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Aeilagezilr Httendorfer Zeitung" , . - v2öfmLk S!c^6-27us'. 5ms SssrZir nuscnks nmsin... Die Flocken tanzten weiter. Eine Turmuhr schlug und es dunkelte. Da schrillte die Hausglocke. — Frau Gervinus richtete sich auf — lauschte — hörte das Mädchen öffnen — vernahm Sprechen. Und dann sagte eine junge, frische Frauenstimme: Lassen Sie nur, ich gehe selbst hinein. Wer war das? — Frau Gervinus wollte aufstehen. Da öffnete sich die Tür. Erne schlanke Gestalt huschte hinein — auf sie zu — kniete vor ihr nieder und warme Lippen legten sich auf die alten Hände. „Mutter — liebe, geliebte Mutter," flüsterte ein Mund. Frau Gervinus zitterte. — Mutter? Wer nannte sie so? — Der Name legte sich weich an ihr Herz. Ihre Hand tastete über die Knieende. „Wer —wer? Erika — Du?" „Ja, Mutter — ich — Herberts Frau." Frau Geheimrat Gervinus schloß die alte Ebenholzscha tulle. Mit einem leisen, Knacken schnappte die Verschluß- feder ein. Wie die Stunden vergangen waren, dachte sie. Jetzt dämmerte es, und dis müdegelesenen Augen blickten in das Flockengewirbel vor dem Fenster. Der Adventsonntag war da. Ein Tag, der die schönste, ge heimnisvollste und verheitzungsreichste Zeit des Jahres auf schließt. Der in die Häuser einzieht und liebe, vertraute Weihnachtslieder anstimmt. Der den Kindern und Großen die Äugen Heller putzt und mit flüsternder Stimme vom Christkind spricht. Erwartung bringt dieser Tag. Um die Lippen der alten Dame zeichnete sich ein schmerz licher Zug. Erwartung? — Sie hatte nichts zu erwarten, seit ihr Sohn nicht mehr lebte. Vor zwei Jahren am vierten Adventsonntag war die Todesnachricht gekommen — weither aus Afrika. Seine junge Frau, die er drüben geheiratet, hatte sie gesandt, mit schonenden, liebevollen Worten. Wo mochte sie wohl sein, die blonde Erika, die sie noch nie gesehen und die sie doch so gut tannte aus den Schil derungen ihres Sohnes. „Meine lichte Heideblume," so hatte er sie genannt. — Ein paar mal schrieb sie noch, nach dem sie in das Haus ihres Vaters zurückgekehrt war, der auf einer Nachbarfarm lebte. Der letzte Brief erzählte vom Tode des Vaters. Seither hatte sie nichts mehr von ihr gehört. Monate mochten es wohl schon sein. Die Zeit war geschlichen in den letzten beiden Jahren. Freuden waren gestorben und Hoffnungen ausgelöscht, nur die Einsamkeit und ein immer zuckendes Weh waren geblieben. — Alte Menschen können den Schmerz nicht mehr ganz verwinden. Frau Gervinus lehnte den Kopf müde zurück. Die Hände lagen in ihrem Schoß — rührend hilflose Hände, denen alles entglitten war, was sie gehalten hatten. — Man sollte nicht in alten Briefen lesen. Man sollte nicht Erinnerungen heraufbeschwören, die einmal blutwarmes Leben waren. Auch nicht Namen nennen. Namen sind ma gische Formeln, spricht man sie aus, haben sie Gewalt. Und sie hatte ihres Sohnes Namen gerufen, viele Male — und heute. Antwort war gekommen aus geisterhafter Ferne. Viel leicht war es ihr eigenes Herz gewesen, das dieses einzige, entbehrte und ersehnte Wort gesprochen hatte: Mutter! Niemand war mehr da, der so Das junge Gesicht, vom fahlen Schneelicht beleuchtet, hob sich empor. Frau Gervinus umfaßte es mit beiden Händen. „Kind — Kind — du kommst zu mir?" Die junge Frau blieb ganz still. Nicht sprechen jetzt. Nur Beieinandersein. — Und dann, als das herzklopfende Schlagen in der Brust leiser und leiser geworden war, nie der dieser weiche, zärtliche Ruf: Mutter! „Ja — darf ich dich so nennen?" „Mein Kind, mein liebes Kind, wer hätte sonst woW ein Recht dazu?" „Willst du mir jetzt von dir erzählen?" fragte Frau, Gervinus ein wenig später. Erika nickte. „Gern! Doch — erst will ich holen, was ich mitbrachte." Und sie eilte hinaus. Frau Gervinus hörte Papier rascheln. Ein Heller Flak- kerschein huschte über die Milchglasscheibe der Zimmertür, und dann kam die junge Frau wieder, ein brennendes Ad- venttSäumchsn in den Händen. i ,Uörsk ttues-butter?" felgte 6is ckungs. „Advent". Frau Gervinus sprach es ganz leise und Er innerungen schwangen in wehmütigem Tone mit. „Ja — Advent." Die junge Stimme wiederholte es und neue Hoffnungen sangen darin. Sie hatte das Bäumchen auf den Tisch gestellt. Nun saßen sie beide Hand in Hand, schauten in das flackernde Lichtchen, und Erika begann zu erzählen. Von Trübem — von Herbert und von ihrem Va ter. Auch davon — wie einsam sie gewesen war, als dieser sie dann verlaßen. „Ich hatte niemanden. — Nur dich, die ich nicht einmal kannte und die ich doch liebte, als Herbetts Mutter und als einen Menschen, der so arm und einsam geworden war wie ich. Da sehnte ich mich nach dir. Und ich kam. Aber ich wollte dir nicht zur Last fallen und so bewarb ich mich um eine Stelle bei der Mission. Gestern erhielt ich sie, und nun wollte ich dich bitten, ob ich bei dir bleiben darf." „Bei mir bleiben? — Ja, Erika, Kind — du wolltest wirklich bei mir bleiben — bei der alten Frau?" „Bei meiner Mutter," sagte die junge Frau weich und schmiegte sich eng an sie. Das einsame alte Herz öffnete sich in heißem Dank und umfaßte den jungen Menschen an seiner Seite mit dem gan zen Reichtum mütterlicher Liebe. Da schlugen die Glocken an, draußen vor dem Fenster, und sangen Adventsjubel um den Turm und über die Stadt, schwangen und sangen Verheißung und Freude. „Hörst du es, Mutter?" fragte die Junge. Frau Gervinus nickte still. „Und ich verstehe die Glocken wieder, sie waren mir lange tot." Dann, als das Klingen verstummte und in der Stille des Zimmers nur noch das kleine Licht an der Spitze des Bäumchens schimmernd knisterte, huschelte sich die junge Frau in den mütterlichen Arm und sagte ganz leise: „Es soll schön werden, Mutter — und in wenigen Tagen kommt das Christkind." Frau Gervinus lächelte, hob das junge Gesicht in den Lichtschein, daß sie ihm in die klaren Äugen schauen konnte und antwortete mit einer Stimme, wie nur Mütter sie ha ben: „Mein Christkind kam schon heute." . MNNWK . l fKLkALkK von LMt.: »liU Md als er MM Vie Mkwort erhalten hatte, legte er beide Hände fest a«f die Oeffnung des Hörers, damit der andere unter Hünen Umständen hören könne, was hier ge. sproä)en nunche, dann rief er dem Kommandeur halblaut zu: »Die gnädige Krau ist da, sind der Herr Oberst auch für die Frau EeraMin nicht zu sprechen?" Das mar eine Gewissensfrage. Am liebsten hätte er sich auch vor der verleugnen lassen, denn wenn seine Frau ihn anklingEe, handelte es sich fast immer nur um Unbedeuten des, uÄ> die ihm auch jetzt damit kam, jetzt, wo er sei nem wenn auch vorläufig nur privatim, die An- erken«N^- ^«mer Exzellenz ausdrückte, das störte den feier lichen GB»*-* des Augenblickes. Aber trotzdem, seine Frau war snm- und wenn er jetzt nicht für sie zu sprechen war, d« ^melte ihn die nach einer Minute wieder an. So Henn jetzt aus den Händen seines Adjutanten den «tragen, aber seine Stimme war nicht allzu zärtlich, als v hcht in den Apparat hineinsprach: „Hier bin ich selbst, es denn nur so Wichtiges, daß du damit nicht ins z«« M^agessen warten kannst?" Was die KMU Oberst antwortete, konnten die beiden Offi ziere natLrlsch nicht verstehen, die wollten selbstverständlich auch nicht Mhr pon diesem privaten Gespräch'erlauschen, als sie es ohneM, lediglich weil sie zugegen waren, tun muhten. Aber sie wvE«» trotzdem hellhörig, als der Oberst jetzt mit dem allerLciM- Erstaunen in den Apparat hineinrieft „War M ^Hute morgen in einer deiner alten Komma- den Wiek« WßWchen? Was hast du gesunden? Deinen dir damatr gekommenen Glaube.' an die Menschen? Daß M NMk als glücklich darüber bist, suhle iHdir vollstän dig nach, und ich bin mit dir darüber glückliche penn lch hahe unter deinem Unglauben oft gelitten, aber trotzdem, wie soll ich deine Worte verstehen?" Run sprach wieder die Frau Oberst, sehr lang und aus führlich, bis der Kommandeur dann schließlich triumphierend antworten konnte: „Siehst du wohl, ich habe es dir immer gesagt, die Brosche würde sich doch noch einmal wieder finden, und ich habe dich damals genug gebeten, die Lulle deswegen nicht gleich zu entlassen. Selbstverständlich müßt du setzt sofort versuchen, deren Adresse zu erfahren, dennM bist der Luise eine glänzende Genugtuung schuldig. Di« Luise war wirklich eine Perle, und mein Glaube an sie wäre nicht so leicht verloren gegangen wie der deinige. Wie meinst du? Aber ich schelte doch gar nicht," rief der Oberst zurück, „ich sage alles nur so, wie es ist. Ich freue mich wirklich herzlich mit dir. Da ist dieses geheimnisvolle Inserat in der Zeitung doch wenigstens zu etwas gut ge wesen, denn ohne das hättest du in den letzten Wochen sicher lich nicht jeden Tag in deinen alten Kommoden herum- gelochert. Na, wir sprechen zu Hause weiter darüber, jetzt habe ich zu regieren, oder hast du sonst noch etwas auf dem Herzen?" Nun sprach wieder die Frau Oberst, und die beiden Offi ziere sahen es dem Kommandeur an, daß ihn das, was er jetzt zu hören bekam, in das höchste Erstaunen versetzte. Sein Gesichtsausdruck wechselte fortwährend, bis er dann plötzlich in Helles Lachen ausbrechcnd, in den Apparat Hineinries: „Es ist die Möglichkeit! Daß es sich bei dem Inserat nur um einen Witz handelte, habe ich im Gegensatz zu dir ja im mer behauptet, aber daß ausgerechnet Fräulein Lutti da- hintersteckt, daß die das alles allein in Szene setzte, das sieht dem Mädel weiß Gott ähnlich. Und die hat dir das vorhin, als sie bei dir war, selber erzählt?" Ein paar Minuten ging das Gespräch zwischen dem Oberst und seiner Frau noch hin und her, dann legte der Kom mandeur den Hörer endlich wieder aus der Hand, und sich an seine Offiziere wendend, meinte er belustigt und in der besten Laune:. „Meine Herren, Sie haben ja alles mit on- gehört, freuen Sie sich mit mir, meine Frau hat ihren ver lorenen Glauben an die Menschen wiedergefunden, und das verdankt sie einzig und allein Fräulein Lutti. Ich habe es la immer gesagt, die hat es faustdick hinter den Ohren, aber daß die der ganzen Stadt einen solchen Streich spielen würde, na, zuerst werden die Leute in der Stadt schön schel len, dann werden sie aber hoffentlich so klug sein und lachen. Heute abend weiß es die ganze Stadt. Fräulein Lutti ist Von meiner Frau gleich zu der Zeitung gegangen, um sich dort als die Alleinschuldige zu bekennen und um dem Spaß endlich ein Ende zu bereiten." Der Oberst lachte vor sich hin, und da sein Brotherr lachte, lachte auch der Adjutant und schon, weit die beiden lachten, mußte auch Ziegeldach es tun, obgleich ihm weiß Gott Nicht danach zumute war. Allerdings, als er vorhin hörte, welchen schönen und harmonischen Abschluß das Herumsuchen in den alten Kommoden sür die Frau Oberst gefunden hatte, da war er so froh und so glücklich gewesen, als hätte er mit seinem Streich ein gutes Werk getan. Aber als dann Luttis Name fiel, da war schnell ein Verdacht in ihm wach geworden, den er jetzt bestätigt sah. Sein erster Gedanke war, sofort vor zutreten und offen zu erklären: was Fräulein Lutti erzählt hat, entspricht nicht der Wahrheit, ich allein bin der Schul dige. Aber er schwieg trotzdem, er mußte Luttis weg^n schweigen, wenn er die nicht bloßstellen wollte. Er konnte doch ihr eigenes Geständnis nicht fo ohne weiteres Lügen strafen. Der Oberst würde ihm auch nicht glauben, würde ihn wenigstens fragen, wie Lutti denn dazu käme, so für ihn rinzutreten. Darauf aber konnte er erst Antwort geben, wenn er Lutti danach gefragt hatte. Vorläufig stand er da vor einem Rätsel, das er sich nicht zu erklären vermochte. Dann aber, wenn er alles wüßte, würde er dem Komman deur bekennen, was er vorläufig noch mit Rücksicht auf Lutti verschweigen mußte. Er begriff es selbst nicht, wie er sich derartig beherrschen tonnte, saß der Kommandeur nichts von der gewaltigen Aufregung bemerkte, in der er sich befand. Er Wie kaum noch aus das hin, was ihm der Oberst da noch weiter von der Anerkennung Seiner Exzellenz erzählte. Die Sache rpar doch so gleichgültig, was brauchten deshalb so viele Worte gemacht zu werden. Je eher man ihn entließ, desto besser. Und endlich durste er geben, nachdem der Oberst ihm noch- Wal« herzlich die HqM geschüttelt und ibn abermals be ¬ glückwünscht hatte. Endlich war er wieder draußen aus dem Korridor und so schnell er nur konnte, eilte er die Treppe hinunter, hinaus ins Freies um baldmöglichst zu der Stelle zu gelangen, wo Lutti ihn erwartete, vorausgesetzt, daß sie die in seinem Briefe geäußerte Bitte erfüllen sollte. Und Lutti wartete auf ihn, sie sah ihn schon von weitem kommen und winkte ihm mit der Rechten zu, aber als er dann jetzt vor ihr stand, vor Aufregung an allen Miedern zitternd, unfähig, sich zu beherrschen, totenblaß im Gesicht, da erschrak sie derartig, daß sie unwillkürlich einen halb unterdrückten Schrei ausstieß und ihm zurief: „Um Gottes willen, was ist geschehen? Sind Sie tatsächlich derartig gegen die Tür geflogen, daß Sie nun wirklich mehr einem Toten als einem Lebenden gleichen? Aber so sprechen Sie doch nur, was ist geschehen?" „Was geschehen ist, gnädiges Fräulein?" meinte er end lich mit tonloser Stimme, „das wissen Sie doch am besten, und da frage ich Sie offen und ehrlich, und ich bitte Sie, mir ebenso zu antworten, gnädiges Fräulein: Warum haben Sie mir die Schmach angetan, daß Sie zu der Frau Oberst gingen und die Schuld auf sich nahmen? Halten Sie mich für so erbärmlich feige, daß ich Furcht haben sollte, die Folgen des dummen Streiches selbst zu tragen? Was ich mir einbrockte, werde ich auch schon selber ausessen, und wenn ich nicht gleich dem Kommandeur alles bekannte, nach dem ich erfahren hatte, daß Sie selbst — — nur die Rücksicht auf Sie ließ mich schweigen, bis ich aus Ihrem Munde ge hört habe, was Sie veranlaßte, die Frau Oberst auszu suchen." Und noch einmal fragte er jetzt: „Warum haben Sie mir das angetan?" Nicht für eine Sekunde hatte sie sich klargemacht, daß er ihren Schritt iWüts als eine Lrünlnns oder gar. als MlMigMg äMW könne. Der Mdänke war Ur über haupt nicht gekommen und nun bereute sie seinetwegen, was sie getan. Aber ungeschehen konnte sie es ja nicht wieder machen. , Wer dann fühlte auch sie sich plötzlich gekränkt und belei digt, sie hatte es nur gut mit ihm gemeint, das hätte er doch ohne weiteres erraten müssen. Und daß er nicht einmal ihren guten Willen, ihm zu helfen, anerkannte, daß er sie in so schroffer Weise zur Rede stellte, das hatte sie wirklich nicht um ihn verdient. Aber das. durfte sie ihm nicht ein- gestehen, denn das hätte ja so aüssehen können, als fürchte sie sich nun ihrerseits vor den Folgen dessen, was sie tat, als wolle sie seinen Vorwürfen entgehen. Offen und ehrlich, wie seine Worte gewesen waren, sollte ihre Antwort sein. Darum hatte er sie gebeten, und so sagte sie denn nach nochmaligem Besinnen: „Schon, Herr von Ziegelbach, wenn Sie denn alles wissen wollen " „Ich muß es sogar wissen, gnädiges Fräulein," fiel er ihr in das Wort, „das hin ich meiner Ehre schuldig." „Dann hören Sie also," meinte sie, „ich ging zu der Frau Oberst und nahm dort alle Schuld auf mich, weil ich wünschte, daß wir beide, Sie und ich, endlich guitt miteinander würden. Ich. wollte Ihnen Nicht länger zu Dank verpflichtet kein." (Fortsetzung folgt.) Lin neaer ^pLnuonü-iutorvssunlor Zirkus. Koman Kommt ab 1. Zanaar 1929 rur VtzröikMUivdmlg.