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Der Kuhhandel um Deutschlands Tribute. Paris, 4. Januar. Cut unterrichtete Kreise in Paris sind, wie der „Neuyork Herald" zu berichten weist, der Ansicht, dast der Sachverständigenausschuß die Höhe der deutschen Jahresleistungen voraussichtlich auf etwa zwei Milliar den Goldmark herab sehen werde. Der Be trag werde natürlich nicht die runde Summe von zwei Milliarden betragen, sondern möglicherweise 1,8 oder 2,2 Milliarden Goldmark. Die Sachverständigen wür den bei der Bestimmung der Ziffer wohl Methoden anwenden, die denen eines Pferde kaufes sehr ähnlich seien. Die Alliierten unter Führung der Franzosen würden die Aufrecht erhaltung der gegenwärtigen Leistungen Vorschlägen, während die Deutschen vielleicht einen Betrag von 1—1^2 Milliarden Mark als tragbar bezeichnen würden. So werde man zu handeln anfanqen. was bis zur Erschöpfung andauern könne. Das Blatt meint, die europäischen Sachverständigen würden angesichts der hochgespannten Erwartungen ihrer Länder nur sehr wider st redend Zuge- stündnisse machen. Sollten die Verhandlungen aus einen toten Punkt gelangen, dann würden wohl die europäischen Sachverständigen die amerikanischen Vertreter Young und Morgan bitten, eine schliestliche Kompromistentscheidunq zu treffen. Darauf sei auch der Wunsch zurückzuführen. Young den Vorsitz der Verhand lungen zu übertragen. In der Frage der Dauer der Zahlungen könnten schwierig Voraussagen gemacht werden. Man rechnet damit, dast die Deutschen einer höheren Jahresleistungen zustimmen würden wenn die alliierten Regierungen Zugeständnisse in der Anzahl der Jahresraten machten. Allgemein werde angenom men. dast der Wohlstandsindex von den Sachverstän digen aus dem Reparationsproblem ausgeschieden werde. Desgleichen sei damit zu rechnen, dast auch die Transferklausel verschwinde. Da es sich um eine endgültige Entscheidung handeln solle, werde es sehr schwierig sein, einen Bericht fertigzustellen, der das ganze Problem auch für die unbeugsamen Regierungen annehmbar mache. Sollten die deutschen Delegierten die Nheinlandfraqe anschneiden, so würden die Franzosen antworten, dast die Tagesordnung diesen Punkt nicht vorsehe und dast sich der Ausjchust in Paris mit genügend anderen schwie rigen Fragen zu befassen habe. Dagegen sei es wahr scheinlich. dast die Vertreter der deutschen und der alliierten Länder die Frage der Räumunq gleichzeitig aber austerhalb der Ausschustberatungen behandelt wür den. Allgemein sei man der Anschauung, dast der Ab- schlust eines Räumunqsplanes von großer Tragweite für die Zugeständnisse der Alliierten und Deutschen in der Reparationsfrage sein würde. Ein neuer Privaiisierungsp an Frankreichs Paris, 4. Februar. Der „Neuyork Herald" deutet auf einen Plan hin. der die Frage der Privatisierung der deutschen Schuld aus den Beratungen des Sachver- ständigenausschusses ausscheiden solle. Nach diesem Plan solle die Privatisierung durch die Ernennung eines halb ständigen Sachverständigen - Ausschusses durchge führt werden, der die deutschen Eisenbahn- und besonders Industrie-Obligationen auf den Weltmarkt bringen werde und zwar in Abständen, wie sie der Markt ausnehmen könne. In unterrichteten Kreisen in Paris soll als erster Betrag eine Gesamtsumme von 500 Millionen Dollar genannt worden sein. Seydoux über Kommerzialisierung und Mobilisierung der deutschen Reparationen. Paris. 4. Januar. Im „Petit Parisien" beschäftigt sich Seydoux mit der Frage der Kommerzialisierung > und Mobilisierung der deutschen Schuld. Die Kommer- ! zialisierung sei ein politischer Akt. durch den die Menge - der Sparer deutsche Anleihestücke kauften und die Gläu- bigerstaaten das eingezahlte Kapital erhielten. Die Mobilisierung sei dagegen ein finanzieller Akt, der sich aus einer Reihe von Tätigkeiten zusammensetze, die die Unterbringung der von Deutschland ausqegebenen An- ! leihen erforderlich mache, bis der Gesamtbetrag der ! Jahreszahlungen im Anleihedienst getilgt sei. Die ' Mobilisierung werde jedoch mehrere Jahre dauern und ! müsse ohne Zweifel einem internationalen Bankenkon sortium übertragen werden. Ob es sich um die Unter brinaung der deutschen Anleihen oder um einen Rück tauf der letzten Jahresrate handele, immer werde die wirkungsvolle Mitarbeit der Amerikaner erforderlich sein. Deutscher Reichslaq. Sitzung vom 2. Februar 1929. Auf der Tagesordnung stand u. a. die erste Beratung des Vertrages über die Aechtung des Krieges (Kellogg-Pakt). Nach den Ausführungen Dr. Stresemanns, die wir am Sonnabend bereits gebracht haben, ergriff Abg. Graf Reventlow (Natsoz.) das Wort. Er erklärte, der Pakt sei schon im Entstehen Gegenstand des Weit gelächters gewesen. Die Hoffnungen der Reichsregicrung seien trügerisch. Der Pakt hätte Anlaß geben müssen, unter allen Umständen die Aufhebung der Besatzung als Vorbedingung zu fordern, dann wäre seine ganze Verlogenheit zutage getreten. Der Patt sei ein Betrug der Völker und werde von den Nationalsozialisten ab- gelehnt. — Abg. v. Lindeiner-Wildau (Dnat.) behielt sich die Stellungnahme seiner Fraktion für die Ausschußberatung und für die zweite Lesung vor. — Abg. Stöcker (Komm.) bezeichnete das Ziel mit dem Kellogg-Pakt als eine Heuchelei. Je mehr die Völker behaupten, den Krieg zu ächten, um so mehr rüsten sie. Die Sowjetregierung habe durch ihre Abrüstungsvor schläge einen ehrlichen Schritt zur Friedenspolitik getan. Die Unterzeichnung des Paktes durch Coolidge, Poin- care, Baldwin und Müller sei die widerlichste Komödie eines Massenbetruges. (Redner erhält einen Ordnungs ruf.) Ehrlich und folgerichtig habe einzig und allein die Sowjetunion den Pakt unterzeichnet. Eine Aechtung des Krieges sei nur möglich durch den Aufstand des Proletariats und den Sturz der imperialistischen Re gierung. Der Kellogg-Pakt wird dann dem auswärtigen Ausschuß überwiesen. Das Haus vertagt sich auf Mon tag 15 Uhr: Handwerksnooelle und kleine Vorlagen. M MMie Mg von AMmi. Eine politische Autonomistenbewcgung innerhalb einer Croß-Niederlande. Antwerpen, 3. Febr. Am Sonntag fand in Ant werpen zu Ehren des kürzlich aus dem Zuchthaus ent lassenen Flamen führers Vorms eine große Kund gebung statt. Es ist bemerkenswert, daß genau am gleichen Tage vor elf Jahren, nämlich am 3. Februar 1918, während der deutschen Besetzung eine Kundgebung der Autonomisten in Antwerpen stattgefundsn hat, die zu lebhaften Eegenkundgebungen führte. Die Kundgebung am heutigen Sonntag verlief ohne Zwischenfälle. Am Vormittag fand im Rubens-Palast eine große Ver sammlung statt, an der etwa 5030 Personen Teilnahmen. Auf dem Podium hatten der Fiamenführer Borms und seine Frau sowie 50 Aktivisten, die in Belgien verurteilt, nach Holland geflüchtet und am Sonntag wieder zum erstenmal, auf belgischem Boden waren, Platz genommen. Als Borms erschien, wurden ihm minutenlang währende Huldigungen entgegengebracht. Vorms wurde von den begeisterten Zuhörern mit Blumen förmlich überschüttet. Borms umarmte alsdann die flämischen, holländischen und südafrikanischen Fahnen. Nach der Eröffnungsrede des Präsidenten der Aktivisten-Bewegung hielt Borms eine längere Ansprache. Er erklärte den Ursprung und die Gründe der aktivistischen Bewegung. Ich habe, so führte er aus, mit der Besatzungsmacht zusammen- gearbeitet, habe aber nichts unternommen, was zugunsten dieser Macht ausgelegt werden könnte. Die Aktivisten- Bewegung wollte lediglich die sich ihr darbietende histo rische Gelegenheit zur Befreiung Flanderns ausnutzen. Nachdem Borms daraus hingewiesen hatte, daß der König sein Versprechen, den Flamen ihre Rechte zu geben, nicht gehalten habe, und nachdem er insbesondere an dem Verhalten der soge nannten „passiven" Aktivisten Kritik geübt hatte, ent wickelte er sein Programm, das in der Forderung gipfelte, Flandern eine politische Autonomie innerhalb einer „Eroß-Niederlandr" zu geben. Das sei indessen ein noch in der Ferne liegendes Ideal. Aber während man auf die Verwirklichung dieses Ideals warte, müßten die Flamen auf eine vollständige politische Autonomie hinarbeiten. Nach dieser Versammlung veranstalteten die Flamen einen großen Umzug durch die Stadt, an dem schätzungs weise 15 030 Personen mit Hunderten von Fahnen und zahlreiche Musikkapellen teilnahmen. Die flämischen Stu denten der Universität Löwen bildeten eine besondere Gruppe, die etwa 600 Personen umfaßte. Die Studenten beteiligten sich trotz des Verbots, nicht mehr an den Kundgebungen zugunsten des Attivismus teilzunehmen, da sie der Auffassung sind, daß ihnen diese Verpflich tung nur unter besonderem Druck abgenommen worden ist. An der Spitze des Zuges marschierte Borms. In seinem unmittelbaren Gefolge befanden sich zahlre ichc alte Flamenkämpfer. Die Teilnehmer versammel ten sich später auf dem Platze, an dem das Versamm lungslokal der Flamen liegt. Borms selbst zeigte sich auf dem Balkon dieses Lokals und war Gegenstand end loser Huldigungen. Während des ganzen Zuges begleitete eine zahllose und sich sympathisch verhaltende Menge die Teilnehmer. Unter den zahlreichen Plakaten, die im Zuge getragen wurden, ist besonders eins mit folgender Inschrift bemerkenswert: Dem Flamenführer Borms, dem ungekrönten König von Flandern! Die Minderhei ensrage vor dem Völkerbund. Englische Sorgen wegen Stresemanns Vorgehen. London, 4. Februar. Die von der deutschen Regierung dem Generalsekretär des Völkerbundes über mittelte Forderung, auf die Tagesordnung der Völker- bundsversammlunq die Minderheitenfrage zu setzen, hat, wie der diplomatische Korrespondent des „Daily Telegraph" berichtet, in Völkerbundskreisen starke Auf merksamkeit aeiunden. Man befürchtet Mei nungsverschiedenheiten und hitzige Aussprachen zwischen den Vertretern verschiede ner Staaten. Man habe bisher gehofft, Stresemann werde leine Drohung, dieie Frage vor dem Völkerbund aufznrollen, nicht verwirklichen. Nachdem nun aber feststehe, daß es dem deutschen Außenminister mit dieser Frage sehr ernst sei. würden auch noch andere Persön lichkeiten Gelegenheit ergreifen, im Namen der Min derheiten zu sprechen. Unter diesen Senator Dan- durand für die französischen Kanadier. Es handele sich darum, den Minderheiten eine sofortige und angemessene Erörterung ihrer Forderungen zu sichern. Das Eingreifen der kanadischen Minderheiten könne aus die Verwaltung der Mandatsgebiete von sehr wesentlichem Einfluß sein. Kalle und Sturm über Italien. Die Lagunen in Venedig zugefroren. — Schnee auf dem Vesuv. Mailand, 4. Februar. Aus Triest und Fiume wird ein neuerKalteeinbruch gemeldet. In beiden Städten verzeichnete man Sonnabend 1V Grad Kälte. Bei dem herrschenden heftigen Nordost wind wird dieser Tag als der kälteste dieses Winters bezeich net, dach hofft man. daß die Kälte nicht mehr lange dauern wird. In Triest wurde ein Arbeiter von dem Sturm in das Meer geschleudert, wo er ertrank. Der Sturm hatte eine Geschwindigkeit von mehr als 108 Kilometern in der Stunde. In der Nähe von Padris, eine Stunde von Dridst wurde ein Wolf erlegt. Durch den Nordostwind erlitten verschiedene Personen Arm- und Beinbrüche. In Gradiska verzeichnete man 13 Grad Kälte. DerJsonzoist teilweise zu- qefroren. JnVenedigsinddieLaqunen teilweise zuqesror e n, Die Sumpfgegend trägt eine 30 Zentimeter dicke Eisschicht. In Udine zeigte das Thermometer bis 10 Grad unter Null. Wie aus Nom gemeldet wird, nimmt die Kälte auch in Süd- nnd Mittelitalien ständig zu. Aus Neapel wurden 7 Grad Kälte gemeldet. Auf dem Vesuv ist viel Neuschnee gefallen. Die vielen Brunnen Roms trägen mächtige Eiszapfen, die auch in der Mittagssonne nicht geschmol zen sind. Infolge der großen Kälte find die Wasser- leitungsrohre an vielen Stellen gebrochen. 30 Grad Kälte in Rumänien. Bukarest, 4. Februar. In ganz Rumänien hat in den letzten drei Tagen eine große Kälte geherrscht. Gestern verzeichnete man in einigen Gebieten Rumä niens 30 Grad Kälte. Das Schickal eines Autobusses mit seinen Passagieren, der von Konstanza nach Tul- eea unterwegs war. ist ungewiß, da der Autobus bereits seit fünf Stunden überfällig ist. In Jassy sind drei er frorene Bauern aufgefunden worden. D r Bcsporus zugefroren. London, 4. Februar. Die Einfuhr: am Bosporus ist nach Berichten aus Konstantinopel an verschiedenen Stellen zugefroren. Seit 25 Jahren ist eine ähnliche Erscheinung nicht mehr beobachtet worden. 11 russiche Holzarbeiter von einer Lawine verschüttet. Kowno, 3. Februar. Wie aus Moskau gemeldet wird, gerieten bei Almaata (Sibirien) Holzarbeiter unter eine Schneelawine. Elf Menschen sollen von der Schneelawine getötet worden seim Die Kältewelle über Oesterreich. — In Wien 20 Grad unter Null. Wien, 3. Februar. Die aus den Bundesländern kommenden Meldungen sprechen durchweg von an haltendem starken Frost. Als die tiefste Temperatur in Oesterreich wurde in Tramsweg. in Salzburg und in Zwettl in Nieder-Oesterreich 30 Grad sestgestellt. Auch in Wien sinkt das Thermometer seit Freitag, dem ersten Tag der neuen Kältewelle, ständig. Sonntag morgen verzeichnete man in den inneren Bezirken 20 Grad, in den äußeren Bezirken 22 Grad. Tagsüber erhöhten sich die Temperaturen nur um wenige Grad. Die Erkäl tungskrankheiten haben in Wien in den letzten Wochen ständig zugenommen. 34 Grad Kälte im Kreise Natibor. Natibor. 4. Februar. Die erdwissenschaftliche Lan deswarte der Provinz Oberschlesien registrierte am Sonntag eine Temperatur von minus 30 Grad. In den höher gelegenen Teilen des südlichen Kreises Natibor wurden Temperaturen bis zu 34 Grad unter Null ge messen. Bodensee und Untersee zugefroren. Basel. 4. Februar. Infolge der neuen Kältewelle sind der Bodensee und der ganze Untersee zugefroren. Tausende von Schlittschuhläufern tummeln sich auf dem Untersee. Durch das glasklare Eis sind bei Mammern zwei Pfahlbauten beobachtet worden, von denen die eine bisher völlig unbekannt war. Der Bankraub in Berlin. Zu dem Einbruch in die Depositenkasse bei der Disconto-Eesellschaft erfährt man, daß nunmehr die Allianzversicherung eine Belohnung von 20 000 M. für die Ermittlung der Täter ausgesetzt hat. Die Bank leitung hatte schon vorher, wie bereits berichtet, 10 000 Mark ausgesetzt. Zu diesen Summen kommen weitere 10 000 M., die von früheren Einbrüchen in Banken und ähnlichen Instituten her noch ausstehen, da man aus verschiedenen Anzeichen schließt, daß es in allen Fällen die gleiche Bands war. Die Gesamtbelohnung, die ausschließlich für Mitteilungen aus dem Publikum bestimmt ist, beläuft sich also auf 4 0 000 Reichsmark. Allen bisher eingegangenen Fingsrzeichsn und Beobach tungen wird auf das Genaueste nachgegangen, doch hat sich bisher aus keinem eine Spur der Täter ergeben. In der Zentralstelle der Disconto-Eesellschaft, wo hin alles, was die Einbrecher als für sie unverwend bar zurückließsn, geschafft wurde, sind fast 103 Bank beamte damit beschäftigt, zu sichten und zu ordnen, und den Eigentümern ihre Dokumente und Wertpavisre nach hinreichender Legitimation auszuhändigen. Man weiß jetzt genau, wie der Diebstahl ausgeführt wurde. Er ist bestimmt wochen-, ja vielleicht sogar monatelang vorbereitet worden. Um die Lage dieser Stahlkam mer und die baulichen Geheimnisse zu studieren, ist wahr scheinlich ein Mitglied der Einbrechergesell schaft als Mieter eines der S afes ausgetreten. Da zur Mietung gewöhnlich Legitimation nötig ist, so muß es als ausgeschlossen gelten, daß der Mieter seinen wahren Namen genannt hat. 153 Fächer von den ins gesamt 175 waren vermietet. Millionenbeute der Bankräuber. Trotz eifrigsten Bemühungen der Berliner Krimi nalpolizei ist es bisher noch immer nicht gelungen,