Volltext Seite (XML)
6943 «Srsmbl-Ü f. d, «Uchn. «uchb-ndU. Nichtamtlicher Teil. 144, 24. Juni 1S08. travyaiss ihm ihre Tore hartnäckig verschlossen hielt und jede seiner Kandidaturen energisch ablehnte. Merkwürdiger weise hat Emile Zola zu seinen Lebzeiten weniger unter Anfeindungen zu leiden gehabt, als nach seinem im Jahre 1902 erfolgten tragischen Tode; denn wohl noch nie ist das Andenken des immerhin großen und bedeutenden Schriftstellers, — man mag über ihn denken, wie man will — in Wort und Bild mit so viel Schmutz beworfen worden wie in diesen Tagen. Und an alledem ist diese armselige Dreyfus-Affäre schuld, die offenbar immer noch nicht zur Ruhe kommen kann. Dreyfus' und somit auch Zolas Gegner konnten es dem letzteren nie verzeihen, daß er sich des »Verräters« annahm und sich in eine Sache mischte, die ihn im Grunde genommen nichts anging. Daß aber Zola den Mut hatte, für seine Überzeugung mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit auch einzutreten, daß er den Triumph erlebte, durch die Proklamierung der Unschuld von Dreyfus seine Sache siegen zu sehen, das brachte den Haß der »Patrioten« erst recht zum Ausbruch. Jetzt plötzlich er innerte man sich, daß dieser bis dahin immerhin geachtete Schriftsteller den »Zusammenbruch« (Ua äsbLels) geichrieben hatte, ein Werk, das in Form eines Romans in schonungsloser Weise faule Zustände in der französischen Armee von 1870 geißelte, und durch dieses Werk ist Zola in den Augen eines guten Teils seiner Landsleute zum »Verräter« ge worden, ja er hat, wie eine bekannte Pariser Tageszeitung sich gewählt ausdrückt, »die Armee beschimpft und das Heiligste, was der Mensch haben kann, das Vaterland und die Fahne, besudelt«. Daß Zola ein Mann war, der den ehrlichen und redlichen Willen hatte, der Wahrheit zu dienen — mag nun die von ihm dafür gewählte Form richtig sein oder nicht —, daß er glaubte durch schonungsloses Aufdecken von schlechten Zuständen im sozialen Leben seines Vaterlandes diese verbessern zu können, und daß er glaubte, seinen Ge danken durch die Form packend geschriebener Romane, in denen er Meister war, die weiteste Verbreitung geben zu können, — das kümmert seine Gegner nicht; sie sehen in ihm außer dem »Verräter« nur noch den Pornographen, der sich in seinem eigenen Schmutze wälzt und andere damit besudelt; sie wollen vor allem nicht an den ehrlichen Willen Zolas glauben und sprechen ihm jede Befähigung und Be rechtigung ab, als sozialer Reformator aufzutreten und zu wirken, — ja sie betrachten seine Werke als eine Schmach für die französische Literatur. Man mag nun über Emile Zola und seine literarische Produktion denken, wie man will — es ist hier nicht der Ort, kritische Betrachtungen dar über anzustellen —, aber man spricht heute von einer Zolaschen Richtung, einer Zolaschen Schule in der Welt literatur, er ist der Schöpfer des naturalistischen Romans, und es läßt sich nicht leugnen, daß er zwar kein Dichter, aber ein hochbedeulender Schriftsteller gewesen ist, dessen Name auch dann noch genannt werden wird, wenn die lilamen derjenigen, die heute kein gutes Haar mehr an ihm lassen, längst vergessen sind. Merkwürdigerweise sind diese Leute mit dem empfindlichen, wirklich vorhandenen oder ein gebildeten Patriotismus weniger unter dem breiten Volk zu finden, als gerade in den gebildeten Kreisen, und sind dort viel zahlreicher, als man glaubt. Nun liegt Emile Zola, hoffentlich für immer, in einem der Gewölbe des Pantheon, gerade neben seinem großen Kollegen Victor Hugo, dessen Angehörige und Nachkommen verständig genug waren, nicht gegen die neue Nachbarschaft zu protestieren. » * » Im Anschluß hieran sei mitgeteilt, daß einer der eif rigsten Verfechter der Sache von Dreyfus, Joseph Reinach, schon seit Jahren daran ist, den berühmten Prozeß auch in Buchform der Nachwelt dauernd zu erhalten: fünf ganze Bände zum Preise von je 7 Frcs. sind schon erschienen, und der sechste, »lg. Revision«, zum gleichen Preise, wird soeben angezeigt, aber ohne Bemerkung, ob dieser sechste Band auch den Schluß des Werkes bilden soll. Man weiß nicht recht, was man mehr dabei bewundern soll: die Schreibseligkeit des Herrn Reinach, die Ausdauer seiner Leser oder die Opfer willigkeit des Verlegers. Aber dieser letztere, der übrigens auch der Verleger aller Zolaschen Werke ist und der an diesem Autor allein ein Vermögen verdient hat, vermutlich ein recht großes, darf sich diese Extravaganz im Interesse einer Sache, an der sein berühmtester Autor so großen persönlichen Anteil genommen hat, schon gestatten. * » » Am 23. Mai ist Franyois Coppöe gestorben (Börsenblatt Nr. 121), mit ihm hat das heutige Frankreich einen seiner bedeutendsten Dichter verloren. Coppse war als Lyriker, Dramatiker und Prosaiker gleich fruchtbar; verschiedene seiner Werke werden ihn überleben, so »ls Rassavt« und der rei zende »Geigenbauer von Cremona«, die heute noch auf dem Repertoire des Ibsätrs kravyais stehen und ihre alte Zugkraft bewähren. Leider hat sich Coppöe gegen Ende seines Lebens tiefer in die Politik gestürzt, als für einen Dichter von seinem Rufe und Range zuträg lich war, und dadurch sollen seine letzten Arbeiten, in denen ein übertriebener Patriotismus und eine dick auf getragene Frömmigkeit oft unangenehm durchschimmern, etwas ungenießbar sein. Gerade er war einer von den eben geschilderten Zola- und Dreyfus-feindlichen Patrioten und vertrat den zum mindesten sehr sonderbaren Stand punkt, daß Dreyfus, selbst wenn er unschuldig gewesen wäre, die ihm zudiktierte Strafe ruhig hätte aus sich nehmen müssen, um so die Ehre des Kriegsgerichts und der Armee zu retten. — Außer Coppse ist am 10. Juni noch Gaston Boissier, ein bekannter Historiker und Altertumsforscher und ebenfalls Mitglied der ^eaäswis kravyaiss, gestorben (Börsen blatt Nr. 135), und durch diesen Todesfall sind seit An fang dieses Jahres schon vier Sitze in den Reihen dieser illustren Gesellschaft frei geworden. Die beiden andern Toten sind Ludovic Halsvy (Börsenblatt Nr. 108) und Emile Gebhardt. * » * Eine neue Art, Bücher zu schreiben, ohne sich selbst im geringsten anzustrengen und doch ein gutes Geschäft dabei zu machen, hat Herr Gustave Tsry erfunden. Herr Tsry ist Mitarbeiter an dem vielgelesenen »Nativ« und hat unter den Lesern dieses Blattes eine Umfrage über ihre Er fahrungen in bezug auf die Ehescheidung veranstaltet, die bis jetzt in Frankreich mit sehr vielen Schwierigkeiten ver knüpft war und für die ein neues Gesetz in Vorbereitung sein soll. Dieses Thema war im letzten Winter in Paris sehr aktuell. Es sind einige besonders krasse Fälle von Ehe scheidung vorgekommen; Paul Bourget hatte seinen erfolg reichen Roman »Uv Vivorvö« als Drama umgearbeitet, das als solches über eine der ersten Pariser Bühnen ging und so ziemlich das literarische Ereignis der Saison gewesen ist, u. a. m. Demzufolge waren denn auch die beim »Nativ« eingegangenen Antworten sehr zahlreich und wurden alle getreulich und wahrscheinlich auch honorarfrei dort abgedruckt. Um nun aber das Geschäft noch ganz aus zuschlachten und der Mit- und Nachwelt die Resultate der interessanten Umfrage des »Nativ« auch in Buchform zu er halten, hat Herr Tsry sich entschlossen, die eingegangenen Antworten, die in Summa einen guten 3 Frcs. 50 Cts.- Band füllen mögen, bei Fayard auch als Buch erscheinen zu