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Kurze Mitteilungen. 3 Dezember IS28 Nachdem erst vor kurzem der Etternrat bei dem deutschen Lizeum in Kattowitz durch Verordnung der Cchulabteilung der Woiwodschaft aufgelöst wurde, ist ttunmehr auch die Schulkommission bei der katholischen Minderheitsschule in Rosdzin aufgehoben worden. Das „Echo de Paris" meldet, es bestätige sich, daß die Alliierten eine gemeinsame Ant wort ausarbeiten würden, die in Berlin getrennt durch die Botschafter überreicht werde. Es handele sich darum, eine Formel zu finden, die die Aufgaben der Sachver ständigen umgrenze. Der französische Botschafter in London hat am Connabend dem Schatzamt die Antwort der französischen Regierung auf den britischen Antwort-Ent wurf über die deutsche Denkschrift vom 30. Oktober überreicht. Nach Meldungen au? Melbourne hat die Po lizei im Zusammenhangs mit Waffenfunden im Hafen viertel weitere Verhaftungen vorgenommen. Einer der Verhafteten gab die Namen und Adressen Mehrerer Verschwörer an, die angeblich Bombenanschläge beabsichtigten. * Escherich kündigt die Gründung eines bayrischen Heimatschutzes an. München, 3. Dez. Auf dem Ijargauer Heimattag, der in München abgehalten wurde, kündigte der Forst- rar Dr. Escherich die Gründung eines bayrischen Hei- Matschutzes an. Dr. Escherich hielt eine Rede, in der er erklärte, datz es heute um Bayerns Selbständigkeit gehe. Die bayrische Regierung und die Parteien hätten den Kampf mit dem qrosideutschen Gedanken ausge nommen. Wie seiner Zeit nach dem Umsturz sich die Männer zusammentaten, die Einwohnerwehren grün deten und damit zur Stütze der Regierung wurden, so Mutzten sich auch heute wieder die Bayern zusammen- schlietzen. Es müsse eine graste Volksbewegung ent stehen. Der Kampf gehe nicht allein um das bayrische Land, sondern um das über alles geliebte deutsche Reich. — Wie die Münchner Telegramm-Zeitung erfährt, werden in den nächsten Tagen Verhandlungen zur end gültigen Gründung des bayrischen Heimatschutzes ge führt werden. Bekanntlich Hai Dr. Escherich bei der bayrischen Einwohnerwehr eine führende Rolle gespielt. Die Erdbeben verwüst ungen in Chile. London, 3. Dez. Wie aus Santiago de Chile ge meldet wird, ist der Kriegsminister aus dem Erdbeben gebiet zurüügekehrt. Er berichtet, datz die Stadt Talca eine einzige Ruine sei. Nur das Negierungsgebäude sei unbeschädigt geblieben. In Talca wurden bisher 92 Tote gezählt, in Constitucion 54. Auch diese Stadt ist nach Angaben des Führers eines Kriegsschiffes völlig zerstört. Durch den Bruch eines grasten Wasserbehälters in den Kupferminen wurden 35 Personen getötet. Zehn Arbeiter wurden von Wassermassen mitgerissen. Ihre Leichen konnten noch nicht gefunden werden. Eine Pionier-Abteilung ist nach Talca abgegangen. Des- gleich sind zwei Kreuzer mit Arzneien und Lebens mitteln in das Erdbebenqebiet entsandt worden. Mährend der letzten Nacht waren weitere schwächere Erdstöste zu verzeichnen. Die Erdbebenwarten nehmen an. dast weitere Erdstöste folgen werden. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 1. Dezember 1928. Noch immer verhandelt der Reichstag über die Ehe scheidungsreform. Auch heute vertritt ein Teil der Redner den Standpunkt des Reichsjustizministers, dast das neue Ehescheidungsgesetz von der fortge schrittenen Zeit gefordert werde, während der andere Teil die Weltanschauung offenbart, dast die Heiligkeit der Ehe oben angestellt werden müsse und deshalb alles zu vermeiden sei, was die Ehescheidung erleichtern könne. Auch heute 'sind selbst in den einzelnen Par teien die Gegensätze sehr grost, sprechen die Redner gegen die neue Scheidungsreform, während die Fraktion durch aus nicht der gleichen Ansicht ist. Der Demokrat EHIermann setzt sich heute gewandt für die Vorlage ein. Man sieht die geteilte Meinung bei den Deutsch- nationalen, deren Redner Dr. Hanemann durchaus nicht alle Brücken abbrechen möchte, man sieht sie bei der Deutschen Volkspartei und bei der Wirtschafts partei. Man fühlt nur klar aus den Motten der Zen trumsrednerin, Frau Weber, dast das Zentrum und mit ihr die Bayrische Volkspattei, für die Emminger spricht, datz eine geschlossene und konsequente Haltung vorherrscht. Und doch zeigt die Zentrumsrednerin Tole ranz und sucht die anderen, die nicht vom katholischen Standpunkt die Frage beurteilen, zu verstehen. Gestern schon standen diese Redner aus der Liste, heute aber kamen sie erst zu Wott, denn gestern wurde die Be ratung etwas plötzlich unterbrochen. Neu trat heute für die Demokraten nur Frau Dr. Lüders auf, die zwar zugab, datz Mütter und Kinder am meisten durch die neue Ehescheidungsreform leiden werden, aber sie bekannte sich doch für das vorgeschlagene Gesetz. Trauerfeier für Admiral Scheer im Dom. 3. Dezember >928 Am Sonntag veranstaltete der Eauverband der Marinevereine Berlin und der Provinz Brandenburg eine Trauerfeier für den Sieger von Skagerrak. Bis zum letzten Platz war der Dom gefüllt, so datz Hunderte keinen Einlatz mehr fanden. Viele höhere Offiziere der allen Armee sowie der Reichswehr sah man. Ein Wald von Fahnen umgab den Altar. Eine besondere Weihe erhielt d'ese Trauerfeier durch die Anwesenheit des Reichspräsidenten, der in Begleitung seines Sohnes und des Chefs der Marinelellung, Admiral Dr. h. c. Raeder, an der Feier teilnahm. Ferner be merkte man Vertreter der Behörden, des diplomatischen Korps und der vaterländischen Verbände. Hosprediger D. Doering legte seiner Gedenkpredigt den Psalm 90 zugrunde: „Unser Leben währet 70 Zähre und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit ge wesen." Dor dem Gotteshaus brachte die Menge dem Reichspräsidenten eine begeisterte Huldigung dar und sang das Deutschlandlied. Aus aller Well. * Das Urteil im Hustmann-Pro^est rechtskräftig — Keine Veröffentlichung der Begründung. Das frei ¬ sprechende Urteil im Mordprozest Hustmann hat am Sonnabend Rechtskraft erlangt. Die Urteilsbegrün dung umfasti 75 Seiten in Maschinenschrift und würdigt in lückenloser Vollständigkeit das gesamte Ergebnis des Riesenprozesses. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dast eine Veröffentlichung der Urteilsbe gründung nicht zweckmässig erscheint. Diesem Stand punkt haben sich auch der freigesprochene Hustmann und sein Pflegevater der Rektor Kleinbömer in Gladbeck angeschlAssen. * Wieder ein Schülerselbstmord. Nach einer Mel dung Berliner Blätter aus Kottbus, wurde am Sonn tag früh ein 19jähriger Oberrealschüler in der elter lichen Wohnung tot aufgefunden. ^Lr hatte durch Leuchtgas seinem Leben ein Ende gemacht. Als Ur sache zu der Tat dürfte ein Tadel anzusehen sei, der ihm deswegen ausgesprochen war, weil er zu Ostern das Reifezeugnis nicht erhalten solle. * Der Mörder von Professor Kurz noch nicht er griffen. Wie Berliner Blätter aus Werder melden, ist der Zimmermann Schlucke, der beschuldigt wurde, Pro fessor Kurz ermordet zu haben, am Sonntag wieder auf freien Fust gesetzt worden. Das von ihm aufgestellte Alibi Hal ergeben, dast er als Täter nicht in Frage kommt. * Erubenunfall auf Zeche „Westerhold". Aus Gelsenkirchen wird gemeldet: Sonntag fielen im unter irdischen Betrieb der Zeche „Westerhold" gröstere Ee- steinsmassen auf den Hangenden und verschütteten einen Bergmann aus Vuer-Hassel. Er konnte erst nach qrösteren Äufrüumungsarbeiten geborgen werden. - Die Versuche mit dem Volkhart-Raketenwagen auf der Avus. Auf der Avus in Berlin unternahm am Sonntag nachmittag der Düsseldorfer Kurt Volk hart Versuche mit seinem neuen Naketenwagen. Der erste Start mistlang, da die Rakete seitlich flog. Beim zweiten Start glückte die Fahrt, aber nur auf einer Strecke von 600 Meter mit 30 Kilometer Stundenge schwindigkeit. * Grubenexplosion in West-Virginien — 6 Ar beiter eingeschlossen. In dem Schacht eines Kohlen bergwerkes der Prinzest Pocahontas-Kohlengesellschaft in der Nähe von Rodefield wurden nach Meldungen aus Bluefields in West-Virginien durch eine Erubenexplo- sion sechs Bergarbeiter verschüttet. Sämtliche Anlagen der Gruben wurden zerstört. Sofort eingesetzte Ret tungsmannschaften sind noch damit beschäftigt, die ein geschlossenen Bergarbeiter aus ihrer Lage zu befreien, doch ist es bisher nicht möglich gewesen, mit diesen irgendwie in Verbindung zu gelangen. Ratstagung im Kurort. — Ob das Klima aus die Stim mung wirken wird? Die nächste Tagung des Völkerbundsrates, die im Dezember beginnt, soll diesmal nicht in Genf stattfinden, sondern voraussichtlich in Lugano. Das Genfer Klima, an das sich jeder Ortsfremde erst gewöhnen mutz, ist im Winter mitunter sehr neblig und rauh, so datz man angesichts der langen Erkrankungen der beiden Autzen- minister Englands und Deutschlands pinen wärmeren Ott vorzieht. Lugano, das unser Bild zeigt, früher deutsch auch Lauis genannt, gehört seit 1512 zur Schweiz und ist mit 14000 Einwohnern die grötzte Stadt des Kantons Tessin. Sie liegt an der mittleren Bucht des Luganer Sees sehr geschützt, so datz sie im ganzen Jahr besucht werden kann. Wolken und Sonnenschein. Roman von Emilie Sicha. 7S) (Nachdruck verboten.) Spät in der Nacht kam Leone nach Hause. Nach der Oper hatten sie in einem feinen Lokal zu Abend gegessen Und eine Weile getanzt; es war mehr als zwölf Uhr, als Leone endlich in ihrer Stube war. Aber trotz der vorge rückten Zeit fühlte sie keinen Schlaf. Ihre Gedanken waren wieder auf der Wanderung. Zwar dachte sie nicht an Binder, der sehr sentimental gewesen und wieder ziemlich viel Unsinn gesprochen hatte von seiner heiligen Liebe zu ihr, ihre Gedanken waren bei Melitta. Diese war nicht Zu der Oper gegangen, war daheim geblieben bei Gerhard, hatte die Karten den beiden Mädchen geschenkt, obwohl sie, das wußte Leone ganz genau, die „Meistersinger" so sehr liebte. Was für ein gutes Herz Melitta war! Sie liebte ihren Mann immer gleichmäßig, glaubte ihm alles, konnte ihm alles verzeihen und vergessen. Es war ein großes Glück, daß sie so war, daß sie ihn nicht mit kritischen Augen betrachtete. Er war immer ser Einzige, zu dem sie auf- schaute, der so viel klüger und welterfahrener war als sie. Und Gerhard nahm alles als selbstverständlich an, schätzte gar nicht die Liebe seines falschlosen Weibes! Er brachte es so leichten Herzens fertig, sie zu täuschen; war dies Nicht trostlos? Wollte er nie zu der Einsicht kommen, welchen Schatz er an Melitta hatte? Die Pfälzer Bauern, die ihm einen so bösen Streich gespielt, sie hatten nicht nach dem Herkommen Gerhard Ellingers gefragt, hatten ihn schlimmer behandelt als den armseligsten Knecht des Dorfes! Ein Glück, daß Melitta den wahren Sachverhalt nicht kannte! Leone legte das Gesicht auf die Arme und verharrte eine Weile regungslos, dann stand sie auf und ging zum Fenster. Die Nacht war sternenlos und gar nicht kalt, in der Luft lag schon das Ahnen des Frühlings. Sie ließ ihre Augen über die Lichter der Stadt schweifen. Hier und da kam von der Straße her das Geräusch eines fahrenden Automobils, manchmal hallten auch die Schritte eines Fußgängers auf dem Trottoir, sonst war alles ruhig. Sie atmete tief und sah mit weit offenen, schlaflosen Augen in die milde, finstere Nacht hinaus. Und ein Bild stieg in ihrer Erinnerung auf! Es war das Bild eines Mannes, wie er vor ihr gestanden und mit erregter Stimme von heimlicher Liebe zu ihr gesprochen hatte. Er hatte es ehrlich gemeint, hatte ihr seine Liebe und alles, was er besaß, zu Füßen gelegt, wäre wohl auch nicht wankelmütig geworden. Aber sie hatte ihn abgewiesen, weil die Wunde ihrer ersten unglücklichen Liebe damals noch zu frisch war, weil sie glaubte, daß sich ihr Herz von diesem Schlag nie mehr erholen könne! Aber sie hatte sich erholt, war gesund geworden, wenn auch nicht mehr so ausgelassen wie früher! Helmur Bruder und Baumeister Kieffer hatten um ihre Hand gefragt. War sie nicht töricht, daß sie nicht nahm, was sich ihr bot? Wie bald werden die Jahre va sein, da sie zu der älteren Klasse der Mädchen zählt und kein Mann mehr nach ihr fragt! Baumeister Kieffer hatte sich leicht getröstet und in ganz kurzer Zeit wird auch Binder sie vergessen haben! Leone trat vom Fenster zu rück und warf sich in einen der weichen, gepolsterten Sessel, bedeckte das Gesicht mit den Händen. Ihre erste Torheit war schuld daran, daß sich ihr Leben ganz anders ge staltete, als es hätte sein können. War Melitta trotz allem nicht doch beneidenswert? Sie liebte ihren Mann und wußte nicht, daß er dieser Liebe nicht würdig war. Mit einem Ruck richtete sich Leone auf; wohin hatten sich ihre Gedanken verirrt? Sie ballte die Faust, schlug sich damit gegen die Stirn; hatte sie Venn ganz den Verstand ver loren? — Gab es wirklich noch Augenblicke, wo sie be dauern konnte, datz alles gerade so gekommen war? Gerhard Ellinger und Oberingenieur Heintzen konnten doch nicht zusammengerechnet werden! Gerhard war reich, mußte sich nicht aus seine Frau verlassen — aber Heintzen? — — Bei einer Heirat mit einem armen und unbedeu tenden Mädchen hätte er nicht erreichen können, wonach sein Ehrgeiz verlangte, er hätte in bescheideneren Grenzen bleiben müssen, hätte wohl nie darauf rechnen dürfen, zu oeu Führern einer Weltfirma zu zählen. Er wußte wohl, was er wollte! Wie gut, daß es nicht immer ging so wie man es wünschte! Sie wäre ihm nur ein Hindernis gewesen! Leone stand entschlossen auf, strich sich mit beiden Hän- den ein paarmal übers Gesicht; sie wollte nicht mehr daran denken! Sie trat vor den Spiegel, an dessen linker Seils ein Strauß rötlichen Eichenlaubes angebracht war, be trachtete das nachdenkliche Gesicht, das ihr daraus ent gegensah. Und plötzlich kam ihr ein Abend in den Sinn, da sie in ihrer Stube daheim vor dem Spiegel stand und sich überlegte, wie sie sich neben Martin Richter aus nehmen würde! Damals hatte sie der Gedanke fehr be lustigt und sie hatte ein leises Mitleid gehabt mit dem jungen Mann, der ihr so ehrlich Herz und Hand äuge- tragen hatte. St? hatte gelächelt beim Gedanken an seinen großen ländlichen Besitz; sie wollte doch keine Bäuerin werden! Das bunte, unruhige Leben der Großstadt hatte sie ange- lockt, der blendende Glanz der vornehmen Welt! Das war lange her und viel hatte sich seitdem geändert, am aller- meisten sie sich selbst. Das große Leben, das ihr damals wie ein geheimnisvolles Märchen erschienen, lockte sie nicht mehr; sie hatte schon genug davon gesehen, es hatte seinen magischen Glanz verloren. Nora und Melitta, mit deren Leben sie so vertraut war — der weniger begüterten Klasse gegenüber galten sie für beneidenswert, weil sie in kost barem Auto in die Stadt fahren, in den besten Läden die teuersten Kleider kaufen konnten, ohne nach dem Preis zu fragen — aber waren sie glücklich?' Leone löste das Veilchensträußchen, das sie an dem tiefen Halsausschnitt ihres Kleides trug. Binder hatte es für sie gekauft und gesagt, daß die lieblichen Blüten so gut zu ihren Augen passen. Veilchen! Nun blühten sie bald wieder in ihrem Garten daheim und auf der Heide wie unter den Eichen des großen Platzes. Es gab nichts mehr so Wundervolles wie den Frühling der Bergstraße, so Schönes wie die Heimat. (Fortsetzung folgt.) --