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Ottendorfer Zeitung : 06.01.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-01-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190401061
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19040106
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19040106
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-01
- Tag 1904-01-06
-
Monat
1904-01
-
Jahr
1904
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 06.01.1904
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politische Au-iÄscdau. Deutschland. *Die Neujahrsfeier am kaiser lichen Hofe wurde wie alljährlich mit dem üblichen Zeremoniell begangen. Nach dem Gottesdienste in der Berliner Schloßkapelle, dem u. a. Reichskanzler Graf Bülow, die Generalseldmarichälle und die Ritter des Schwarzen Adlerordens, sowie die Minister und Staatssekretäre, die Generalität und Admiralität, die Präsidien der Parlamente bei wohnten, nahm das K ai s e rp a ar im Weißen Saal des Berliner Schlosses die Glückwünsche zum Jahreswechsel entgegen. Mittags begab sich der Kaiser zu Fuß ins Zeughaus zur Parole-Ausgabe. Um 6V2 Uhr fand Familien- tafcl statt, nach der die Fürstlichkeiten die Fest- Vorstellung im Opernhause besuchten. *Kaiser Wilhelm hat anläßlich der Chicagoer Brand-Katastrophe an den Präsidenten Roosevelt ein in den herzlichsten Worten ge haltenes Beileidstelegramm gesandt. * Das am 1. d. in Kraft getretene neue Krankenversicherungsgesetz unter wirft alle Handelsangestellten und Lehrlinge dem Verstcherungszwange und schafft somit für diese ein einheitliches Recht auf Krankenfürsorge; sie bezieht die Geschlechtskrankheiten in die unterstützungsberechtigten Krankheiten ein, er weitert die Krinkenunterstützung auf 26 Wochen, die Wöchnerinnenunterstützung auf 6 Wochen, gibt die Möglichkeit einer sechswöchigen Schwangerschaftsuniei ftützung, einer Beitrags erhöhung bei nichtleistungsfähigen Kassen und gibt der Aufsichtsbehörde das Recht, Kassen vorstände bei gewissen Vergehen bezw. nach gerichtlichen Bestrafungen abzusetzen. * Der preußische Landtag ist durch Verordnung vom 30. Dezember auf den 16. Januar einberufen worden, also den spätesten Termin, der verfassungsmäßig zu lässig ist. *Dcm vrcuß. Landtage wird neben den be reits angckündigten Vorlagen lMcliorationsvorlagc, Kanalvorlage, Aussührungsgesetz zum Rcichsseuchen- gesetz, Entwurf über die Gebühren der Medizinal beamten) auch ein Entwurf über die Regelung der Hilfe bei Fcucrsgefahr zugchen. * Zum Nuntius in München ist nach dem,Popolo Romano' Monsignore Caputo ernannt worden. *ZudenUnruheninDeutsch-Süd- westasrika wird jetzt gemeldet, daß zwischen den deutschen Behörden und den aufständischen Hottentotten Unterhandlungen wegen Beendi gung der Feindseligkeiten im Gange seien. Österreich-Ungarn. * Ein Handelsvertragsprovi sorium zwischen Osterreich-Ungarn nnd Italien ist znllande gekommen. Da durch werden alle im Dezember abgeschlossenen Verträge über die Ausfuhr italienischer Weine nach Österreich-Ungarn anerkannt und der bis zum 31. Dezember 1903 ausgesührw Wein in Osterreich-Ungarn zu dem alten Zollsätze ein- gesührt. Von dieser Erleichterung ist bereits allen größeren Aussuhrplätzen Kenntnis gegebe- wordcn. Für alle andern Erzeugnisse sollen die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages in Kraft bleiben. * Die Obstrukti 0 n im ungarischen Abgeordnetenhause hat angesichts der Aussichtslosigkeit ihrer Bestrebungen beschlossen, ibre Tätigkeit nunmehr endgültig einzusiellen. Die Obstruktion bestand zuletzt nur noch aus 14 Mitgliedern und war somit politisch voll ständig bedeutungslos geworden; sie vetmochte nicht einmal mehr Anträge auf Abstimmungen zu stellen, da derartige Anträge mit 20 Unter schriften versehen sein müssen. Die letzte Hoff nung der Obstruktionisten, daß die Unabhängig- keitspartci sich ihnen doch noch anschließen werde, ging ebenfalls nicht in Erfüllung, da sich diese Partei allen Ernstes von ihnen los sagte, und so fühlten sich die „letzten 14 Getreuen" im Parlament vollkommen verlassen. * Die Budapester Polizei will erfahren haben, daß in einem kleinen Kaffeehause, wo die Budapester Serben verkehren, einAtten t at au,f Kö ni g P eter geplant worden sei. die' serbische Grenzpolizei wurde benachrichtigt, und es gelang ihr, zwei Verdächiige in dem Augenblick, als sie die Grenze überschreiten wollten, zu verhaften. Frankreich. *Der neue österreich-ungarische Botschafter in Paris Frh. v. Khevenhüller überreichte dem Präsidenten Loubet sein Be glaubigungsschreiben und hob dabei hervor, daß er alles aufbieten werde, um die guten Be ziehungen zwischen Frankreich und Osterreich- Ungarn zu befestigen. Präsident Loubet sprach in seiner Erwiderung seine Freude über die Ernennung des Frh. v. Khevenhüller zum Ver treter Osterreich-Ungarns in Paris aus und gab ebenfalls der Hoffnung auf den Fortbestand der guten Beziehungen zwischen beiden Ländern Ausdruck. England. *Chamberlain wurde vom australi - schen Ministerium telegraphisch zu einem Besuche Australiens eingeladen. Cham berlain dankte dem bundesstaatlichen Ministe rium sirr diese Einladung. Er erkenne zwar den Vorteil eines solchen Besuches an, doch fei ihm zurzeit eine längere Abwesenheit von England nicht möglich; er hoffe jedoch, in nicht allzuferner Zukunft die Einladung annehmen zu können. Belgien. * Gegen die Bestimmung, daß die K 0 m - mand 0 spräche in der Armee die vlä- mische sein soll, sind in Antwerpen und Löwen heftige Proteste erhoben worden, die zum Dienstaustritt zahlreicher Offiziere und Unteroffiziere im Antwerpener Artillerie- und Löwener Jäger - Regiment geführt haben. Der Vorschlag eines Senators von Löwen, die französische Sprache als einzige Kommandosprache, auch bei der Bürger wehr, einzuiührcn, wurde von der Senats kommission abgelehnt. BalklMstaaten. *Ein Aufrus der „Inneren mazedonischen Organisation" fordert das bulgarische Volk auf, auch während des Winters die mazedonischen Freiheitskämpfer mit allen Mitteln zu unter stützen. Der Kampf dürfe keinen Augenblick ausgesetzt werden, besonders da die Maze donier aus der Krisis in Ostasien Nutzen ziehen müßten. Sobald in Ost- afien die Kanonen losgehcn würden, werde das ganze russisch-österreichische Neformprogramm be graben, und die Pforte werde keinen Finger mehr rühren, um die Zustände in Mazedonien zu bessern. Die Mazedonier würden daher schon in den nächsten Tagen an mehreren Stellen wieder losschlagen. Afrika. *Der Chef der nach Abessinien entsandten amerikanischen Handelsmission hat die Unter zeichnung eines abessinisch-amerikani schen Handelsvertrages herbeigeführt. Kaiser Menelik hat die überreichte Einladung zum Besuch der Weitaus st el! ungin St. Lonis angenommen und dem Präsidenten Roosevelt zwei Löwen und ein Paar Elefantenzähne als Geschenk überreicht. * Der gesetzgebende Rat von Transvaal hat nach ausgedehnter Debatte einen ein- gebrachien Antrag angenommen, in dem die Negierung ausgeiordert wird, einen Gesetz entwurf vorzulegcn, der die Heranziehung asiatischer Arbeiter in den Rand- mincn gestattet. Asten. * Die Weiterentwickelung der 0 st - asiatischen Krisis hängt einzig und allein von den Entschlüssen ab, die jetzt in Petersburg gefaßt werden müssen. Die japanische Regierung hat ihre Forderungen gestellt und ist nicht gewillt, sie noch weiterhin zum Gegen stände langwieriger diplomatischer Verhandlungen zu machen. Alles drängt nunmehr zur end gültigen Entscheidung. Die einzige Hoffnung, eine friedliche Lösung zu erzielen, gründet sich in der Hauptsache ans die bekannte Friedens liebe des Zaren. Inzwischen rüsten Japan sowohl wie Rußland eifrig weiter. * Aus Söul, der Hauptstadt Koreas, wird berichtet, der dortige rufsische Gesandte bemühe sich, den koreanischen Hof dazu zu bewegen, Masampho an Rußland als Flotten- stati 0 n zu verpachten. Die Unruhe im südlichen Korea halte an. Ver Theaterbrand in Chicago hat, wie bis jetzt festgestellt werden konnte, an 700 Menschenleben gefordert. Wie immer bei solchenKatastrophen,spielten sich indembrennsnden Hause die furchtbarsten Szenen ab. Als das Feuer d'e Kulissen ergriff, stob der Chor in wilder Flucht davon, und einige Mitglieder des Per sonals sprangen in die Logen und in den Orchesterraum. Als das Publikum sah, daß die Fallvorrichtung des Asbestvorhangs ver sagte, stürmte es den Türen zu. An den Aus gängen kämpften die Fliehenden wie Wahn sinnige, so daß dichte Massen eingekeilter Per sonen die Türen und Treppen verstopften. Das Theater stand in vollen Flammen, noch ehe 200 Personen herausgekommen waren. Wäh rend des furchtbaren Kampfes explodierten zwei riesige Gasbehälter auf beiden Seiten der Bühne nnd schleuderten brennende Trümmer durch das Dach auf die Straße, zum Entsetzen der dort harrenden Menge. Die Feuerwehr mußte sich durch dichte Haufen brennender Opfer den Weg in das Innere des Theaters bahnen. Die wenigen, die man zuerst heraus holte, waren tot oder starben auf dem Trans port. Eben gerettete, halb verbrannte Mütter wollten sich wieder in das brennende Gebäude stürzen, nm ihre Kinder zu retten. Eltern und Verwandte jammerten verzweifelnd hinter dem unerbittlichen Wall der Polizei und kämpften geradezu um Zulaß zu der Brandstätte. Viele der Opfer sprangen auf die Straße und blieben tot oder furchtbar verletzt liegen. Die schneidende Kälte erhöhte die Leiden der Verletzten. Zahl reiche Choristinnen sind umgekommen, doch wurden die hauptsächlichsten Mitglieder der Schauspiel-Gruppe gerettet. Eine größere An zahl ganz junger Mädchen, deren Angehörige im „Blaubart" mitwirlten, hatten von der Direktion Freibilletts sür die letzte Galerie er halten. Man fand die Kinder am Fuß der Galcrielreppe in einem vier Meter hohen Leichenhügel. Einige noch atmende Kinder wurden im Orchesterraum gefunden, sie waren über die Galeriebalustrade hinabgeworfen wor den. In dem zur Leichenhalle eingerichteten Lheaterrestaurant gab es gräßliche Auftritte. Auch mehrere deutsche Familien befinden sich unter den Leidtragenden. — Die Polizei be legte alle Wagen auf der Straße mit Beschlag und transportierte in ihnen die Verletzten in die benachbarten Geschäfte, wo sie von Ärzten be handelt wurden. — Nach der letzten Berechnung liegen in den verschiedenen Leichenschauhäusern 690 bei dem Theaterbrande ums Leben ge kommene Personen ausgebahrt; außerdem wer den noch 300 Personen vermißt. Am ersten Morgen nach dem schrecklichen Brande wurden die Leichenhäuser von Scharen von Einwohnern umlagert, die gekommen waren, um Verwandte oder Freunde, die sie seit Eintritt der Katastrophe vermißten, unter den Toten zu suchen. Es heißt jetzt, daß die freiwilligen Feuerwehrleute, die auf der Bühne waren, beim Ausbruch des Brandes von einer Panik er griffen wurden, die schlimmer war als jene unter den Zuschauern. Sie waren vor Schreck unfähig, die zur Erstickung der Flammen bereit- stehenden Mittel anzuwenden. Inzwischen find sieben Angestellte des Jroquois-Theaters unter der Anschuldigung der fahrlässigen Tötung ver haftet worden. Unter ihnen befinden sich der Bühnenleiter, der Bühnenzimmermann und mehrere Kulissenschieber, der Assistent des Bühnenleiters Plunkett und mehrere Chorsänger. Plunkett ist des Totschlags angeklagt. Zahl reiche andere Angehörige des Theaterpersonals find bereits polizeilich vernommen worden. von Mb r.mä fern. Ein regierender Fürst in der Herberge. Der Großherzog von Hessen hat nach dem ,Vorw.' in Darmstadt am Weihnachts-Heiligabend auf der Herberge zur Heimat an der Weihnachtsfeier der Handwerksburschen tsilgenommen. Nachdem er die Feier verlassen hatte, teilte der Herbergs vater mit, daß ein „wohltuender Herr" im die Kunden 100 Mk. gespendet habe. Die 91 „Vaga- bonden" erhielten je eine Mark ausgezahlt. Familie Hauff. Mit der Aufnahme des Landgerichtspräsidenten August v. Hauff in den erblichen Adelsstand Württembergs ist die Auf merksamkeit weiterer Kreise wieder auf den um fangreichen Stammbaum der Familie Hauff ge lenkt worden, dem auch die Dichter Schiller und Kerner angehören. Der Stammvater Daniel Hauff, gestorben 1652 als Land schreibereiverwalter in Stuttgart, hat einst ein Rittergut in Österreich erworben und wurde dann ist Österreich geadelt. Seit dem Übertritt in württembergische Dienste während des dreißig jährigen Krieges blieb der Adel ruhen uud ist nun erneuert worden. Die Zah* der tm Fischereigctverbc be rufsmäßig tätigen Personen ist erheblich größer, als gemeinhin angenommen wird. Im Haupt beruf waren nach der letzten Statistik vom Jahre 1895 beinahe 25 000 Fischereitreibende in Deutschland tätig. Dazu kommen etwa 55 500 Bedienstete und Angehörige, so daß im Deutschen Reiche etwa 80 000 Menschen der Fischerei ihren Lebensunterhalt verdanken. Von diesen gehören 59 Prozent der Binnenfischerei, 41 Prozent der Seefischerei an. Auf das Ost seegebiet entfallen 85 Prozent Küsten- und Kleinfischer, 14'/2 Prozent auf das Gebiet der Nordsee. Der Kampf um den Kopf. Der Wieder ausnahmeantrag des vierfachen Lustmörders Teßnow, der vom Schwurgericht in Greifswald zweimal zum Tode verurteilt wurde, ist nunmehr im Beschwerdewege vom Oberlandesgericht in Stettin genehmigt worden. Das Gericht hat demgemäß die Erhebung der angebotenen Be weise angeordnet und beschlossen, daß die Voll streckung des Todesurteils einstweilen ausgesetzt werde. Das Gesuch Teßnows stützt sich auf Geistes krankheit; er ist wiederholt in Irrenanstalten beobachtet worden, und seine für Ende Oktober 1903 festgesetzte Hinrichtung, zu der schon alle Vorbereitungen getroffen waren, mußte mit Rücksicht hieraus verschoben werden. Explosion eines Schrapnellgeschosses. Zwei Kinder aus Kastel spielten seit längerer Zeit mit einem Schrapnell-Artilleriegeschoß, ohne daß jemand ahnte, daß dasselbe noch geladen war. Der 10 Jahre alte Knabe wollte ein Loch in einen Ledcrriemen schlagen und be nutzte als Unterlage das Geschoß. Beim Zu schlägen mit dem Hammer explodierte das Schrapnell und richtete große Verwüstung in -er Wohnung an. Der Mutter wurde der Unterleib aufgerissen, sodaß die Gedärme her vortraten. Dem dreijährigen Mädchen drang der größte Teil des Geschosses in den Körper ein, dem Knaben selbst wurde der rechte Arm zerrissen. Die Schwerverletzten wurden nach dem Spital geschafft, wo das Mädchen inner halb einer Stunde und die Mutter am nächsten Morgen verstarb. Zu Tode geschleift. Ein Arbeiter war vom Händler von Korschenbroich mit einer Kuh nach dem Schlachthofe Rheydt gesandt, als letztere plötzlich scheute. Der Arm kam zu Fall und wurde von der rasenden Kuh unaufhaltsam, über Weg und Steg geschleift. Als man das Tier einfing, war der Arbeiter bereits eine Leiche. Verhafteter Defraudant. Der vor einigem Tagen aus Aachen unter Mitnahme von 45 000 Mark geflüchtete Bankangestellte Nieke wurde in Bruchsal verhaftet. Den größten Teil der entwendeten Summe fand man noch bei ihm vor. Auf seine Festnahme war eine Belohnung von 5000 Mk. ausgesetzt worden. Eisenbahnunfall. Auf einem Überwege zwischen Altboyen und Leiperode überfuhr ein V-Zug ein Fuhrwerk. Die Schuld trifft den Schrankenwärter, der die Schranken nicht ge schlossen hatte. Zwei Personen wurden leicht verletzt, das Fuhrwerk zertrümmert, die Pferde getötet. A f)erta falk. 12j Roman von Theodor Alm ar. ^Fortsetzung.) 6. „Der Atem dieses Weibes hat mir die Atmosphäre des ganzen Hauses vergiftet; öffnen Sie die Fenster, Karoline, spülen Sie den Flur mit Wassel ab!" befahl Herta Falk ihrer Haushälterin uud dann dem kopfschüttelnd dreinschauenden Vater sich zuwendend, brach sie in die leidenschaftlichen Worte aus: „Diese Tortur werde ich nicht lange er- tregen! Auch glaube ich nicht, daß dieses un heimliche Weib sich je verraten wird." „Wenn du so mit ihr umgehst, wie du es heute getan hast, gewiß nicht," antwortete Klewitz ziemlich ärgerlich. „Wir alle haben dir geraten, möglichst diplomatisch vorzugehen, um die Alte kirre zu machen, sie ins Schwatzen zu bringen. Hat Gilbert dich nicht noch ganz be sonders gebeten, der Sache willen der Alten deinen Abscheu vor ihr zu verbergen, damit sie nicht auf die Vermutung kommt, daß er sie mit Absicht zu dir schickt?" Ja, ja, das ist wahr und ich werde mich daran gewöhnen müssen, ihre Nähe zu ertragen. Aber ihre demütigen Reden, ihre kriechende Unterwürfigkeit empören mich, bringen mich aufs Äußerste I Und, Vater, ich fürchte, diese Schlange hat noch anderes auf ihrem Gewissen, als unser Unglück allein." „Möglich, sie macht den Eindruck! Wir aber müssen darüber hinweg und an unser Ziel denken. Hattest du nicht viel gewagtere Pläne, ehe Freundesrat dir zur Seite stand? — Nun wohl, so beherrsche dich jetzt, zeige den gegne rischen Personen ein glattes, freundliches Ge sicht, nicht dein eigenes, wenn du deinen Mann retten willst. Bei Menschen verstockten Schlages richtet man mit Wahrheit und Gefühl nichts aus. Da kommt man nur durch Verstellung auf versteckten, krummen Wegen zu seinem Ziel." „In Verstellung habe ich mich nie geübt, Vater!" „Gott sei es gedankt, nein! Aber jetzt zwingen dich die Umstände, es zu tun. Ge winne es Wer dich, die Alte nicht mehr ab zuschrecken, und du wirst sehen, sie wird ins Reden kommen. Eine Frage führt dann zur andern; endlich entwickelt sich ein Gespräch, aus dem sich — wenn wiederholt — mit der Zeit vieles entnehmen läßt." „Ich will deine Lehren zu beherzigen suchen, will beständig an den armen Dulder im Kerker denken, wenn mir das Weib entgegentritt — sein edles Bild wird mir ein Talisman sein gegen ihren bösen, stechenden Blick. Ich kann dir gar nicht sagen, Vater, welche Gefühle über mich kommen und welche Gedanken, wenn sie zu mir aufblickt — es durchfährt mich so bang, als ob die Augen einer Mörderin mich träfen. Und dann, wäre es nicht besser, wenn auch ihr Bruder mit hierher käme? Weshalb schickt Gil — Herr von Werden den nicht mit?" „Der ist krank; liegt zu Bett." „Krank? Sollte das nicht Heuchelei sein, ein Anstiften dieser Ulrike, die des Bruders Kommen verhindem will, aus Furcht, der könne alles verraten?" „Nein, nein, er ist wirklich krank; der Doktor fährt zu ihm hinaus. Wäre es nur Verstellung, so würde es Gilbert bald heraus finden. Der gibt sich nämlich außerordentlich viel Mühe, uns dienlich zu sein. Daher ver stehe ich auch den Assessor von Rosen nicht, daß er andauernd mißtrauisch gegen Gilbert sich verhält, während die beiden doch Hand in Hand gehen sollten zum Gedeihen der Sache, zumal bis jetzt doch noch herzlich wenig erreicht ist." Fröhliche Kinderstimmen vom Garten her und der mehrmalige Ruf „Großpapa!" unter brach den alten Herrn, der aufhorchend sagte: „Ja so, die Kinder! Die hält' ich bald vergessen und sie warten schon lange auf mich. Ich wollte mit ihnen auf den Berg gehen, weißt du, sie spielen dort in den Sträuchern gern Verstecken." „Da nimmst du wohl auch Bruno mit, Vater?" „Wenn du willst, freilich; sie kommen alle drei mit. Bruno läuft schon sehr gut." „Ja, Vater, aber ich bitte dich, laß ihn nicht aus den Augen, damit ihm nichts passiert." „Sei ruhig; werde schon aufpassen auf den kleinen Sausewind." Beide gingen nach dem Garten, wo ihnen die Kinder entgegen sprangen. Frau Falk, den Kleinsten an der Hand, gab ihnen noch gute Lehren mit auf den Weg; am Gartentor an gekommen, küßte sie eins nach dem andern und blickte ihren Lieblingen noch nach, wie sie dahin sprangen auf dem blumigen Pfade querfeldein. Dann durchstreift sie selbst einsam sinnend die Gänge des Gartens. Sie fühlte sich wie in einem magnetische« Schlafe befangen und kannte sich selbst kaum mehr. Sie konnte mit dem in ruhigem Ver kehr stehen, dessen brennende Blicke sie allerorts hatte fliehen wollen! Im ruhigen Verkehr? Nein, das war nicht ganz der Fall. Nein, nein, sie ging auf glühender Asche! Aber sie hatte die Kraft dazu und hatte ihr Selbst wieder in der Gewalt, wie vor zehn Jahren. — Freilich, als er an jenem Abende so un erwartet bei Millners eintrat und dann vor ihr stand, da hatte sie ihre Nerven doch nicht so ganz beherrschen können; Rosen, der in ihrer Nähe sich befand, hatte ein leises Zittern an ihr bemerkt. Aber bisher war es Werden noch nicht gelungen, sie ohne Zeugen zu sehen, so sehr er eine solche Gelegenheit zu erspähen ge sucht hatte. Es war merkwürdig, immer trat Rosen zwischen sie und Werden, wenn letzterer glaubte, sich ihr nähern zu können! Herr von Rosen hätte dem andern nicht hinderlicher sein können, selbst wenn er es absichtlich getan hätte. Und jetzt wirkte er, Werden, vereint mit Rosen und dem Justizrat Görner für ihren Gatten in edler Uneigennützigkeit — wie sie und die Welt glaubte. Daß er sie noch liebte, ebenso heiß und brennend wie damals, da er, alles ver gessend, versucht hatte, sie ins Verderben zu ziehen, das erkannte sie wohl an jedem Ton seiner Stimme, wenn er zu ihr sprach; an der Glut seines Blickes, wenn er sie ansah — nur was er erstrebt, was sein Ziel, das kann sie, will sie nicht ergründen, um ihrer Ruhe willen. — „Frau Doktor werden verzeihen, Herr von.
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