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Die „Gttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners, tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich z Mark. Durch die Post bezogen z,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten tis vormittag Uhr. Inserate werden mit zo Pf. für die Sxaltzeil« berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Nr. 2. Mittwoch, den 6. Januar 1904. 3. Jahrgang. Oerttiches und Sächsisches. Gitendorf-Vkrilla, s. Januar 1904. — Bei der Kgl. Amtshauptmannschaft Dresden- Neustadt fand Mittwoch mittag Bezirkstag statt. Den Vorsitz führte Herr Amtshauptmann, Geh. Regierungsrat von Craushaar und nahmen drei städtische, 19 ländliche und zehn Abgeordnete aus den Kreisen der Höchsttnsteuerten teil. Bei der Wahl eines Bezirksausschußmitgliedes aus der Klasse der Höchstbesteucrten an Stelle des verstorbenen Kaufmanns Rothe in Radebeul auf die Zeit bis mit 1907 fielen von 31 ab gegebenen Stimmen 16 auf den Fabrikbesitzer Bruno Schifft-Großokrilla. — Am morgenden Hohneujahrstag findet im Gasthof zum „schwarzen Roß" Zitherkonzert des ersten Radeberger Zitherklubs statt. Da nur einmal alljährlich ein derartiges Konzert statlfindet, so sei an dieser Stelle noch ganz besonders darauf aufmerksam gemacht. (Alles Nähere siehe Inserat.) — Der Jahreswechsel hat sich unter dem Szepter des Winters vollzogen, es war ein gutes Wetter für die Verkonsumierung von allerlei Punsch, Grog und sonstigen warmen Getränken. Minder freundlich als der Abschied vom allen Jahre war für manchen das erste Erwachen im neuen Jahre. Was in der lustigen Nacht nur als ein ganz kleiner Spitz erschien, das präsentierte sich im Tageslicht als ein ungefüges Niesentier, und zu dein Schädcl- weh klangen beinahe wie Hohn die schmelzend- herzlichen Gratulationen der Neujahrskarten oder Neujahrsbesucher. So sind wir nun im neuen Jahre. Zum Hohneujahrötag gibt cs noch einmal ein rechtes Ausschlafen nach all den Festtagen, und dann schlägt des Dienstes und der Arbeit ewig gleichgestellte Uhr wieder regel recht ihre Stunden. Klares Wmterwetter hat uns am ersten Morgen des neuen Jahres will kommen geheißen; möchte es ein Unterpfand dafür sein, daß uns in ihm recht viele heitere, lichte Tage beschieden sind. Ww brauchen, wenn unr am ersten Werktage eines neuen Jahres Umschau halten, eines derartigen Zu spruchs. Der Vorhang, der über dem Neuen ausgebreitet ist, ist dicht und undurchsichtig, Ungewiß und verschlossen liegt die Zukunft vor uns. Was birgt sie in ihrem Schoße, was wird sie den Völkern der Erde, was unserem deulschen Volke, was unserer Gemeinde, was uns selbst bringen? Wir wissen es nicht. Wir können nur „hoffen". — Dem Januar, der das neue Johr er- öffnet, fällt nach dem Weihnachtsfeste die Auf gabe zu, den vielen Winterkleidern, die der Weihnachtsmann als Geschenke verteilte, auch praktische Verwendung zu verschaffen, nämlich durch die nötigen Kältegrade. Am liebsten sieht der Landmann den Januar in seinem weißen Pelze erscheinen. Es ist dem Landmann an genehmer, durch die Fenster einmal die Blicke über seine schneebedeckten, hellglitzernden Fluren schweifen lassen zu können, als wenn er im Garten etwa schon das Gras grünen sieht oder gar ein voreiliges Gänseblümchen erblickt; denn um dasselbe isl's doch geschehen, sowie um das Grün des Gartens und das vorzeitige Wachs tum der Saaten im Anfang des Jahres I Lieber sind dem Naturfreund die mondhellen, wenn auch kalten Nächte, wodurch sich der Januar auszeichnet, mit dem wunderbaren Geflimmer der Sterne und dem Singen des Schnees unter den Füßen, als das Wandern auf erweichten, schmutzigen und nassen Wegen. Der Städter schaut ebenfalls gern die spiegelglatten Eis fläch n und erfreut sich an dem leichten, laut losen Hingleilen über dieselben im fliegenden Lause. Selbst der Ballsaal gewinnt an An ziehungskraft, wenn er nach kalter Fahrt oder einer Wanderung im Schnee gestaltet, die schweren Pelze abzulegen und im leichten, duftigen Kleide die jugendlichen Reize zur Geltung zu bringen. Der Januar ist nun einmal ein strenger Regent; darum erwarten die Menschen ihn auch nicht anders, wenn es ihnen nur vergönnt ist, durch Behaglichkeit und Geselligkeit in warmen Gemächern seiner Herr- chaft spotten zu können! — Das Jahr 1904 zeigt eine seltene Eigen tümlichkeit. Der Karfreitag fällt merkwürdiger weise auf den 1. April, Ostern ist somit am 3 April. Für alle die Städte, wo mit dem Wechsel des Quartals umgezogen wird, dürfte dieser Umstand besondere Schwierigkeiten bringen. Nicht ganz so leicht zu merken ist der Tag von Längsten, der 22. Mai. Das heilige Christfest Ml im nächsten Jahre auf einen Sonntag. Dresden. Auf der Hamburger Straße rel am Sonnabend der Kutscher eines Last wagens beim Anschleifen vom Wagen herab und wurde überfahren. Man brachte den Mann, der einen Knöchelbruch und Hautab- chürfimgen erlitten hatte, in seine Wohnung. Reichstädt bei Dippolviswalde. Montag stürzte der Gutsbesitzer Max Grumbt durch das Balkenloch auf die Tenne herab und kam dabei so unglücklich zu Fall, daß er kurz darauf starb. Seiner Witwe wurde vor reichlich zwei Jahren der erste Ehemann durch eine herein- vrechende Kieswand ebenfalls jäh entrissen. Königsbrück. Der Stadtgemeinderat beschloß die Erbauung einer Gasanstalt. Die Beleuchtung der Straßen und städtischen Ge schäftsräume mit dem vorhandenen elektrischen Lichte verursachte in letzter Zeit ungemein hohe Kosten. Das Elektrizitätswerk befindet sich gegenwärtig unter Zwangsverwaltung. Diese hat den seiner Zeit abgeschlossenen Vertrag, wonach die Stadt ein angemessenes Pauschale für öffentliche Beleuchtung zahlte, aufgehoben. — Der Zustand des bei dem jüngst ge meldeten Unglücksfalle schwer in Mitleidenschaft gezogenen Fräulein Ziebich ist zwar sehr ernst, auch hat sich das Fieber eingestellt, indessen geben die Aerzte die Hoffnung auf Rettung nicht auf, zumal das aufgetretene Wundfieber nur leichter Art ist. Das Mädchen ist im Gesicht, im Rücken, an der rechten Halsseite, an beiden Händen und Armen furchtbar ver brannt. Verhältnismäßig gut ist das Befinden des mitverbrannten Herrn Hoffmann. Gegen 40 Brandblasen sind ihm an den Handober- flächcn und den Gelenken und Unterarmen aus geschnitten worden. Losch witz. Am Neujahrstag bemerkte ein Gemeindearbeiter in der Nähe des Wasserwerkes in der Elbe einen eingefrorenen weiblichen Leichnam, der durch das Treibeis nach dem Ufer gedrückt worden war. Die Entseelte ist die vernichte, 77 Jahre alte Frau P., welche sich bisher im Maternistift in Dresden auf gehalten hatte. L o s ch w i tz. Bei einer vom Brigadier vor genommenen Aussuchung in der Wohnung einer Wäscherin wurde ein ganzes Lager verschiedener Wäschestücke vorgefunden, deren rechtmäßiger Besitz die Frau nicht nachweisen konnte. Die Angelegenheit wird untersucht werden. Meißen. Zu bedenklichen Ausschreitungen kam es hier in der Sylvesternacht auf dem Marktplatze durch Verwendung von Feuerwerks körpern. Der Verhaftung der Anstifter wurde solcher Widerstand entgegengesetzt, daß sie vor läufig unterbleiben mußte. Meißen. Die im nahen Neu-Sörnewitz neu erbaute Glasfabrik hat am Sonnabend den Betrieb eröffnet. — Die Lage in der Ofenbranche ist immer noch unklar. Zwar ist am Sonnabend der Streik in Fürstenwalde, wie schon vorher in Velten, endgültig beigelegt worden, und die anderen Verbandsfabriken, auch die in Meißen sind bereit, die Ausgesperrten nach Bedar wieder einzustellen und in erster Linie die Ver heirateten zu berücksichtigen. Die Organisation dec Töpfer fordert aber, wie die sozialdemo kratische Presse mitteilt, Einstellung oller AuS- gesperrten. Ob dazu die Fabrikanten in der Lage sein werden, da sie doch während de Aussperrung Hilfskräfte einstellten, teilweise sic auch Maschinen zulegten, ist die Frage. Neue Konflikte sind daher nicht ausgeschlossen. Vor läufig ist die Arbeit noch nicht wieder aus genommen. — Eine durchgehende Kuh lief am Sonn abend vom Güterbahnhofe auf den Gleisen nach dem Personenbahnhöfe und nahm hier einen ich ihr entgegenstellenden Bahnbediensteten auf die Hörner. Er wurde erheblich verletzt. Chemnitz. Hier hat ein 13 Jahre altes Schulmädchen, eine Waise, die von ihrer Tante erzogen wurde, diese trotz guter Behandlung durch Schwefelsäure vergiften wollen, um von ihr wegzukommen. Die jugendliche Verbrecherin wurde zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Chemnitz. Am Sonnlag ist aus dem im Mittagszuge von Stollberg (Erzgebirge) nach Chemnitz laufenden verschlossenen Post abteil auf der Fahrt von Niederharthau oder Oberaltchemnitz bis Altchemnitz, also in der Zeit von 1 Uhr 33 Minuten bis 1 Uhr 50 Min. nachmittags, ein Geldbrissbeutel seines Inhaltes beraubt worden. Der Täter ist vermutlich kurz vor der Einfahrt des Zuges in den Bahnhof Altchemnitz aus dem Zuge herausgesprungen und in der Richtung nach der Annaberger Straße zu entlaufen. Zwickau. Gegen einen hiesigen Agenten wird demnächst ein schon seit langer Zeit chwebender Strafprozeß wegen schwerer Wechsel reitereien zur Verhandlung kommen. In diesen Prozeß find noch andere hiesige und auswärtige Geschäftsleute verwickelt. Zeugen sollen aus ganz Deutschland geladen werden. Zwickau. Eine 57 Jahre alte Frau glitt auf der Treppe aus, erlitt Gehirnerschütterung und innere Blutung und dadurch den Tod. Schönheide. Ja dec Sylvesternacht schoß un Schönheiderhammer ein junger Mensch mit einem scharfgeladenen Revolver nach der Straße. Als der Schuß krachte, kamen eben drei Mädchen die Straße daher, eins davon wurde an der linken Kopfseite getroffen. Zum Glück ist die Verletzung leicht. Aus der Woche. Beim Jahreswechsel hat gar so mancher das Gefühl: nun muß sich alles, alles wenden. Worauf das beruht, läßt sich aber nicht so ein fach sagen, denn der Schluß des alten und der Beginn des neuen Jahres ist etwas nur kalender-rechnungsmäßiges und hat mit der sitt lichen Welt ungefähr so viel zu tun, wie die Aufrichtigkeit im Leben mit neun Zehnteln von allen Nsujahrsgratulationen. Die christliche Welt rechnet ihre Zeit von der Geburt Jesu her, beginnt aber sonderbarerweise das Jahr nicht von diesem kirchlich auf den 25. Dezember festgesetzten Geburtstage, sondern erst immer acht Tage später. Die große Himmelsuhr zeigt für uns nördliche Erdenbewohner zudem noch den 21. (je nachdem auch den 22. oder sogar 23. Dezember) als den großen Wendepunkt, an dem scheinbar die Sonne mit einem ge waltigen Ruck auf ihrem Enteilen nach dem fernen Süden stille hält, um sich uns all mählich wieder mit ihren wärmenden und leben erweckenden Strahlen zu nähern. Aber auch auf diese so natürliche Zeitgrenze haben wir unser Neujahrsfest nicht gelegt, sondern etwa zehn Tage später! Und aus welchem Grunde von einem so durchaus willkürlichen und nach gar keinen Regeln der Kunst und Wissenschaft bestimmten Termin uns neues Heil erblühen sollte, ist schwer einzusehen. Etwa weil wir einen neuen Abreißkalender an Stelle des alten befestigt haben und uns in dec ersten Zeit schwer an die neue 4 in der Jahreszahl ge wöhnen können? Bastert aber die Hoffnung auf ein Befserwerden darauf, daß wir uns selbf zu bessern fest vorgenommen haben und halten wir an diesen Vorsätzen unentwegt fest, dann wird auch sicher unsere Hoffnung nicht zu schänden werden. Aber zu diesem Fassen von guten Vorsätzen bedarf es wiederum des Neujahrs nicht und wer es etwa nicht bei der Sylvesterbowle getan haben sollte, der versäume gar nicht, es nachzuholen. Was das alte Jahr er lieben Menschheit gebracht und genommen ,at, das kann in dem knappen Rahmen dieser Kauderei nicht alles aufgezählt werden. Was as neue bieten wird, dafür haben wir nur ungewisse Anzeichen. Das Jahr 1903 hat die Besserung im Geschäftsleben, die ihm schon vom Vorjahre überkommen war, etwas mehr be- estigt, wenngleich die letzte Krise immer noch ächt ganz überwunden ist, und es war ein Jahr des Friedens; nirgends sind die Völker eindlich aufeinander losgegangen. Allerdings unsere Mutter Erde ist groß und der Telegraph ist ein fixer Geselle. Wenn man von 1903 als von einem Friedensjahr spricht, dann darf man solche Kleinigkeiten, wie die mit unsern schwarzen Landsleuten, den Bondel- zwarts, oder wie in Mazedonien oder Venezuela oder im Somalilande nicht beachten. Ganz anders ist die Wolke zu beurteilen, die dem neuen Jahre vom alten als Erbschaft zuge- choben worden ist und die über dem fernen Osten lagert. Dort liegen die Dinge etwa so, wie im nördlichen Indien: ein Zusammenstoß muß erfolgen und alle Künste der Diplomatie können nur dahingehen, den Zusammenprall zwischen Japan und Rußland hinauszuzögern. Die Behauptung der Mandschurei und die Vor herrschaft in Korea ist eine Lebensfrage für das asiatische Rußland; es muß im fernen Osten an ein eisfreies Meer heran. Japan dagegen kann, wenn es sich organisch weiterentwickeln will, keinen starken Nachharn brauchen, der ihm unter Um ständen das ihm vorgelagerte Festland versperrt! So liegen die Dinge und daran kann auch die so oft betonte Friedensliebe des Zaren nicht ein Tüpfelchen ändern. Handelte es sich nur für Rußland und Japan um ein gegenseitiges Hälse abschneiden, so würde die übrige Welt davon sehr wenig berührt werden. Aber heutzutage sind die Interessen aller Staaten sehr verquickt miteinander, daß man in der linken Ecke „Au" schreit, wenn jemand in der rechten auf die Hühneraugen getreten wird. Hinter Japan steht England, hinter Rußland Frankreich. Beide sind durch Verträge gebunden, denen gegenüber der platonische englisch-französische Schiedsgerichts-Vertrag, der ohnehin nur eine dekorative Bedeutung besitzt, wenig in Betracht kommt. Verhältnismäßig weit vom Schüsse sind erfreulicherweise Deutschland und seine Bundes genossen, keiner von ihnen ist direkt oder indirekt an den ostasiatischen Händeln beteiligt. Für Deutschland ist das um so vorteilhafter, als das eben begonnene Jahr ihm eine solche Fülle innerer Arbeiten bietet, die die Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens zur unbedingten Vor aussetzung haben, daß eine jede größere von außen kommende oder nach auswärts gerichtete Erschütterung als eine schwere Schädigung em pfunden werden müßte. Deutschland hat wenig Freude auf der Welt; von Frankreich zu schweigen, kann es England nie etwas recht machen, denn seine tüchtige Industrie und sein sich den Verhältnissen und Bedürfnissen der anderen Nationen geschickt anpassender Handel hat der Industrie und dem Handel Englands erhebliche Konkurrenz gemacht. Amerika spaßt mit Deutschlands Botschafter als dem „Speckchen" und Rußland wünscht ihm kühl „glückliche Reise!" Wohl uns, daß wir aus früherer Zeit her den Dreibund haben und daß seine Mitglieder ehrlich sind! Es ist dem Kaiser und der Reichsregierung gelungen, un» im alten Jahre den Frieden zu erhalten, nicht zu allerletzt aus dem Grunde, weil alle Mächte aus kriegstechnischen und finanziellen Gründen vor einem Kriege heillose Manschetten haben; für unser Volk ist daher der beste Neujahrs wunsch, daß auch das neubegonnene Jahr sich in dieser Beziehung seinem Vorgänger eben bürtig zeige. Und Friede sei nicht nur zwischen den Völkern, sondern auch zwischen den Be völkerungsklaffen und, mein lieber Leser: in Dir!