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Deutsche Kabinettsitzung im Haag. Haag, 12. Aug. Reichsaußenminister Dr. Strese mann stattete heute vormittag dem englischen Archen minister Henderson einen BesuMab. Die Reichsmini ster Wissel! und Severing werden heute vormittag hier erwartet. Im Laufe des Tages wird eine Beratung der zurzeit im Haag anwesenden sechs Reichsminister vorgesehen. Wissell und Severing werden voraussicht lich heute abend wieder nach Berlin zurückkehren. Haag. 12. August. Die Reichsminister Wissell und Severing sind am Montag vormittag hier eingetroffen. Da Curtius und Hilferding vor mittags an der Sitzung des Finanzausschusses teilneh men, und Dr. S t r e s e m a n n und Dr. Wirth nach mittags an den Arbeiten des politischen Ausschusses, wird die vorgesehene Besprechung der sechs Reichsmini ster voraussichtlich im Anschluß an das Frühstück am Montag nachmittag um 4 Uhr erfolgen. Die Bespre chung wird die Frage der Arbeitslosenversicherung be handeln. Der Eindruck des Telegramms. — Vertagung im Haag? Haag, 12. Aug. Auf französischer Seite wird heute früh erklärt, daß nach dem Telegramm des eng lischen Ministerpräsidenten an Snowden eine Einigung zwischen England und Frankreich über die finanziellen Fragen fast jede Wahrscheinlichkeit verloren habe. Die französische Abordnung wolle jedoch mit Rücksicht auf die holländische Regierung es nicht zu einem geräuschvollen Abbruch kommen lassen und sich mit einer Ver tagung aus einen späteren Zeitpunkt begnügen. Weiter wird jetzt auf französischer Seite erklärt, die Konferenz wäre „ungenügend vorbereitet", die angeschnittenen Fragen wären noch nicht genügend geklärt gewesen. Nus dem Grunde hält man es in französischen Dele gationskreisen nicht für ausgeschlossen, daß am Donners tag oder Freitag die Konferenz formell durch einen Ver- tagunqsbeschluß unterbrochen wird. Diese in den Montagmorgenstunden von der fran zösischen Delegation ostentativ betonte Auffassung muß zunächst stark taktisch bewertet werden. Die französische Regierung verfolgt offensichtlich die Absicht, die Oeffent- lichkeit in dem Sinne zu beeinflussen, daß ein Zusam menbruch der Konferenz ausschließlich der englischen Ne gierung zu Lasten zu legen sei. Es muß darum darauf hingewiesen werden, daß Frankreich nach dem Poung- plan derartig ungeheure Vorteile finanzieller Art er halten würde, daß der von England geforderte Betrag für Frankreich überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Auf die Erfüllung der beiden übrigen Forderungen, Ab änderung der Beteiligung am ungeschützten Teil und andersartige Regelung der Sachlieferungen kann Frank reich ernsthaft keine Schwierigkeiten bereiten. Es muß daher jetzt bereits festgestellt werden, daß im Falle eines Zusammenbruchs der Konferenz die Verantwortuna hierfür ausschließlich auf die fran- zösche Regierung fällt. Sollte es tatsächlich noch im Laufe dieser Woche zu einem Abbruch der Konferenz kommen, so wird von seiten der deutschen Regierung mit größter Entschiedenheit die Forderung ausgestellt werden müssen, daß unabhängig von dem Zusammenbruch der finanziellen Verhandlun gen wenigstens die politischen Fragen der Nheinland- räumunq und die Erledigung der mit der Vergleichs kommission zusammenhängenden Fragen weiter beraten werden. Auch Lloyd George für Snowden. Vermittlungsaktion Morgans und Lamonts. London, 12. Aug. Nach dem Verlauf der gestrigen Verhandlungen im Haag wird in einem Teil der Mor genblätter die Möglichkeit e i n e r V e r t a g u n g d e r K o n f e r e n z in den Vordergrund gerückt. Vor läufig herrscht aber in Uebereinstimmung mit der ver hältnismäßig optimistischen Auffassung der englischen Abordnung der Eindruck vor, daß kein Grund vorliege, einen Abbruch der Verhandlungen zu erwarten Das Telegramm Macdonalds an Snowden fin det n a ch d r ü ck l i ch B i l l i g u n g und wird als nütz- üch angesehen, da es nach hiesiger Auffassung die etwas hartnäckigen Zweifel in nichtenglijchen Kreisen besei tigen sollte, daß es entweder Snowden nicht ganz so ernst war oder daß über die von ihm vertretene Auf fassung durch die Zustimmung des Ministerpräsidenten Macdonald hinweggegangen werden könnte. Inzwi schen hat auch Lloyd George eine Erklärung ab gegeben, in der er die volle Billigung der Haltung Snowdens aus spricht und seiner Hoffnung Ausdruck gibt, daß er hierzu stehen wird. Das ist nur noch eine äußere Bescheinigung der unleug baren Tatsache. daßSnowdenEnglandhinter sich hat und haben wird, auch wenn es zum Abbruch kommen sollte und seine Hartnäckigkeit naturgemäß in der etwaigen Behandlungen der Schuldenfrage eine Rolle spieln würde. Neben der Möglichkeit einer Vertagung der Kon ferenz bis September oder November, die von Briand begünstigt werden soll. wird einer Aktion der amerikanischen Bankiers Morgan und Lamont größte Beachtung beige messen. Ueber die Art dieser Vermittlung wird aber ebenso wenig bekannt wie über den Inhalt der Verhandlun gen Lamonts mit Macdonald in Edinburgh. Es steht ganz außer Zweifel, daß die Amerikaner Anstrengungen machen wollen, einen Zusammenbruch der Konferenz zu vermeiden, aber es ist höchst ungewiß, ob sie in einem einseitigen Druck auf die englische Delegation hierzu ein geeignetes Bild sehen werden. Aus aller Well. * Schweres Autounglück in Charlottenburg. Wegen eines schweren Verkehrsunfalls und einer Verkehrs störung wurde die Berliner Feuerwehr am Sonnabend um 9 Uhr abends nach der Sophie-Charlottenstraße. Ecke Kaiserdamm alarmiert, wo zwei Kraftfahrzeuge in der Nähe des Messgeländes zusammengestoßen waren. Sechs Personen hatten so schwere Verletzungen erlitten, daß sie von der Feuerwehr unverzüglich nach dem Kran kenhause Westend gebracht wurden, wo sie operiert wer den mußten. Beide Fahrzeuge waren stark beschädigt und wurden abgeschleppt. Eine Menge Glasscherben und Blutlachen blieben an der von vielen Menschen umlagerten Unfallstelle zurück. Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt. Von den sechs Schwerverletzten starben zwei nach kurzer Zeit. * Festnahme jugendlicher Banditen. Der Berliner Kriminalpolizei ist es gelungen, eine mehrköpfige Ein brecherbande festzunehmen. Die Beamten entdeckten in den Schonungen in der Nähe des Jagdschlosses Grune wald ein Zelt, in dem fünf Burschen im Alter von 17 bis 23 Jahren zusammen mit sechs Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren ein regelrechtes Banditenleben führten. Es stellte sich heraus, daß die Bande an die vierzig Geschäftseinbrüche auf dem Kerbholz hat. Von der Beute ist nichts mehr vorhanden. / RiesenLrand in Memel. In Memel wütete ein Großfeuer, das in der Schälfabrik Luisenhof, die der holländischen Gesellschaft Bisdon L Zoon gehört, aus brach. Das Feuer wütete fast die ganze Nacht hindurch. Die Fabrik ist bis auf zwei Räume vollständig nieder gebrannt: nur die Ringmauern stehen noch. In der Fabrik wurden 80 Arbeiter beschäftigt, das Unterneh men ist das zweitgrößte im Memelgebiet. Bereits vor sechs Jahren war diese Fabrik, und zwar ebenfalls ge nau am 9. August, niedergebrannt. Sie wurde dann wieder aufgebaut und mit den modernsten Maschinen nusgestattet. Der Brandschaden wird auf mindestens zwei Millionen Reichsmark geschätzt. * Schwerer Orkan an der chilenischen Küste. Nach einem Telegramm aus Santiago (Chile) hat in der Nacht zum Sonntag ein furchtbares Unwetter die Küste von Chile heimgesucht und ungeheuren Schaden ange richtet. Zwei britische Kreuzer mußten die Anker lich ten und in See gehen. Ein Schleppdampfer ist gesun ken, wobei der Kapitän ertrank. Der Hafendamm von Antofagasta ist vollständig zerstört. * Neues Kapitalverbrechen in Breslau. Am Sonn tag ereignete sich in Breslau wieder ein Kapitalver brechen. Der 22jährige Jendrischek drang in die Woh nung seiner Tante, einer Frau Hering, ein und schoß sie nach lebhaftem Wortwechsel nieder. Die schwerver letzte Frau stürzte sich aus dem Fenster und blieb auf der Straße liegen. Inzwischen war ihre Freundin, Frau Hilse, in die Wohnung geeilt. Sie wurde von Jendri schek niedergeschossen und war sofort tot. * Die Kasse des Luftschiffes wiedergefunden. Die Kasse des Luftschiffes, die angeblich in Lakehurst abhan den gekommen sein soll, hat sich'wieder im Luftschiff eingefunden. Es scheint sich bei der ganzen Geschichte um ein Mißverständnis zu handeln. Man wußte an fangs nicht, wer die Kasse in Verwahrung genommen hatte, was eine erhebliche Beunruhigung hervorrief und wohl auch den Anlaß zu dem Gerücht gab. Erst bei der Landung in Friedrichshafen wurde bekannt, daß die Kasse sich tatsächlich noch in Verwahrung der Be satzung befand. * Urlaub des Reichspräsidenten. Reichspräsident v. Hindenburg verließ am Sonntagabend Berlin, um sich nach Dietramszell zu begeben, wo er seinen Urlaub verbringen will, * Die „Note Fahne" polizeilich beschlagnahmt. Die „Rote Fahne" vom 11. August ist auf Grund ihres auf reizenden Inhalts gemäß 8 23 Ziffer 3 des Reichspresse gesetzes in der Auflage von 30 000 Exemplaren polizei lich beschlagnahmt worden. * Ein Lastauto mit vierzig Kindern umgestürzt. Auf der Chaussee Selchow—Waßmannsdorf, unweit von Lichtenrade, hat sich ein schwerer Unglücksfall er eignet. Ein Lastauto mit vierzig Waßmannsdorfer Schulkindern, die sich auf der Rückfahrt von einer Ver- fassnngsfeiet in Selchow befanden, kippte kurz vor dem Dorfe Waßmannsdorf in einer Kurve um. Die Kinder stürzten auf die Straße, wobei zehn Kinder von 6 bis 14 Jahren erheblich verletzt wurden. Die Schuld des Unglücks soll den Führer des Lastkraftwagens treffen, der — nach Mitteilung der Polizei — bezecht gewesen sein soll. * Gefecht zwischen Somjetleuten und Weißgardisten. Beim Dorfe Tscherniaevo am Amurufer überfielen rus sische Weißgardisten, von der chinesischen Seite kommend, eine Somjetpatrouille. Es gab zwei Tote und acht Ver wundete. Die Sowjetbehörden entsandten ein Kanonen boot und einen kleinen Truppenteil. — Wie Reuter aus Peking meldet, ist zuverlässigen Berichten aus Charbin zufolge einige Kilometer westlich von Charbin ein Gü terzug in die Luft gesprengt worden. Vierzehn Wagen wurden zerstört. Es handelt sich um einen Sabotage akt. In Chalantun (?) waren Brandstifter am Werke. In der Nähe von Lhailar drangen bewaffnete Banden, die von jenseits der Grenze kamen, bis zur Bahnlinie vor und rissen eine kurze Strecke weit die Schienen auf. Eine große Zahl der sowjetrussischen Angestellten der Ostchinesischen Eisenbahn hat ihre Entlassungen ge geben. Schweres Blut. Roman von Emmi Lewald. 28) (Nachdruck verboten.) Hartking schwieg und trommelte weiter an den Scheiben. Der andere trat neben ihn. „In meinen Mußestunden, wenn mal niemand ins Museum kommt — was oft stundenlang der Fall ist, falls nicht gerade mal ein Liebespaar sich da verabredet hat —, in diesen faulen Stunden lese ich immer noch sehr viel Schopenhauer. Wissen Sie, wie damals, in dem Bahn zug hinter Irkutsk, als wir fälschlich irgendwohin trans portiert wurden, wo wir angeblich erschossen werden sollten. Gerade heute blätterte ich wieder in dem Band, las das Diktum: Die Welt ist öde und das Leben lang. Sie, lieber Freund, stehen da an meinem Fenster wie eine Illustration zu jener traurigen Zeile." Hartking lachte kurz. „Verzeihen Sie," sagte er. „Ich bin kein erfreulicher Gast. Ich bin nur hergeritten, um Stunden totzureiten. Die Tage gehen zu langsam. Ich habe eine Schicksals frage gestellt, die sich morgen mittag entscheidet. Ich bin aus dem Gleise, seit ich das tat. Ich tat es eines Abends ganz schnell und schickte den Brief sofort ab, um mich davor zu schützen, ihn nicht zu zerreißen. Ich wollte diese eine Frage wagen und wußte, daß ich's bei längerem überlegen doch nicht tun würde. Ich habe das Fräulein von Wessen- berg gefragt, ob sie sich entschließen könnte, meine Frau zu werden. Und weil ich niemanden habe, mit dem ich mich über diesen Fall aussprechen könnte, und weil es mir, wie man sagt, „das Herz abdrückt", bin ich zu Ihnen ge- kommen. Sie kennen sie ja von jenem Abend her." „Allerdings," sagte der Freund betreten. „Und Sie glauben natürlich nicht, daß sie es tun wird?" „Ich kann es mir schwer vorstellen," sagte der Freund langsam. „Aber vielleicht sind seit jenem Augenblick, als sie Ihnen hoheitsvoll und schnöde den Armreif hinlegte, den Sie ihr so freundlich gesinnt schenken wollten, Dinge zwischen Ihnen und ihr vorgekommen, die jene Abgründe zuschütteten, die an jenem Abend so metertief klafften, wie sie das ja auch fast in jedem Wort und jeder Bewegung merken ließ. Ich kann nicht leugnen, daß ich damals dank dieser Bekanntschaft die Gefühle des französischen Revolu- tionspöbels so einigermaßen verstehen lernte, die sein Gemüt erfüllte, wenn die Aristokratenköpfe unter der Guillotine fielen. Ich fühlte mich zu sehr Ihre Partei und war empört." „Ich könnte nicht behaupten, daß seitdem etwas zwischen uns vorgekommen wäre mit ermutigenderer Ton- art von ihrer Seite — aber ihr Bild hat sich trotzdem in meinen Augen sehr stark und ^u ihren Gunsten verändert. Und das liegt wesentlich in ihrem Verhalten gegen den Jungen, der ja den Sommer über auf dem Schloß lebte „Sie, lieber Freund, stehen an meinem Fenster wie «ine Illustration zu ,enen traurigen Fragen." und von seiner Mutter stark vernachlässigt wurde. Mit ihrer prinzipiellen Ablehnung des Bauernblutes hat sie mit diesem Kinde eine Ausnahme gemacht. Sie hat ihn wie eine richtige mütterliche Frau an ihr Herz genommen und ganz die Idee ausgeschaltet, daß gerade er als Erbe doch der Haupteindringling in ihre geweihten Kreise ist. Und weil ich nur an Frauen, die mütterlich sind, Gefallen finden kann, habe ich mein Urteil über sie plötzlich ge ändert." „Nun," sagte der andere ungläubig. „Kinder unter sechs Jahren, wenn sie hübsch sind — so wie all dies physisch so anziehende Kindervölk in unseren Weser- dörsern, hat jedes weibliche Wesen gern —, und in den gewissen Jahren haben sie ja doch quasi nicht Rung und Stand, sind gewissermaßen bloß Kind als solches. Passen Sie auf, wenn Ihr Neffe erwachsen ist und so als aus gewachsener echter Hartking ihre Wege kreuzt, sieht sie ihn auch nicht mehr an/ „Ich möchte in diesem Falle nicht skeptisch sein," sagt- Hartking langsam. „Ich möchte glauben können wenigstens bis morgen mittag." „Ich sehe mit Sorge, wie tief es Ihnen geht. Fast möchte ich Sie beneiden. Ich, der ich immer nur so oben hin lieben konnte; — aber wie ich diese Dame nun einmal taxiere, steht sie, fürchte ich, nur eine unglaubliche An maßung in Ihrem Schritt, der ja auch, rein objektiv ge nommen, ein origineller Beleg für die Verschiebung der Kastenverhältnisse ist." „Den Mut zu meiner Frage hat mir weniger der Glaube an eine veränderte Meinung über mich gegeben als weit mehr die trostlose Lage, in der sie sich befindet und die mein Mitleid im höchsten Grad» erregt hat." „Nun jal Wenn Sie es aus Mitleid tun! Dann aber steht die Sache auch auf einem ganz anderen Blatt." „O nein, ich wünsche es nur aus Egoismus. Weil mich keine andere Frau verlockt als diese. Aber vielleicht wäre es nur beim Wunsch geblieben. Den Mut gab mir der völlige Ruin ihrer Verhältnisse, den sie sich plötzlich klargemacht hat und aus dem sie nun die Konsequenz zog, von Haus und Hof wegzugehen." „Sie, die doch damals das Hausen hinter ihrem Wassergraben in dem alten Feudalschloß als einzig mög liche Lebensform erklärte?" „Ja, sie geht. Sie packt bereits und nimmt das In ventar auf. Sie will irgendwelche Geschenke von meiner Seite ebensowenig wie damals den Armreif. Wie soll ich sie also halten? Ich kann ihr doch nicht anbieten, ob sie Erzieherin meines Neffen werden will. Oder Kustode, falls das Schloß unter Denkmalsschutz kommen sollte und ich meine Sammlungen dort unterbringe. Ich kann ihr doch nur das eine anbieten: den ganzen Besitz und die ganzen Rechte über alles, was ihr früher gehörte. Und unter einer anderen Form als einer Ehe mit mir geht es nicht!" „Ich finde Sie sehr großmütig, offen gestanden," rief der Freund und strich kopfschüttelnd über die Stirn. „So, wie Sie die Dinge behandeln, fordern Sie sie ja fast auf, Sie um Ihres Besitzes willen zu nehmen, als Ausweg, „Nettungsmann". um nicht von der Scholle weg zu müssen." Hartking drehte sich nm. (Schluß folgt.)