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Verhandlungen ohne Ende. Aber kein Resultat. Berlin, 12. Juli. Zur Inkraftsetzung des Poung- planes bzw. zur Vorbereitung der Uebergangsmatz- nahmen, die zu der Ueberleitung vom Dawesplan zum Aoungplan erforderlich sind, ist bekanntlich eine Reihe von Konfe renzen geplant, Uber die Verhandlungen geführt wer den. Den Stand dieser Verhandlungen kann man wie folgt zusammcnfassen. Geplant sind drei Konferenzen: 1. Konferenz der Negierungen, die sich mit der I n- k raftsetz ung desPoungplanes und den po litischen folgen derselben beschäftigen soll. 2. Eine K o n f e r e n z derLeiter der No tenbanken, die sich mit der Frage des Statuts der Bank für internationale Zahlungen beschäftigen soll und die theoretisch gleichzeitig mit der Konferenz der Regierung zur Inkraftsetzung des Poungplanes stattfin den soll. 3. Eine Organisationskommission zur Regelung der Ueberleitungsfragen. Die deutsche Regierung hatte vorgeschlagen, daß diese Konferenz am 15. Juli stattfinden sollte und hat hierfür ihre Vertreter bereits ernannt. Das Nepara tionskomitee in Paris hat fedoch die Ernennung der alliierten Vertreter nicht vollzogen, weil die englische Regierung den Aoungplan nicht angenommen hat. Die Verhandlungen über die Regierungskonferenz werden augenblicklich zwischen London und Paris geshürt, die sich jedoch weder in der Frage des Konferenzortes noch in der Frage des Programmes haben einigen können. Deutschland hat sich hingegen an der Frage des Konfe renzortes als nicht interessiert erklärt. Die Verhandlungen, wann die Präsidenten der No tenbanken zusammentreten sollen, scheinen bisher über haupt noch nicht ausgenommen worden zu sein. Offenbar will man die Frage erst entscheiden, nachdem feststeht, wann und wo die Konferenz der Re gierungen stattfinden wird. Die Frage einer Einberufung des sogenannten O r- g a n i s a t i o n s k o m i t e e s ist zur Zeit ins Stocken geraten und zwar infolge der Erklärung der Repara- rationskonferenz. Danach hat Herr von Hoesch am Donnerstag noch einmal in Paris den Stand punkt der deutschen Regierung übermittelt, die der An sicht ist, das? diese Konferenz unabhängig von der Kon ferenz der Regierungen bereits vorher zusammentreten mutzte. Zurzeit dürften in der Angelegenheit Verhand lungen zwischen Paris und London im Gange sein, die jedoch vor der Entscheidung über die Regierungs konferenz kaum zu einem Ergebnis führen dürften. Es Paris, 11. Juli. Die Kammersitzung, in der Poin- care nochmals alle seine Ausführungen, die er vor dem Auswärtigen Ausschutz und dem Finanzausschutz im Laufe der letzten Zeit gemacht hatte, wiederholen und vertiefen will, begann um 3 Uhr nachmittags. Trotz tropischer Hitze in der Stadt ist es kühl im Palais Bour bon, in dem die Abgeordneten sehr zahlreich versammelt sind. Fast sämtliche Minister sind anwesend. Sofort nach Eröffnung der Sitzung erteilt der Prä sident dem Ministerpräsidenten das Wort. Nach weni gen einleitenden Worten ging Poincare bereits auf die einzelnen Fragen ein. Das Haus folgt ihm kühl und kritisch und kargt mit Beifall. Lauter Widerspruch er hebt sich mehrfach auf den Bänken der Linken, doch kommt es nicht zu längeren Unterbrechungen. Poincare wies zunächst auf den engen Zusammen hang zwischen den interalliierten Schulden einer seits und dem Aoungplan andererseits hin. Er warnte vor der Nichtratifizierung, die niemand verstehen und die die ehemaligen Verbün deten Frankreichs aufs schärfste verurteilen würden. Falls die Kammer kein Vertrauen zur gegenwärtigen Regierung habe, datz diese die kommenden Verhandlun gen gut führen werde, sollte sie der Negierung ihr Ver trauen entziehen. Wenn der Aoungplan in Kraft trete, würden die Zahlungen Deutschlands durch Vermittlung der inter nationalen Bank direkt an Amerika erfolgen. Autzer- gewöhnliche Erregung bemächtigte sich der Kammer, als Poincare die Kammer fragte, ob sie sich die Folgen einer eventuellen Ablehnung des Poungplanes überlegt Hütte. Werde Deutschland, so erklärte Poincare, nicht so fort etwa folgendes erwidern: Ihr habt von uns Deut schen eine Verpflichtung über 62 Jahre im Aoungplan verlangt und mit der französischen Verpflichtung be gründet, an die Bereinigten Staaten gleichfalls 62 Jahre zahlen zu müssen? Wenn das Abkommen mit Amerika nicht ratifiziert wird, dann liegt für uns Deutsche keinerlei Veranlassung vor. uns allein euch gegenüber für 62 Jahre zu binden. Das würde für Deutschland eine völlig neue Lage ergeben und der Aoungplan wäre gefährdet. Poincare führte sodann des weiteren aus, datz die Vereinigten Staaten und England bereits seit längerer Zeit der französischen Regierung mitgeteilt hätten, datz sie niemals einer bedingten Ratifizierung mit Vorbehal ten zustimmen würden. Wenn die Kammer die jetzige Regierung stürzen wollte, so würde nichts gewonnen sein. Man dürfe niemals die Erfüllung internatio naler Verträge von innerpolitischen Verhältnissen ab hängig machen. Die Auffassung, datz das Cchuldenab- kommen ratifiziert werden müsse, vertrete die franz. Regierung keineswegs mit Begeisterung, sondern nur aus Pflichtgefühl. Wenn es ihr nicht gelänge, mit ihrem Standpunkt bei der Mehrheit der Kammer vorzudrin ¬ mutz daher damit gerechnet werden, datz der Zusam mentritt des Organisationskomitees sich bis in die ersten Augusttage verzögern wird. Zusammenfassend kann man somit feststellen, datz die Inkraftsetzung des Aoungplanes in der Haupt sache durch die englisch-französischen Differenzen verzögert wird, während die deutsche Regierung abwartet, was sich daraus entwickeln wird. Englands Wille zur Räumung. London, 12. Juli. Der britische Botschafter in Paris, Lord Tyrrell, hat gestern auf telegraphische An weisung seiner Negierung in Paris erneut Schritte un ternommen, und auf den dringenden Wunsch der briti schen Negierung hingewiesen, die kommende Konferenz in London abzuhalten. Der diplomatische Mitarbeiter des Daily Telegraph hört, datz die britische Abordnung auf der Konferenz die Frage der sofortigen und voll ständigen Räumung des Rheinlandes durch die alliier ten Truppen anschneiden werde. Das britische Ziel gehe dahin, während des ersten Teiles der Konferenz eine feierliche Erklärung der Besatzungsmächte für die baldige und vollständige Räumung zu erwirken. Die britische Abordnung werde nicht unversucht lassen, zu einer Uebereinstimmuna mit der französischen und bel gischen Abordnung zu gelangen. In amtlichen Kreisen werde aber die Tatsache immer wieder in den Vorder grund gestellt, datz, wenn Frankreich u. Belgien der Be weisführung Grotzbritanniens nicht beitreten könnten und auf der Fortsetzung der Besetzung beständen, Grotz- britannien nicht gezwungen sei, seineTruppen im Rhein- lanme zu lassen. Räumungsvorbereitungen in der 2. Zone. Koblenz, 12. Juli. Das Reichsvermögensamt er hielt ein Schreiben der französischen Kommandantur, worin Anweisung für den Abtransport von Vorräten, Wohnungs- und Bureau-Einrichtungen und sonstigem Materiaj der Besatzung gegeben wird. Es ist dies die erste Mitteilung an eine deutsche Stelle, woraus sich er sehen lätzt, datz tatsächlich in der K o b l e n z e r Zone Vorbereitungen zur Räumung getroffen werden. Die Vorräte und das Material werden nach der dritten Zone geschafft. Dorthin sollen demnächst auch eine Anzahl amtlicher Besatzungsstellen verlegt werden, worauf wohl die Forderungen nach Wohnungsstellung in der dritten Zone zurückzuführen sind. Von der Ver legung von Truppen nach der dritten Zone ist bisher nichts bekannt. gen, so würden sich hieraus die ernstesten Folgen für Frankreich ergeben. Poincare erinnerte daran, datz sich die finanziellen Beziehungen zu Amerika im Juni 1918 so schwierig gestaltet hätten, datz es einer persönlichen Bitte Clemcnceaus bedurft habe, um eine weitere An leihe in Höhe von 200 Millionen Dollar zu erhalten. Stück für Stück habe man dem amerikanischen Schatz amt entreitzen müssen, um den Krieg fortzusetzen. Hierauf kommt es zu einem lebhaften Meinungs wechsel zwischen Poincare und einigen Abgeordneten der Kammer, wobei Marin es bedauert, datz der Bot schafter Claudel in seiner letzten Unterhaltung mit dem amerikanischen Staatssekretär Simson nicht die Frage angeschnitten hätte, ob Amerika bereit sei, alle Kriegsschulden zu streichen. Poincare erwidert, datz Amerika stets den Stand punkt vertreten hätte, datz es nicht einen Centimes seiner Forderung preisgeben werde, und datz cs nur in der Frage der Zinsen nachzugeben bereit wäre. Im übrigen sei der Versailler Friedensvergleich, obwohl Marin und der Sozialist Auriol gegen ihn gestimmt Hütten, heute eine Tatsache, mit der man rechnen müsse. Der Sozialist Vincent Auri o,l unterbricht Poin care, und erinnert an die Umstünde, unter denen die sozialistische Partei den Versailler Friedensvertrag be kämpfte, weil er die Idee der Annektion über die der internationalen Solidarität gestellt habe. Die Inter essen Frankreichs wären besser gewahrt worden, wenn man das linke Rheinufer für Frankreich verlangt hätte. Heute sei es leider zu spät. Poincare erwidert, datz keine französische Negierung das linke Nheinufer gefordert hätte s?f. Er wird hierin von Franklin Bouillon unterstützt, der feststellt, datz der Kammerausschutz sür auswärtige Angelegenheiten wäh rend der Versailler Friedensverhandlungen einstimmig erklärt habe, datz Frankreich jede Idee einer Annektion ablehne s?f. Nach einer kurzen Unterbrechung der Sitzung fuhr Poincare in seiner Rede fort. Frankreich besetze, so er klärte er, keine praktischen Mittel, um Amerika zum Verzicht auf seine Forderung zu veranlassen. So einig beide Völker einst gewesen seien, das Schicksal Hütte aus dem einen den Gläubiger, aus dem anderen den Schuld ner gemacht. Auf einen Einwurf hin erklärte Poincare, datz man nach dem Kriege versucht hätte, beispielsweise in Spa, die Kriegslasten gerechter zu verteilen, jedoch vergeblich. Der Kaufabschluss über die amerikanischen Waren in Höhe von 400 Millionen Dollar sei nicht gün stig gewesen. Man hätte weder die Stabilisierung des Franken, noch die Entwertung der Waren vorher gesehen. Der Verkauf der Waren Hütte nur 270 Millio nen Dollar eingebracht, der Verlust betrage somit 130 Millionen Dollar. Jedoch besähen die Amerikaner die französischen Schuldverpflichtungen, die unweigerlich am 1. August beglichen werden mutzten, falls nicht ratifi ¬ ziert würde. Heute bleibe Frankreich nur noch die Wahl zwischen Ratifizierung der Schuldenabkommen oder der Bezahlung der 468 Millionen Dollar. Die Frage laute daher, welche von beiden Lösungen die praktischere sei. Deshalb müsse ratifiziert werden. Er berührte sodann die gescheiterten Versuche Parmentiers, die Zah lungen an Amerika den deutschen Zahlungen unterzu ordnen. Auch Caillaux wäre nicht glücklicher ge wesen. Schliesslich Hütte sich Amerika bereit gefunden, die französischen Zahlungen über 62 Jahre zu verteilen und, falls Frankreich ein derartiges Abkommen ratifi ziere, auf die Begleichung der 400 Millionen Dollar am 1. August zu verzichten. Nur Jugoslawien und Italien Hütten eine günstigere Abmachung erhalten. Zum Schluss seiner Ausführungen erklärte Poincare, datz er es sehr wohl verstehen könne, wenn sich die öffentliche Meinung über das Fehlen jeder Vorbehaltsklausel er rege, doch wären bereits alle Versuche Verengers in die ser Hinsicht vergeblich gewesen. Er hätte schliesslich den Vertrag am 29. April 1926 ohne die Klausel abge schlossen. Hierauf wurde beschlossen, die Debatte am Freitag vormittag und nachmittag fortzusetzen, um sie darauf auf Dienstag früh zu vertagen. Die Sitzung wird dar auf um 7 Uhr abends geschlossen. . Die schwierige sranzöstsch- italienische Annäherung. Paris. 12. Juli. Anfang dieser Woche ist der fran zösische Botschafter in Rom, de Beaumarchais, zu länge rem Aufenthalt in Paris eingetroffen. Er hat einen Besuch am Quai d'Orsay gemacht und Briand an scheinend nicht nur über die Haltung Italiens zur Re- gierungskonferenz, sondern auch über den Stand der schon nahezu seit einem Jahre schwebenden franzö sisch-italienischen Verhandlungen be richtet. Ein Fortschritt dieser Verhandlungen ist in die sem Augenblick umso weniger zu verzeichnen, als die be reits im Herbst 1928 von Frankreich unterbreiteten Vor schläge ohne Antwort geblieben sind. Italien hat durchblicken lassen, datz diese Vorschläge durchaus unge nügend seien, was zunächst zur Folge hatte, datz der französische Botschafter zu Beginn dieses Jahres erneut am Quirinal vorstellig wurde, u. neue Vorschläge seiner Regierung überbrachte. Diese bezogen sich auf drei Punkte: nämlich den Abschluss eines Freundschafts- und Nachbarschaftsvertrages, die Erenzbexichtigung in Tri polis und das sogenannte Statut der Italiener in Tu nis. lleber die Verhandlung ist soviel durchgesickerti datz Italien nach wie vor die französischen Vorschlüge ab lehnt und weitergehende Forderungen erhebt, die Frankreich nicht annehmen zu können glaubt. Nach dem „Oueore" soll der französische Vorschlag bezüglich der Italiener in Tunis dahin gehen, datz die in Tunis geborene erste Generation italienisch bleibt, die zweite für Frankreich oder Italien zu optieren u. die dritte Generation zwangsweise französisch werden soll. Hiergegen scheint Italien auf seinem Standpunkte zu beharren, der sich in der Praxis dahin auswirkt, datz die Italiener in Tunis einen Staat im Staate bilden. Auch die von Frankreich vorgeschlagene Grenzregelung in Tripolis, die die Abtretung zweier Oasen an Italien in sich schliesst, findet nicht die Zustimmung Mussolinis. Italien soll sich als den Erben in dem früheren türki schen Gebiet betrachten und darauf Hinweisen, datz es beim Zustandekommen des englisch-französischen Abkom mens, das Frankreich Vorku zuwies, nicht gefragt wurde. Italien verlangt infolgedessen Gebietsabtretung bis zum Tschadsee, wodurch es an französisch Aeguato- rial-Afrika angrenzen würde. Unter diesen Umstünden scheint auch das Zustandekommen des geplanten Freund schaftsvertrages zwischen Frankreich und Italien in recht ferner Zukunft zu liegen. M EMM des Wges MilW-WW. Eisenach, 12. Juli Der D-Zug Munchen-Schwsin- furth-Eisenach, der um 1,26 Uhr in Eisenach eintreffen sollte, ist um 23,47 Uhr bei der Einfahrt in die Wei chen der Station Mellrichstadt vollständig entgleist. Der D-Zug hatte allerdings nur zwei Personenwagen, und diese waren mit 15 Personen nur schwach besetzt. Es wurde glücklicherweise niemand verletzt. Die Reisenden konnten mit den nächsten fahrplanmässigen Zügen die Fahrt weiter fortsetzen. Das Urteil im Orloff-Prozeß Je vier Monate Gefängnis. Berlin, 11. Juli. Im Orloffprozetz wurde heute nachmittag das Urteil gefällt. Orloff und Pawlo- nswski wurden wegen schwerer Urkundenfälschung in Tat einheit mit Betrug in einem Falle zu je vier Monaten Gefängnis verurteilt, im übrigen aber freigesprochen. Die Strafen wurden als durch ihre Untersuchungshaft ver- bützt erklärt und die Haftbefehle gegen beide sofort auf gehoben. Zum. Schluß erklärte Orloff, datz er sich kür un schuldig betrachte. Die Knickebocker übergebenen Doku mente halte er inhaltlich auch jetzt noch für echt. Pawlo- nowski sagte in russischer Sprache: „Ich bitte um meine Freisprechung, ich schwöre, datz ich nie wieder ein poli tisches Dokument in die Hand nehmen werde. Ich werde ein neues Leben anfangen." Das Gericht zog sich dann zur Beratung zurück, die über Zr/z Stunden dauerte. Um Uhr nachmit tags wurde dann das oben wiedergegebene Urteil ver kündet. Hierauf wurde die Urteilsbegründung verlesen. Gegen das Urteil werden die Rechtsanwälte der Angeklagten sofort Berufung einlegen. In der Be gründung zu dem Urteil heitzt es u. a.: Zur Beurteilung I stand lediglich, ob die Angeklagten sich der schweren Ur- Poincarß vor der französischen Kammer. „Die Schuldenabkommen müssen ratifiziert werden".