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Ottendorfer Zeitung : 22.02.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190302229
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19030222
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19030222
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-02
- Tag 1903-02-22
-
Monat
1903-02
-
Jahr
1903
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 22.02.1903
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politische Aunälckau. Deutschland. *Der Erbprinz und die Erbprin zessin von Sachsen-Meiningen be gingen in Kiel am Mittwoch das Fest der silbernen Hochzeit. * Wie der Reichskanzler jetzt amtlich bekannt gibt, ist, nachdem die zwischen Deutschland und den Ver. Staaten von Venezuela ent- standmen Streitigkeiten beigelegt sind, die von den deutschen Seestreitkräften über die Häfen von Puerto Cabello und Maracaibo verhängte Blockade aufgehoben worden. Ebenso ist nach einer amtlichen Mitteilung der königlich großbritannischen Regierung die von den bri ti schen Seestreitkräften über die venezolanischen Häfen von La Guayra, Carenero, Guanta, Cumana und Carupano, sowie über die Orinokomündungen verhängte Blockade auf gehoben worden. Eine gleiche Mitteilung hat schließlich auch die italienische Regierung veröffmtlicht. *Eine abermalige Änderung der Ge schäftsordnung des Reichstages ist nach der ,Germania' in den Kreisen der Mehr heitsparteien erwogen worden. In der Haupt sache schlägt das Blatt vor, dem 8 45 der Ge schäftsordnung folgenden Absatz anzufügen: „Bor dem Eintritt in die Diskussion eines An trages, einer Gesetzesvorlage, eines Amendements oder bestimmten Abschnittes (Artikels) derselben kann der Reichstag auf unterschriftlich von 30 Mitgliedern unterstützten Antrag das Höchstmaß an Zeit bestimmen, für welche jedem einzelnen Redner zu dem betreffenden Gegenstände das Wort erteilt werden soll. Dieser Antrag ist präjudiziell und geht allen anderen Vorschlägen und Wort meldungen vor. Nachdem ein Redner für und ein Redner gegen denselben, jedoch ein jeder nicht länger als höchstens 10 Minuten gehört worden, erfolgt darüber sofort der Beschluß der Versammlung durch Ausstehen und Sitzenbleiben. Eine Abänderung dieses Beschlusses und eine Wiederholung des An trags sind im Laufe derselben Diskussion unzulässig. Das festgesetzte Zeitmaß gilt dann auch für tue während der Diskussion später gestellten Anträge aus motivierte oder einfache Tagesordnung, (tz 49 und 8 53.)" * Dem Reichstage ist eine Denkschrift über den Verkehr mit Honig zur Verfügung gestellt, die im Reichs-Gesundheitsamtc ausge arbeitet worden ist. * Die für die Einführung von Diäten an die Mitglieder des Reichstags sprechenden Gründe überwiegen nach Ansicht der hessischen Regierung die Bedenken, welche denselben etwa entgegengesetzt werden könnten. In diesem Sinns beantwortete Staatsminister Roche am Dienstag in der zweiten hessischen Kammer eine bezügliche Anfrage. Das Haus beschloß darauf einstimmig, die Regierung zu ersuchen, beim Bundesrat aufs nachdrücklichste für die Bewilligung von Diäten einzutreten. *Das Ergebnis der Sachverständigen-Be- ratungen über die Fragen einer Reform des Strafprozesses wird demnächst den Einzelregierungen übermittelt werden. Nach Prüfung des Materials werden diese sich ent scheiden, in welcher Weise die Ausarbeitung eines den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches vorzulegenden Gesetzentwurfes vorge nommen werden soll. An den Sachverständigen- Beratungen selbst sind die Einzelregierungen nicht beteiligt, dieselben bilden ein Internum des Reichsjustizamtes. * Die Kanal» orlage — so soll nach der Magd. Ztg/ Minister Möller in Hannover geäußert haben — werde voraussichtlich den Preuß. Landtag schon im nächsten Jahre be- schäftigen. Für das Zustandekommen der Vor lage lägen dieVerhältnisse heute weiiaus günstiger, als es vor Beginn dieses Jahres der Fall ge wesen sei. Frankreich. * Die Deputiertenkammer genehmigte den bereits vom Senate angenommenen Antrag auf Verbol des Verkaufes von Inseln, Inselchen, befestigten Schlössern usw. ohne Be nachrichtigung des obersten Marinerares uno ohne Genehmigung des Parlaments. England. * Das Parlament ist am Dienstag vom Könige mit einer Thronrede eröffnet worden. Im Oberhause hat gleich Lord Spencer Mühe, sich bei den Lords wegen des Zusammengehens Englands mit Deutschland zu entschuldigen. Der Präsident des Geheimen Rates, Herzog von Devonshire, drückte seine Genugtuung darüber aus, daß Lord Spencer nicht die törichte und übertriebene Sprache bezüglich der sogenannten Allianz mit Deutschland beibehalre. Es sei immer er klärt worden, daß nichts bestanden habe, was einer Allianz gleichkommt. Es habe nur ein gemeinsames Vorgehen zu einem bestimmten und gegebenen Ziel zwischen Eng land, Deutschland und Italien gegeben. Zum 25jährigen Pontifikats-Jubiläum Leos XHl / Schweiz. *Der bernische Große Rat genehmigte den Vertrag über den Rückkauf der Jura- Simplonbahn. Damit haben alle schwei zerischen Instanzen den genannten Vertrag ge nehmigt. Belgien. *Der französische Sozialistenführer Jaurös erklärte in Brüssel, er habe früher geglaubt, der berüchtigte gefälschte Brief des deut sch e n K a i s e r s habe in der Affäre Dreyfus nur eine untergeordnete Rolle gespielt, jetzt wisse er, daß man sich seiner seit 1897 bei allen ent scheidenden Anlässen bedient hätte, um die Re habilitierung Dreyfus' zu verhindern. Sensatio nelle neue Tatsachen habe er nicht vorzubringen. Balkanstaaten. *Die Reform vor schlage Öster reichs und Rußlands für Mace do nie n find finanzieller und administrativer Natur und zum überwiegenden Teile solche, die die Pforte bereits selbst wiederholt gemacht, aber nie ausgeführt hat. Neu ist die Forderung, daß die Zehnteneingänge nicht mehr nach Konstantinopel geschickt, sondem imLande für dessen Verwaltung verwendet werden sollen. Ferner soll ein Gouverneur ernannt werden, der zwar kein Christ sein muß, aber so ausgedehnte Vollmachten erhalten soll, daß er sich nicht in jedem einzelnen Falle um Verhaltungsmaßregeln an die Pforte zu wenden braucht. Amerika. * Von den venezolanischen Kriegs schiffen ist den englischen und deutschen Blockadeschiffen nur das Schiff „Miranda" entgangen, das sich während der Blockade in der durch eine für die ausländischen Kriegs schiffe nicht passierbare Barre geschützten Bucht von Marakaibo versteckt gehalten hat. Nach Aufhebung der Blockade ist am Montag die „Miranda" mit 1200 Mann und 2 Millionen Patronen nach Tucacas abgegangen, um der Regierung Verstärkungen zur Niederdrückung der Revolution zuzuführen. Jus clem Aeickstage. Der Reichstag setzte am Dienstag bei der zweiten Beratung des Etats des Reichsamts des Innern, Titel „Staatssekretär", die sozialpolitischen Debatten fort. Abg. Sachse (soz.) polemisierte gegen die Abgg. Stöcker und Paasche, bemängelte die Kruppschen Wohlfahrtseinrichtungen und sprach dann über Berg arbeiterfragen. Ihm antworteten der sächsische Be vollmächtigte Dr. Fischer und ein Kommissar der preußischen Bergverwaltung. Abg. Schwarz-München (wildlib.) sprach über die Bäckereiverordnung, Abg. Euler (Ztr.) trat für den Befähigungsnachweis im Handwerk ein. Nach einer längeren Rede des Abg. Zubeil (soz.) wurde die Beratung vertagt. Am 18. b. werden zunächst mehrere Petitionen, die zur Besprechung im Plenum nicht geeignet er schienen, für erledigt erklärt und sodann die zweite Lesung des Etats des Reichsamt des Innern, Titel „Staatssekretär", fortgesetzt. Abg. Crüger (stets. Vp.) kommt nochmals auf den Ausschluß der Genossenschaften auf dem Kreuz- nacher Genossenschaftstag zurück und wirft den sozialdemokratischen Abgeordneten vor, daß sie ihm das Wort im Munde herumgedreht hätten. Der Ausschluß sei nur aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt. Abg. Schwarze (Zentr.) befürwortet die baldige Einführung des Befähigungsnachweises für das Baugewerbe. Die Abgg. Hoch und Wurm hätten hier über die Vergewaltigungspolitik des Zentrums geklagt, man brauche gar kein Antisemit zu sein, um zu fragen, wie diese gerade dazu kämen, so zu reden. Abg. Stöcker (kons.) verteidigt sich gegen den Vorwurf, daß die Kurrendeschüler mißbraucht würden und sogar in Kneipen mit Damenbedienung singen müßten. Das sei nur einmal vorgekommen. Dann verteidigt er sich gegen die Anzweiflung seiner Wahrheitsliebe und memt, der Abg. Bebel habe die Beschuldigung, einen Meineid geleistet zu haben, auf sich sitzen lassen, ohne zu klagen. Abg. Reißhans (soz.): HerrStöckerhättewirklich wohlgetan, mit etwas weniger Ueberhebung zu reden. Ein Mann, der den Ewald-Prozeß durchgemacht und die Prozesse mit Dr. Witte geführt hat, ein Mann, von dem das Gericht festgestellt hat, daß er etwas Falsches beschworen hat, kann doch wirklich nicht verlangen, daß man seinen Worten ohne weiteres glaubt. Weiter verbreitet sich Redner noch aus führlich über die Gewerbeaufficht. Abg. Stöcker: Ich habe gedacht, die Herren dort würden ihre Behauptungen über die Kurrende zurücknehmen. Wer eine offenbare Unwahrheit nicht zurücknimmt, den kann ich nur bedauern. In den vom Vorredner erwähnten Fällen hat sich herausgestellt, daß nicht eine Spur von Vorwurf auf mir haften geblieben ist. Unwahrheit wird mir niemand nachsagen, es müssen denn schlechte Kerle sein. Herrn Bebel ist von einem Flugblatt und von zwei angesehenen schweizerischen Blättern Meineid nachgesagt worden. (Stuf links: das Flugblatt ist ja von Ihrem Freunde Normann-Schumann.) Herr- Schumann ist nicht mein Freund, aber so viel wert wie Herr Singer ist er immer noch. Abg. Wurm (soz.): Der Bebelsche Meineid soll im Tauschprozeß geleistet sein. Nun, der Prozeß schwebt ja, und es wird sich ja dabei Heraussteller:, daß der Stöckersche Anwnrf genau so viel wert ist, Wie alles, was Herr Stöcker vorzubringen pflegt. Redner geht dann auf die letzte Entgegnung des Llbg. Crüger ein wegen der sozialdenrokratischen Konsumvereine. Ferner polemisiert er wiederum gegen bas Zentrum. Abg. Herzfeld (soz.) äußert sich über die an- gekündigten Ausführungs-Verordnungen zur See mannsordnung. Staatssekretär Graf Posadowsky erklärt: Heuerverträge, welche erst nach dem 1. April ab geschlossen würden, seien, falls sie zu Bestimmungen der neuen Seemannsordnung in Widerspruch ständen, selbstverständlich ungültig. Ob dasselbe der Fall sei, wenn es sich um vor dem 1. April abgeschlossene Heuerverträge handle, ob also die Seemannsordnung rückwirkende Kraft habe, das zu entscheiden, müsse den Gerichten überlassen bleiben. Abg. Ledebour (sozy: Herr Stöcker hat Herrn Bebel, über dessen Charakter Wohl in diesem ganzen Hause kein Zweifel besteht, des Meineids bezichtigt. Vizepräsident Graf Stolberg: Das ist nicht geschehen, Herr Stöcker hat nur gesagt, daß Schweizer Blätter Herrn Bebel des Meineids bezichtigt hätten.. Abg. Ledebour (fortfahrend): Herr Stöcker tritt nur deshalb jetzt hervor, weil er sich als An walt des schlichten Mannes aus der Werkstatt auf spielen und für den bevorstehenden Wahlkampf sich in empfehlende Erinnerung bringen möchte. Er fungiert jetzt als Generalstabschef des reaktionären Heerbannes. Die Rechte scheint unter der Firma Stöcker-Normann-Schumann in den Wahlkampf ziehen zu wollen. Abg. Stöcker: Sic (zu den Soz.) glauben, auf mich und andere Abgeordnete Beschimpfungen häufen zu können, während Sie verlangen, daß Herr Bebel für uns eine geheiligte Person sein soll. Normann wird von Ihnen beschimpft; ob das wahr ist, was Sie von ihm behaupten, will ich nicht untersuchen. Ich kann nur sagen, mich halten nur Lumpen für einen Meineidigen ! Abg. Singer: Was Herr Stöcker über mich sagt, ist mir gleichgültig. Wenn er spricht, habe ich immer nur das Gefühl der Lächerlichkeit, des Mit leids oder des Ekels. Niemand wird leugnen können, daß Stöcker Bebel des Meineids bezich tigt hat. Vizepräsident Büsing glaubt an der Hand des Stenogramms konstatieren zu können, daß Herr Stöcker nur Bezug genommen habe auf das, was in schweizerischen Blättern über Herrn Bebel ge standen habe. Abg. Singer polemisiert dann noch weiter geßen Stöcker und schließt damit, für die Verworfen heit solcher Subjekte, die Bebel des Meineids be schuldigen, habe er überhaupt keinen Ausdrnck. Stöcker hätte doch zum mindesten offen erklären müssen, daß er Bebel des Meineids nicht für fähig halte. Abg. Stöcker: Ich will gern erklären, daß ich Herrn Bebel nicht des Meineids für fähig halte, wenn jene Herren erklären, daß sie auch mich nicht des Meineids für fähig halten. (Gelächter bei den Soz.) Aba. Lenzmann geht dann ausführlich aus den bekannten Prozeß Witte ein, um nachzuweisen, wie überaus schlecht damals Stöcker hinsichtlich seiner Wahrheitsliebe abgeschnitten habe. Abg. Stöcker tritt diesen Ausführungen ent gegen. Nach weiteren Auseiuandersetznngcn zwischen Lenzmann und Stöcker erklärt Vizepräsident Büsing die sozialpolitische Er örterung für beendet. Neber die sechs Resolutionen soll erst in der dritten Lesung Beschluß ' gefaßt werden. Auf Anregungen der Abgg. Beckh (sts. Vp.), Pach nicke (sts. Vgg.) und Stockmann (frei- kons.), welch letzterer die zu strenge Anwendung des Fleischbeschau-Gesetzes auf die von Tagelöhnern ge schlachteten Schweine zur Sprache bringt, teilt Staatssekretär Graf Posadowsky mit, daß eine Novelle zum Vogelschutz-Gesetz uud eine einheitliche Verkehrsordnung sür Automobile und Fahrräder, wie sie Pachnicke anregt, bereits ausgearbeitet seien. Wo es sich um gewerbliche Verwendung handele, müsse das Fleisch besichtigt werden. Darauf vertagt sich das Haus. Nrr»tzttchrr Landtag. Im Abgeordnetenhanse begann am Dienstag die Beratung des Etats der Handels- und Gewerbe verwaltung. Abg. Oeser begründete seinen Anttag auf Ausdehnung des zollfreien Veredelungsverkehrs. Der Anttag bezweckte, der doppelten Preisgestaltung der Kartelle entgegenzutrcten, die Rohstoffe und Halb fabrikate nach dem Auslande billiger verkaufen als im Inland. Redner führte aus, daß durch diese Bevorzugung des Anslandes die inländische Fabri kation schwer geschädigt würde und deutsche Industrien nach dem Auslande getrieben würden. Handels- mimster- Möller erklärte, es würde geprüft worden, ob den betreffenden Industrien in weitergehender Weise als bisher der zollfreie Veredelungsverkehr zu gewähren sei. Mit Rücksicht auf diese Erklärung des Ministers zog Abg. Oeser seinen Anttag zurück. Das Abgeordnetenhaus erledigte am Mittwoch vom Etat der Handels- und Gewerbeverwaltuyg den Titel „Ministergehalt". Auf Anstage des Abg. Funck nach dem Stande der Börsengesetzreform er widerte Handelsminister Möller, daß der Entwurf zur Reform des Börsengesetzes mit Rücksicht auf die geschäftliche Lage dem Reichstage in der gegenwärti gen Tagung nicht mehr würde vorgelegt werden können. Die Frage der Förderung des Handwerks wurde in der Debatte mehrfach erörtert. U. a. regte der steikonservattve Abg. Gamp die Gründung edier Handwerkerbank mit staatlicher Unterstützung an. Während Abg. Oeser die Handwerker auf die Grün dung von Genossenschaften verwies. Von unä fern. Die Drachenburg. Der Kaiser hat di» Absicht, die bei Königswinter belegene Drachen burg käuflich zu erwerben. Die Burg war Eigentum des im vergangenen Jahre zu Paris verstorbenen Barons von Tarter und soll jetzt auf Antrag eines der Erben im Wege des ge richtlichen Teilungsverfcchrens verkauft werden. Die zu der Burg gehörenden Besitzungen an Wald und Feld haben eine Größe von insge samt 400 Morgen. O Urmmotd. 400 Roman von Anna Seyffert-Klinger. (FoMttzmigN Jetzt fürchtete Heinrich nur die Ankunft seiner Verwankten, mit ihrem Erscheinen mußte dieses begstakende, tiefruhige Zusammenleben aufhören. Selbst die Baronin bereute es ;ast, ihre lieben Steglitzer eingeladen zu haben. Sie mußten nun jeden Tag eintreffen und wären wohl schon hier gewesen, wenn Doktor Sie- mann nicht in allen größeren Städten Station gemacht hätte zur Besichtigung der Museen und Denkmäler. Wieder hatten die drei in der Villa Albers einen jener unvergeßlichen Abende verlebt, wo mehr aus jeder Bewegung der einzelnen, in dem Blick von Auge zu Auge das stumme Ver ständnis der Seelen zu lesen ist. Gesprochen wurde nicht viel, aber das wäre auch über flüssig gewesen; der Abend schwanv im Umsehen day n, und als man sich mit einem Händedrucke trennte, da war die Freude auf das Morgen auf jedem Gesicht deutlich genug zu lesen. Heinrich schritt langsam seinem Hause zu, noch ganz erfüllt von dem Zauder, den die Villa mit samt ihren Bewohnern auf ihn aus übte. Heute dachte er weder an seine ge schäftlichen Pläne, noch in einer andern Weise an die Zukunft, die Gegenwart hielt ihn mit ihren Fesseln fest umstrickt. In seinem Zimmer brannte noch Licht, ein Zeichen, daß Hans früher als sonst aus dem Klub gekommen war. Nicht gerade angenehm berührt durch die Aussicht, seinem Bruder noch Rede und Antwort stehen zu müssen, ging Heinrich leicht verstimmt hinein, cmschlosftn, so gleich j:der Bemerkung die Spitze aözubrechen und sein Lager auszusuchen. Hans kam ihm erregt entgegen. „Klarius und Anni find hier, Heinz, ich traf am Nach mittag im Kunstsalon mit Anni Zusammen." Klarius hier! Die Nachricht wirkte wie eine kalte Douche auf Heinrichs harmonische Stimmung. Der leichte Strohhut flog ziemlich unsanft in irgend eine Ecke. „Härte ich doch dem Menschen nur lein Wort geschr eben, Watz mag er hier von mir wollen? Ich bin nie zu Hause sür ihn, das magst du ihm nm sagen." Hans war viel zu sehr mit sich selbst be schäftigt, um das Absonderliche dieser Bemer kung herauszufühlen. „Anni ist so verändert," sagte er leise; „sie scheint eine ganz andere ge worden zu sein und innerlich, feit wir uns nicht gesehen, viel durchlebt zu haben. Du er innerst dich doch, daß sie auf einer Partie fast ertrunken wäre, ich habe es dir ost genug er zählt. Damals zweifelte ich immer noch daran, daß sie sich wirklich unglücklich fühlte, heute bin ich überzeugt, daß sie sich an der Seite dieses Klarius in Selbstqual verzehrt." — Heinrich hatte ungeduldig das Zimmer durchmessen. „Aber lieber Jungr," sagte er jetzt, stehenbleibend, „verschone mich doch mit Berichten über jene Dame. Sie ist mir viel zu gleichgültig, als daß ihre Launen und Albernheiten mich irgendwie interessieren könnten." Hans sah mißtrauisch auf. Aus dir spricht doch nur die Eifersucht —" Ein h-rftiches Lachen, das allerdings einen solchen Verdacht total zerstören mußte, ant wortete ihm. „Nein, mein bester Hans; daß du mich tür einen solchen halten kannst, ist kost- b -r. Darüber sei cin für allemal beruhigt; diese Anni könnte in Gold gefaßt sein, mich ließe sie kalt, -"fig kalt. Das merke dir, mein Junge. Eher begeistere ich mich ür unsere behäbige Römerin, die auf der Welt nichts mehr zu lieben scheint, als eine saloppe Toilette, d-e weder Kaffee kochen, noch ein Zimmer gründlich reinigen kann. Ich will mich eher für sie er wärmen, als sür die kleine nichtssagende Kokette aus der nordischen Residenz!" „Nun, nun, man darf doch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten l" riet Hans erleichtert und doch in einem gereizten Ton, „wenn jemand zur Besinnung kommt, seine Fehler einfieht und und bereut, so ist es nicht mehr wie recht und billig, daß man seine Besserung gelten läßt." „Die m diesem Falle für uns gottlob wenig in Betracht kommt, da Frau Klarius uns un erreichbar ist," bemerkte Heinrich trocken. „Und nun gute Nacht, Hans, ich brauche hoffentlich nicht fürchten, daß du dir durch ein paar ein studierte Phrasen den Kopf verdrehen läßt —" Hans hatte schon die Thür zu seinem Schlaf zimmer geöffnet. „Gute Nacht, Heinrich, wir verstehen uns heute nicht!" 21. Am nächsten Morgen ging HanS, ohne seinen Bruder begrüßt zu haben, schon früh aus dem Hause sort. Er hatte sein Skizzen- buch mitgenommen Md durchstreifte die Geqend am Ufer des Flusses. In der Ferne die Dome und Paläste des ewigen Rom und hier unten die blühende Schönheit einer unvergleichlichen Landschaft — ein Anblick, der das Herz immer wieder weitet, fo oft mau sich auch an dem herr lichen Panorama erfreut hat. Hans schien sehr glücklich heute, seine leuchienden Augen sahen nur halb verloren all die Schönheit, ihm schwebte ein blondes Köpfchen vor, dessen rosiges Gesicht von einer Wolke sanfter Trauer umhüllt war. Auf einer von starkdustender Winde um rankten Sleinbank verzehrte er mit bestem Appetit sein Frühstück und schlenderte dann langsam nach dem Kunstsalon. Lange brauchte er dort nicht zu warten. Eine junge Dame im Hellen Seidenkleide ver ließ einen Hotciwagen, vergeblich bemüht, sich mit dem Kutscher zu verständige«. Hans erkannte die Helle Stimme, die heute wieder einen so fröhlichen Klang hatte wie früher, und er eilte herzu. „Er soll hier warten," sagte Anni, auf den Kutscher deutend, „und das scheint er nicht be greifen zu können." „Mag er nach Hause fahren," entschied Hans, „ich bringe Sie in einer Stunde sicher ins Hotel zurück, Frau Anni." Sie betraten die Ausstellung. Die junge Frau mußte noch gewachsen sein, sie erschien größer noch und anmutiger als früher, nur nicht mehr so frisch und strahlend, ein Schatten ruhte auf ihrer Schönheit, ein Bann schien ihr neckisches, oberflächliches Wesen in Fesseln ge schlagen zu haben — Hans hatte recht, sie war
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