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Kurze Mitteilungen. 30 November 1928 Die „Rcichspost" schreibt über die Gemeinderats wahlen des letzten Sonntags in Tirol: „Ueberall seien die sozialdemokratischen Stimmen zurückgegangen. Neben manchen Mandatsgewinnen seien aber auch auf der Gegenseite große Mandatsverluste zu verzeichnen. Zur Unterzeichnung des polnisch-ungari schen Freundschaftsvertrages ist der un garische Außenminister Valko in Begleitung des pol nischen Gesandten in Budapest Madizewsky heute nach Warschau abgereist. Aus verschiedenen Teilen Frankreichs liegen Mel dungen über schwere, tödlich verlaufene Pilzvergiftungen vor, denen insgesamt 5 Per sonen zum Opfer fielen. Das dänische Folkething begann am Don nerstag die erste Beratung der Regierungsvorlage über ein neues bürgerliches Strafgesetzbuch. Die Vorlage sieht die Abschaffung der Todesstrafe vor. Bes serungshaus und Zuchthaus sollen abgeschafft werden, so daß als allgemeine Strafen, Haft, eine Art mil deres Gefängnis und Geldstrafen gelten. Schließlich sieht die Vorlage die Einführung eines Jugendgefäng- nisses, Bewährungsfrist usw. vor. * Die Beisetzung des Admirals Scheer. Weimar, 30. Nov. Wegen der Beisetzung des Ad mirals Scheer wehen seit den frühen Morgenstunden auf allen staatlichen und städtischen Gebäuden und vielen Privathäusern die Fahnen halbmast. Unablässig zieht eine schweigende Menschenmenge durch das Portal der Kirche, in der einst Gottfried Herder gepredigt hat, vorüber an dem im Hohen Thore aufgebahrten Sarg, den die alte Marinekriegsflagge deckt und auf dem Admiralshut und Insignien niedergelegt sind. Zu Füßen liegt das Ordenskissen. Ringsum ist alles in Lorbeer und Grün vergraben. Unzählige schwarz-weiß rote Schleifen von Marinevereincn, von Behörden und Kameraden tragen nur einen Gruß: „Dem Sieger von Skagerrak". Stahlhelmer und Marineangehörige halten die Ehrenwache. Mit den Mittagszügen treffen die letzten hohen Trauergüste ein. Stinkbomben und Schreckschüsse in einer volksparteilichen Versammlung. Frankfurt a. M., 30. Nov. Als Auftakt zur Stu dententagung, die hier in den nächsten Tagen statt findet, war am Donnerstag abend eine Versammlung im großen' Börsensaal gedacht, in der Reichstagsabge ordneter Dr. Cremer-Berlin über die „Diktatur und Parlamentarismus" sprechen sollte. Die Ausführungen des Redners wurden durch systematische Kundgebungen von nationalsozialistischer Seite dauernd unterbrochen. Zwar wurden einige der Störenfriede durch die Poli zei aus dem Saal entfernt, doch konnte die Versamm lung nicht programmäßig zu Ende geführt werden. Als eine Stinkbombe geworfen, und ein Schreckschuß ab gegeben wurde, sah sich diePolizei, die mit einem großen Aufgebot erschienen war, gezwungen, den Saal zu räumen. Die Nationalsozialisten formierten sich hier auf zu einem Zuge durch die Stadt. Riesiger Iuwelenöiebslahl am Hellen Lage. Aus Berlin wird gemeldet: In einem bekannten F u w e l i e r g e s ch ä f t der Innenstadt wurde am Mittwoch während der Geschäftszeit von zwei Aus ländern aus einer der Vitrinen ein Tablett mit 28 kost baren Platindiamantringen im Werte von 200 000 Mark gestohlen. Die Diebe sind mit ganz besonderer Kaltblütigkeit und Geschicklichkeit zu Werke gegangen Und konnten sich unbehelligt entfernen. Auf die Wieder- herbeischaffung der Juwelen ist eine Belohnung von 10 000 Mark ausgesetzt worden. Die Diebe waren zwei gutgekleidete Herren, an- jchcinend Amerikaner, die nur gebrochen deutsch sprachen. Einer von ihnen verlangte eine Krawatten nadel zu kaufen. Sein Begleiter beteiligte sich zunächst am Aussuchen, entfernte sich dann aber vom Ladentisch und schien in die Betrachtung einer Vitrine vertieft, in der in verschiedenen übereinander liegenden Fächern Juwelen ausgestellt waren. Inzwischen hatte sich sein Freund für eine Krawattennadel zu 26 Mark ent schieden und bezahlte mit einem Tausendmarkschein. Während der Verzögerung, die durch das Wechseln ent stand, stand der andere scheinbar gleichgültig mit dem Rücken gegen die Vitrine gelehnt. Als die Verkäuferin das Tablett mit den Krawattenadeln in die Vitrine zu rücklegen wollte, hielt er sie davon ab und erklärte, das er ebenfalls eine Krawattennadel brauche. Statt dessen verließen die beiden, sobald das Wechseln beendigt, war, das Geschäft wobei der Käufer der Krawattennadel Handschuhe und Stockschirm auf dem Ladentisch liegen ließ. Als jemand vom Personal den Kunden nachlief, um sie auf die Vergeßlichkeit aufmerksam zu machen, kamen die beiden auch schon zurück und nahmen ihr Eigentum an der Tür in Empfang. Sehr viel später erst stellte sich heraus, daß das ganze mit dunkelrotem Samt bekleidete Tablett, auf dem die 28 Ringe aufge steckt waren, verschwunden war. Beide Diebe trugen weite Raglanmüntel, die ihnen das Manövrieren er leichtern mußten. Bemerkenswert ist, daß am Tage vorher dasselbe Geschäft von einem elegant gekleideten Mann, der sich Martelec nannte, französisch sprach und als seine Ad resse die französische Botschaft angegeben hatte um einen wertvollen Ring im Werte von 12 000 Mark bestohlen wurde. Er hatte eine mit Brillanten besetzte Platin uhr auf den Tisch gelegt und erklärt, daß er sie gegen einen Ning eintauschen wolle. Als ihm dann ein Tab lett mit Ringen vorgelegt wurde — es war dasselbe Tablett, das jetzt vollständig gestohlen wurde — ver tauschte er einen der Ringe geschickt mit einer wertlosen französischen Imitation, worauf er den Umtausch durch einen Vorwand zum Scheitern brachte. Auch hier wurde der Verlust erst nach seinem Weggehen entdeckt. In der französischen Botschaft war selbstverständlich von einem Herrn Martelec nichts bekannt. Aus aller Well. * Der Sparkassenskandal in Eslohe. Wie aus Eslohe gemeldet wird, Hai die Untersuchung des Skandals bei der Sparkasse Eslohe ergeben, daß der Amtmann und der Rendant unerlaubte und strafbare Geschäfte in Höhe von weit über eine Million Mark gemacht haben. Von eingeweihter Seite wird die Summe sogar mit 1,6 Mil lionen Mark angegeben. Der für die Amtssparkasse bzw. für das Amt hieraus entstandene tatsächliche Ver lust betrugt nach heutiger Schätzung etwa 750 000 Mark. * Unterschlagungen von Mündelgeldern. Gegen den Kreisausschußinspektor Andreas Homann in Elbing, dem, wie die „Elbinger Zeitung" meldet, Unterschlagungen in größerem Umfange zum Vorwurf gemacht werden, ist ein Haftbefehl ergangen. Man spricht von 40 000 Reichsmark. Außerdem kommen 21000 RM. Mündel gelder in Frage, die ihm als Vormund der Kinder seines verstorbenen Bruders anvertraut waren. Homann hält sich zurzeit auswärts auf. Auch gegen einen an deren Kreisbeamten schwebt ein Strafverfahren, das ebenfalls auf Unterschlagung lautet. Hier steht der Fehlbetrag noch nicht fest. Es sollen jedoch 6000 bis 7000 M. amtlicher Gelder in Betracht kommen. * Schwerer Kraftwagenunfall. Am Donnerstag mittag stieß auf der Chaussee Mülheim—Duisburg ein Lieferwagen mit einem Personenkraftwagen zusammen. Der Insasse des Personenwagens wurde auf der Stelle getötet, während der Führer lebensgefährliche Ver letzungen erlitt. Der Führer des Lieferwagens trug s leichte Verletzungen davon. * Eisenbahnunglück bei Belgrad. In der Nähe ! von Belgrad stieß am Donnerstag vormittag ein Eüter- ! zug mit einem Personenzug zusammen. Die beiden Loko- ! Motiven wurden schwer beschädigt. Ein Fahrgast wurde getötet, eine Anzahl weiterer Personen ver letzt, darunter drei schwer. Als Ursache wird Unvor sichtigkeit eines Bahnbeamten angegeben. * Unfall eines Dornier-Merknr-Flugzeuges. Das Flugzeug Dornier-Merkur D. 1101 mußte am Donners tag aus einem Ueberführungsfluge von Köln nach Halle —Leipzig in der Gegend des Kahlen Asten-Berges wegen Nebels zwischenlanden. Das Flugzeug wurde be schädigt. Beide Flugzeugführer trugen Verletzungen da von. Fahrgäste waren nichi an Bord. * Ein zwölfjähriger Kassenräuber. Aus Mährisch- Ostrau wird berichtet: Im Bureau der Fabrikssirma Lud wig Major wurde die Kasse ausgeplündert. Als Täter wurde von der Gendarmerie ein zwölfjähriger Junge ausgeforscht, der sich durch Geldverschwendung verdächtig gemacht hatte. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, daß die Ausplünderung der Kasse von einem „geübten Einbrecher" erfolgt sein müsse, doch gestand der Junge beim Kreuzverhör, daß er den Kassenraub allein durch geführt habe. 1930 fliegt „Graf Zeppelin" nach dem Nordpol. In Verhandlungen, die unter der Leitung des Reichsverkehrsministers von Euerard zwischen dem Vor sitzenden der Internationalen Studiengesellschast zur Er forschung der Arktis mit dem Luftschiff (Aeroarktic), dem bekannten Nordpolforscher Frithjof Nansen, und dem Führer des Luftschiffbaues Zeppelin, Dr. Eckener, statt fanden, wurde festgelegt, daß das Luftschiff „Graf Zeppe lin" im Jahre 1930 zwei Forschungsfahrten in die Arktis unternehmen wird. Dr. Eckener wird in den Vorstand dieser Studiengesellschaft eintreten, die das Luftschiff gegen Erstattung der Kosten für diese Fahrten mietet. Unsere Aufnahme, die kurz nach dem Abschluß der Verhandlungen gemacht wurde, zeigt die drei vertrag schließenden Parteien: links Dr. Eckener, in der Mitte Reichsverkehrsminister von Euerard, rechts Frithjof Nansen. Wolken und Sonnenschein. Roman von Emilie Sicha. 72> (Nachdruck verboten.) Binder fuhr fort: „Es war natürlich nur ein fauler Spaß von jungen, übermütigen Bauernlümmeln; sie hatten einige Bund Stroh aneinandergelehnt und ange zündet. Es hätte wirklich ein großes Unglück passieren können." „Aber was war mit Gerhard?" unterbrach Melitta ungeduldig. „Einen Augenblick, gnädige Frau . Ich nehme an, von den Damen ist noch keine in Roggenhausen ge wesen? Ich dachte mir's. Sehen Sie, die Schenke, in der wir quartierten, steht direkt an der Napoleonstraße, die von Paris nach Mainz führt; Vie Scheune befindet sich etwas zur rechten Seite dicht dahinter. Zwischen dem Haus und der Scheune ist der Düngerhaufen mit einer großen Güllenlache, die beinahe bis ans Haus geht. Das Feuer war bereits wieder gelöscht, nur die Asche glühte noch. Während ich mir überlegte, ob ich wache oder träume, höre ich oben ein Fenster gehen und im nächsten Augenblick sprang jemand herab es war Gerhard I Er machte noch einige Schritte vorwärts und dann fiel er Hals über Kopf in die Güllenlache." Melitta schlug entsetzt die Hände zusammen, Binder zog rasch ein buntseidenes Taschentuch hervor und schneuzte sich geräuschvoll, Leone biß die Lippen zusammen, um nicht zu lachen. „Armer Gerhard," seufzte Melitta — und Binder fuhr fort: „Es ist noch sehr gut gegangen, gnädige Frau! Zum Glück war es von dem Fenster auf den Hof hinab nicht hoch, Gerhard hat außer einer leichten Fußver stauchung keinen Schaden davongetragen." Melitta stand auf und ging ans dem Zimmer; sie war noch bleicher denn sonst und in ihren Augen standen Tränen. Als sie gegangen war, wandte Binder sein ge rötetes Gesicht zu Leone. Er winkte mit beiden Händen und schüttelte den Kops, konnte vor Lachen gar nichts sagen. Nach einer Weile sagte Leone: „Sie haben nicht die Wahr heit gesagt, Herr Binder!" „Doch, Fräulein Leone! — Nun freilich, dies ist nicht alles, aber ich wollte Gerhards kleiner, besorgter Frau nicht weh tun." „Was hat sich denn sonst noch zugetragen?" „O, weiter nichts Besonderes, nur glaube ich, daß Ger hard nicht mehr auf die Jagd geht nach Roggenhaussn, und auch ich habe keine Lust mehr, denn die jungen pfäl zischen Bauern sind grobe Haken." „Wurden Sie von ihnen belästigt?" „Haben Sie nicht gehört, was ich erzählt habe, Fräu lein Leone?" „Das schon, aber ich kann nicht begreifen, wie das mit den Bauern Zusammenhängen soll?" „Nun, dann will ich es Ihnen ein wenig genauer er zählen, aber Sie dürfen Gerhards Frau kein Wort davon sagen. Gerhard hat der jungen, hübschen Kellnerin ein großes Trinkgeld gegeben und war etwas zu freundlich mit ihr, ^er ganze Schwarm von jungen Burschen, die am Sonntag abend in der Schenke waren, hat's gesehen." „Ah, dann hat sich Gerhards Mißgeschick ganz anders abgespielt, als Sie gesagt haben!" „Ja, ich habe mir selbst etwas zusammengeträumt, um Gerhards Frau nicht aufmerksam zu machen." „Wie war es nun in Wahrheit?" Binder brachte seine Lippen ganz nahe an Leones Ohr nnd flüsterte: „Gerhard hat mir nichts erzählt. Aber ich kann mir denken, wie es passiert ist. Er war nämlich gestern nacht auf einmal aus der Wirtschaft verschwunden und auch die Kellnerin war nicht zu sehen." „Oh! — Und einige von den Bauern haben ihm aus gelauert und ihm einen so bösen Streich gespielt. Aber ich kann Gerhard nicht begreifen!" „Es gibt viel, was man nicht begreifen kann, Fräu lein Leone," unterbrach Binder. „Ich zum Beispiel kann nicht begreifen, daß Sie einem guten, verliebten Kerl, wie ich es bin, einen Korb geben können." „Herr Binder, wenn Ihre Freundinnen das hören könnten, wäre ich nicht mal mehr meines Lebens sicher." Er hob abwehrend die Hand und sagte halb ärgerlich: „Meine Freundinnen! Wenn ich mal eine Frau habe, die ich liebe, gibt es für mich keine Freundinnen mehr." Sie lachte: „Werden Sie nur nicht ernst, lieber Freund, Sie gefallen mir am besten, wenn Sie lustig und ausgelassen sind." Er sah sie mißtrauisch und mit gerunzelter Stirne an, aber dem Blick ihrer lachenden blauen Augen konnte sein Ärger nicht standhalten. Er neigte sich wieder zu ihr und sagte halblaut: „Sie sind ein kleiner Teufel, der mir schon mehr zu schaffen gemacht hat wie irgend jemand anders, aber ich kann Ihnen nicht böse sein darf ich für heute abend um das Glück Ihrer Gesellschaft bitten? Im Opern- Haus werden die „Meistersinger^ gespielt." „Ich weiß, es ist Melittas und Gerhards Abonnement; Melitta und ich hatten verabredet zu gehen, aber nun ist ja Gerhard da und ich weiß nicht, ob ich noch eine Karte bekommen kann." „Darf ich eine für Sie besorgen? Ts wäre mir ein großes Vergnügens „Wenn es Ihnen möglich ist? Ich glaube es kaum, denn bei den „Meistersingern" ist das Haus immer lange vorher schon ausverkauft." „Wenn es mir möglich ist?" wiederholte Binder. „Wissen Sie nicht, daß ich eine bekannte Person im Schau spielhaus und im Opernhaus bin?" „Natürlich, ich vergaß ganz." Ihre Worte waren wieder mit lachendem Spott gesprochen und Binder seufzte: „Sie sind unverbesserlich, Fräulein Leone, aber trotzdem freue ich mich riesig auf heute abend." Er stand auf und Leone fragte: „Wollen Sie schon gehen, Herr Binder?" „Ja! Ich lasse mich bei der gnädigen Frau bestens empfehlen." Er reichte ihr die Hand: „Auf Wiedersehen heute abend, Fräulein Leone, ich werde Sie pünktlich ab holen." Sie geleitete ihn bis zur Türe und gleich darauf hörte sie das noch wartende Auto davonfahren. (Fortsetzung folgt.) . . .. L