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213. 13. September 1930. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. den Geiste ebnet er den Weg zur breitesten Auswirkungsmöglichkeit unter den Menschen, er bereitet den Führern des Geistes den Pfad in ihrem Volke. Dieser Verantwortungswille für das geistige Leben der Nation bedingt ein rastloses Prüfen und Wägen, Suchen und Erkennen auf allen Gebieten, um das Wesentliche heraus zuwittern, das man gläubig und zukunftsfreudig weiterleiten kann in die Hände derer, die den geistigen Antrieben erst die breite Wirkungsgrundlage geben. Dem Ziele, Sicherheit und Lebendigkeit in der Ausübung der Praxis einerseits, Ausweitung der Erkenntnis geistiger und seelischer Zusammenhänge mit Nutzanwendung auf den Buchhandel anderer seits diente auch die vom Buchhändler-Verband Sachsen-Thüringen in Gemeinschaft mit Brandenburg und Hannover-Braunschweig ver anstaltete Buchhändler-Freizeit in Wernigerode, die die stattliche Teilnehmerschar 43 auszuweisen hatte. Ihre Leitthemen hießen »Deutsche Volksbildung« und »S o r t i m e n t e r a r b e i t«. Herr Universitätsprosessor Hans Hahne vom Seminar für Vorgeschichte in Halle gab in einem Vortrage »Was i st Deutsch?« grundsätzliche Gedanken über die Vielheit von Einzel kräften, die in ihrer Gesamtheit den Begriff »Deutsch« ausmachen. Die Fülle von Gesichtspunkten, die dieser Vortrag in zusammen gefaßter Form brachte, läßt sich im Rahmen eines kurzen Berichtes, der lediglich einen Überblick über die während der Freizeit geleistete Arbeit geben soll, auch nicht annähernd erschöpfen. Gemeinsames Klima, gemeinsame Geschichte, gemeinsame Herkunft, gemeinsames Leben und vor allem die gemeinsame Sprache haben im Laufe einer vieltausendjährigen Entwicklung bei den Bewohnern des deutschen Raumes in Mitteleuropa die Charakteranlagen, die Eigenschaften, Fähigkeiten und Schwächen herausgebildet, die wir heute unter dem Begriff »Deutsch« verstehen. Eine besondere Pflege gerade dieser als »Deutsch« erkannten Wesenheit mit Bewußtheit und Überlegung ist daher nicht nur unser gutes Recht, sondern auch unsere Pflicht, ohne daß wir uns deshalb von anderen Volkheiten abzuschließen brauchen. Als Buchhändler nun dieser reichen Erkenntnis ent sprechend verantwortungsvoll handeln zu müssen, ist uns zu freu diger Gewißheit geworden. In engem Zusammenhang mit diesem Vortrag sprach Herr Max Geppert von der Deutschen Buchhändler-Lehranstalt in Leipzig über den Sinn und geistigen Inhalt der Begriffe »Deut sche Volksbildung, Staatsbürgerkunde und Buch handel«. Die Anfänge einer schulmäßigen geistigen Ausbildung in unserem Volke verdienen natürlich keineswegs die Bezeichnung »Volks«bildung, da sic zunächst auf sehr enge Kreise beschränkt blie ben. Den Anfang machte die Kirche, die ihren Vertretern und Sach waltern für die Ausübung ihres Amtes im Volke bestimmte geistige Grundlagen naturnotwendig mitgeben mußte. Dann folgten, unge fähr zur Zeit Karls des Großen, höhere politische und Verwaltungs beamte und später während seiner Glanzzeit das Rittertum. Mit dem aufkommenden Bürgertum werden immer weitere Volksschichten von der Schulbildung erfaßt, die sich jetzt aus der Alleinherrschaft des Kirchlichen befreit und auch auf rein weltliche und kaufmännische Gebiete ausdehnt. Erst um die Wende des 18. Jahrhunderts aber, mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht, kann man die Bildungsarbeit an jedem einzelnen Staatsbürger mit Recht »Volks bildung« nennen. Die Ausbildungszeit hat sich entsprechend, ange fangen bei gelegentlichen Schulstunden, bis zum heutigen Stande ent wickelt, wo eine Jdealforderung des Schulmannes Comenius, die Ausbildung eines Menschen bis zum 24. Lebensjahre auszudehnen, durch Fortbildungs- und Volkshochschulen nahezu verwirklicht ist. Wie in den ersten Anfängen schon die Kirche den Menschen zu ihrem wil ligen Glied heranbilden wollte, so gilt es heute, den Bürger zu seinen Pflichten und Rechten im Staate zu erziehen und damit früh zeitig in der Schule zu beginnen. Die Nutzanwendung auf den Buch handel wurde wieder in einer ausführlichen Besprechung erarbeitet. Diesen Nahmenvortrag erweiterte Herr Geppert in einem späteren Vortrag »Kerschcn st einer und Spränge r, zwei deutsche Pädagogen der Gegenwart« nach einer Sonder richtung: Entwicklung und Mittel moderner Volksbildung an Hand der bahnbrechenden Erkenntnisse Kerschensteiners und Sprangers, die für den Aufbau der heutigen Volksbildung eine vollständig neue Grundlage geschaffen haben. Sie stellten die Anschauung, das Selbst beobachten aller Vorgänge in den Vordergrund, gegenüber dem frü heren rein theoretischen Lernenmüssen. Eine neue Auffassung der Naturwissenschaften brach sich Babn, die auf allen Bildungsgebieteu grundlegende Änderungen der Betrachtungsweise mit sich brachte. Naturgemäß mußte dieser veränderte Ausgangspunkt auch zu anderen Zielen führen: der Einzelmensch wächst beute ganz anders als Einzel organismus in den Organismus des Ganzen, vor allem auch des Staates, hinein und wird so wirklich zu dem, was man unter »Staatsbürger« versteht, er gewinnt »neue Lebensformen«, die ihn organisch der Gemeinschaft einordnen, ohne sein Einzelmenschentum auszulöschen. Daß diese Betrachtungen für einen Buchhändler, der so vielfach mit dem Volkserzieher Zusammenarbeiten muß, von höchster Bedeutung sind, will er über wichtige Vorgänge auf dem Gebiete der Erziehungswissenschaft maßgeblich unterrichtet sein, ist ein leuchtend. Diese drei Vorträge versuchten, einen Gesamteindruck über wesentliche geistige Grundlagen unseres deutschen Volkstums zu geben. Das Schwergewicht unserer Freizeit lag aber auf dem Ge biet praktischer Ausbildung und guter Fachbildung. So griff denn auch der Vortrag des Herrn vr. Michael- Leipzig über »Wert volle deutsche Erzählerkunst der Gegenwart« in das eigentlich buchhändlerische Gebiet über, wo praktische Anwen dungsmöglichkeiten der vermittelten Erkenntnis jederzeit gegeben sind. Eine kritische Betrachtung des Bleibenden unter dem erzählen den Schrifttum der Gegenwart ist natürlich nicht ohne Vorbehalt und nicht ohne eine gewisse persönliche Stellungnahme anzustellen. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen versuchte Herr vr. Michael, unsere wichtigsten Schriftsteller in ihren hauptsächlichsten Werken herauszustellen, ihre künstlerische Geltung zu erläutern und ihre Aufgabe zu würdigen. Zu begrüßen war die Einteilung in zwei Gruppen: diejenigen Dichter, die in deutscher Sprache schreiben, aber ohne weiteres in jede andere Sprache übersetzt werden können (Zweig, Werfel, Leonhard Frank, Wassermann usw.), und diejenigen, die in ihrem Schaffen so wesensdeutsch, so verwurzelt im deutschen Volkstum, in deutschen Anschauungen sind, daß ihre Werke schlechthin nicht in andere Sprachen übersetzt, daß sie anderem Denken nicht verständlich gemacht werden können (Grimm, Wilh. Schäfer, Kolben- hcyer usw.). Die sehr sachlich und doch mit Wärme vorgetragenen Gedanken haben den Hörern beachtliche Einblicke in wichtige Zu sammenhänge und brauchbares Rüstzeug für die verantwortungsvolle Buchberatung gegeben. Die Aussprache brachte noch manche beacht liche Ergänzung und das Zeugnis teilweiser guter Belesenheit und kritischer Einstellung der Teilnehmer. Für die Erfüllung der kulturellen Aufgaben des Buchhändlers sind rein geschäftsmäßige, praktische Gesichtspunkte von größter Be deutung; sie waren es auch, wie schon erwähnt, für unsere Freizeit. Wichtige Fachstoffe wurden von uns in den Arbeitsgemeinschaften mit besonderer Lebendigkeit behandelt, lag doch hier das Gebiet, auf dem wir zu Hause sind, wo wir alle mitreden konnten. Und doch hörten wir noch so viel Neues, das wir uns erst dann selbst und kaum so gut hätten erarbeiten können, sobald wir uns vor die Not wendigkeit der Lage gestellt wüßten: selbständig oder in verantwor tungsvoller Stellung. Kein Chef gibt uns sonst darüber Aufklärung oder Winke, keine Schrift berichtet so warm, so ausführlich oder überhaupt davon. Aber zunächst singen wir mit Alltäglichem und für manchen doch noch Schwierigem an: »Vom Börsenblatt zum Katalog«. Herr Friedrich R e i n e ck e - Magdeburg, der prächtige und lebendige Leiter der Freizeit, erörterte den Weg der Neuerscheinung von der ersten Anzeige im Börsenblatt bis zur Auf nahme in den Mehrjahrs- und Schlagwortkatalog unter Besprechung der wichtigen Einordnungsregeln usw. Er war dann vielen ein sehr schwer zufriedenzustellender, anspruchsvoller, fast unbequemer Kunde, als es an die praktischen Übungen des Nachschlagens ging. Aber gern und eifrig haben wir alle, selbst die Verleger, nachgeschlagen! Auch in der von Herrn Neinecke geleiteten Arbeitsgemein schaft über den »Werbebrief« haben wir viel gelernt und zu unserer Freude erkannt, daß wir jungen Buchhändler doch fast durchweg geborene Werbeleute sind. Das bewies der anschließende W e r b e b r i e f - W e t t b e w e r b. Mancher oder die meisten von uns schrieben hier ihren ersten Werbcbrief. Die vorgetragenen, wich tigen Regeln und Erkenntnisse wurden beherzigt. Originelle und zug kräftige Ideen kamen in Menge zum Vorschein, sodaß die Preis richter keine leichte Arbeit hatten: die ausgesetzten Preise mußten vermehrt werden, so unerwartet und erfreulich gut war das Ergeb nis. Das bedeute aber auch eine ernste Mahnung für die Chefs, die jungen Leute mehr Mitarbeiten zu lassen, sie anzuregen, anzueifern und anzulernen. Sie haben ja dann selbst den Vorteil der inter essierteren Hilfe! Sieben Arbeiten jedenfalls wurden als die besten mit Buchpreiscn ausgezeichnet, die die Preisgekrönten bis zu der angegebenen Höbe selbst auswäblen konnten. Die preisgekrönten Arbeiten werden vervielfältigt und jedem Teilnehmer als Muster und zur Anregung übermittelt. Mit einem Preis ausgezeichnet wurden die Werbebriefe von Anneliese Busse- Hannover (17 Jahre). Thea D ö r s m a n n - Magdeburg (19), Wilma Geffert- Nelzen (20), Elfriede Schulz- Braunschweig (19), Otto Har re n d o r f - Magdeburg (19), Rudolf Pieper-Luckenwalde (20), Neinhold Vesper- Weimar (28). 887