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Ge-8chtnisferer für Gras Brock-orff-Rantzau Berlin, 6. Dez. Am Donnerstag abend sand im Hause des Vereins Deutscher Ingenieure eine von der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas ver anstaltete Gedächtnisfeier für den verstorbenen deutschen Botschafter in Moskau, Graf Brockdorff- Rantzau, statt, zu der die Beamten des Auswärtigen Amtes und der deutschen Botschaft, sowie eine große Anzahl persönlicher Freunde des Verstorbenen und be kannte Persönlichkeiten des politischen und wirtschaft lichen Lebens erschienen waren. Nach dem von einem Streichquartett vorgetragenen Andante von Schubert, sprach der Präsident der Gesellschaft, Staatsminister Dr. Schmidt-Ott vor dem bis auf den letzten Platz ge füllten Saale einige einleitende Worte. Alsdann wid mete Reichsaußenminister Dr. Stresemann dem Ver storbenen namens des Auswärtigen Amtes Worte des Gedenkens und schilderte, sein Ziel und Leben, wobei er besonders seine Liebe zum Volk und Vaterland heroor- hob, die Lie Richtschnur seines Lebens gewesen ist. In seinem letzten Lebensabschnitt in Moskau habe er zwei Welten miteinander verbunden. Hierauf ergriff der Sowjetbotschafter in Berlin, Krestinski, das Wort und betonte, wieviel Liebe und Verehrung sich Brock- dorff-Nantzau in Rußland erworben habe. Er ging dann auf die bedeutsame Rolle ein, die dieser in der Ge schichte Deutschlands und Rußlands seit dem Kriege ge spielt habe. Sowohl in seinem wie im Namen des Außen kommissars Tschitscherin widmete er dem Hingeschiedenen herzliche Worte des Gedenkens. Als dritter Redner sprach dann Professor Dr. Hoetzsch und schilderte auf Grund seiner persönlichen Beziehungen zu dem Botschafter dessen Charakter und Lebenseinstellung und seine Verdienste in der deutschen Außenpolitik. Zum Schluß sprach namens der deutschen Industrie Geheimrat Kastl und gab dem Dank der deutschen Wirtschaft Ausdruck für das, was der Verstorbene geleistet habe. Mit einem Adagio aus dem Streichquartett von Mozart endigte die stimmungs volle Feier. Reform -er ArbeÜslofen- Unlerslützung. Sonderfürssrgc bei berussüblicher Arbeitslosigkeit. Der Sozialpolitische Ausschuß des Reichstages berät jetzt den Entwurf eines Gesetzes Uber eine C o n d e r f ü r s o r g e bei b e r u f s ü b l i ch e r Al be i t s l o s i g k e i t, der Mißstände beheben soll, die sich im ersten Probejahr des neuen Gesetzes über Ar beitslosenversicherung herausgestcllt haben. Rein vcr- sicherungstechnisch müssen die Risiken für eine Konjunk tur-Arbeitslosigkeit anders bewertet werden als für eine berufsübliche Arbeitslosigkeit. Nach dem Arbeits- losenoersicherungsgesetz wird durch eine versicherungs pflichtige Beschäftigung von 26 Wochen der versiche- rungsmäßige Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung sür weitere 26 Wochen erworben. In Len Saison- berufen nun, in denen die Arbeitslosigkeit „beruss- üblich" ist, kann der Arbeitslose unter Umständen das Ursache von dem herausziehen, was er vorher durch die Beiträge eingezahlt hat. Früher pflegten diese Saison arbeiter, in deren fast immer hohen Löhnen schon eine Abgeltung für die berufsübliche Arbeitslosigkeit liegt, während der stillen Zeit forst- oder landwirtschaftliche Arbeiten auszuführen. Die Annahme dieser vielfach »echt niedrig bezahlten und körperlich anstrengenden Ar beiten wird jetzt meist verweigert. Die statistischen Eis Hebungen bestätigen diese Mißstände. Am 31. März l927 wurden in den Orten unter 10 060 Einwohner im Reichsgebiet 470 000, ein Jahr später dagegen 560 000 Arbeitslose gezählt. Es war also ein Zuwachs von 80 000 Personen zu verzeichnen, während im gleichen Zeitraum die Gesamtzahl der Unterstützungsempfänger »m Reichsgebiet nicht unerheblich gefallen war. In einer überwiegend landwirtschaftlichen Provinz Pom merns allein gab es Ende 1926 über 43 000 Hauptunter- stiitzungsempfänger, ein Jahr später über 54 000. Auch wird die Reichsanstalt durch diese Saisonarbeitslosigkeit schwer belastet. Im Vorjahre wurden in den oier Wintermonaten die Reserven von 155 Millionen bis auf eine einzige Million aufgezehrt. Infolge der er wähnten Ablehnung von Arbeits- und Verdienstmög lichkeiten hat sich auf dem flachen Lande besonders eine kritische Stimmung gegen die Arbeitslosenversicherung entwickelt. Die Reichsanstalt für Arbeitslosenversiche rung hat jetzt eine Verordnung erlassen, wonach die Dauer der oerstcherungsmäßiqen Unterstützung während einer berufsüblichen Arbeitslosigkeit höchstens sechs Wochen beträgt. Der großstädtische Saisonarbeiter ist anders gestellt, als der ländliche. Für ihn soll daher eine Fürsorge ähnlich wie die Krisenfürsorge einsetzen. Im Falle der Bedürftigkeit soll mit dieser Sonderfür sorge nicht etwa 6 bis 10 Wochen gewartet werden. Die Gesamtkosten werden auf 35 Millionen Mark geschätzt, wovon 28 Millionen das Reich und 7 Millionen die Reichsanstalt für Arbeitslosigkeit trägt. Reichsparwrlag SerZenlrumsparrei Marr tritt vom Vorsitz zurück. Köln, 6. Dez. Der Vorstand der Zentrumspartei trat am Donnerstag zu einer Sitzung in Köln zusam men. Es wurde zunächst eine Reihe organisatorischer Fra gen und Angelegenheiten, die den Parteitag direkt be treffen, besprochen. Sodann wurde von einem Schreiben des früheren Reichskanzlers und seitherigen Vorsitzenden Marr Kenntnis gegeben, in dem dieser von seinem Rücktritt von der Parteiführung offiziell Mit teilung macht. Der Parteivorstand nahm diesen Ent schluß des bisherigen Vorsitzenden mit Bedauern ent- gegen. Nach längerer Aussprache wurde die Wahl des neuen Parteivorsitzenden endgültig dem Parteitag über wiesen, der die Entscheidung zu treffen hat. Da der Abgeordnete Perlitius infolge einer Er krankung in seiner Familie bisher in Köln nicht eintreffen tonnte, ist es fraglich geworden, ob er das von ihm zu haltende Referat über Wirtschaftsfragen am Montag wird halten können. Um die Wahl des neuen Parteivorsitzenden. Köln, 8. Dezember. Der Reichsausschuß des Zen- trums trat am heutigen Freitag vormittag zu einer Sitzung zusammen, die den ganzen Tag in Anspruch nehmen wird. Die Verhandlungen sind vertraulicher Natur. In ihrem Mittelpunkt steht die Wahl des neuen Parteivorsitzenden. Der Reichsausschuß hat die Auf gabe, ihm geeignet erscheinende Persönlichkeiten dem Parteitag zur Wahl vorzuschlagen. Air erster Stelle wird , Abg. Stegerwald genannt. Seine Kandidatur ist jedoch sehr stark umstritten und begegnet zum Teil einer recht starken Opposition. Insbesondere die Vertreter der Be amtenorganisation der Zentrumspartei lehnen Steger wald unter Hinweis auf seine bekannte Stellung zur Frage des Verufsbeamtentums mit großer Entschieden heit ab. Die Verhandlungen des Reichsausschusses zielen darauf ab, wenn irgendmöglich einen Ausgleich der Gegensätze herbeizuführen. Ob das gelingen wird, läßt sich bis jetzt noch nicht übersehen. Der Skandal -er »Gazelle du Frane* Den Hauptgesprächsstoff bildet gegenwärtig in Frankreich der neueste geradezu ungehuerliche Pariser Finanzskandal um die „Gazette du France". Die erste polizeiliche Feststellung hatte einen Kassenbestand von 22 000 Franken ergeben, denen Verluste von weit über 100 Milli onen Franken gegenüber stehen. Der Chef der etwa 400 Werbeagenten ist ein ehemaliger Kinoschauspieler, Gabriel de Gewönne, der in seinen letzten Filmen die Herzen aller kleinen Pariser Mädchen zu Tränen rühren konnte. Der Krach der Unternehmungen ist besonders fühlbar in Reims, Rethel, Arras, Calais usw. In Calais betragen die Verluste allein zwei Millionen Franken. Es sind auch andere Pariser- Zeitungen von diesem Krache stark berührt, vor allen! der „Quotidien", in dessen Redaktion es vor etwa zwei Jahren zu einem großen Krache kam. Die Redaktions mitglieder, die damals aus dem „Quotidien" ausschieden, schlossen sich zusammen und veröffentlichen seitdem ein Wochenblatt „La Lumiere", das in einer seiner letzten Nummern außerordentlich stark belastendes Material gegen den „Quotidien" veröffentlichte, dessen Haupt besitzer der neue Landwirtschaftsminister Hennessy ist. Es haben nach diesen neuesten Enthüllungen sehr enge Be ziehungen bestanden zwischen der „Gazette du Franc" und dem „Quotidien". Frau Hanau, die Hauptbeteiligtc an den vielseitigen Geschäften der „Gazette du Franc", die inzwischen ins Pariser Frauengefängnis St. Lazaire eingeliefert wurde, Hai noch am Sonntag mit dem Direktor des „Quotidien" Dumai, zusammen Mittag gegessen. Frau Hanau soll eine Liste von 60 000 Adressen von Leuten, die ihre ! Ersparnisse ihr Hergaben, von diesem Herrn Dumai ge- i kauft haben. Dumai selbst bezog wie andere ein monat- ! liches Gehalt von Frau Hanau in Höhe von 30 000 ! Franken. „La Lumiere" geht aber noch einen Schritt i weiter. Sie behauptet in aller Oeffentlichkeit, der Land- Wirtschaftsminister Hennessy wäre ebenfalls einer der Nutz- nießer der Frau Hanau. Poincare hat im Kabinettsrat i am 29. November, als er zum ersten Male amtlich sich mit dem Skandal der „Gazette du Franc" befaßte, im i gleichen Atemzuge auch den „Quotidien" genannt. Tierftguren als Eisbrecher. Zu beiden Seilen der neuen Brücke über die Saale unterhalb der Burg Eiebichenstein sind durch Prof. Marcks zwei originelle Eisbrecher in Gestalt von riesigen Tieren geschaffen worden, und zwar neben einem Pferd (das unser Bild zeigt), das die durch den Strom gelieferte Kraft versinnbildlichen soll, eine ruhende Kuh, die die Er trägnisse des Flusses darstellt. Die Figuren, deren Größe aus unserem Bilde ersichtlich ist, sind von monumentaler Wirkung. Wolken und Sonnenschein. Roman von Emilie Sich«. 75) «Nachdruck verboten.) Sie war enttäuscht. „Doch, aber ich dachte, daß der mir am besten steht." Er wurde ungeduldig. „Du siehst gegenwärtig leine geschmackvoll gekleidete Dame, die einen breitrandigen Hut trägt" Melitta erwiderte: „Aber Gerhard, ein Panamahut ist immer modern: ich habe ihn ja erst vor drei Wochen gekauft." „Du bist gerade wie ein Kind, hast dir noch nie etwas gekauft, was dich vorteilhaft kleidet. Du richtest dich nicht nach der Mode, mußt immer etwas Besonderes haben, bas keine Art hat." Melittas Augen füllten sich mit Tränen, aber sie be kämpfte sich tapfer und sagte: „Mama war dabei, als ich mir den Hut gelaust habe, ihr hat er sehr gut gefallen." „Ach was, Mama! Mama ist eine alte Dame: nach ihrem Urteil kannst du sich nicht richten." „Melitta sagte: „Ich werde einen anderen Hut auf letzen." Sie klingelte und gab Luise ven Auftrag, ihre neuesten Hüte zu bringen. Gerhard durchmaß mit langen Schritten bas Zimmer, sein Gesicht war ärgerlich und er sagte kalt: „Es wäre mir sehr angenehm, wenn ich nicht mehr lange warten müßte." Melitta gab keine Antwort. Dann kam Luise mit der Hutschachtel. Sie öffnete diese und reichte der Herrin den »bersten Hut; er war von grauer Farbe mit schmalem, ausgeschlagenem Rand und hatte als einzigen Schmuck eine Stickerei von Perlen. Als Gerhard diesen Hut sah, machte n eine ärgerliche Handbewegung: „Du weißt, daß ich diesen „Chapeau" nicht leiden kann." Melittas Hände zitterten heftig, als sie nach dem lichten Hut griff. Es war ein Frühjahrshut, dessen zarte hellblaue Farbe bereits etwas gelitten hatte. Gerhard fuhr auf: „Den alten Hut willst du ans setzen?" Melitta sah ihn hilflos an: „Ich habe keinen anderen, die vom letzten Jahr habe ich bereits fortgegeben." Gerhard preßte die Lippen zusammen und nach einem Augenblick sagte er kalt, ohne noch die geringste Spur von Ärger zn zeigen: „Wenn du keinen anderen Hut hast, nehme ich sich nicht mit. Binders Dame ist immer so elegant und geschmackvoll gekleidet, ich mag mich nicht blamieren." Melitta sah ihren Mann entsetzt an, griff hastig nach dem Taschentuch und fuhr sich verstohlen an die Äugen. Die wohlerzogene Luise verließ geräuschlos das Zimmer. Gerhard griff nach seinem Hut, dabei sagte er: „Vielleicht hast du die Güte und nimmst dir zu Herzen, um was ich dich schon so oft gebeten habe: dich auch so zu kleiden wie andere Damen! Ich habe absolut keine Lust, mit dir auszugehen, wenn du so einfach und spießbürgerlich ge kleidet bist." Er grüßte kurz und verließ das Zimmer. Melitta starrte ihm fassungslos nach. Sie war an den Tisch ge taumelt und hielt sich an der Kante fest, schaute auf die Tür, durch die Gerhard soeben gegangen war. Von den weit offenen Fenstern herein kam das Surren des Motors, sie konnte es sich nicht versagen und schaute hinaus. Gerhard war selbst auf dem Führersitz, von dem Chauffeur war keine Spur. Sie griff sich an die Stirn und ihr Atem stockte für einen Augenblick. Aus dem Nebenzimmer kam Anitas Helles Stimmchen, aber sie fühlte das bren- nende Verlangen, allein zu sein. Sie stieg die Treppe zu ihrem Boudoir hinauf, betrat den Raum. Der große Spiegel gegenüber der Tür gab ihre jugendliche Gestalt in dem zarten, eleganten Sommerkleid wider, die Wellen ihres dunklen, glänzenden Haares legten sich weich um ihre Stirn, ihr schmales, blasses Gesicht mit den großen, von Tränen glänzenden Augen erschien ganz starr. Sie warf sich stöhnend aufs Sofa, vergrub ihr Gesicht in die seidenen Kissen. Wie elend ihr zumute war! Sie konnte kaum denken, aber wie ein Braufen tönten ihr noch immer Gerhards kalte, harte Worte im Ohr. Sie lag lange un beweglich da, endlich klopfte es und Luise brachte eine Karte. Melitta schüttelte den Kopf, ohne einen Blick dar- auf zu werfen, und das Mädchen ging wieder. Der Mittag kam und Luise brachte der Herrin das Essen. Melitta hatte das neue Kleid ausgezogen; es hing über einem Stuhl und die prächtige, tiefrote Rose, die sie am Halsausschnitt getragen hatte, lag verwelkt am Boden. Luise fragte nach den Wünschen der Herrin und Melitta sagte, daß sie nichts haben wolle als Ruhe. Der Nachmittag schlick langsam und träge dahin. Melitta verließ ihr Zimmer nicht und sie wurde, ihrem Wunsche entsprechend, auch von niemandem gestört. Erst gegen Abend rüstete sie sich zum Ausgehen, es war ihr auf einmal so eng im Hause, als wollten die Wände des vornehmen Hauses sie erdrücken. Sie klingelte Luise und ließ dem Chauffeur Bescheid sagen. Dieser hatte keinen sehr harten Tag gehabt; nachdem Anita und ihre Wärterin wieder zu Hause waren, hatte er eines der beiden übrigen Automobile gewaschen. Luise kam wieder und half der Herrin beim Ankleiden. Anita, die jeden Abend um sieben Uhr schlafen ging, war schon zu Bett, als ihre Mutter das Haus verließ. Der Chauffeur fragte, welchen Weg sie wünsche. Sie gab kein bestimmtes Ziel an; es war ihr einerlei, wohin sie fuhr, sie wollte nur herauskommen aus der Ruhe, die ihr auf einmal so unheimlich erschienen war. Der Chauffeur fuhr stundenlang auf den Landstraßen vor der Stadt. Melitta saß in den weichen Polstern des Autos und sah mit halb abwesendem Blick über die Gegend. Endlich ließ sie sich heimfahren. Zwar glaubte sie nicht, daß Gerhard schon zu Hause war, aber sie hatte eine sonderbare Unrast in sich, die sie unwillkürlich zurückrrieb. Sie hatte sich vorgenommen, nicht zu fragen, aber als dann das Mädchen die Haustür öffnete, konnte sie doch nicht anders und fragte, ob der Herr schon heimgekommen sei, aber sie bekam eine Urrneinende Antwort. Sie ließ sich etwas zu essen bringen, setzte sich an den Tisch; aber obwohl sie den ganzen Tag kaum etwas genossen hatte, war sie doch nicht hungrig, aß nur ein wenig Erdbeereis und trank ein Glas Wasser. Fortsetzung iolgt.)