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FrankreichsAngslumseineSicherheil 22 August 1927 Der Pariser Times-Korrespondent erklärte heute, die französische öffentliche Meinung wolle nicht zugeben, daß die Sicherung der Reparationszahlungen der ein zige Grund für die Besetzung des Rheinlandes sei. Die Besatzungssrage werde in Paris fast ausschließlich vom Standpunkt der französischen Sicherheit aus betrachtet. Es sei notwendig, so führt das Blatt fort, sich daran zu erinnern, daß Frankreich ständig an eine mögliche militärische Ueberraschung seitens Deutschlands glaube, obwohl fol gende Maßnahmen für die Sicherheit der Grenze Frank reichs getroffen worden seien: 1. Abrüstung Deutschlands, 2. Schaffung der neutralen Zone und 3. Fortführung der Kontrolle durch den Völkerbund. Der Schutz einer Grenze in friedlichen Zeiten durch die Besetzung weiter Gebietsteile jenseits der Grenze führe ein ganz neues Element in das alte Problem der europäischen Sicherheit. Das sei der Grund weshalb die französischen Militärs eine Besatzungsarmee von mindestens 60 000 Mann beibehalten wollte. Fran zösische Beobachter sehen in der deutschen Forde rung auf eine weitere Verminderung der Rheinland truppen die Absicht, diese Streitkräfte so zu schwächen, daß sie ihren Wert als Garantie völlig verlieren. (!) Die Sorge, Briand könnte nachgeben. Pertinax wirft im Echo de Paris die Frage auf, ob sich England und Frankreich über die Frage der Ver minderung der Besatzungstruppen noch vor Beginn der Ratstagung im September einig werden. Er kommt zu dem Ergebnis, daß Briand keinesfalls mit ge bundenen Händen nach Genf gehen werde. Cham berlain habe Briand in der Frage der Zuteilung eines deutschen Sitzes in der Mandatskommission um gestimmt, ebenso bestehe heute die Gefahr, daß Briand in der Frage der Truppenverminderung durch seinen englischen Kollegen zum Nachgeben gezwungen werden könnte. Dr. Wirth über die Locarno-Politik. 22. August 1927 In einem Interview mit dem Vertreter des Ex- celsior erklärte der frühere Reichskanzler Dr. Wirth, daß zwischen Frankreich und Deutschland arge Miß - Verständnisse über die Locarno-Politik bestehen. Frankreich habe den Locarno-Pakt abge ¬ schlossen, um eine bessere Atmosphäre zwischen beiden Ländern zu schaffen ohne daß der Versailler Vertrag ab geändert werde. Zn Deutschland könne man sich aber eine Besserung der Beziehungen ohne Erleichterungen der Lage Deutschlands nicht vorstellen. Vor allem er warte man die Wiederherstellung der Souveränität des Reiches. Die von Deutschland erwartete Geste der Räu mung des Rheinlands sei nicht erfolgt. Wenn die Räumung aber nicht möglich (?) sei, so müßte die vom Vorsitzenden der Botschafter-Konferenz am 14. November 1925 und von Briand dem deutschen Bot schafter von Hoesch abgegebene Versicherung hinsicht lich einer Verminderung der Vesatzungs- truppen in die Tat umgesetzt werden. Deutschland habe die von der Votschafterkonferenz gestellten Forde rungen hinsichtlich seiner Entwaffnung erfüllt. Jede Verzögerung der versprochenen Besatzungsverminderung bilde für die Locarnopolitik eine Gefahr, da dadurch die Meinung in Deutschland verbreitet werde, daß d i e Locarno-Politik Schiffbruch erlitten habe und den Deutschnationalen recht gegeben wird, die be haupten, daß diese Politik für Deutschland keinerlei Vorteile mit sich bringe. Hinsichtlich Elsaß-Lothringens erklärte Dr. Wirth, daß die Franzosen einen großen psychologi schen Fehler begingen, wenn sie Deutschlands Verzicht auf Elsaß-Lothringen nicht genügend würdigten. D i e elsässische Frage sei von Deutschland endgültig geregelt worden. Man dürfe aber nicht glauben, daß der Verzicht Deutschlands auf Elsaß-Lothringen von dem Gedanken allein geleitet worden sei, im Osten freie Hand zu haben. Deutsch land habe sich verpflichtet, keine gewaltsame Abänderung der Grenzen gegenüber Polen und der Tschechoslowakei zu ver suche n. Deutschland wolle die Sicherheit dieser beiden Staaten in keiner Weise gefährden. Jeder vernünftige Mensch werde aber einsehen, daß sich Deutschland nicht mit einem Zustande abfinden könne, dessen Abänderung jedermann als notwendig betrachte. Der polnische Korridor in seiner derzeitigen Gestalt könne von Deutschland aus freiem Willen nicht anerkannt werden. Man verheimliche in Deutschland nicht, daß man mit aller Energie eine Erleichterung dieses Zustandes auf - friedlichem Wege anstrebe. Verzweifelte Bemühungen um Saeco und Vanzetti. 22. August 1927 Die Ablehnung des Oberrichters Brandeis, die Hinrichtung Saccos und Vanzettis hinaus zuschieben, hat die Hoffnung auf eine Rettung der Verurteilten wesentlich verabgemindert. Brandeis hat übrigens seine Haltung den Verteidigern gegenüber da mit begründet, daß Angehörige seiner Familie an dem Fall Sacco-Vanzetti interessiert seien und er daher nach keiner Richtung hin eingreifen könne. Die Verteidiger haben sich sofort zum Oberrichter Stone begeben, doch ist es fraglich, ob sie ihn noch rechtzeitig erreichen, da er augenblicklich auf Urlaub weilt. In zwischen ist Senator Borah gebeten worden, seiner seits einzugreisen und im Flugzeug, das ihm hierfür eigens zur Verfügung gestellt wird, nach Boston zu kommen. Wie verlautet, ist Borah bereit, sich für die Rettung der Verurteilten e'inzusetzen. Sollte Fuller jedoch keinen weiteren Aufschub gestatten, so dürfte wohl eine Aktion sowohl Borahs als auch Stones zu spät kommen. Weitere Schritte zur Rettung. In der Angelegenheit Saccos und Vanzettis beab sichtigen die Verteidiger der Verurteilten, sich noch ein mal an Präsident Coolidge zu wenden. Dieser Schritt dürste aber ähnlich wie die bisherigen negativ verlaufen. Ebenso die Bemühungen um Einsichtnahme in die Akten des Justizdepartements. Inzwischen haben sich die Anwälte telephonisch an den in Canada weilenden Vorsitzenden des Oberbundes gerichts Taft gewendet, um ihn zu einer Besprechung über die Verschiebung der Hinrichtung zu veranlassen. Taft erklärte, schlecht verstehen zu können. Die An wälte sollten ihm telegraphische Mitteilung machen. Ferner fragte er, warum die Verteidiger sich nicht an die übrigen Richter des Supreme Courts gewendet hätten, woraus ihm die Antwort wurde, daß dies bereits geschehen sei. Trotz dieses Bescheids haben sich die Verteidiger der Verurteilten zu Taft begeben, um ihn nochmals persönlich zu sprechen. Der gestrige Sonntag ist im allgemeinen ruhig verlausen. In Boston sand eine Demonstration statt, an der 5000 Personen teilnahmen. Diese wurde von der Polizei sofort zerstreut. Zahlreiche Demonstranten wurden verhaftet. Alles zur Kinrichlung bereit. Alle Vorbereitungen für die Hinrichtung Saccos und Vanzettis sind für heute getroffen. Die Zeugen der Hinrichtung sind verständigt, Aerzte bestellt morden und der Scharfrichter, der den elektrischen Stuhl be dienende Mechaniker, ist aus Neuyork eingetroffen. Die Wachen im Gefängnis sind wiederum auf die Höchst zahl gebracht worden. Den Zeugen wurde mitgeteilt, daß die Hinrichtung der beiden Verurteilten drei Minuten nach Mitternacht erfolgen werde. England gegen Dr. Schnee. Wie wir erfahren, wird die englische Presse vom Auswärtigen Amt dahin informiert, daß England eine Kandidatur Dr. Schnees für den deutschen Posten in der Mandatskommission des Völkerbundes unerwünscht sei. Man wird diese Einstellung des englischen Ministeriums nur mit äußerstem Erstaunen zur Kenntnis nehmen können. Der volksparteilichs Reichstagsabgeordnete Dr. Schnee ist als ehemaliger Generalgouverneur von Deutsch-Ost- Afrika ein hervorragender Sachkenner auf kolonialem Gebiet. In diesem Punkte wäre also gewiß nichts gegen ihn zu sagen. Und soll man wirklich annehmen, daß er England deshalb unerwünscht ist, weil er zusammen mit General von Lettow-Vorbeck die heldenmütige Ver teidigung von Deutsch-Ost-Afrika gegen erdrückende britisch-portugiesische Uebermacht geleitet hat? Es sollte doch eigentlich ausgeschlossen sein, daß England dem Angehörigen einer anderen Nation zum Vorwurf macht, was es bei einem Landsmann als höchste Pflicht erfüllung anerkennen und feiern würde. England wird sich also bequemen müssen, seine Gründe für die Ab lehnung bekannt zu geben, falls man nicht glauben soll, daß es sich hier um eine persönliche Verstimmung gegen einen Mann handelt, dessen Tätigkeit den Briten wäh rend des Krieges ein Dorn im Auge gewesen ist. Fort mit dem Getzlerhut um Ahein! 22. August 1927 Die Tagung der deutschen Rheinländer in Magdeburg. Die sechste Generalversammlung des Neichsverban- des deutscher Rheinländer in Magdeburg wurde gestern vom Ehrenpräsidenten Dr. Kaufmann-Berlin er öffnet unter dem Motto: „Treue der Heimat, Treue dem Vaterland!" Regierungsvertreter aller Länder entboten der Versammlung ihren Gruß. Fast alle deut schen Staatsregierungen wie auch Dr. Stresemann hatten außerdem Glückwunschtelegramme übersandt. Zahlreiche Oberbürgermeister deutscher Städte drahte ten ebenfalls ihre Glückwünsche. Ueber 300 Ortsver eine, Vertreter aus Memel wie aus Konstanz, waren anwesend. Nach Erledigung der Tagesordnung hielt Dr. Meermann, Berlin, einen Vortrag über die politische Lage und die Räumungsfrage. Von Reichs- Hoheit und Souveränität könne solange nicht gesprochen werden, als fremde VölkeraufdeutschemBodenin Wehrund Waffen stünden. Ein Reich, in dessen Grenzen noch 80V0V fran zösische Soldaten ständen, sei kein deutsches Reich. Die Räumung sei, so schloß der Redner seinen Vor trag, für Deutschland keine Frage mehr, sondern sie sei Deutschlands Recht. Erst räumen, dann zu Konferenzen zusammentreten! Die Nichträumung und somit die Fortdauer der Nheinlcmdbesetzung sei ein Vertragsbruch auch nach der Ansicht von Lloyd George. Im Anschluß an den Vortrag nahm die General versammlung eine Resolution im Sinne des Referats einstimmig an. Am Sonntag fand in der Stadthalle eine öffent liche Kundgebung für ein freies Rheinland statt. Als erster Redner überbrachte Ministerialdirektor Dr. Dilt hey vom Reichsministerium für die besetzten Gebiete die Grüße der Reichsregierung. Der Redner wies dar auf hin, daß die deutsche Reichsregierung die Mitarbeit l aller derer begrüße, die die überparteilichen Grund ! lagen des Staatswesens stützen und sichern helfen. Starke in sich gefestigte Gemeinsamkeit in Volk und g Staat sei bei der Lage des Deutschen Reiches und bei seiner Waffenlosigkeit unbedingt notwendig. Präsident Kaufmann stellte die Forde rung auf, daß der „Geßler-Hut" am Rhein verschwinden müsse. Alle großen deutschen Parteien sähen in d" Fortdauer der Nheinbesetzung nach Deutschlands Ein tritt in den Völkerbund einen Widersinn, der die Wl kerbundsidee zur Karrikatur mache. Recht und Moral in der Rüumungsfrage seien auf deutscher Seite. Würde der Rhein nicht bald entfesselt, so verlöre eine loyale deutsche Verständigungspolitik Sinn und Verstand. Zum Schluß richtete Dr. Kaufmann an den Reichs außenminister die Forderung, in Genf mit aller Ent schiedenheit volle Freiheit für das Rheinland zu ver langen, und zwar als Gegenleistung, für die der Preis bereits bezahlt sei. Dr. Weiß gab eine Schilderung der Lasten der besetzten Gebiete, die noch immer untragbar seien trat, mancher Erleichterungen der letzten Zeit. Der Rechts anspruch auf sofortige Räumung sei unanfechtbar und klar bestimmt in Artikel 431 des Friedensvertrages. Mit einer Herabsetzung der Truppenzahl sei dem Rhein land nicht gedient, denn es sei unwürdig, jahrelang kämpfen zu müssen, um nur Kleinigkeiten im Gnaden wege gewährt zu erhalten. Lauter und lauter erheben wir immer wieder den Ruf: Weg mit dieser Besetzung überhaupt! Wir haben mit freudigem Herzen bei Locarno-Politik zugestimmt, nicht aus Feigheit, sondern weil wir überzeugt sind, daß nur durch diese Politik der Frieden der Welt gesichert ist. Die Feier wurde abgeschlossen unter tosendem Mi fall mit folgender Enlschliekung. Viele Tausende zur Magdeburger Tagung des Reichsverbandes der Rheinländer versammelten Frauen und Männer gedenken tiefbewegl der Lands leute im Westen, danken ihnen für den vorbildlichen Opfermut, mit dem sie sich selbst in schwerster Not ihrer tiefverwurzelten deutschen Gesinnung bekannt haben. Mit ihnen bitten wir die Reichsrcgierung drin gend, für die alsbaldige Räumung des Rheinlandes nachdrücklichst einzutreten. Es muß ein Ende Habes' mit der Politik ausreichender Vorwände. Die Frei gäbe des Rheins ist kern politisches Handelsgeschal' Wir fordern sie, und zwar für das ganze noch besetzt' Gebiet, als eine Gegenleistung, für die der Preis längt von uns bezahlt ist. Keine neuen Ketten! Kein nm Deutschlands Ehre und Souveränität unverträgliches neues Opfer! Mit unzureichenden Abschlagszahlungen auf eine längst überfällige Schuld darf man uns nm' mehr kommen. Endlich mutz reiner Tisch am Rhci" gemacht werden. Recht und Moral dürfen nicht länge' ein leerer Wahn bleiben! WelLkircheMmrserenz. 22. August 1927 Die Lausanner Weltkirchenkonferenz trat gesle'" nachmittag zu ihrer Schlußsitzung zusammen, um de» letzten Kommissionsbericht über die Einheit der Christenheit in ihrer Beziehung zu den b-'s stehenden Kirchen zu besprechen. Die Konfetti hat den Charakter einer Arbeitstagung bis zuletzt bc> behalten und wurde in ebenso schlichter Weise geschlosst"- wie sie am 4. August eröffnet worden war. Ueber de" Eesamteindruck äußerte Neichsgerichtspräsident Dr. mons (Leipzig) einer der wenigen Leuten, die aus Konferenz vertreten waren, unter starkem Beifall Versammlung, daß dem Schritt, den man in LausM"" in der Richtung auf die Einheit der Kirche unternon' men habe, sicherlich weitere folgen würden. Der internationale Rat von 30 führend^ Vertretern der verschiedenen Kirchengruppen, der von d' Konferenz zur Fortführung ihres Planes eingesetzt «or den ist, hat am Freitag abend seine erste Sitzung gehalten. Die Zahl der Mitglieder ist erweitert wo> den; deutscherseits wurden hingewählt: Generalsup'' intendeni D. Dibeli us, Prof. Dr. Lang (Hu» , Prälat Schell (Stuttgart) und Bischof Zeuie" (Herrnhut). Nach Schluß der Sitzung nahm auf Vorschlag amerikanischen Bischofes Brant eine Reihe führen''' Vertreter der verschiedenen Kirchcngruppen zu einer kwZ^ Würdigung über das in Lausanne begonnene We' der kirchlichen Einigung in Fragen Glaubens und der Kirchenoerfassung Wort. Als erster sprach im Namen der angelsächM'' Kirchen der Bischof von Manchester. Er betonte, all" die Tatsache, daß dieses Religionsgesprüch zustande kN kommen sei, sei ein Ereignis von hoher kirchengesW licher Bedeutung. Der Verlauf der Verhandlung' habe einen hoffnungsvollen Ausblick für den FortgE der Bewegung gegeben. Für die orthodoxe Kst" sprach Erzbischof Germanos. Es sei noch ein wem Weg, so führte er aus, um zu dem Ziele zu gAchE ' das sich diese Kirche gesteckt habe. Es sei aber ein t- folg, daß die Kirchen über die letzten Fragen, die , beschäftigen, miteinander Fühlung genommen hä ' ' Manche Vorurteile, die die Kirchen gegeneinander Hütt', hätten beseitigt werden können. Der Denkweise der " deren gerecht zu werden, sei ein Anfang zur Annäherung Als Vertreter der kleinsten Gruppe, die an der Konfer' ' tcilnimmt, sprach der Menoit Prof. Lic. Unruh ruhe). Er würdigte den Geist, in dem die sm'"^ rigen Verhandlungen geführt worden seien, und sp"'' seinen Dank dafür aus, daß auch seine kleine KimlN gruppe auf dieser Konferenz zu Worte gekommen I' In einer Schlußfeier in der Kathedrale von sänne fand das Religionsgespräch seinen Ausklang-