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Dr. Curtius der Nachfolger Dr. Stresemanns? Wirtschaftsministerium an die DVP. — „Freiheits gesetz vor der Ratifizierung des Houngplanes. Berlin, 6. November. Bereits am Mittwoch mittag hatte eine Besprechung von Vertretern des Zentrums und des Prälaten Leicht für die Bayerische Volkspartei beim Reichskanzler Müller stattgesunden/ Der Reichskanzler gab dabei seiner Ansicht Ausdruck, daß Umänderungen in der Besetzung der Nessons durch aus nicht angebracht seien. Er beabsichtige vielmehr, im Einverständnis mit dem Reichspräsidenten Dr. Curtius endgültig das Amt des Außenministers zu übertragen und der Deutschen Volkspartei die Benennung eines Kandidaten für das damit frei- werdende Neichswirtschastsministerium zu über lassen. Ueber die Personenfrage ist bisher nicht verhandelt worden. Man scheint jedoch der Volkspartei hierbei völlig freie Hand lassen. In der um 16,30 Uhr be gonnenen Besprechung der Führer der Regierungspar teien ist weiter vereinbart worden, den Reichstag vom 27. November ab ununterbrochen bis etwa zum 22. Dezember tagen zu lassen. Das Datum des 27. November als Tagungsbeginn ist gewühlt worden in der Erwartung, daß bis dahin das amtliche Ergebnis des Volksbegehrens vorliegt. Der Beamtenwirtschaftsbund in Braunschweig stellt seine Zahlungen ein. Hannover, 6. November. Der Veamtenwirtschasts- bund, dem eine Bantabteilung angegliedert ist, hat am Mittwochabend seinen E e s ch ä f ts b e t r i e b völlig eingestellt. Der Bankabteilung des Wirtschafts- bundes wurden, ähnlich wie das in Berlin bei der Bank für deutsche Beamte der Fall war, von den Reichs- und Staatsbehörden am Monatsende die Gehälter ihrer Beamten, die bei der Bank ein Konto hatten, über wiesen. Obwohl der Braunschweiger Beamtenwirtschafts bund und seine Bankabteilung mit der Berliner Bank in keinem irgendwie gearteten Zusammenhang steht, so hat sich die Berliner Katastrophe auf den Wirtschafts bund insofern ausgewirkt. als die Beamten durch die Berliner Vorgänge misstrauisch geworden, nicht nur das am Monatsende überwiesene Gehalt, sondern auch ihre sonstigen Guthaben von der Bank abhoben. Durch die starke Inanspruchnahme in den letzten vier Tagen waren die flüssigen Mittel der Bank völlig erschöpft, und da der Ansturm sich von Tag zu Tag verstärkte, sah sich der Braunschweiger Wirtschaftsbund am Mittwoch abend gezwungen, seinen Geschäftsbetrieb vollständig zu schliessen, da ihm die Mittel ausgegangen sind. Die Bank hofft allerdings, in den nächsten Tagen wieder flüssig zu werden. In unterrichteten Finanzkreifen wird jedoch der Status der Bank wesentlich ungünstiger beurteilt und inan befürchtet, dass der Beamtenwirtschaftsbund dem Konkurs kaum wird entgehen können. Ein deutsches Flugzeug in England abgestürzt. Sieben Tote. London, 6 Nov. Ein deutsches Verkehrsflugzeug, das den Flugplatz in Croydon um 9.44 Uhr Heuke vormittag mit der Bestimmung Amsterdam—Berlin ver lassen hatte, ist in der Nähe der Ortschaft Marden in der Grafschaft Kent in Flammen abgestürzt. Von den Insassen waren sieben auf der Stelle tot. Einer der Das im Volksbegehren geforderte „Freiheitsgesetz" wird damit vom Reichstag behandelt werden, ohne die Frage der erst nach der zweiten Haager Konfe renz akut werdenden Ratifizierung des Poungplans abzuwarten. In der Frage der Ehescheidungsreform, die im Strafrechtsausschutz des Reichstages zur Enthaltung des Zentrums von den Beratungen und zu einer Protest erklärung der Bayrischen Volkspartei geführt hatte, hat der Reichskanzler zugesagt, daß er sich inzwischen weiter um eine Verständigung bemühen will. Die Frage selbst soll jedoch zurückgestellt werden, bis vor allem der Poungplan erledigt worden ist. Keine Verzögerung der Voungplan- Verhandlungen. Berlin, 6. November. Die Regierung erklärte, daß der Volksentscheid noch in diesem Jahre durchgeführt würde. Daraus ergibt sich, daß die von verschiedenen Seiten geäußerte Besorgnis völlig unbegründet ist, als könnte durch die weitere Behandlung des Volksbegeh rens und der Volksabstimmung darüber die verfaffungs- mästige Erledigung der Beschlüsse der bevorstehenden zweiten Haager Konferenz und des Honngplanes eine Verzögerung erleiden. Passagiere ist, wie man annimmt, gerettet worden. Das Flugzeug hatte vier Passagiere und vier Mann Besatzung an Bord. Furchtbare Einzelheiten über den Flugzeugabsturz. London, 6. Nov. Von den ersten an der Absturz stelle des Flugzeuges „0 903" erschienenen Personen werden erschütternde Schilderungen über den Anblick der zerstörten Maschine gegeben. Alle stimmen darin über ein, daß das Flugzeug mit furchtbarer Gewalt auf die Baumkronen auffuhr, etwa 100 Meter durch die Baum spitzen raste, wobei ein Rad und andere Ausrüstungs gegenstände abgerissen wurden, bis es schließlich mit der Kabine und den drei Motoren mit etwa 100 Stunden meilen Geschwindigkeit aufschlug. Bei dem Aufschlag er- ereigncte sich eine, nach einer änderen Lesart zwei Erplo- sionen, die die Trümmerreste sofort in ein Flammenmeer verwandelten. Die Insassen, die bis auf Commander Kidstone, der Sekunden vor dem Aufprall abspringen konnte, das Bewußtsein verloren hatten, verbrannten bis zur völligen Unkenntlichkeit. Prinz Eugen zu Schaum- burg-Lipp« vermochte trotz schwerster Brandwunden noch aus dem brennenden Trümmerhaufen herauszukriechen. Er bot einen furchtbaren Anblick, hatte aber trotz der Brandwunden im Gesicht, an Beinen und Armen, das Bewußtsein nicht verloren und konnte noch einige An gaben über die Zahl der Reisenden machen. Lommander Kidstone hatte inzwischen den Flugplatz Lroydvn tele phonisch verständigt. Sehr kurze Zeit nach der Kata strophe stieg er mit einem Passagierflugzeug wieder auf, um seine Reise nach Berlin fortzusetzen. Für die Kotastrophe sind zwei Gründe bestimmend gewesen, die völlige Achtlosigkeit infolge des Nebels und die zu geringe Höhe des Flugzeugs. Ein Motoren defekt lag nicht vor, da zahlreiche Personen aussagen, daß sie das Flugzeug vor der Umkehr hörten und alles in bester Ordnung schien. Notlandung eines englischen Großflugzeuges. Das englische Großflugzeug „City of Oretoria", das sich auf einem Flug von Köln nach Nürnberg befand, und mit einem Piloten und zwei Fluggästen besetzt war, verirrte sich im Nobel, und mußte hier aus einer Wiese nahe der Kinzig notlanden. Die Landung ging ohne Schaden vor sich, doch war die Verständigung mit der hilfsbereiten Landbevölkerung sehr schwierig, da dis Engländer kein Wort Deutsch verstanden. Aus aller Wett. * Unterschlagung bei einem Stettiner Finanzamt. Bei der Kassenprüfung des Finanzamtes Stettin-Süd wurden Unterschlagungen in Höhe von 13 000 Mark festgestellt. Der Obersteuersekretär Gericke und der Steuersekretär Mau sind angeschuldigt, diese Verun treuungen begangen zu haben. Beide haben im Laufe der bereits eingeleiteten Voruntersuchung ihre Verseh lungen eingestanden. Die Unregelmäßigkeiten sind durch Fälschungen einer Buchungsmaschine, die von Mau bedient wurde, verdeckt worden. Die Beamten sind sofort ihres Dienstes enthoben worden und wer den sich vor dem Staatsanwalt zu verantworten haben. Schweres Grubenunglück auf dem Richthofen- Schacht. Auf dem Richthofen-Schacht der Eieschegrube bei Kattowitz ereignete sich am Dienstagabend kurz vor Beendigung der Schicht ein schwerer Unfall. Beim Zu bruchgehen eines Pfeilers auf der 430-Meter-Sohle wurden drei Bergarbeiter durch herabstürzende Ee- steinsmassen. erschlagen, zwei Arbeiter schwer verletzt. In demselben Flöz ereignete sich vor etwa vier Wochen ein ähnlicher Unfall, wobei fünf Bergleute verun glückten. * Weitere Zunahme der Arbeitslosigkeit in der Reichshauptstadt. Nach dem Bericht der Reichs anstalt für die Zeit.vom 28. Oktober bis 2. November stieg die Arbeitslosigkeit in der Berichtswoche weiter an. Die Kurve entsprach ungefähr der Entwicklungslinie des Vorjahres. Die stärksten Zugänge, in manchen Bezirken mehr als die Hälfte, kamen aus dem Baugewerbe. Die Saisonbelebung im Zusammenhang mit der Vorberei tung des Weihnachtsgeschäfts, die in erster Linie Frau- enbeschüftigung ist, konnte die Entlassungen nicht ganz ausgleichen. Die Zahl der Hauptunterstützungsempfän ger lag am Ende des Monats nahe an 830 000. Mithin dürfte die Arbeitslosigkeit, soweit ihre Entwicklung, (nicht der Umfangs durch die Bewegung der Haupt unterstützungsempfänger gekennzeichnet wird, zwischen dem 15. und 31. Oktober um rund 10 v. H. gestiegen sein. Im Vorjahre stieg sie in der gleichen Zeit, allerdings bei erheblich günstigerem Ausgangspunkt, um etwa 13 v. H. * Frecher Einbruchsdiebstahl in London. In einem bekannten Kleidergeschäft in der Oxfordstreet stahlen am Mittwoch am Hellen Tage Diebe, die mit einem Auto vorgefahren waren, nach dem Einschlagen der Fensterscheiben Kleider und Pelze im Werte von 80 000 Mark, darunter einen Nerzpelzmantel im Werte von 5000 Mark. Die Diebe konnten ungehindert entkom men. * Ueber zwei Millionen Menschen in China an Hnnger gestorben. Wie eine chinesische Telegraphen agentur mitteilt, sind in der Provinz Schansi im Laufe von vier Monaten 2 100 000 Menschen Hungers ge storben. Außerdem seien in dieser Provinz 1300 000 Menschen so krank, daß mit ihrem Tode zu rechnen sei. Die Hungersnot hat sich infolge der Kälte noch ver schärft. Die amerikanische christliche Mission ist nicht mehr imstande, zu helfen. Die amerikanische.Gesandt schaft Hut sich an Präsident Hoover gewandt und ihn gebeten, eine Hilfsaktion des amerikanischen Volles zu gunsten der hungerleidenden Chinesen einzuleitcn. * Große amerikanische Koldsendung für Frank reich. Die der Cunard-Linie angehörende „Bereu- garia", die am letzten Dienstag in Cherbourg vor Anker ging, führte aus Neuyork 76 sorgfältig be wachte Kisten mit sich, in denen sich rund 4V? Tonnen Gold im Werte von 3 000 275 Dollar befanden, die aus Rechnung einer Pariser Bankfirma in Amerika gekauft waren. Das einsame Haus. Roman von M. Nicholfom 27> (Nachvruck oerboieny „Das Sternenbanner muß aus allen Meeren wehen. Was wir brauchen, sind nicht Panzerkreuzer, sondern Handelsschiffe," entströmte es eintönig Taylors Lippen, ohne daß John hörte, was er sagte. Seine Aufmerksamkeit galt allein Olivia Armstrong. Ihr Rock war etwas länger als gewöhnlich, ihr elegantes graues Kostüm mit gleichfarbigem modischen Hut und das sorgfältig frisierte Haar darunter ließen sie um vier bis fünf Jahre älter erscheinen. Es war nicht die Olivia mit der roten Wollmütze, das junge Mädchen, das Kahn suhr und Kaninchen jagte; auch nicht die träumerische Organistin in der Kirche, sondern eine junge Dame, die schon etwa zwanzig Sommer gesehen hatte und eine Atmosphäre der großen Welt ansstrahlte. Einmal wäh rend ihres 'Gespräches mit Pickering schüttelte sie den Kopf und lächelte traurig. John glaubte, diesen Blick schon ein mal gesehen zu haben, konnte sich jedoch nicht ent sinnen, wo. „In künftigen Jahren werden wir den Handel der Welt beherrschen. Unsere Fabrikate sind schon heute un erreicht, aber was wir erzeugen, muß auch vertäust wer den, nicht wahr?" sagte Taylor. „Ohne Zweisel," murmelte John Glenarin mechanisch. Wer war Olivia Armstrong und in welchen Be stellungen stand sie zu Pickering? Dabei fiel ibm die Be merkung ein, die sie ihn, gegenüber nach ihrer Begegnung in der Kirche fallen gelassen hatte. „Anscheinend belieben Sie unsere erste Begegnung zu übersehen," hatte sie gesagt. Diese Äußerung, die er damals kaum beachtet und für das müßige Geschwätz eines Schulmädels gehalten hatte, gab ihm nun zu denken. Konnte es sein, daß er ihr schon irgendwo früher begegnet war? Der Blick, den er vorhin von ihr ansgefangen hatte, kam ihm allerdings bekannt vor, aber seine fast fünfjährige Abwesenheit von der Heimat schaltete jede solche Möglichkeit aus. Mittlerweile war der Expreßzug dröhnend in den Bahnhof eingefahren. Das Ankuppel» des Salonwagens nahm die Aufmerk- lamkeil des alten Herrn vollständig in Anspruch. John wollte sich eben empfehlen, als Pickering mit einigen Tele grammen in der-Hand herbeigelaufen kam. „Es tut mir furchtbar leid, Glenarm, daß wir uns nicht länger sehen konnten," erklärte der Rechtsanwalt mit einem bedauernden Lächeln um die Lippen, aber mit den Augen ans dem Zugführer, der eben die letzten An weisungen siir die Abfahrt erteilte. „Wohin führst du?" fragte John. „Zuerst nach Kalifornien zur Erholung und dann ge schäftlich nach Kolorado. Ich komme erst Anfang Januar wieder zurück." „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß man so schnell aufwachsen kann." Die Damen bestiegen den Salonwagen. John ver abschiedete sich von ihnen und Taylor. Dieser drohte noch, dem jungen Manne seine Broschüre über die Not wendigkeit der amerikanischen Marine zuzusenden, und wandte sich darauf Pickering zu. '-Schade, daß sie nicht mitfährt,- sagte er. „Sie muß sich hier schrecklich langweilen, das arme Ding." „Darin irren Sie sich," rief John den beiden nach, nut einem Seitenblick auf Pickering. „Das Leben in Fairvale ist nichts weniger als eintönig, und wenn die Leute hier besser schießen könnten, gäbe es Morde in Hülle und Fülle." Fünfzehntes Kapitel. Eine Verabredung. Der Bahnsteig hatte sich inzwischen gelichtet, aber es war noch eine Anzahl Schülerinnen zurückgeblieben, die aus den etwas verspäteten Expreßzug nach dem Süden warteten. Tas Mädchen in Gran war von etwa einem halben Dutzend Studentinnen umringt, die eifrigst auf sie eiusprachen. Als John auf sie zutrat, hätte er sich am liebsten für die Dummheit geohrfeigt, eine erwachsene junge Dame für ein Schulmädchen von fünfzehn bis sech zehn Jahren gehalten zu haben. Aber die rote Wollmütze, der fast kniefreie kurze Rock und besonders die jugendliche Lebenslust, die in ihren Augen funkelte, hatten sie wirkungs voll verkleidet. John hatte es sich anfänglich nicht be sonders schwierig gedacht, sich ihr mit einem Abfchisds- gruß zu nähern, aber die paar Zoll des längeren Rockes und der elegante graue Hut an Stelle der roten Wollmütze errichteten eine Schranke um sie, die immer höher wurde, je näher er ihr kam. Erst jetzt schien sie ihn zu bemerken und nickte ihm freundlich zn, worauf sich ihre jungen Gefährtinnen so fort aus eine diskrete Entfernung zurückzogen. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß man so schnell aufwachsen kann, säst über Nacht," sagte er mit etwas erkünstelter Heiterkeit. „Das macht die gute Luft; sie wird allseitig gelobt, wie im Prospekl zu lesen ist." Ihre schelmische Erwiderung befreite ihn nicht aus seiner Besangenheit. Er wollte ihr tausend Dinge sagen, unzählige Fragen an sie stellen, aber ihre Sicherheit brachte ihn inimer mehr aus der Fassung. Zudem verstärkten ihre azurblauen Augen, die ernst aus ihn gerichtet waren, die verwirrende Erinnerung an einen anderen Ort, eine andere Zeit und ein anderes Mädchen. „Ich wußte »steht, das; Sie Artur Pickering kennen," bemerkte er nach einer Weile. „Er ist ein alter Freund von mir." „Das hat er mir gesagt." „Wir waren einmal Nachbarn" „Auch das glaubte ich seinen Worten zu entnehmen." „Und woher kennen Sie ihn?" fragte nun John mit erwachender Neugwroe, doch die junge Dame batte sü abgewnndt und horchte nach dem Norden zu, von wo ein Dröhnen das Nahen eines Zuges vcrkündigtte. (Forlsitzung lolgl.)