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Englisches Protektorat über Afghanistan? Kowno, 23. Zan. Wie aus Moskau gemeldet wird, haben die aus Kabul einqetroffenen Meldungen in Moskauer politischen Kreisen weitere Beunruhigung hervorgerufen. Zn Moskau hört man, das; die Ver handlungen zwischen dem englischen Gesandten und Habib Ullah beendet seien. König HabibUllah soll nach russischer Darstellung bereit sein, auf dieSelbständigkeitAfqha- nistans zu verzichten und das englische Protektorat anzu erkennen. Aus russischer Quelle kommt die Meldung, das; ein Vertrag noch in dieser Woche unterzeichnet werden soll, nach dem sämtliche Gesandten Afghanistan verlassen sollen. Habib habe sich bereit erklärt, das afghanische Außenministerium aufzulösen und ein Büro aus drei Mitgliedern zu gründen, das die Beziehungen zwischen Afghanistan und den anderen Ländern zu regeln hat. Dieses Büro soll aber nicht das Recht haben, irgend welche Verträge und Abkommen ohne Wissen des eng lischen Gesandten abzuschließen. Falls das Protektorat Englands wieder hergestellt werde, werden sich die russisch-englischen Gegensätze im nahen Osten wieder verschärfen. Die Lage in Afghanistan. London, 23. Jan. Nach den letzten in Neu-Delhi eingegangenen Nachrichten aus Kabul, wird der neue Emir Habib Ullah einen großen Teil der Bevölke rung, die aus den Landbezirken nach Kabul gekommen war, wieder in ihre Heimat zurückschicken, sobald sich seine Stellung etwas gefestigt hat. Unter den gegen wärtigen Umständen ist die A u f r e ch t e r h a l t u n g der Ordnung in Kabul schwierig. Die letzten Berichte bestätigen, daß der neue Emir mit allen Mitteln versuche, seine Macht zu befestigen und eine Regierung zu bilden. Das letztere scheine bisher nicht gelungen zu sein. Die ehemaligen Truppen Aman Ullahs und Inayat Ullahs in Kabul seien alle ent waffnet worden. In den Bazaren sollen in einem ge wissen Umfangs Plünderungen stattgefunden haben. Gegen Europäer sei es bisher nirgends zu Uebergriffen gekommen. Die Stämme in der Nähe von Dschellalabad treten heute zu einem größeren Stammesrat zusammen, um sich mit den weiteren Schritten zu befassen. Inayat Ullah ist nach Chaman auf dem Wege nach Kandahar gebracht worden. Die Reise von Peschawar nach der Grenze dauerte nur 48 Stunden. Der Grund, warum Inayat Ullah von Kabul über Peschawar nach Kandahar zurückgebracht wird, liegt darin, daß die britischen Luftstreitkräfte sich weigerten, den gefährlichen Flug von Peschawar nach Kabul und von dort nach Kandahar zu unternehmen. Auch Dacha Sakaos Kerrschaft erschüttert. London, 23. Jan. Der „Daily Expreß" berichtet aus Karachi, daß König AmanUllah vor seiner Abdankung, sowohl an die britische wie an die russische Regierung herangetreten sei und beide um Hilfe im Kampf gegen die Rebellen ersucht habe. Beide Regie rungen hätten erwidert, daß sie sich in die Angelegen heit Afghanistans nicht einmischen und keine Truppen entsenden könnten. Der Sonderberichterstatter des „Daily Telegraph" in Peschawar meldet, daß in den afghanischen Stämmen vielfach der Wunsch bestehe, e i n e n n e u e n K ö n i g a n S t e l l e B a ch a S a - kaos zu erhalten. Aussichten habe Nadir Khan, der im dritten afghanischen Kriege eine große Rolle ge spielt und jetzt aufgefordert worden sei, nach Afgha nistan zurückzukehren. Nadir Khan werde von vielen Stämmen geachtet und unterstützt, da er für die Amne stieforderung der Stämme verantwortlich gewesen sei, die die afghanische Regierung im Kampf gegen Indien 1919 unterstützt hätten. Ob Nadir Khan zurückzu kehren bereit sei, sei fraglich. Auf wen immer schließ lich die Wahl fallen wird, wahrscheinlich sei es auf jeden Fall, daß auch die Herrschaft Vacha Sakaos ihrem Ende entgegengehe. Kabib Allah gegen Aman Allah Kairo, 23. Zan. Wie aus Kabul gemeldet wird, hat Habib Ullah einen Befehl zur Verhaftung König Aman Ullahs seiner Verwandten und sogar seiner Groß mutter erlassen. Er hat demjenigen, der Aman Ullah und seine Verwandten gefangen nimmt, eine große Be lohnung versprochen. Den Führern der Stämme hat er erklärt, daß er ohne Kampf die Macht in Kabul Aman Ullah nicht überlassen werde. Er will Aman Ullah noch einmal zum Verlassen Afghanistans auffordern und falls er dieser Aufforderung nicht Folge leiste, ihn militärisch dazu zwingen. Gestern haben die Flieger Aman Ullahs Aufrufe abqeworfen, in denen die Be völkerung aufgesordcrt wird, Habib Ullah den Ge horsam zu verweigern. Much im jWiMchWm WchWW? Peking, 23. Zan. Wie aus Tokio gemeldet wird, bringt schon vier Tage nach einander die japanische Presse Nachrichten über die Beziehungen Zapans zu Rußland. Die „Hoch;" und „Djidji" berichten aus gut unterrichteten japanischen Quellen, daß die japanische Regierung beabsichtige, ihre Beziehungen zu Moskau abzubrechen. Obwohl das Ministerium des Auswär tigen es ableugne, glauben die Blätter, daß die japa nische Negierung mit der kommunistischen Propaganda im Fernen Osten sehr unzufrieden sei. Der Verband der japanischen Schifferei-Jndustri- ellen hat beschlossen, sich dem Weltverband der russischen Gläubiger anzuschließen, der in London seinen Sitz hat und zu verlangen, daß die Sowjetregierung sämtliche Ansprüche befriedige, die aus den Verlusten der japa nischen Industriellen bei dem Zusammenbruch des russischen Kaiserreichs entstanden sind. Der Minister präsident hat gestern den Sowjetbotschafter Troja- nowski empfangen und ihm erklärt, daß die japanische Regierung Verhandlungen mit Moskau über den Ab schluß eines Garantievertrages ablehne. Eine amtliche Bestätigung dieser bedeutsamen Meldung steht einstweilen noch aus. Die chinesisch-japanische Spannung. London, 22. Jan. Die chinesisch-japanische Span nung hat sich durch die Beschlagnahme eines chinesischen Patrouillenbootes durch japanische Marinestreitkräfte und die Verhaftung der 5 Mann starken Besatzung eines Motorbootes außerhalb der japanischen Konzession, weiterhin verschärft. Die japanischen Behörden, die be haupten, daß das Motorboot die Blockade gegen das japanische Konzessionsgebiet unterstütze, werden von den Chinesen beschuldigt, den Boykott gegen Japan durch ihre feindliche Haltung zu fördern. Das japanische Vorgehen komme unter diesen Umständen einer Kriegs handlung gleich. Die Chinesen haben gestern alle Ver sammlungen von Ausländern verboten, die in dem ehe maligen deutschen und russischen Konzessionsgebiet ein berufen waren, um die ernste Lage zu erörtern. Die Ausländer haben gegen diese Beschränkung der Freiheit Einspruch erhoben. Neuer Millionenbetrug in Paris. Paris, 22. Jan. Die französische Öffentlichkeit wird durch die Aufdeckung eines neuen Krachs, bei dem Summen von rund 80 Millionen in Frage kommen, in Aufregung versetzt. Es handelt sich diesmal um eine Zuckergesellschaft, die „Societe Fer- miere de Sucrerie" in Paris, die auf NaturaUeistungs- konto bedeutende Menqen von Zucker aus Deutschland geliefert erhielt und es dann verstand, durch ihre Be trügereien den französischen Staat um große Summen zu schädigen. Der von Deutschland gelieferte Zucker soll mit Hilfe englischer Kaufleute und englischer Zucker- qesellschaften weiter veräußert worden sein. Die dem Staate geschuldeten Beträge von zunächst 9 Millionen und dann 32 Millionen Franken konnten nicht geleistet werden. Ter Pariser Untersuchungsrichter Audibert ist mir Ler Aufklärung dieser Schwindelangelegenheil betraur worden und hat am Sitze der französischen Eeielüchair sowie der Pariser Niederlassungen der englischen Gesell schaften zahlreiche Papiere beschlagnahmt. Gegen drei leitende Persönlichkeiten der „Societe Formiere de Sucrerie" wurde Anklage wegen Betruges erhoben und gegen den Präsidenten Leon Polier der Verhaftungs befehl ausgestellt. Paris, 22. Jan. Wie der Vertreter der Tele- graphen-Union zum neuen Millionen-Betrug der im Zusammenhang mit dem deutsch-französischen Liefe rungsvertrag steht, weiter erfährt, war die deutsche Regierung seinerzeit rechtzeitig über den Vertrag zwischen der deutschen und französischen Firma unter richtet und hat ihrerseits die Ausführung des Vertrages beanstandet, da entgegen den festgelegten Bestimmungen der Zucker von Deutschland nicht nach Frankreich, sondern nach England ausgeführt wurde. Zur Zeit handelt es sich um eine rein franzö sische Angelegenheit, da die „Societe Fermiere de Suc rerie" nicht in der Lage sein soll, die Summe, die sie der französischen Regierung für Zuckerlieferungen schuldet, zu leisten. Wie die Untersuchung feststellt, hat der von Deutschland gelieferte Zucker tatsächlich Frankreich nie mals gesehen. Die Schiffe wurden vielmehr direkt nach England geleitet, wo der Zucker dann verkauft worden ist. Hieraus erklärt sich denn auch, daß die in Frage kommende Zuckergesellschaft und ihre Leiter auf der Pariser Handelsbörse völlig unbekannt waren. Der Präsident der betrügerischen Gesellschaft, Polier, ist übrigens auch noch Präsident der „Compagnie Franco- Marocaine pour la Navigation et la Commerce". Er ist bereits verhaftet worden. Paris, 23. Jan. Der infolge der Aufdeckung des neuen Riesenschwindels verhaftete Präsident der .Societe Fermiere de Sucrerie", Polier, war noch vor wenigen Jahren Professor an der Liller Universität, an der er Vorlesungen über Volkswirtschaft abhielt. Vor her hatte er einen Lehrstuhl in Toulouse inne. Im Februar 1927 nahm er Urlaub und verließ Lille, ohne wieder zurückzukehren. Man erfuhr damals, daß er nach Paris gegangen war, um dort Geschäfte zu machen. Zweifellos fand er, daß sein Professorengehalt zu ge ring war und wollte sich in Spekulationen mehr Geld verdienen. Er trat in die Zuckergesellschaft ein und wurde bald Präsident des Verwaltungsrates. In seinem Liller Kollegenkreis war sein Geschäftssinn bekannt. Anklage gegen Kugo Slinnes. Wegen versuchten Betruges. Berlin, 21. Jan. Die Zustizpressestelle teilt mit: In der Strafsache wegen Anleihebetruges hat die Staatsanwaltschaft I gegen die Kaufleute Hugo Stinnes Kurt Nothmann, Bela Groß, Leo und Eugen Hirsch und den Landwirt v, Waldow Anklage wegen gemein schaftlich versuchten Betruges zum Nachteil des Deutschen Reiches und gegen den Kaufmann Zokef Schneid An klage wegen Beihilfe zum versuchten Betrug erhoben. Den Angeklagten ist eins längere Erklärunqsfrist ge geben. Inzwischen ist auch in dem Kunert und Genossen betreffenden Teil der Anleihebetrugssachs die Vorunter suchung abgeschlossen worden. Die Akten liegen der Staatsanwaltschaft zur Entschließung vor. Die Anklage gliedert sich in f ll n f A b s ch n i t t e in denen die Tätigkeit der Vermittlung und der Alt besitzstellen in Frankreich und Rumänien und die dort vorgekommenen betrügerischen Anmeldungen beleuchtet wurden. Im November 1926 wurden von vier fran zösischen Staatsangehörigen dem deutschen Sonder kommissar in Paris sechs Anleihealtbelltzanträge über 28 Millionen Mark eingereicht. Unter diesen vier Franzosen befand sich auch der frühere Deputierte Tal mon. Im Juni 1927 erfolgte beim deutschen Sonder kommissar in Paris eine Anzeige, daß die Veweis- urkunden über den Besitz des Altbesitzes gefälscht seien. Calmon verzichtete nun auf die geforderte Summe. Weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, daß Stinnes die Geldbeträge, die zur Beschaffung der 28 Millionen angefordert wurden, durch Waldow und Nothmann zur Verfügung stellte. Was die rumänischen betrügerischen Anmeldungen betrifft, so hatten im November 1926 mehrere rumänische Bankiers sieben Altbesitzanträge über rund 15.5 Millionen Mark einqereicht. Die Ermittlungen ergaben, daß auch hier Stinnes.Geldmittel zum Ankauf bereitqestellt hat. Der Plan zu diesen Geschäften ging jedoch von Hirsch und Schneid aus. In Frv"*reich. so erklärte Leo Hirsch, könnte man besonders große Geschäfte mit Anleihealt besitz machen. Diese Aem-mungen machte Hirsch dem Vela Groß gegenüber, der auf die Geschäfte einqing. Durch Vermittlung des Bankiers Horn kam man auf Nothmann, der bei Hugo Stinnes angestellt war. Nothmann wurde nach Paris gerufen. Als er wieder nach Hamburg zurückkehrte, fragte er v. Waldow, ob er Lust hätte, mit einer Million 15 Millionen zu verdienen. Nun glaubte man, Stinnes für die Ange legenheit interessieren zu können. Es wurde ihm über die Geschäfte berichtet, und Stinnes ging darauf ein. Er stellte Nothmann und Waldow 250 000 Mark zur Verfügung, mit denen sie nach Paris reisten und Hirsch mit dem Ankauf der Anleihestücke beauftragten. Stinnes stellte später weitere 200 000 bis 300 000 Mark zur Verfügung, um auch in Rumänien Geschäfte zu machen. Der Gewinn aus diesem Geschäft sollte derart verteilt werden, daß Stinnes 50, Eugen Hirsch 30 und der Bankier Schrandt 20 Prozent verdienten. Stinnes bestreitet jede Schuld, gibt aber zu, beide Geschäfte finanziert zu haben. Er will jedoch geglaubt haben, daß es sich um legale Geschäfte handelte. Die Staatsanwalt schaft verweist unter den Gegenargumenten auf ein ge heimes Konto Hollesen, das ein f i n g i e r t e s K o n t o von Stinnes gewesen sein soll. Aus diesem Konto sollen 455 000 Mark nach und nach an Nothmann und v. Waldow gegangen sein. Zu der Verhandlung sind von der Staatsanwaltschaft 19 Zeugen, zum Teil awo Paris, Wien, Amsterdam und Neuyork, geladen. Wer hat dieses Dokument ausgeliefert? — Die Denk schrift des Reichswehrministers. Deutschland steht wieder ein politischer Prozeß be vor, der nicht nur wegen der Wichtigkeit seines Gegen standes, sondern vielmehr noch wegen seiner eigenartigen Begleitumstände und den vielleicht darin verwickelten Per sönlichkeiten Beachtung verdient. Eine als geheim be zeichnete Denkschrift des Reichswehrministers, in der der Bau des viel umstrittenen Panzerkreuzers behandelt wurde, und die in ihrem Inhalt eigentlich nur das zu sammenfaßt, was in der Presse aller Richtungen schon oft genug erörtert wurde, ist aus dem eng gezogenen Kreise der Empfänger in englische Hände geraten und in der bekannten englischen Zeitschrift „The Review of Reviews" zum Abdruck gelangt. Wenn auch der diplomatische Schaden kaum groß sein dürfte, da diese Denkschrift tatsächlich kaum etwas Neues enthält, so ist doch die Tatsache, daß solche Schriftstücke von den Empfängern mißbraucht werden, im höchsten Maße bedenklich. Auf Antrag des Reichswehrministeriums ist daher von den zuständigen Justizbehörden eine Untersuchung wegen Lan desverrats eingeleitet worden. Unser Bild zeigt die Titelseite der englischen Zeit schrift, sowie den Anfang des Aufsatzes in der englischen Uebersetzung. Auf dem Titel heißt es: „Die> neue deutsche Flotte. Ein wichtiges geheimes Dokument." — Die Ueberschrift des Aussatzes lautet: „Des neuen Deutsch lands neue Flotte. Ein wichtiges Schriftstück."