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Vorbereitung der politischen Konferenz Paris, 12. Juni. Zu der Privatbesprechung, die die Außenminister Deutschlands und Frankreichs am Dienstag nachmittag im Hotel Riß hatten, meldet der Madrider Vertreter der Havas-Agentur, die beiden Staatsmänner hätten sich zum Erfolg der Sachverstän digenkonferenz beglückwünscht und beschlossen, zu gegebe ner Zeit mit allen interessierten Mächten die prak tischen Schlußfolgerungen aus diesem Er gebnis zu ziehen. Sauerwein faßt in einer Madrider Meldung das Gebot der Stunde in folgende drei Punkte zusammen: 1. Stresemann und Briand können von sich aus keine Entscheidung treffen. Alle beide seien der Mei nung, daß in Uebereinstimmung mit ihren früheren Besprechungen und mit dem Genfer Protokoll vom Sep tember die Annahme des Sachverständigenberichtes durch die Regierungen auch die Annahme der Räumung zur Folge habe, unter der ein zigen Voraussetzung (!), daß ein vertragsmäßiges Re gime dazu diene, Zwischenfälle in der entmilitarisier ten Zone zu vermeiden. 2. Die verschiedenen Beschlüsse sollten gefaßt wer den entweder von den Signatarmächten des Rheinlan des oder von den Gläubigerstaaten Deutschlands, oder gemeinsam von den Besatzungsmächten. Es sei aber klar, daß Deutschland, Frankreich und Belgien bei weitem die interessiertesten Staaten seien. 3. Die Neuordnung sei dringend, da Frankreich bis zum 1. August die Schuldenabkommen ratifizieren müsse. Es wäre bedauerlich, wenn Briand und Stresemann in Madrid nicht die Gelegenheit be nutzen würden, jetzt schon das Gelände zu erforschen, um kostbare Zeit zu gewinnen. Wenigstens eine Entschei dung könne aus ihrem Gedankenaustausch hervorgehen, nämlich diejenige, den anderen interessierten Mächten schon jetzt Ort und Datum der politischen Konferenz vorzuschlagen, und die vorbereitenden technischen Arbei ten zu beschleunigen. Der Madrider Vertreter der „Chicago Tribune" will wissen, Briand habe in seiner Unterredung mit dem Reichsaußenminister eine Konferenz von Vertretern aller interessier ten Mächte und eine Einladung an die Vereing- ten Staaten vorgeschlagen, sowie zu einem möglichst frühen Datum einen Vertreter zu entsenden, um die Frage der Rhein landräumung ebenso wie die verschiedenen mit dem In krafttreten des Poung-Planes zusammenhängenden Fragen zu prüfen. Dr. Stresemann habe dem durchaus beigepflichtet, und man sei über eingekommen, Datum und Ort der Konferenz sollten durch diplomatischen Gedankenaustausch während der kommenden Woche festgesetzt werden. Allgemein nehme man an, daß London zum Tagungsort der Konferenz gewählt werde. Das „Echo de Paris" schreibt, Briand hätte die Instruktion erhalten, keine Verpflichtung einzugehen, und sich vorsichtig zu verhal ten. Zugunsten Deutschlands habe sich aber der Druck Macdonalds und Hendersons jo stark angekiindigt, daß es der französische Außenminister zweifellos für angebracht halte, jetzt schon freiwillig die Entscheidungen mitzuteilen, die ihm morgen aufgezwun gen würden. Die Oliven von Locarno seien reif. Baldiger Zusammentritt des Organisationsausschusses der Bank für Internationale Zahlungen? Paris, 12. Juni. Nach dem „Ercelsior" nimmt man in gut unterrichteten Kreisen an, daß der Organi sationsausschuß der Bank für Internationale Zahlun gen in Kürze zu seiner ersten Sitzung zusammentreten werde. Die Bank müsse sofort nach der Ratifizierung des Poung-Planes durch die Regierungen umso eher bereit sein, in Tätigkeit zu treten, als die Frage der Rhein landräumung notwendigerweise an die Unterbringung der Obligationen für die wenigstens teilweise Mobili sierung des ungeschützten Teiles der deutschen Jahres zahlungen gebunden sei. Stresemann als Anwalt der Minderheiten. Eindrucksvolle Rede des deutschen Außenministers in Madrid. — Widerstand gegen die Vertagungsabsichten. Madrid, 11. Juni. Die heutige vertrauliche Sitzung des Natskomitees war beherrscht von den in freier Rede vorgetragenen, sehr klar und ruhig formulierten Ausfüh rungen des Reichsaußenministers Dr. Stresemann, die aus allen Seiten mit größter Aufmerksamkeit ange hört wurden und auch auf die Vertreter der gegensätzlichen Auffassung nachhaltigen Eindruck machen konnten. Nach dem heute nachmittag ausgegebencn Communi- gue des Völkerbundssekretariats behandelte Dr. Stresemann das Minderheitenproblem sowohl unter dem Gesichtspunkt des Verfahrens als auch nach der prinzipiellen Seite. In der Verfahrensfrage seien gewisse Verbesserungen erzielt worden, während in manchen Punkten, vor allem in Bezug aus den bestehen den Ausschluß der stammesverwandten Staaten aus dem Dreierkomitee, die deutschen Vorbehalte aus- ^echterh altenwerdenmüßten. Die Einsetzung eines Minderheitenausschusses des Völkerbundes soll nach der deutschen Auffassung nicht zu Eingriffen in die Staa tensouveränität oder zur Ausübung von Ueberwachungs- oder Kontrollbefugnissen dienen, sondern bezwecke nur das fortlaufende Studium der Lage und der Entwicklung der Minderheitenfrage. Die Einwände und Befürchtungen gegen die Einsetzung dieses Ausschusses seien daher nicht gerechtfertigt. Zusammenfassend wiederholte Stresemann, daß, abgesehen von einzelnen Punkten, aus die er wieder zu rückkommen werde, Verbesserungen in verschiedenen Ver fahrensfragen erzielt worden seien, daß er aber den Lon doner Dreierbericht nicht annehmen könnte, da er in wesentlichen Punkten mit dem in Widerspruch stehe, was er bei Aufwerfung der Minderheitenfrage im Auge ge habt habe. Angesichts der bestehenden Meinungsverschie denheiten wäre eine Vertagung zweckmäßig, da sie die Ueberbrückung der Gegensätze vielleicht ermögliche und andererseits die Anrufung des Haager Gerichtshofes er lauben würde. Nach einer Erklärung des ersten Berichterstatters Adatschi, der sich für die Annahme des unverän derten Berichtes aussprach, vertrat Briand in längerer Rede die Auffassung, daß bei aller Verschie denheit der Ansichten über die grundsätzlichen Fragen die Schlußfolgerungen des vorliegenden Berichtes eine Der bes s erung des gegenwärtigen Verfahrens in sich schlie ßen. Die von Stresemann oorgeschlagene Vertagung wäre ebenso bedenklich wie eine Anrufung des Haager Schiedsgerichtshofes, durch die die ganze bisherige Tätigkeit des Völkerbundes in der Minderheitenfrage in ein falsches Licht geraten müßte. Es sei sehr wohl mög lich, daß in der Völkerbundsversammlung eine neue De batte in der Minderheitenfrage entstehe, aber zuvor müßte im Rat eine Einigung zustande kommen. Könnte diese nicht erzielt werden, so würde das einfach die Rückkehr zum Status quo bedeuten. Demgegenüber betonte Dr. Stresemann erneut, daß eine Einstimmigkeit unbedingt erforderlich sei und daß die Anrufung des Haager Gerichtshofes das Ansehen des Völkerbundsrates in keiner Weise in Frage stellen würde. TituI escu erklärte, die an der Minderheitenfrage interessierten Staaten wünschten nicht, daß diese Frage noch weiter offen bleibe. Der Präsident Sc ialoja stellte zusammenfassend fest, daß über das Beschwerdeoerfahren innerhalb des Ratskomitees ein Abkommen zustandegekommen sei, wäh- ! rend in der grundsätzlichen Frage noch Ge gensätze bestünden. Er empfahl, daß das Rats- - komitee, ohne weiter abzuwarten, dem Völkerbundsrat - die Empfehlungen des Londoner Minderheitenberichtes zur Annahme Vorschlägen soll. Da von deutscher Seite Widerspruch er- hoben wurde, sind dann die Verhandlungen aus den Abend verschoben worden. Die Mm-erhertermussprsche in Madrid. Unbefriedigendes Ergebnis. Madrid, l2. Juni. Der Natsausschuß für die Min- . derheitenfrage hat am Dienstag abend endgültig seine s Arbeiten mit der einstimmigen Aufnahme eines Ve- ! lichtes an den Völkerbundsrat abgeschlossen, in dem auf s der Grundlage des Londoner Minderheitenberichtes j technische Verbesserungsvorschläge für das Beschwerde verfahren der Minderheiten gemacht, jedoch die grund sätzlichen Fragen des Minderheitenschutzes überhaupt nicht berührt werden. Die endgültige Entscheidung füllt in der Donnerstagsitzung des Völkerbundsrates, in der der Bericht des Ratskomitees zur Annahme gelangen soll. Das Ergebnis ist wenig befriedigend, und ent spricht nicht den von der deutschen Abordnung gestellten Zielen. Die Vertagung ist nicht erreicht worden, eine Berücksichtigung der grundsätzlichen deutschen Forderung über die Dauergarantie des Minder heitenschutzes und den ständigen Minderheitenaus schuß ist nicht erfolgt. Der gegenwärtig ungenügende Zu st and des Minderheitenschutzes bleibt im wesentlichen mit geringen Abänderungen unverändert. Die Gegenseite erklärt, daß damit die Minderheitenfrage endgültig erledigt sei. In dem Bericht an den Völker bundsrat wird ausdrücklich festgestellt, daß die Proto kolle der Sitzungen, sowie der Londoner Minderheiten bericht sämtlichen Mitgliedsstaaten des Völkerbundes zugesandt werden sollen, so daß damit eine allgemeine Wiederaufnahme der Minderheitenfragen auf der Sep tembervollversammlung des Völkerhundes möglich er scheint. Im wesentlichen ist die sächliche Aussprache über die Minderheitenfrage damit abgeschlossen wor den. Die deutsche Forderung auf Anrufung des inter nationalen Haager Schiedsgerichtshofes über den grund sätzlichen Charakter des Minderheitenschutzes hat all gemein bei den Natsmitgliedern größte Beunruhigung hervorgernfen, da darin ein Armutszeugnis für den Völkerbundsrat erblickt wird. Von deutscher Seite wird entscheidendes Gewicht darauf gelegt, daß die a r u n d s ä tz l i ch e n Fragen für eine Aufnahme auf der Septembertagung des Völ- i kerbundsrates offen bleiben, jedoch muß zunächst k festgestellt werden, daß die sachliche Aussprache in einer Weise zum Abschluß gebracht worden ist, die den deut schen Wünschen und Forderungen in keiner Weise Rech nung trägt. ProLestschritt -er kleinen Entente. Budapest, 12. Juni. Nach Ueberreichung von Ver balnoten ihrer Regierung teilten am Dienstag der tsche choslowakische und der jugoslawische Gesandte dem Mi nister des Aeußeren Valko mit, daß ihre Regierungen durch die Rede des Ministerpräsidenten Gras Beth- len bei der Heldengedenkseier peinlich berührt worden seien. Ferner gaben sie dem Minister des Aeußeren nicht teilnehmen würden. Ihre Regierungen würden Ee- bekannt, daß sie in Zukunft an ähnlichen Feierlichkeiten legenheit nehmen, die ungarischen irridentistischen Bestre bungen vor einem internationalen Forum zu erörtern. Der Minister des Aeußeren erwiderte den Gesandten, daß die ungarische Regierung stets der Auf fassung gewesen sei, daß die Friedensoer - träge ungerecht seien und daher unbedingt abgeändert werden müssen. Die ungarische Re gierung werde mit allen friedlichen Mitteln auf eine Re vision drängen. Das sei der ganzen Welt bekannt, da Ministerpräsident Graf Bethlen diesen Standpunkt wie derholt im ungarischen Parlament vertreten habe. Seine Rede am 26. Mai sei nur eine Wiederholung altbekann ter Tatsachen gewesen. Was die Erklärung anbelange, daß die Gesandten in Zukunft an ähnlichen Feiern nicht mehr teilnehmen würden, so müsse er es natürlich ihrem freien Willen überlassen, wie sie sich in Zukunft verhalten wollten. Bei dem diplomatischen Empfang überreichte auch der rumänische Gesandte eine Note, die mit den beiden Verbalnoten überein stimmt. Außenminister Valko behielt sich vor, auf diese Note eine schriftliche Antwort zu erteilen. Neueste Nachrichten. Generaldirektor Colsman tritt zurück. Berlin, 12. Juni. Nach einer Meldung Berliner Blätter aus Friedrichshafen wird Kommerzienrat Dr. ing .e. h. Colsman auf Grund eines in der am Diens tag abgehaltenen Gesellschafter-Versammlung des Luft schiffbaus Zeppelin zustande gekommenen Beschlusses am 1. Juli im freundschaftlichen Einvernehmen mit den Ge sellschaftern seine Stellung als Generaldirektor des Luft schiffbaus Zeppelin niederlegen, um sich volkswirtschaft lichen Ausgaben zuzuwenden. Der verunglückte Start der schwedischen Ozeanflieglr. Kopenhagen, 12. Juni. Die schwedischen Ozean flieger, die am Dienstag nach Umtausch des Propellers zum dritten Male, gegen 18 Uhr, gestartet waren, waren gezwungen, nach Zurücklegung von etwa 100 Kilo metern zurückzukehren, da sie festgestellt hatten, daß der Kühler leck geworden war. Gegen 20 Uhr trafen sie in Reykjavik wieder ein und beabsichtigen, nach Ausbesse rung des Schadens heute früh zum 4. Male zu starten. Großseuer in Mailand. Mailand, 12. Juni. Gestern abend brach in einer Arbeitsstätte zur Erzeugung von Zelluloseartikeln ein Brand aus, der sich bald auf das Gebäude, in dem das Laboratorium untergebracht war, nusdehnte. Aus den Fenstern des Loboratoriums schlugen die Flammen bis zum vierten Stock empor. Die Bewohner des Hauses wurden von einer unbeschreiblichen Panik ergriffen. Die Feuerwehr konnte alle bis auf eine Familie im dritten Stockwerk retten. Als der Vater derselben nach Hause kam, schlug er die von Flammen umgebene Woh nungstür ein, und brachte seine Frau und seine Kin der aus dem Gebäude. Sie wurden mit schweren Brandwunden ins Spital gebracht, wo zwei Kinder ihren Verletzungen erlagen, während die Mutter und ein Kind mit dem Tode ringen. Der Inhaber des La boratoriums wurde verhaftet. Aufruhr in Persien. London, 12. Juni. Ein großer Teil der persischen Provinz Farsistan befindet sich nach einer „Times"- Meldung aus Schiras in Aufruhr. In der Nähe von Nahdar sollen ununterbrochen Kämpfe im Gange sein. Die Garnison von Kacerun ist eingeschlossen, und rech net mit einem baldigen Angriff der Rebellen. Die Straße von Jspahan nach Schiras ist erneut blockiert. Es besteht guter Grund für die Annahme, daß die Mamasenehi- und Kuhqilu-Stämme sich den Kashqais anqeschlossen haben, während ein anderer Stamm der Regierung seine Hilfe angeboten hat. England und die afghanischen Wirren. — Keine Einmischungsabsichten. London, 12. Juni. Die von Reutter verbreitete Meldung, wonach Habib Ullah und Nadir Khan an die britische Regierung das Ersuchen gerichtet haben sollen, die Ordnung in Afghanistan wieder herzustellen, wird in maßgebenden Kreisen bestritten. Es wird darauf hingewiesen, daß keinerlei amtliche Verbindungsmög- lichkeiten mit den beiden Persönlichkeiten beständen. Zahlreiche Erenzstümme unterhielten freundliche Be ziehungen nach der englischen Seite und würden die Wiederherstellung normaler Verhältnisse in Afghani stan begrüßen. Irgendwelche Einmischungsabsichten bestünden aber nicht. Ein neuer Ueberfall der venezolenischen Räuberbanden. London, 12. Juni. Die venezolanischen Räuber banden, die vor einigen Tagen Wilkemstadt in Lura- cao angegriffen hatten, unternahmen nunmehr einen Vorstoß auf die Hauptstadt des Staates Falcon, Coro. General Gomez, der frühere Präsident von Venezuela und gegenwärtiger Oberbefehlshaber der Regierungs armee hatte die Garnison von Coro von dem drohen den Angriff verständigt, so daß die Bevölkerung recht zeitig in Sicherheit gebracht werden konnte, und die Regierungstruppen auf den Angriff vorbereitet waren. Im Verlaufe der Kümpfe fiel der Befehlshaber der Garnison. Die Räuberbanden wurden schließlich in völ liger Auflösung zurückgeschlagen, und hinterließen eine sehr große Anzahl von Toten und Schweroerwundeteu sowie einige Gefangene. Eine drahtlose Station für die Vatikanstadt. Mailand, 11. Juni. Der Papst empfing gestern Senator Marconi, der ihm einen Entwurf über die Er richtung einer drahtlosen Station in der Vatikanstadt vorlegte. Der Papst hat den Entwurf gebilligt.