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Die Tributkonferenz am Wendepunkt London. 27. Febr. In einem Pariser Bericht der „Times" wird darauf hingewiesen, das; die Verhand lungen der Sachverständigen seht aneinemWende- punkte angelangt seien. In den ersten beiden Wochen hätten die Sachverständigen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und andere wichtige Fragen be handelt. Dr. Schacht habe die Schwierigkeiten des Transfers erfolgreich nachgewiesen, da er eine Ver einbarung erreicht habe, wonach d i e deutschen Jahresraten in zwei Teile getrennt würden. Außerdem habe es Dr. Schacht verstanden, die Fortsetzung der Sachleistungen als notwendig darzulegen. Die Sachleistungen, die im vergangenen Jahr 700 Millionen Mark erreicht hätten und in diesem Jahr wahrscheinlich auf eine Milliarde Mark ansteigen würden, könnten nach seiner Ansicht nicht aufgegeben werden. Alle diese Besprechungen seien nützlich gewesen, aber der Hauptpunkt sei die Summe, die Deutschland als Gegenleistung für den Ver zicht auf gewisse, ihm durch den Versailler Vertrag auf erlegte Bedingungen zahlen wolle. Dr. Schacht habe es nicht eilig gehabt, irgendeine Zahl zu nennen. Er habe andeutungsweise eine Jahresrate von 800 Millionen Mark genannt, aber nicht einer seiner Kollegen habe diese Summe ernst genommen. Der Augenblick scheine nun gekommen, da Dr. Schacht ein wirkliches Angebot machen müsse. Den dem zu erwartenden deutschen An gebot unterliegenden Gedanken, umschreibe die Pariser Presse wie folgt: Die von Deutschland zu zahlendeIahresrate die sich von Jahr zu Jahr ändern könne, werde in drei Teile eingeteilt: 1. Eine in Gold zahlbare Summe ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland, aber mit demselben Anspruch auf ein Moratorium von zwei Jahren, wie es den Gläubigerstaaten in ihrem Kriegs schuldenabkommen mit den Vereinigten Staaten ge währt sei. 2. Eine Summe, die dem Transferschutz unter liege und von der Wohlfahrt Deutschlands abhänqen « werde. 3. Sachlieferungen. Die Gesamtsumme der Jahresrate werde etwa 2 Milliarden betragen. aber mit der Möglichkeit von zusätz lichen Leistungen in den Jahren, in denen Deutschland eine günstige Handelsbilanz aufzuweisen habe. Flüssig gemacht werde diese Schuld durch die Ausgabe von Bonds, wobei eine internationale Körper schaft das Recht erhalte, das deutsche Reich zur Ausgabe aufzufordern. Damit sei nach Meinung der „Times" die Konferenz anden Kern ihrer Auf gab e g e l an q t. Es sei klar, das, die deutsche Re gierung keiner Vereinbarung zustimmen werde, die die Fortsetzung auch nur eines Teiles der Nheinlandbe- setzung gestatten würde. Die deutsche Regierung er warte daneben aber, auch eine gleichzeitige Regelung der Saarfraqe, und zwar so, daß Frankreich das Gebiet zurückqebe. Montague Normen tu Paris. Paris. 27. Febr. Wie erst jetzt bekannt wird, weilt seit Sonntag der Gouverneur der Bank von England, Montague Norman, der erst kürzlich von seiner Neu- yorker Reise zurückgekehrt ist, in Paris. Man bringt natürlich seinen Pariser Besuch mit den Verhandlungen der Sachverständigen in Zusammenhang. Dem „Neu york Herald" zufolge, betont aber Norman, sein Be such habe mit diesen Verhandlungen nichts zu tun. Er habe allerdings zugegeben, daß er der Bank von Frank reich einen Besuch abgestattet habe. Aus anderer Quelle verlautet, daß Montague Norman, sowohl mit Moreau, dem Gouverneur der Bank von Frankreich und französischen Abordnungsführer, als auch mit Reichs bankpräsident Dr. Schacht zusammengetroffen sei. Amerika hat wenig Neigung für Reparationsbonds. Paris, 27. Febr. Zur Frage der etwaigen Aus gabe von Reparationsbonds, zur Umwandlung der deutschen Kriegsschuld in private Verpflichtungen, er klärt ..Neuyork Herald". der in den Vereinigten Staaten unterzubringende Anteil der Obligationen, könne sich höchstens auf 25 v. H. des Gesamtbetrages belaufen. — Selbst dieser Teil dürfte schwerlich vom amerikanichen Markt ausgenommen werden können. Der amerikanische Obligationsmarkt sei gegenwärtig nicht günstig. Zum Teil wegen der großen Limitzeit der Aktien. Die Re parationsbonds werden wahrscheinlich auf dem Kon tinent mehr Anziehungskraft besitzen als auf dem amerikanischen Markte. Dr. Stresemann über Volksnot und Parteigeist. In seiner Rede vor dem Zentralvorstand der Deutschen Volkspartei, über die wir bereits gestern ausführlich berichteten, führte Reichsaußen minister Dr. Stresemann noch folgendes aus: Die Gebarung der Ausgabenwirtschaft in Reich. Ländern und Gemeinden kann einen tatsächlich nur mit Grauen erfüllen (Sehr wahr!). Wir quetschen die Steuerzahler aus, wie eine Zitrone, und durch die Art der Erhebung der Steuern haben wir, wenn auch nicht in der Substanz der Wirtschaft eingegriffen (Zurufe: Doch!), so doch jene Bildung von Reserven unmöglich gemacht, ohne die wir auf die Dauer die Volkswirtschaft nicht aufrichten können. Wir müssen auch das erhalten, was man den industriellen Mittelstand nennt. Wir stehen, wenn die Dinge so weiter gehen, vor den Trusts auf der einen, und vor einer Millionenschar der Ange stellten und Arbeiter auf der anderen Seite. Damit steigern sich die sozialen Gegensätze. Es geht mit dieser Politik nicht weiter, wenn wir nicht sehendes Auges in den Abgrund Hinabstürzen wollen. Unsere Produktion leidet unter der Kaufarmut der Landwirtschaft, die in einer bis zur Katastrophe gesteigerten Krisis sich befindet. Im Etatsjahr 1924/25 hatten wir das Etatsauf- kvmmen veranschlagt auf 5274 Millionen Mark. Ein gestrichen wurden 7280 Millionen Mark. Jetzt brauchen wir 9736 Millionen Mark für das Etatsjahr 1928/29. Von der Milliarde wird heute so gesprochen, wie man früher von Millionen sprach. Deshalb muß der Wettstreit der Parteien um die Popularitätshascherei aufhören. Weiter Krdise bemächtigt sich angesichts unserer parlamentarischen Verhältnisse eine Art von Resig nation. Das schlimmste Zeichen der heutigen Entwick lung besteht darin, daß dieJugend sich über haupt vom Parteileben fernhält, weil sie darin nichts sieht, was sie anzieht. Ich komme auf den Anfang meiner Ausführungen zurück. Die Ersetzung der Persönlichkeit durch die Orga nisation ist das Erundübel des heutigen politichen Lebens. Daß ich dabei nicht zu den Toren gehöre, die den Wirrwarr der bestehenden Parteien durch dieErUn - düng einer neuen Partei beheben wollen, brauche ich nicht zu sagen. Es geht ein Raunen durch das Land von illegalen Bestrebungen zur Ersetzung der V erfass ungdurchDiktaturplüne und ähn liches. Ich glaube, daß wir vom Faschismus noch weit entfernt sind. Es gibt zudem niemand, der an den Wahnwitz denken kann, daß ein Mann wie Hindenburg sich zur Verletzung der Verfassung hergeben wird. Aber wir müssen uns bemühen, zur Reform des Parlamentarismus zu kommen. Wir müssen ver langen, daß die Macht des Parteigeistes seine Grenze findet an den Lebensnotwendigkeiten der deutschen Entwicklung, daß das Parlament den Zwang nicht nur zu formalen, sondern tatsächlichen Mehrheitsbildung in sich findet. Stresemann schloß mit den Worten: Meine Aus führungen sind nicht an eine einzelne Partei gerichtet, sondern an alle Parteien, andenganzenPartei- geist in Deutschland. M Mich Ser SeuWn MMtei. Berlin, 26. Febr. Der Zentralvorstand der Deut schen Volkspartei hat nach längerer Aussprache ein stimmig folgende Entschließung angenommen: „Der Zentralvorstand der Deutschen Volkspartei billigt die Haltung der preußichen Landtagsfraktion und der Reichstagsfraktion in der Koalitionsfrage. Der Zen tralvorstand ist der Ansicht, daß eine fraktionell ge bundene Regierung der Großen Koalition nur dann erfolgreich wirken kann, wenn aus staatspoli tischen Gründen der gleiche Zu st and in Preußen geschaffen wird. Der Zentralvorstand wird infolgedessen nach Beendigung der Neparationsverhand lungen in Paris unter Aufrechterhaltung seines Be schlusses zur Koalitionsfrage vom November 1928 er neut Stellung zu der politischen Lage nehmen, um die gleichartige Bildung der Koalition im Reich und in Preußen zu erreichen. Der Zentralvorstand weiß sich angesichts der Ueberlastung des deutschen Volkes mit Steuern und anderen Lasten, die das Maß des Er träglichen bereits überschritten haben, einig mit der Reichstagsfraktion, daß die Belastung aller Erwerbs stände nicht weiter gesteigert werden darf, dann aber rasch und fühlbar gesenkt werden muß. Ebenso not wendig ist die Inangriffnahme einer umfassenden Reichs- undVerwaltungsreform und die Weiterverfolgung der verfassungsrechtlichen Anträge der Reichstagsfraktion." Frankreichs Einkreisungspolitik gegen Deutschland. Die holländische Presse veröffentlicht ein aufsehen erregendes Dokument über einen geheimen MMärvertrag zwischen Belgien und Frankreich, der die gegenseitige Un terstützung der beiden Staaten für den Fall eines Krie ges mit Deutschland, Italien, Spanien oder Holland vorsieht. Der im Jahre 1920 geschlossene Geheimpakt hat im Jahre 1927 eine neue Auslegung und eine An passung an die veränderte Lage erfahren. Die treibende .Kraft bei diesen Bündnisplänen bildete der französische Generalstab. Unser Bild zeigt den Chef des Stabes, General Debeney. Deutscher Reichstag Sitzung vom 26. Februar 1929. Am Regierungstische Reichskanzler Müller und Reichswehrminister Groener. Auf der Tagesordnung stand die kommunistische Interpellation über die Denkschrift des Reichswehrministers Groener zur Panzerkreuzerfrage. Abg. Stöcker (Kom.) begründete die Interpella tion. Die Denkschrift sei außerordentlich interessant und wertvoll, weil sie im Gegensatz zur offiziellen Friedens heuchelei der Deutschen Regierung die klaren Absichten der imperialistischen Politik zeige. Im Gegensatz zu den völkerversöhnenden Reden der deutschen Minister offen bare sie den Kriegswillen und das Kriegsprogramm der deutschen Bourgeoisie. Wann werde endlich das Ge heimnis über die Zahlen des Wehretats gelüftet? Viel leicht gebe der Reichsverkehrsminister darüber Aus kunft, wieviel Panzerzüge der Reichsbahn schon auf die russische Spurweite umgestellt seien? (Stürmisches Ge lächter im ganzen Hause.) Der Redner schloß: Wir klagen die Regierung der bewußten Vorbereitung des imperialistischen Krieges an. Das Wort hat nunmehr der Angeklagte. (Heiterkeit.) Zur Beantwortung der kommunistischen Inter pellation über die Denkschrift nahm Reichskanzler Müller sogleich das Wort. Er erklärte, die Denkschrift des Reichswehrministers war lediglich als Gutachten des Reichswehrministeriums abgefaßt. Sie sollte ihrer Zweckbestimmung nach nicht veröffentlicht werden. Wie es möglich war, daß die Denkschrift der Oeffentlichkeit übergeben werden konnte, wird zurzeit untersucht. Die Behauptung der Interpellation findet in der Denkschrift keine Stütze. Es ist auch im Aus land weitgehend anerkannt worden, daß die Denk schrift bei Erörterung von Kriegsmöglichkeiten von vornherein jede militärische Verwicklung als für Deutschland verhängnisvoll darstellt. Die Denk schriftweist nach, daßDeutschland impe - rialistische Absichten garnicht haben k a n n. Zu den Fragen des Grenzschutzes und der Wahr ung der Neutralität imFalle kriegerischerVerwicklungen anderer Staaten sich gutachtlich zu äußern, gehört zur Pflicht des Reichswehrministers. Nirgends läßt die Denkschrift die Absicht eines Krieges gegen Sowjetruß- land erkennen. Von irgendwelcher Aufrüstungspolitik kann überhaupt nicht die Rede sein, denn beim Bau des Panzerkreuzers handelt es sich bekanntlich nur um einen Ersatzbau. Wenn der Wehrminister in einer solchen Denkschrift den Fall der Notwehr als Fach minister behandelt, so kann das wirklich nur als seine Pflicht behandelt werden. Der Abgeordnete Stöcker- Habe versucht, es so darzustellen, als ob die Denkschrift Rüstungspläne gegen Sowjetrußland enthalte. Es sei demgegenüber festzustellen, daß Rußland in der Denk schrift nur im Zusammenhang mit der Wahrung der deutschen Neutralität und ferner noch an einer anderen Stelle bei einem Zitat der englischen Presse genannt werde. Es werde dem Abgeordneten Stöcker nicht gelingen, die guten Beziehungen zwischen der deutschen Regierung und der Sowietregierung zu trüben. (Heiterkeit. — Lebhafte Zurufe der Kommu nisten.) Sie scheinen Ihre (zu den Kommunisten) Literatur schlecht zu lesen! Kalinin habe beim Empfang des deutchen Botschafters kürzlich ausdrücklich erklärt, die Sowjetunion und die Deutsche Republik seien viele Jahre hindurch durch enge Freundschaftsbande ver knüpft. In Moskau werde man die Ausführungen des Abgeordneten Stöcker, insbesondere über die Umstel lung der Feldbahngleise auf die russische Spurweite, zweifellos nicht ernst nehmen. Er wolle an dieser Stelle nur wiederholen, daß von den 700 Millionen des Wehr etats allein 500 Millionen zwangsläufig seien. Spiele rische Zahlenvergleiche bewiesen nichts. Gerade mit Polen könnten solche Vergleiche nicht angestellt werden. Das Wort „Panzerschiff" sei ja in der ganzen Rede nicht ein einziges Mal vorgekommen, lHeiterkeit.) Abg. Stampfer (Soz.) führt u. a. aus, die So zialdemokratische Partei verstecke sich nichl hinter eng lischen Zeitschriften, sie fürchte auch nicht die politische Hochwassergefahr. Was sie für den Staat getan habe, stehe in den Büchern der Geschichte. Ohne ihre Arbeit wäre die Demokratie nicht möglich gewesen. Hoffent lich finde sich der Reichstag bald wieder zu ernsterArbeit und sachlicher Beratung zurück. Abg. von Lettow- Vorbeck Dtntl.) gab der Genugtuung seiner Freude darüber Ausdruck, daß der Reichskanzler die Inter pellation in ablehnendem Sinne beantwortet habe. Die Auslieferung der Denkschrift an das Ausland sei Landesverrat. Geradlinigkeit sei dem Reichskanzler nicht zuzugestehen, denn als Parteimann habe er die Vorlage über den Panzerkreuzer abgelehnt, die er selbst eingebracht habe. Der Redner fragte den Reichskanzler, ob er zur Bekämpfung dieser Widerstünde in seiner Par tei bereit sei. Wir brauchen, so erklärte der Redner zum Schluß, eine zuverlässige Wehrmacht nach außen, aber mehr vielleicht noch nach innen aus den bewährten Grundlagen der Disziplin, der Treue und des Gehor sams. Äbg. Brüninghaus (DVP.) erklärte, im Inland und auch im Ausland würde man es verstehen, wenn nach der Begründung der Interpellation und der erschöpfenden Beantwortung durch den Reichskanzler eine Besprechung nicht mehr stattgefunden hätte. Reichskanzler Müller verwies gegenüber Fragen des deutschnationalen Redners auf seine Er klärung vom Juni vorigen Jahres, aus der klar her vorgehe, daß eine grundsätzliche Ablehnung des Wehr etats der Auffassung der Regierung nicht entsprechen könne. Abg. Ritter von Epp (Nat.-Soz.) ver urteilte den Verrat der Denkschrift als einen großen Vertrauensbruch, der die Landesinteressen geschädigt habe. Im Schlußwort erklärte der Abgeordnete Stöcker (Kom.), die Zustimmung selbst der Deutschnationalen