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Der Brandherd Wilna. 27. Juli 1928 Der latente Kriegszustand zwischen Litauen und Polen beginnt allmählig unerträglich zu werden. Die Dinge haben bereits wieder eine solche Zuspitzung er fahren, daß jeden Moment eine Katastrophe eintreten kann. Vor wenigen Wochen erst hat Pilsudski Genf alarmiert, da durch Litauen die „Jntregität des pol nischen Territoriums in Frage gestellt sei." Nun hat Woldemaras seinerseits an den Völkerbund apelliert, da Litauen sich durch die grasten polnischen Manöver, die Anfang August um Wilna herum stattfinden sollen, beunruhigt fühlt. Ja, mehr als beunruhigt. Denn die starken polnischen Truppenzusammenziehungen an der polnisch-litauischen Grenze müssen naturnotwendig Gegenmaßnahmen Litauens Hervorrufen. Zwischen diesen beiden Noten liegt der Schritt Deutschlands in Kowno, der Litauen zur Zurückhaltung bewegen sollte. Für die nächsten Tage ist eine ebensolche Demarche von Paris in Warschau zu erwarten. Man sieht, dast die Lage von den Großmächten als äusterst gefährlich an gesehen wird und dast man, wenn ein Unglück geschieht, sich wenigstens den Vorwurf ersparen will, untätig ge wesen zu sein. Ob aber Noten und diplomatische Schritte in diesem unglückseligen Konflikt noch etwas helfen können, das mast dahingestellt bleiben. Vor läufig mutz man den kommenden polnischen Manövern mit gröstter Sorge entgegensetzen. Denn es kann kein Zweifel bestehen, dast Pilsudski nur auf die geringste Provokation von litauischer Seite wartet, um ent scheidende Schritte zu unternehmen. Wie diese aus sehen, kann man an dem Handstreich des Generals Zeli- gowski, durch den Wilna an Polen fiel, ermessen. Der Streit um Wilna ist der verfahrendste und un glücklichste Punkt der Weltpolitik. Keine Königsberger Konferenz, kein Friedensdiktat des Völkerbundes können hier Wandel schaffen. Jede Regierung Litauens, die sich dazu hergeben würde auf Wilna zu verzichten, würde im Nu von dem Volkswillen hinweggefegt werden. Woldemaras hat erst vor zwei Monaten in der neuen Verfassung Litauens Wilna feierlichst zur Hauptstadt Litauens erklärt. Wir haben es hier also mit dem einzig dastehenden Fall zu tun, dast ein Land zu seiner Hauptstadt eine einem anderen Lande ge hörende Stadt bestimmt. Von seinem Standpunkte aus mustte sich Polen durch diesen Akt Litauens schroff brüs kiert fühlen. Polen konnte diese Handlung nicht anders auffassen, als eine erneute Kampfansage und als eine Ablehnung aller Verhandlungen. Denn der Wilna konflikt bildet den Hauptstreitpunkt zwischen Polen und Wie wir bereits gestern mitteilten, hat die fran zösische Besatzungsbehörde das Verlangen gestellt, drei deutsche Staatsbürger der französischen Justiz auszuliefern. Heute liegt die Meldung vor, dast die deutsche Ne gierung sich verpflichtet fühlt, dieser unerhörten For derung nachzukommen. Berlin, 26. Juli. Zu dem Verlangen der fran- zösischm Besatzungsbehörd« nach Auslieferung von drei deutschen Staatsangehörigen wird von hiesiger zustän diger Stelle «cklärt, daß Deutschland diesem Begehren Folge leisten wird. Deutschland habe sich an die vertrag- lichM Bedingungen zu halten, die ihm auferlegt wor den seien. * In den noch besetzten Teilen des deutschen Nhein- landes haben sich seit Locarno die Verhältnisse in so weit konsolidiert, als in den letzten Jahren nennenswerte Reibungen zwischen den Besatzungstruppen und dem Pu blikum nicht mehr zu verzeichnen waren. Zwischenfälle dieser Art sind durch den beiderseits vorhandenen guten Willen meist zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt wor den, so dast man heute einen Zustand feststellen kann, der als korrekt zu bezeichnen ist. Die Bevölkerung hat sich mit dem status quo abgefunden, nachdem sich die Hoffnung, dast die durch Locarno und Thoiry angebahnte Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich eine nennenswerte Erleichterung der Vesatzungslast bringen würde, nicht erfüllt hat. Mit bewundernswerter Diszi plin sind die Bewohner der Rheinlande darauf bedacht, alles zu vermeiden, was die Ziele der deutschen Ver- öhnungspolitik stören könnte, und harren in stiller Ent- chlossenheit dem Tage entgegen, wo die fremden Truppen ür immer das Land verlassen werden und der Deutsche am Rhein sich wieder frei von allen Fesseln fühlen wird. Und nun dieser Schlag! Man mutz sich fragen, wie es möglich ist, daß heute, zwei Jahre nach Locarno, überhaupt noch ein derartiges Ansinnen von franzö sischen Behörden an die deutsche Negierung gestellt wer den kann. Will man im Ernst Deutschen zumuten, deutsche Landsleute an die französischen Gewalthaber auszulie fern, damit diese sie wegen Beschimpfung ihrer Trikolore fünf Jahre ins Zuchthaus stecken? Wenn die französische Regierung das Vorgehen der Besatzungsbehörden deckt und sich wirklich auf ihren Schein beruft, dann kann sie nur die Absicht haben, absichtlich einen Zwischenfall zu schaffen, der dem deutschen Volke das Herrenrecht des Siegers wieder zum Bewußtsein dringt. Im übrigen aber sei bemerkt, daß es derartiger Mangebrachter Druckmittel nicht bedarf, um dem deut sche!« Volke den Wunsch lebendig zu machen, datz die Rheinlandbesetzung so schnell wie möglich verschwindet. Di« Diskussion über die Räumung hat inoffiziell längst begonnen; es ist nur nötig, datz die beiderseitigen Re- gierMgen endlich den Mut finden, auch ihrerseits dem bestehchiden unwürdigen Zustande ein Ende zu machen. Also heran an das Geschäft!... Di« pfälzische Presse zum französischen Auslieferungs- verlalngen. Die gesamte pfälzische Presse ist sich einig in der Ablehnung des französischen Auslieferungsbegehrens, die Litauen und ohne eine Einigung über diese Frage ist an eine Bereinigung der beiderseitigen Beziehungen nicht zu denken. Wie soll ein Weg aus diesem verhängnisvollen Dilemma gefunden werden? Die ganze Zweideutig keit der heutigen Weltpolitik liegt offen: Während der Kellogg'sche Friedenspakt, der die Austergesetzlichkeits erklärung des Krieges zum Ziele hat von fast allen Mächten (wohlverstanden mit einigen Klauseln) unter zeichnet werden soll, besteht wegen der Wilnafrage akute Kriegsgefahr. Moskau betrachtet arg wöhnisch jeden Schritt Polens und auch Deutschland kann es nicht gleichgültig sein, ob seiner Grenze mit Litauen polnisch wird. Der nahe Osten ist ein Pulver fast, dessen Explosion wohl kaum lokalisiert werden kann. Moskau und -er Manisch-polnische Streitfall. Kowno, 27. Juli. Wie aus Moskau gemeldet wird, beschäftigt sich die „Jswestija" in einem Leitartiel mit dem litauisch-polnischen Streitfall. Das Blatt erklärt, dast die Vollsitzung der litauischen und polnischen Ab ordnungen in Königsberg, die sich im August mit dem Ergebnis der Arbeiten der Kommissionen befassen soll, die an und für sich gespannte Lage noch mehr verschärfen werde. Die polnischen Manöver im Bezirk Wilna und die Beteiligung Pilsudskis an der am 12. August statt findenden Wilnaer Tagung der Legionäre drohten in nächster Zeit mit ern st en Verwicklungen. In diesem Streite arbeite der Völkerbund als Werkzeug Polens und der Erostmächte für die Vergewaltigung Litauens. Das deut sche Austenministerium spiele dabei eine be sondere Rolle. Auf Grund des Meinungsaustausches mit Paris und London habe es den litauischen Minister präsidenten zur Zurückhaltung ermahnt. Der Schritt sei wenig verständlich, da Deutschland an einer ge rechten Lösung des Streitfalles liegen müsse. Die Sowjetregierung habe schon öfters ihre Ansicht über den Streitfall geäußert. Sie wünsche seine Beilegung unter Aufrechterhaltung der litauischen Unabhängigkeit und der Gleichberechtigung der verhandelnden Parteien. Nustland billige keineswegs die Haltung der litauischen Negierung, da sie ihr nur Schaden bringe. Rustland lasse sich aber auch nicht durch die Behauptung irre führen, dast Litauen den Bestand Polens bedrohe und das Polen gezwungen sei, sich mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. in der ganzen Pfalz stärksten Widerhall gefunden hat. Das Verlangen nach der Auslieferung ist eine von den vielen 'unverständlichen Mastnahmen der Besatzungsbe- hörde. Es wäre für das Ansehen des Reiches ein unerträglicher Gedanke, wenn es sich bereitfinden würde, Deutsche einem fran zösischen Kriegsgericht auszuliefern. An- das im Zeichen -es Weltsrie-enspaktes! Kinweg mit -em ganzen Besatzungsunrecht! Das Auslieferungsbegehren der französischen Ve- satzungsbehörden wird in der Berliner Presse einstim mig verurteilt. Die „Germania" schreibt: „Wir hätten niemals geglaubt, datz Frankreich gerade in dem Augenblick, wo weite Kreise in Deutschland auf ein fran zösisches Entgegenkommen zu hoffen begannen und die Fortdauer der Besatzung uns in Paris als eine For malität geschildert wurde, uns einen so eklatanten Beweis unserer Unfreiheit und Versklavung geben würde. Unter diesen Umständen und in diesem Augenblick, während am Rhein französische Sergeanten schalten und walten dür fen, kann ein deutscher Austenminister nicht nach Paris reifen um einen Weltfrieoenspakt feierlichst zu unterzeich nen, den die Franzosen in grotesker Weise verletzen. Wie würde sich das mit Deutschlands Würde und Deutsch lands Glauben an seine Zukunft vereinigen lassen?" Dem „Berliner Tageblatt" erscheint es politisch unmöglich, ein derartiges Verlangen aufrecht zu er halten. Man könne nicht den deutschen Außenminister Mladen zur Unterzeichnung des Kriegsächtungspaktes nach Paris zu kommen und gleichzeitig die Reichsregierung ersuchm, drei Deutsche wegen Beleidigung der franzö sischen Flagge zu fünfjährigem Zuchthaus auszuliesern. Der Fall zeige die ganze Unmöglichkeit einer längeren Dauer der Rhemlandbesetzung. Die „Kreuzzeitung" sagt, wenn sich Dr. Stresemann unter den obwaltenden Um ständen tatsächlich nach Paris begebe, so würden darin weite Kreise des deutschen Volkes den Gipfel nationaler Würdelosigkeit erblicken. Der „Lokalanzeiger" erinnert an den Artikel 112 der Reichsverfassung, nach dem kein Deutscher einer ausländischen Regierung zur Bestrafung ausgeliefert werden darf und fragt, ob die hinter der Negierung Müller stehenden bürgerlichen Parteien die Verantwortung in einem Falle tragen wollten, indem die Reichsregierung entschlossen sei, die Neichsverfassung zu brechen. Der „Vorwärts" meint nach der Erörterung der Rechtsfrage, daß es kernen wirklichen Frieden zwischen Deutschland und Frankreich gebe, solange die Besatzung fortdauere. Der Maximilianfauer Zwischenfall vor -em Mainzer Berufungsgericht. Mainz, den 27. 7. Vor dem Revisionsgericht der Besatzungsarmee in Mainz wurde heute nachmittag der Marimiliansauer Zwischenfall verhandelt. Am 3. Juni hatten der Arbeiter Merz und seine Freunde mit einem französischen Offizier auf dem Marimiliansauer Bahnhof eine tätliche Auseinandersetzung, wobei der Offizier Merz vom fahrenden Zuge herunterreisten wollte. Wie er innerlich, wurde Merz vom Landauer Kriegsgericht in Abwesenheit zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, wäh rend seine Freunde ein bis fünf Monate Gefängnis er hielten. Gegen dieses Urteil legte Rechtsanwalt Dr. Führ Berufung ein. Das Kriegsgericht habe nicht genügend geprüft, ob bezüglich der Freunde nicht Notwehr gegen über dem Angreifer vorgelegen habe. Merz sei sowohl bei den Angriffen des Offiziers, als auch bei dem Her unterreißen vom Zuge lebensgefährlich bedroht gewe sen .Auf Antrag des Militärstaatsanwalts verwarf das Berufungsgericht die Berufung als unbegründet und er klärte das kriegsgerichtliche Urteil als zu Recht bestehend. Bezüglich des Urteils gegen Merz war eine Berufung nicht zugelassen. Gegen Merz wurde jedoch ein Auslieferungs- Verfahren beantragt. Soll wie-er Hatz un-°WMKür herrschen? Zu der Forderung der Besatzungsbehörde aus Aus lieferung von Deutschen aus dem unbesetzten Gebiet schreibt die Frankfurter Zeitung: „Es ist nicht zu begreifen, dast im Sommer 1928 nach Locarno die Besatzungsbehörde es wagt, auf den Artikel 4 des Rheinlandabkommens und die Verordnung 2 der Rheinarmee zurückzugreifen, die so unglaublich sind, datz sie bisher überhaupt noch nicht angewendet wurden. Diese Vorschriften entstanden im Juli 1919, als das Siegerbewußtsein der Alliierten keine Grenzen kannte. Man vergegenwärtige sich nur, was damit verordnet ist: Nicht nur überführte Schuldiges sondern auch alle nur vage Beschuldigten müßten, auch wenn sie sich im unbe setzten Gebiet aufhalten, der fremden Militärgerichts behörde ausgeliefert werden. Jede Denunziation im be setzten Gebiet würde der Besatzungsbehörde die Mög lichkeit geben, Deutsche im unbesetzten Gebiet in ihre Hand zu bekommen. Auch in einem der vorliegenden Fälle ist es sehr unwahrscheinlich, jedenfalls völlig un gewiß, daß die drei Zweibrücker die Schuldigen sind. Die Unterzeichnung -es KeUogg-Pakiss. Die Unterzeichnung des Kellogg-Paktes ist nunmehr endgültig auf den 27. August festgesetzt, und wird am Quay d'Orsey in dem bekannten Uhrensaal erfolgen, der schon so viele Vertragsunterzeichnungen gesehen hat. -Staatssekretär Kellogg hat Briand amtlich mit geteilt, dast er am 27. August zur Unterzeichnung in Paris sein werde. Die Ankunft Kelloggs. ist für den Vorabend des Unterzeichnungstages zu erwarten. In Paris rechnet man damit, daß von den 14 eingeladenen Regierungen mindestens neun durch ihre Außenminister vertreten sein werden. Neuyork Herald will wissen, dast wahrscheinlich auch Spanien zu der Gruppe hinzu treten werde, die als erste den Pakt unterzeichnet. Auch Primo de Rivera kommt nach Paris. Paris, 27. Juli. Wie „Chicago Tribune" zu der Zulassung Spaniens zu den Hauptunterzeichnern des Kelloggpaktes mitteilt, wird Primo de Rivera wahr scheinlich zu der Unterzeichnung nach Paris kommen. Wie das Blatt weiter meldet, wird Staatssekretär Kellogg am 18. August von Neuyork abreisen. Me Abreise Nobiles von Narvik. Oslo, 27. Juli. Nach Meldungen aus Narvik haben Nobile und seine Begleiter am Donnerstag abend die Reise nach Süden angetreten. Eine halbe Stunde vor Abgang des Zuges rollte der Sonderwagen an die „Litta di Milano" heran. Die Landungsbrücke wurde von der „Citta di Milano" auf das Trittbrett des Schlafwagens hinübergelegt, so dast die Italiener den Quai nicht zu betreten brauchten. Ceccioui ging an Krücken und hatte ein bandagiertes Bein. Die übrigen machten bis auf Nobile einen ziemlich ge sunden Eindruck. Er hinkte leicht und stolperte mehr fach, so dast man den Eindruck hatte, datz er schlecht sah. Ob sich auch Mariano unter den Italienern befand, konnte nicht festgestellt werden. Tatsache ist, dast nie mand von der „Citta di Milano" in den Wagen hin- llbergetragen wurde. Das Gerücht vom Tode Marianos erhält dadurch neue Nahrung. Als Zappi auf der Landungsbrücke erschien, begann die auf dem Quai ver sammelte Menschenmenge zu pfeifen und „Malmgreen! Malmgrecn!" zu rufen. Dem Vernehmen nach wird der Sonderwagen am Sonnabend kurz vor Mitter nacht in Kopenhagen eintreffen. Wann die Italiener ihre Reise fortsetzen werden, ist noch nicht bekannt. Versuche Mil eineM neuen RaketenwaZen. Der Wagen zertrümmert. Gestern nachmittag um 3.30 Ahr fand auf der Eisenbahnstrecke Nordhause n—E ernrode die erste Versuchsfahrt des neuen von Vallier, unab hängig von Opel, konstruierten Raketenwagens Eichs- feld-Vallier-Rak I unter Ausschlust der Oeffentlichkeu statt. Der neue Wagen weist gegen das Opelsche Mo dell sehr starke konstruktive Veränderungen auf. Düst kommen am stärksten darin zum Ausdruck, dast die Ra keten über den ganzen Wagen verteilt sind. Ferner fehlen dem neuen Wagen die Flügel, die der Opclstlst Wagen Rak HI an den Seiten trägt. Die erste um zweite Versuchsfahrt verlief bei halber Raketenladung austerordentlich zufriedenstellend. Der Wagen erzielü eine Geschwindigkeit von 180 Stundenkilometer. Bei dem dritten Start, bei dem die Raketen mn 4,5 facher Ladung versehen waren, erreichte der Wagen zwischen der zweiten und dritten Zündung eine amtlich geprüfte Geschwindigkeit von 210 Stundenkilometer. Nachdem sich alle vier Raketenbündel entzündet hatten, wurde der Wagen in einer scharfe' Kurve aus den Schienen geworfen urm vollkommen zertrümmert. Eine empörende Keraussor-erung* Deukfchlan- will ausliefern.