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Der große " Genf, 6. März. Der Rat trat heute vormittag kurz vor 11 Uhr zu einer geheimen Sitzung zusammen. Der zur Verhandlung stehende Bericht über die Zulassung der Tschechoslowakei, Litauens und Südslawiens zu den Minderheitsverhandlungen stützt auf grotze Schwierig keiten, da die Vertreter der Kleinen Entente einen Vorstotz gemacht haben, der hier qrotzes Aussehen er regt hat. Die öffentliche Sitzung des Rates begann kurz nach 11.30 Uhr. Die Spannung ist autzerordentlich grotz. Die Vorrüume bieten das Bild eines „grotzen Tages". Sie sind gefüllt von Diplomaten und Ver tretern der Minderheitengruppen aus allen Ländern. Der Andrang des Publikums und der Presse ist autzer ordentlich grotz. Stresemanns Min-erhetlenre-e Genf, 6. März. In seiner Minderheitcnrede in ver öffentlichen Ratssitzung führte Reichsautzenminister Dr. Stresemann u. a. aus: Schon während der letzten Bundesversammlung klang aus verschiedenen Reden die Erkenntnis, datz in der Entwicklung der Völker bundstätigkeit der Zeitpunkt gekommen ist. an dem es von Nutzen sein wird, auf die bisherige Behandlung der Minderheitenprobleme einen Rückblick zu werfen. Dieser wird sich darauf beziehen, an Hand der gemach ten Erfahrungen sich darüber klar zu werden, obsich die berufenen Instanzen des Völker bundes bei der Verfolgung dieser gro tzen und wichtigen Aufgabe auf dem rich tigen Wege befinden, oder ob es angebracht ist, neue Beschlüsse zu fassen. Kamen solche Andeutun gen zuerst auf der Septemberversammlung des Völker bundes zum Ausdruck, so haben sie Gestalt gefunden in den hochbedeutsamen Vorschlägen, die der Vertreter von Kanada in seiner interessanten Denkschrift und seinen hier vorgetragenen Ausführungen begründet hat. Nicht darum geht es mir, die Schicksale und Verhältnisse be stimmter einzelner Minderheiten bei dieser Eesamter- örterung in den Mittelpunkt zu stellen. Worauf es mir ankommt, das ist die Situation, die sich ergibt durch die geltenden Verträge und Erklärungen, durch die vem Völkerbund übertragenen Garantien und seine auf die ser Garantie zu folgernden Rechte und Pflichten. Wenn ich mir die Grundlagen vergegenwärtige und wenn ich mit ihnen die Praxis zusammenhalte, wie sie sich tatsächlich vollzieht, so kann ich mich nicht des Gefühls erwehren, datz Theorie und Praxis nicht immer in Einklang mit einander geblieben sind. Wir können jedenfalls nicht über die unleugbare Tat sache hinweggehen, datz die Minderheiten selb st von diesem Gefühl und den sich daraus ergebenden Sorgen um ihr kulturelles Schicksal beherrscht sind. Es ist nur nanir- lich, datz die Enttäuschungen sich in scharfer Kritik an den Einrichtungen des Völkerbundes äutzern. Es ist ja nicht das erstemal, datz eine derartige Kritik zu umfang reichen Erörterungen im Schatze des Völkerbundes ge führt hat, aber es scheint mir, als ob den Versuchen, den vorhandenen Mängeln abzuhelfen, mit prinzipiel len Betrachtungen entgegengetreten worden ist, die der Oeffentlichkeit als ein Abweichen von den Grundlagen für den Minderheitenschutz wirken. Ich kann in diesem Zusammenhänge nicht daran Vorbeigehen, an eine sehr bekannt gewordene Erklärung eines früheren Bericht erstatters im Rate aus dem Jahre 1925 und an die sich anschlietzende Diskussion im Rat zu erinnern. In dieser Erklärung und in der Diskussion finden sich Aeutzerun- gen grundsätzlicher Art über den Zweck der Minder heitenschutzbestimmungen und über den Zweck der Ga rantie des Völkerbundes, die so gedeutet werden kön nen, als ob es sich um eine Art von Uebergangsregime handele, das schlietzlich dahin zu führen hätte, die Min derheiten als solche verschwinden, d. h. sie in der Mehr heit der Staatsbevölkerung aufgehen zu lassen. Wenn jene Aeutzerungen tatsächlich im Sinne einer Art Assi milationstheorie zu verstehen sein sollten, so müsste ich dem auf das Bestimmteste widersprechen. Eine solche Theorie steht im Gegensatz zu dem bei Gründung des neuen Minderheitenschutzes in aller Klarheit festgestell ten Gedankens, datz datz dieser Schutz ein dauern der und nicht nur ein Uebergangs regime zum Zweck der Erleichterung vorübergehen der Schwierigkeiten sein sollte. Im Zusammenhang hiermit steht ein anderer Punkt von grundsätzlicher Bedeutung. Gegenwärtig beschränkt sich das bestehende Verfahren auf die Erledi gung der beim Völkerbund eingehenden Petitionen. Es sind keinerlei Einrichtungen vorgesehen, um die dem Völkerbund in ganz allgemeiner Form übertragene Ga rantie auch autz-'rhalb des Gebietes der Petitionen zu realisieren, aber es kann doch kein Zweifel darüber be stehen, datz sich die Garantie nicht erschöpft in der Be handlung konkreter Fälle, in denen dem Völkerbund eine bereits begangene oder drohende Verletzung von Minderheitenrechten angezeigt wird. In den von mir erwähnten grundlegenden Bericht vom Jahre 1920 kommt zum Ausdruck, datz der Völkerbund die Verpflichtung hat, sich von der fortdau ernden Durchführung der Minderhei ten s ch u tz b e st i m m u n g e n zu vergewissern. Vieleicht hat dieser Gedanke auch bei den Anregungen eine Rolle gespielt, die sich auf die Einrichtung eines ständigen Mindsrhsitenausschusses beziehen. Auf alle Fälle erscheint es mir notwendig, sich darüber klar zu werden, in welcher Weise sich der Völkerbund fortlau fend über die Lage der Minderheiten unterrichten kann. Es ist weder eine unmögliche noch eines souveränen Staates unwürdige Aufgabe, die den durch die Minder heitenbestimmungen verpflichteten Ländern auferleqt wird. Es ist unbestreitbar, datz die Zugehörigkeit zur Minderheit und die sich daraus ergebende Sonderstel lung nicht im Gegensatz zu der Erfüllung der allgemei- 'ag in Gens. nen staatsbürgerlichen Pflichten steht. Wird dies aber erkannt, so ergibt sich daraus, datz das Interesse eines Landes für Minderheiten in einem anderen Lande, das sich in der Anrufung der Garantie des Völkerbundes bekundet, nicht als eine unzulässige politische Ein mischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates angesehen werden kann. Es ist vollkommen verfehlt, davon zu sprechen, datz ein Eintreten für kul turelles Recht und kulturelle Freiheit der Minderheiten der Ansatz des Hebels sei, nm Staaten anseinander sprengen zn können. Der Friede der Völker untereinan der wird um so sicherer begründet sein, je mehr der Ruf von in ihrem kulturellen Ausleben bedrohten Minderheiten immer weniger an das Ohr der Welt öffentlichkeitdringt. Wer sich dafür einsetzt, datz die Menschheitsrechte der Sprache, der Rasse und der Religion unbeschadet der staatlichen Grenzen geachtet und gewürdigt werden, der tritt ein für die Erhaltung des Friedens und nicht für die Aufreizung zur Auseinandersetzung mit Gewalt. Welches sind die Wege, die uns innerhalb des Völkerbundes dazu führen können, auf Grund der be stehenden Verträge unserem Ziele näher zu kommen? Hinsichtlich des Petitionsoerfahrens selbst wird in der Denkschrift des Herrn Dandurand darauf hinge wiesen, das vom Rat befolgte Verfahren lasse in der beschwerenden Minderheit den Eindruck entstehen, datz sie nicht gehört werde. In der Tat wird hiermit einer der Hauptübelstände bezeichnet, die von den Minderheiten beklagt werden. Der Weg, auf dem Herr Dandurand diesem Uebelstande zu begegnen sucht, verdient unsere volle Aufmerksamkeit. Die erste Fühlungsnahme zwischen Dr. Siresemannlun- Brian- Genf, 5. März. Die erste Unterredung zwischen Stresemann und Briand dauerte Dienstag abend 1^2 Stunden. Ueber den Verlauf der Unterredung wird von den beteiligten Abordnungen lediglich milgeteilt, datz in der Unterredung, die gegenwärtig im Rate zur Verhandlung gelangenden Fragen, sowie die zwischen Deutschland und Frankreich schwebenden Fragen er örtert worden sind. Es wird selbstverständlich sein, datz die beiden Autzenminister eingehend die am Mittwoch zur Verhandlung gelangende Minderheiten frage, sowie auch die Arbeiten der Sachverständigen für die Neparationsfrage gehandelt haben. Es besteht der Eindruck, datz es sich bei dieser Unterredung mehr um einen Gedankenaustausch und um eine Fühlung nahme, vor allen Dingen in der Minderheitenfrage ge handelt habe. Günstige Aussichten? Paris, 6. März. Der „Matin" schreibt zu den be vorstehenden Beratungen über die Minderheitenfrage, datz sich für den heutigen Mittwoch eine Regelung vor- zubereitcn scheine. Wenn man daran denke, datz Stresemanns Stellung bei seiner Rückkehr nach Berlin unmöglich würde, wenn man über seinen Schritt einfach hinweggehe, so müsse man die Angelegenheit doch als recht bedeutungsvoll betrachten. Es müsse an erkannt werden, datz es sich nicht um einen Bluff und auch nicht um ein Druckmittel handle. Genf drohe wirk lich der Ausgangspunkt einer schweren politischen inne ren Krisis in Deutschland zu werden. Esdenke je doch in Genf einschlietzlich Zaleskinie mand daran, dem deutschen Autzenmini ster unüberwindbare Hindernisse in den Weg zu st e l l e n. Andererseits ist es unmög lich, ein geräuschvolles Verfahren einzuleiten, das den Frieden bedrohen würde. Unter diesen Umständen könnten nur zwei Lösungen ins Auge gefasst werden. Entweder eine leichte Abänderung des gegenwärtigen Systems oder das klassische aufschiebbare Verfahren. Stresemanns gestrige Unterhaltung mit Briand habe sich im wesentlichen darum gedreht, zu wissen, ob es das Ziel des Völkerbundes sei, die nationalen Min derheiten zu bestätigen und sie künstlich wieder zu be leben oder sie zu beruhigen und^dem Staat anzunähern, in dessen Verband sie leben. Stresemann verkenne die Rolle des Völkerbundes. Er möchte, oder genauer die Rechtsparteien in Deutschland möchten, datz der Völker bund die nationalen Herde unterhalte mit dem Blick auf die Möglichkeit einer späteren Trennung. Briand dagegen trete dafür ein, datz die nationalen Minder heiten mit ihrem Staate versöhnt würden. Der „Gau- lois" glaubt, datz der Meinungsaustausch zwischen den beiden. Staatsmännern für die bevorstehende Aus sprache eine beruhigende Atmosphäre geschaffen habe. England erwartet Vertagung der Minderheiten aussprache. London, ö. März. In England stellt man mit Er leichterung fest, datz die Regelung der Minderheiten frage wahrscheinlich bis zur nächsten Völkerbunds tagung vertagt werden wird. Eine Verschärfung der deutsch-polnischen Spannung im gegenwärtigen Augen blick wäre in England als höchst unangenehm empfun den worden. Der diplomatische Mitarbeiter des „Daily Tele graph" vertritt die Ansicht, datz die Schwierigkeiten durch die Erklärungen der Regierungen der Tschecho slowakei, Südslawiens, Polens und Griechenlands, sich nicht durch irgendwelche Ergänzung der Minderheiten bestimmungen binden lassen, noch vermehrt worden seien. Gewisse alliierte Botschafter in Berlin wären angewiesen worden, nichts zu unterlassen, um die deut sche Abordnung zu bewegen, während der Genfer Ver handlungen eine nicht zu unnachgiebige Haltung zu zeigen. Die Mirren in Mexiko. Die Lage der Negierung ernst. Neuqork, 6. März. Nach Meldungen aus Mexiko haben die Regierungstruppen Orizaba eingenommen. Die Regierung will zunächst mit 15 000 Mann den Auf stand in Veracruz unterwerfen und sich dann gegen den Norden wenden, wo die Aufständischen in heftigen Kämpfen ihre Stellungen verbessern konnten. Calles wird nach der llebernahme des Oberbefehls dort mit einer schlechten Stellung der Regierungstruppen rech nen müssen. Aus beiden Lagern kommen Meldungen, die erkennen lassen, datz beide Seiten Vertrauen in den Sieg haben. Die Lage der Regierung ist zweifellos ernst. Sie gibt selbst zu, datz nahezu ein Fünftel des Heeres zu den Aufständischen überge gangen sei. Verschärft wird die Lage noch durch den Aufstand in der Flotte. In Mexiko-Stadt wird mit einer Wührungsbeeinflussung gerechnet. Da die Ein wohner vielfach Hamstern, ist der Plan einer Lebens mittelrationierung ins Auge gefasst worden. In einer autzerordentlichen Sitzung des mexikanischen Kongresses sollen dem Präsidenten Gil besondere finanzielle und wirtschaftliche Vollmachten gegeben werden. In Washington hält man an der Politik der Nicht einmischung in die mexikanischen Wirren fest. Zwei grotze Schlachten. — Die Flotte zu den Auf ständischen Lbergegangen. London, 6. März. In Mexiko sind augenblicklich zwei grotze Schlachten im Gange und zwar bei Monterry und im Staate Veracruz. Eine Entscheidung ist bisher noch nicht gefallen. Die Verluste sollen auf beiden Seiten sehr grotz sein. Escobar will von Mitt woch an die Kümpfe im Norden persönlich leiten. Bei Monterry stehen bis jetzt 10 000 Mann Regierungs truppen gegen die Aufständischen. Gegen Veracruz sind 15 000 Mann ausgezogen. In Veracruz hat sich die Flotte den Aufständischen angeschlossen. Polens Geheimplan gegen Danzig. Der Verfasser: Legationsrat Zalewski. Danzig, 5. März. Die von der Telegraphen-Union veröffentlichte polnische Eeheimdenkschrift über die Po litik Polens gegenüber Danzig wird auch von den Dan ziger Montagsblättern lebhaft kommentiert. Die „Dan ziger Neuesten Nachrichten" betonen, von welcher Seite die Denkschrift auch herrühre, sicher sei, datz ihr Verfasser mit den Danziger Verhältnissen und den Danziger Vor gängen gut vertraut sein müsse. Die „Danziger All gemeine Zeitung" bemerkt, datz man als Verfasser der Denkschrift stark beweiskräftigen Anhaltspunkten zu folge den polnischen Legationsrat Zalewski vermute, der bis vor kurzem bei der polnischen diplomatischen Vertretung in Danzig tätig war. Die „Danziger Lan deszeitung", das Organ des Zentrums, sagt, es sei überflüssig, noch etwas hinzuzufügen, und meint, es gelte für Danzig Augen offen und Nacken steif zu halten. Nur die sozialdemokratische „Danziger Volks stimme" betrachtet die Angelegenheit parteipolitisch und glaubt mit einer Polemik gegen die Telegraphen-Union auskommen zu können. Das Blatt schreibt u. a.: „Da wir die Quellen kennen, aus denen die Telegraphen- Union im allgemeinen ihre Informationen bezieht, be trachten wir alles, was von dort aus an Alarmnach richten kommt, als im nationalistischen Sinne zweck bedingt. Wenn man sowohl die Aufdeckung des Schwin dels mit dem belgisch-französischen Eeheimvertrag. wie auch die Aushebung der Berliner antisowjetistischen Fälscherzentrale betrachtet, so ergibt sich eine sehr be denkliche Parallele zn der Nachricht der Telegraphen- Union. Man wird also abwarten müssen, was die TU. an beweiskräftigen Eegengründen aufzubringen ver mag." * Die „Danziger Volksstimme" unterstützt mit ihren zweckbedingten Verdächtigungen und Andeutungen nunmehr vollgültig die Ableugnungsversuche der polni schen Nationalistenpresse. Im übrigen kann die Tele- graphen-Union die Vermutung der „Danziger Allge meinen Zeitung" bestätigen. Die polnische Denkschrift zur Eroberung Danzigs trägt tatsächlich die Unterschrift des früheren ersten Mitarbeiters des Ministers Stras burger, Zalewski. Der volle Wortlaut der Denkschrift gelangt nunmehr zur Veröffentlichung. Ms MN der WMWWn WmMiW Paris, 6. März. Unter der Ueberschrift „Der falsche Heine" stellt das „Oeuvre" die Frage, ob es auf Wahrheit beruhe, datz die belgische Regierung bereit sei, zwei Führer des militärischen Sicherheitsdienstes zu verhaften, die im Verdacht ständen, dem Fälscher Do kumente der nationalen Verteidigung geliefert und zu sammen mit Frank Heine Märchen erfunden zu haben, um die Deutschen und die Holländer zu foppen. Weiter fragt das Blatt, ob es wahr sei, datz im Kabinettsrat der Eindruck bestanden habe, datz der Chef des inter essierten Ministeriums sehr wohl über die Schritte sei nes Sicherheitsdienstes unterrichtet gewesen sei. Eine Komödie. Paris, 0. März. Die „Humanste" schreibt zu der Verhaftung Frank Heines, alles gehe wie in einem gut vorbereiteten Theaterstück vor sich. Man habe das Recht zu fragen, für wessen Rechnung diese „von der Vor sehung gesandte" Persönlichkeit die Arbeit geleistet habe, die so gut für die Ziele der französisch-belgischen Politik passe. Zwischen den peinlichen Erklärungen und den halben Eingeständnissen der letzten Wochen so wie der Raserei der Blätter in den letzten Tagen gebe cs ein Missverständnis. Das Blatt schliefst mit der Er klärung, datz es an das Bestehen des belgisch-französi schen Geheimabkommens glaube.