij, indem er jedes Mächen nach kiekte und nachlief und mir, da ick ohnedies 'n bißken eiserflcckich veranlagt bin, nich aus die Uff- rejung rauskommen ließ. Janze Hektoliter von Tränen habe ick deswejen schon vsrjosscn, aber je- bessert hat et ihn bis uff dem heutijen Dage nich. Dienstmächens habe ick bis jetzt etwa zweihundert S-ück jehabt. Kaum is eene warm jewor'n, da muß ick ihr schon wieder entlassen, weil Ler Olle hinter sie her is. In die letzte Zeit hab' ick mir dadurch jeholfen, det ick nur Mächens angaschierte, die über sünfunddreißig Jahre alt sind und denn ooch noch bloß solche Mächens, die entweder ausnahmsweise häßlich oder mit een körperlicher Jebrechen behaftet sind. Ick könnte noch hundert Beispiele ansühren, wenn ick mir nich kurz fassen müßte. Am jesährlichsten is er, wenn er zu mir ankänqt zärtlich zu werden, denn dann hat er wat Schlechte! vor. Kurz und jut, wenn ick-noch mit jedet Hiehnerooge sehen könnte wie een Falke, ick könnte ooch noch nich jenuch uff den ollen Sinder uffpassen. — Vors.: Nun kommen Sie aber endlich zur Sache. — Angekl.: Ick bin schon mitten mang. Eenet Dages kommt mein Aujust in eenen Zustand zu Hause, det ick ihm schleunijst ins Bette packe und kalte Komptessen uff'n Kopp leje. Er schläft dabei in, und wie ick mir wieder um ihn zu schaffen mache, nennt er mir seine sieße Klara, objleich mein Toosname Martha is. Mir überlief et eiskalt, ick wußte, wat det zu bedeiten hatte. Jleichzeitig aber kam mir een schlauer Je- dankc. Ick sp elte de sieße Klara uno et entspann sich zwischen meine Ehehälfte und mir folgende Unterhaltung: „Wat macht denn deine Olle, Aujust ?" — „Quatsch nich von den ollen Drachen, jid mir lieber eenen Kuß." — Wenn kommste wieder zu mir?" — „Morjen besuch ick dir." — „Weeste ooch noch meine Adresse?" — „Selbstverständlich." — „Sag se mal." — „Brunnenstr. 98 int Querjebäude." Weiter kam er nich, denn ick schlug ihm die kalte Komptesse, die ick in die Hände hatte, zwanzijmal um die Ohren. Am andern Dage snhr ick nach de Brunnenstraße und möbelte der süßen Klara jehörij uff. — Vorf.: Sie sollen häßliche Schimpfnamen gebraucht und die Aufforde rung, die Wohnung zu verlassen, nicht befolgt haben? — Angekl.: Det is schon möjlich. — Das Urteil lautet auf 50 Mk. Geldstrafe. „Sehsts," ruft F-au Müller ihrem Manne zu, „det geschieht dir ganz recht I" Der Angeredete senkt schuldbewußt das Haupt und verläßt dann geknickt mit seinem Ehe- gespons den Saal. Kuntes Merlei. Ausstellung von Bräuten. Im Gouverne ment Moskau hat sich bis auf den heutigen Tag eine uralte Sitte erhalten. Am Dreikönigs feste stellen sich nämlich alle jungen Mädchen, die im Laufe des Jahres zu heiraten wünschen, in der zur Dorskirche führenden Straße in einer langen Reihe auf. Um die Blicke der jungen Männer auf sich zu lenken, und um von ihrer Vermögenslage einen Begnff zu geben, ziehen die Dorfschönen alles an, was ihre Reize in den Augen der Männer zu erhöhen vermag. Dazu gehören nicht nur Schmucksachen, sondern auch mehr oder weniger wertvolle Tücher, Pelze, Mäntel, Bettwäsche usw. Auf dem Gange zur und von der Kirche werden die jungen Mädchen von den Burschen aufmerksam gemustert; erregt eine Dorsschöne die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes, so knüpft er mit ihr eine Unterhaltung an, wobei er an gewissen Redewendungen er kennen kann, ob eine weitere Annäherung er wünscht ist. Sobald das der Fall ist, wird ein Besuch im Elteruhause gemacht, und wenn auch dort gegen den Freier nichts einzuwenden ist, kommt die Hochzeit in kurzer Frist zustande. Es soll in den meisten Dörfern des Kreises, fast keinen Mann geben, der sich nicht seine Frau auf dieser eigenartigen Brautschau ausgesucht hätte. -» * * Böse Zunge». „Hat Fräulein Seraphim das fünsuudzwanzigste Jahr schon erreicht?" — „O, erreicht hat sie's schon vor ein paar Jahren, aber noch immer nicht überschritten." (.Ki-g. »l.-- ließ lieber sein Besitztum verfallen, um nur kein Geld ausgeben zu müssen. Mancher Fluch, manche Träne lag auf seinem Mammon. Ob gleich seine Frau kränklich und schon bei Jahren war, da et erst im vorgerückten Alter geheiratet, kam keine Magd ins Haus, und jeder Müller bursche lief nach wenigen Wochen davon. So kam es, daß die Mühle gemieden und verrufen wurde, und die Mühlräder bald ganz stille standen, weil es an der Arbeit fehlte. Wolf, sein einziger Sohn, ein prächtiger, wohlgeratener Knabe, das Gegenteil seines Vaters, kam in den schäbigsten, abgerissensten Kleidern zur Schule, so daß sich die Gemeinde gezwungen sah, ein Machtgebot zu tun, um ihm die nötige Kleidung zu verschaffen, und auch die Müllerin, die vergeblich gegen die schlechten Eigenschaften ihres Mannes angekämpft, mußte trotz des großen Reichtums gar häufig bitteren Mangel leiden. Im Volksmunde nannte man den Fuchs müller nur den Sündenmüller, sein Geld das Sündengeld und ging ihm aus dem Wege, so gut man konnte. Selten kam er zur Kirche, und geschah es einmal, so däuchte es ihm, als hätte der Geistliche seine Predigt eigens sür ihn abgefaßt, um ihm sein Sündenregister vorzu halten. Von Zorn erfüllt, heimlich fluchend, zog er dann heimwärts, um sein altes Lasterleben weiter zu sühren. Er hatte den Ruin manches Bauern auf dem Gewissen. Wo er einen Öko nomen gekannt, der durch Mißwuchs oder Un glücksfälle, Viehseuchen rc. in Verfall geraten war, hatte er sich unter der Blaske eines Bieder mannes genaht und Geld geliehen so lange, bis Kapital und Zinsen die Höhe erreicht, um das Besitztum unter den Hammer zu bringen. Der Fuchsmüller ließ es dann durch einen befreun deten Biedermann, der ihm gleichfalls auf solche Weise verpflichtet war, einsteigen und verkaufen. Hohnlachend streifte er die Wucherzinsen ein. Die Fuchsmüllerin war eine schlichte, ehr liche Natur und wurde allgemeiw Ledauert, auch mit Wolf, der von jedem Verkehr mit Alters genossen streng abgehalten wurde, fühlte man großes Mitleid und nahmen sich Lehrer und Geistliche häufig desselben an, nm die junge Seele vor dem moralischen Verfall zu bewahren. Von heimlichem Grauen und Angstgefühl er faßt, trat Traute! den sauren Weg an. Ihr Herz schlug ihr laut, als sie die Mühle von weitem erblickte. Dennoch, ihr Stolz und Ehr gefühl verbot ihr den Rückweg. Hatte man sie nicht wie einen herrenlosen Hund aus dem Forst haus gewiesen s Es ist überall gut Brot essen, hatte die Försterin höhnisch gesagt, warum nicht auch in der Mühle? Die Müllerin hatte das Bein gebrochen und lag schwer krank danieder, Wolf war gut und folgsam und auch der Müller durch körperliche Schmerzen ruhiger und ge duldiger geworden. Bescheiden klopfte sie an und brachte ihr Anliegen vor. Der Müller musterte sie vom Futz bis zum Kopf und kraute sich hinter den Ohren. „Für ein so schmuckes, junges Ding, wie Ihr seid, ist in der Mühle keine passende Gesell schaft," gab er finsterblickend zur Antwort. „Ihr seid kräftig und gute Kost gewöhnt, das trägt's bei uns nicht." Die Müllerin schaute verlegen zur Seite. „Ihr sollt nicht verhungern, Traute!", ver sicherte sie freundlich, „wer arbeitet, will auch essen. Die Försterin hat mir beim letzten Kirchgang gesagt, daß Ihr einen Dienst sucht. Ich habe mich recht gewundert darüber. Ihr wart doch wie das Kind im Hause?" Der Traute! traten Tränen in die Augen. „Ich bin mir keines Unrechtes bewußt", er widerte sie bescheiden, „laßt uns darüber schweigen, Frau Müllerin. Ich werde bestrebt sein, Eure Zufriedenheit zu erlangen." „Gut, wenn Ihr gleich bleiben wollt, mir ist's lieb, Wolf kann die Arbeit nicht mehr allein verrichten, seit der Müller an der Gicht krankt." Mit einem tiefen, bangen Seufzer sagte die Traute! zu. Als sie in später Nachtstunde ihr müdes Haupt zur Ruhe legte, verfiel sie in schwere Träume, aus denen sie erst erwachte, als das erste Frührot durch das Fenster brach. Düstere Bilder hatte ihr die Phantasie vor die Seele geführt. Sie hatte Heinz blutend am Boden liegen sehen, und der Mörder, der die Waffe schußbereit nun auf sie gerichtet hielt, war kein anderer, als der Fuchsmüller gewesen. Wie ein böses Omen erschien ihr der Traum. Ernst und schweigsam ging sie des andern Tages an ihre Arbeit. * * * Mit Trautels Scheiden war die Ruhe und der häusliche Friede aus dem Forsthause ge wichen. Finster und wortkarg ging der Förster im Hause umher. Für seine Frau fand er kein gutes Wort, und auch über die Hunde und den Jagdburschen ergoß sich die Schale seines Zornes. Heinz war nicht viel daheim, er machte Besuche in der Umgegend und war immer fröhlich und guter Dinge. Doch das Vater auge, der Helle, scharfe Weidmannsblick las auf dem Grunde der Seele und ließ sich von der Oberfläche nicht täuschen. Heinz litt, litt, je mehr er dies durch erkünstelte Heiterkeit zu ver bergen bestrebt war. Er krankte an Sehnsucht und wollte sich davon nichts merken lassen. Nachts, wenn er die Eltern im Schlafe wähnte, unternahm er weite Streifereien ins Revier. Hektor und Waldl waren seine steten Begleiter, und als die Hunde ihre Freude einmal zu laut äußerten, ließ er auch sie daheim. Gleich nach Weihnachten sollte er abreisen, und nicht ein einziges Mal hatte er die Traute! zu Gesicht bekommen. Mürrisch und verdrossen verrichtete die Försterin ihr Tagewerk. Mann und Sohn hielten sich in angemessener Entfernung. Die neue Magd, die sie sich eingestellt, verstand nichts und war grob dabei. Die Traute!, mit dem frischen, fröhlichen Gesichte fehlte ihr an allen Ecken und Enden; sie war so anstellig und zu allem zu brauchen und stets lustig wie eine Heidelerche gewesen. Je mehr Frau Marie ihre Härte innerlich bereute, desto kälter und finsterer gab sie sich nach Außen. Nie erwähnte sie das Mädchen. Als der Wolf aus der Fuchsmühle nach einigen Tagen ihre Sachen zu holen kam, erhielt er sie ordentlich verpackt und verschnürt ohne Wort und Gruß zugestellt. RL - tFortsctzung folgt.)
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