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Der Auftrag -er sechs Mächte. Berlin, 22. Dez. Die Verhandlungen Mischen der deutschen Negierung und den an denk^Eenfer Beschluss beteiligten Eläubigerregierungen sind nunmehr zum Abschluß gekommen. Der Auftrag, der dem Sachver stand iqen-Ausschuß gegeben wird, lautet wie folgt: Die deutsche, belgische, französische, großbritannische, italie nische und japanische Negierung haben in Verfolg des Genfer Beschlusses vom 16. September 1928, in dem die Einsetzung eines Ausschusses von unabhängigen Finanz sachverständigen vereinbart worden ist, beschlossen dem Ausschuß den Auftrag zu erteilen, Vorschläge für eine vollständige und endgültige Regelung des Neparations problems auszuarbeiten. Die Vorschläge sollen die Regelung der Verbindlichkeiten umfassen, die sich aus dem zwischen Deutschland und den Gliiubiqermächten bestehenden Verträgen und Abkommen ergeben. Der Ausschuß wird seinen Bericht den an dem Genfer Be schluß beteiligten Negierungen sowie der Neparations- kommission erstatten. Amerika will die Freiheit -er Sachver ständigen gewahrt wissen. Neuyork, 22. Dez. Am Freitag abend fanden zwischen Coolidge und Kellogg Besprechungen über die Reparationsfrage und der damit verbundenen Frage der Teilnahme amerikanischer Sachverständiger an diesen Besprechungen statt. Der Besuch des eng lischen Botschafters, der als Doyen des diplomatischen Korps die Einladung der europäischen Staaten an Amerika übermitteln sollte, wird für heute morgen er wartet, da der Botschafter angeblich infolge Krankheit am Freitag das Haus nicht verlassen konnte. Nach anderer Auffassung liegt die Verzögerung darin, daß erweitereVerhaltungsmaßnahmen ab war 1 e. Aus weiteren Washingtoner Meldungen geht hervor, daß sich die Erklärung des Weißen Hauses be züglich der Unabhängigkeit der Sachverständigen vor allem gegen Frankreich richtet, da dieses eine von vorn herein bestimmte Lage schaffen wollte. Es dürfe in der bevorstehenden Konferenz keinesfalls zum Ausdruck kommen, daß gewisse Negierungen sich auf einen be stimmten Betrag festleqen und andere diese Forde rungen annehmen müßten. Dadurch würden die Ver handlungen auf einem toten Punkt stecken bleiben, dessen Folgen unübersehbar sei. Die amerikanischen Sachver ständigen sind sich darüber einig, daß die Amerikaner ohne irgendwelche Verhaltungsmaßregeln an der Kon ferenz teilnehmen müßten. Die TragS-ie im Elsatz. Paris. 21. Dez. In der Wohnung des früheren Generalstaatsanwalts Fachst, der im Kolmarer Auto- nomistenprozeß eine große Rolle spielte, und später zum Rat des Kassationshofes in Paris ernannt worden war, erschien heute früh 8 Uhr ein junger Mann und fragte nach Fachst. Der Mann wurde von der Gattin Fachots empfangen und fragte nach ihrem Manne, dem er eine wichtige Mitteilung zu machen habe. Es wurde ihm bedeutet, Fachot sei nicht anwesend. Er werde erst in etwa einer Stunde wiederkehren. Um 9 Uhr sprach dann der Attentäter wieder vor und wurde diesmal von Fa chot selbst empfangen. Es entspann sich dann folgende Unterhaltung: „Sind Sie selbst Herr Fachot?" „Ja!" „Der Generalstaatsanwalt?" „Bestimmt?" Der Un bekannte zog dann einen Revolver hervor und gab auf Fachot unvermittelt drei Schüsse ab. Zwei Schüsse gingen in den Unterleib, der dritte auf den Boden. Fachot brach zusammen. Nach dem Attentat hatte der unbekante Täter in aller Ruhe die Tür zur Wohnung Fachots hinter sich geschlossen und war die Treppe hinunterqeqangen. Im Hausflur stieß er auf die Frau eines im Hause wohnen den Arztes die sich mit der Pförtnerin unterhielt und den vorübergehenden jungen Menschen auf die Schüsse auf merksam machte. Ohne irgendein Zeichen von Aufre gung erwiderte dieser, daß er die Schüsse vernommen hätte und daß sich im dritten oder vierten Stockwerk an scheinend ein Mieter das Leben, genommen habe. Er könne sich aber nicht aufhalten, da er es sehr eilig habe. Der Täter konnte darauf das Haus unbehelligt ver lassen. Die beiden Frauen, die inzwischen den im Hause wohnenden Arzt benachrichtigt hatten, beaabsn sich nun mehr in die Wohnung Fachots, wo der Arzt dem Ver letzten die erste Hilfe gewährte und sofort telephonisch einen Krankenwagen herberrief. Beim Herausziehen der Pistole hat der Unbekannte einen Brief verloren, der wahrscheinlich für den Fall der Abwesenheit Fachots vorbereitet war und der eine Einladung an den Generalstaatsanwalt enthielt, sich am Freitag zu einer Verabredung im Hotel „Moderne" einzufinden. Die Unterschritt lautete „eine Freundin". Außerdem fand die Polizei einen Regenschirm, den der Täter auf einem Treppenabsatz zurückqelassen hat. Fachot wurde nach Ueberführunq in die Klinik operiert. Die Eingeweide sind durch Revolverschüsse an sieben Stellen zerrissen. Bei dem Attentäter, der sich der Polizei heute abend gestellt hat, handelt es sich laut Havas um einen gewissen George Bennoit, geboren am 2. Juni 1909 in Walburg sDsp. Niederrhein). Nach seinen Angaben ist er eine Zeitlang in Straßburg Schlächter gewesen und vor einem Monat nach Paris gekommen. Seit längerem hat er nicht mehr gearbeitet, sondern sich auf die Suche nach Fachot gemacht. Bennoit hat, wie Havas weiter berichtet, bei seiner ersten Vernehmung zuge geben, daß er Autonomist sei und Elsaß-Lothringen habe rächen wollen. Vor drei Tagen habe er beim Kassa tionshof sich die Adresse Fachots geben lassen und habe heute morgen bei ihm Vorgesprächen. Paris, 22. Dez. Wie zu der Selbststellung des aus Walburg sKreis Weißenburg) stammenden Schlächters Georg Bennoit, der, wie wir an anderer Stelle be richten, den Anschlag auf den Eeneralstaatsanwalt Fa chot verübt hat, ergänzend gemeldet wird, sprach Ven- noit am Freitag abend einen Polizeibeamten mit den Worten an' „Heute morgen habe ich auf Herrn Fachot geschossen." Bei seiner Vernehmung, die sofort nach seiner Verhaftung erfolgte, erklärte Bennoit, daß er am 2. Juni 1900 in Weißenburg geboren, verheiratet und in Straßburg-Neudorf wohnhaft sei. In Paris halte er sich bereits seit einem Monat auf. Er habe sich zu nächst nach Le Mans begeben, weil er annahm, Fachot sei an einem dortigen Industrieunternehmen beteiligt. Von dort aus habe er auch zwei autonomistische Zei tungen von seinem geplanten Anschlag in Kenntnis ge setzt und darum gebeten, sich seiner Frau anzunehmen. Seinen Namen habe er dabei jedoch nicht genannt. Von Le Mans aus sei er dann nach Paris gekommen, wo er längere Zeit vergebens nach der Adresse des an den Kassationshof berufenen Generalstaatsanwalts ge sucht habe. Als Grund für die Tat gab Bennoit an, er habe sein Gewissen erleichtern und die Autonomisten rächen wollen. Alle autonomistischen Zeitungen habe er aufmerksam gelesen und besonders den Kolmarer Auto- nomisten-Prozeß verfolgt. Zn Fachot habe er den Ur heber „des Unglücks seiner Landsleute, der Unschul digen, mit denen er litt", gesehen. Er habe niemals Politik getrieben und gehöre keiner Partei an. Sehr rasch sei er ein glühender separatistischer Autonomist geworden. Er habe sich niemand eröffnet, als ihm der Gedanke gekommen ist, Fachot zu töten. Der Eeneralstaatsanwalt habe vielleicht seine Pflicht als Beamter getan, er, Bennoit, habe die seine als Elsässer getan. Ueber die Ereignisse am Freitag vormittag befragt, erklärte er u. a., daß er bereits am Mittwoch und Donnerstag vergebens versucht habe, Fachot in seiner Wohnung zu sprechen. Am Freitag vormittag habe er dann das Treppenhaus bewacht und sei einem älteren Herrn gefolgt, der den Fahrstuhl bestiegen habe. Als dieser Herr in seine Wohnung gehen wollte, habe er ihm erklärt, einen Brief für Herrn Fachot übergeben zu wollen. Auf die Antwort dieses Herrn, daß er selbst Fachot sei, habe er ihm den Brief übergeben, und in dem Augenblick, als Fachot sich anschickte, ihn zu lesen, drei Revolverschüsse auf ihn abgegeben. In einem Hand koffer Bennoits fand man ein neues Rasiermesser, sowie zwei französische autonomisten-feind- liche Zeitungen und mehrere Eintrittskarten in die Kammer. Bennoit wurde am Freitag abend in die Santo überführt. Zu seinem Verteidiger hat er den aus dem Kolmarer Prozeß bekannten Rechtsanwalt Klein gewühlt. Severings Schiedsspruch im Eisenkonsliki. Ueber die Auswirkungen seiner Entscheidung hat der Reichsinnenminister Severing dem sozialdemokra tischen Pressedienst folgende Angaben gemacht: In der erzeugenden Industrie sind rund 100 000 Arbeiter be schäftigt, von denen etwa 15 Prozent im Zeitlohn, 85 Prozent im Akkord arbeiten. In der weiterverarbeiten den Industrie beträgt die Arbeiterzahl 120 000, von denen etwa 40 Prozent im Zeitlohn beschäftigt sind. Auch unter Zuhilfenahme dieser Zahlen läßt sich genau noch nicht errechnen, wie sich in den Alters- und Lohn gruppen die Lohn- und Akkordverbesserungen auswirken. Das Lohnsystem der norddeutschen Eisenindustrie hat sich allmählich so unübersichtlich gestaltet, daß es fast zur Eeheimwissenschaft der unmittelbar Beteiligten ge worden ist. Gegenüber der kommunistischen Presse er klärt Severing weiter, daß die Lohn- und Akkordünde- rungen nicht gerade wie Lohnkürzungen anmuten und die Verbesserungen in der Arbeitsregelung, die etwa 15 000 Arbeitern eine nicht unbeträchtliche Kürzung der Arbeitszeit brächten, sähen auch nicht gerade nach einem „Raub des Achtstundentages" aus. Hier fällte Reichsminister Severing seinen Schiedsspruch. Im Dortmunder Rathaus (unser Bild) hat Reichs- innenminister Severing seinen Schiedsspruch für die nord westliche Metallindustrie in einer gemeinsamen Sitzung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gefällt. Der Abschluß -er -eutsch-ruftischen Verhandlungen. Berlm, 22. Dez. Ueber den Inhalt der deutsch russischen Vereinbarung, die am Freitag nach drei wöchiger Verhandlungsdauer abgeschlossen wurden, be richten Berliner Blätter aus Moskau u. a. folgendes: Den deutschen Wünschen sei in zahlreichen Einzelfragen stattgegeben worden, besonders hinsichtlich der Erleichte rungen im Reiseverkehr, der Gebührenermäßigung, der Benachrichtigung der deutschen Bot schaft von Verhaftungen auch solcher Deutscher, deren Staatsangehörigkeit zweifelhaft ist, ferner sei im Hinblick auf Ver besserungen im gewerblichen Rechts schutz von russischer Seite Entgegenkommen gezeigt worden, sowie in der Frage des Transitverkehrs, der Aufnahme von Verhandlungen über den Telephonver kehr und der Zulassung von Agenten deutscher See schiffahrtsgesellschaften. Bedeutungsvoll ist, daß der d e u t s ch e n V o t s ch a f t der d i r e k t e V e r k e h r mit sämtlichen Volkskommissariaten freigegeben worden sei. Ein großer Erfolg der deutschen Wirtschaftsdelegation sei eine offizielle russische Erklärung über die Wirtschaftsspionage. Die Erklärung stelle eine weitgehende Anpassung an die westliche Auffassung dar. Diesen Zugeständnissen hatten russische Beschwerden über einige deutsche Banken den Rußlandausschuß und die Gerichtspraxis im Zusammen hang mit der Lepke-Auktion gegenüber gestanden. Nicht befriedigt worden sei der deutsche Wunsch nach erleichter ter Zulassung deutscher Unternehmungen im Registrie rungswege. Hinsichtlich der Beschwerden von Konzes sionären wurde erklärt, die Sowjetregierung werde mit diesen unmittelbar verhandeln, um die Beschwerde punkte auszuräumen und die Wirtschaftsorgane an weisen, die Warenankäufe und -Verkäufe deutscher Kommissionäre loyal zu behandeln. Im Frühjahr sollen neue deutsch-russische Verhandlungen über den Schutz des Urheberrechtes, den Zolltarif und Doppelbesteue rung ausgenommen werden. Abreise der deutschen Delegation aus Moskau. Kowno, 22. Dez. Am 21. Dezember sind, wie aus Moskau gemeldet wird, die deutsch-russischen Wirt schaftsverhandlungen abgeschlossen worden. Es wurde ein Uebereinkommen über eine Reihe von Fragen der deutsch-russischen Handelsbeziehungen erreicht. Nach der Unterzeichnung des Abkommens drückten die Führer der beiden Delegationen ihre Befriedigung über die nun erreichte Einigung aus. Die deutsche Delegation unter Führung des Ministerialdirektors Posse hat am Freitag Moskau verlassen und ist nach Berlin abgereist. Ver schiedene Mitglieder der Sowjetdelegation und der deutschen Botschaft in Moskau haben der deutschen Dele gation das Geleit zum Bahnhof gegeben. Neus Wege der Tuberkulose bekämpfung in Sachsen. Arbeitsgemeinschaften — Neue Beobachtungsstellen in Leipzig, Chemnitz und Zittau — Tuberkulöse Schwangere — Behandlung der Frühfälle — „Arbeits therapie. Daß die in neuerer Zeit immer wieder erhobene Forderung nach Arbeitsgemeinschaften zwischen den Versicherungsträgern und der amtlichen Wohlfahrts pflege in Sachsen bereits aus der theoretischen Erörte rung herausgetreten und praktisch verwirklicht worden ist, zeigt ein vom Vorsitzenden der Landesversicherungs anstalt erstatteter Bericht über die neuen Wege im Tuberkulose-Heilverfahren im letzten Jahre. Rund eine halbe Million RM. hat die Landes versicherungsanstalt zur finanziellen Unterstützung der Lungenfürsorgestellen, denen früher nur auf Antrag und von Fall zu Fall Beihilfen gewährt worden sind, aufgewendet. Auch sonst ist ein enges Hand-inHand- Arbeiten zwischen beiden Stellen verwirklicht worden. Das gilt sowohl hinsichtlich der Weiterbetreuung der aus Heilstätten Entlassenen als auch für die exakte Aus wahl den für eine Heilstätte in Frage kommenden Kranken. Dem letztgenannten Zweck dient die neube gründete Beobachtungsstelle in Dresden. Eine weitere ist in Leipzig kürzlich eröffnet worden, eine andere ist in Chemnitz im Bau und auch in Zittau soll eine er richtet werden. - Die in Coswig bei Dresden im Bau befindliche chirurgische Tuberkulosestation soll zu einem Teil zur Aufnahme von tuberkulösen Schwangeren verwendet werden. Es handel sich dabei um einen Versuch, die sehr hohe Sterblichkeit als Folge des unseligen Zusammen treffens von Tuberkulose und Schwangerschaft herab zumindern. Besondere Aufmerksamkeit wird der sorg samen Auswahl der Kinder geschenkt. Es ist beab sichtigt, eine Beobachtungsstelle für Kinder unter Mit beteiligung der Landesversicherungsanstalt der Uni« versitätskinderklinik in Leipzig und eine gleiche der Landesoersichcrungsanstalt in Dresden anzugliedern, die zu prüfen haben, welche Kinder dem Heilverfahren und welche der Erholungsfürsorge zuzuführen sind. Be sondere Maßnahmen sind zur Behandlung der „Früh fülle" von Tuberkulose ergriffen worden. Auch die ge plante Umstellung der Heilstätte zur Mitaufnahme von sogen. Bewahrungsfällen, wie die Asylierung von Schwerlungenkranken, ist zu erwähnen. In einigen Heilstätten ist die ärztliche Prüfung der Arbeitsfähig keit der Kranken eingeführt worden, um durch Ar beitstherapie dem Kranken zu helfen, seine nach dem Verlassen der Heilstätte gewährte Schonzeit nach rechtem Nutzen zu verbringen. Ueberhaupt ist es das Bestreben der Landesversiche rungsanstalt, den Versicherten nicht nur als solchen, sondern in allen seinen Beziehungen zu seiner Familie und seinem Beruf zu erfassen, was ganz notwendig die weitestgehende Ausdehnung des Heilverfahrens auf die Angehörigen der Versicherten zur Folge haben muß.