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Kommt die Rheinlandrüumung? „Wir müssen feststellen, daß die Besatzungsmächte aus der politischen Entwicklung der letzten Jahre die gegebenen Schlußfolgerungen noch immer nicht ge zogen haben . . . Das Räumungsproblem ist einfach und klar, es bedarf nur des guten Willens, um es zu lösen . . . Käme es wirklich dahin, daß die Räumungs- frags einfach dem Zeitablauf überlassen bliebe, so wäre damit eine bedeutende Gelegenheit versäumt, die Poli tik der Verständigung in die Tat umzusetzen". So lau ten die bedeutendsten Sätze der Regierungserklärung, die dem Problem der vorzeitigen Nheinlandräumung gewidmet wurden. Es war vornherein klar, daß diese Sätze das größte Aufsehen im interessierten Ausland Hervorrufen würden. Und so kam es auch. Der erste von den offiziellen Männern des Aus landes der auf die deutsche Regierungserklärung reagierte, war kein anderer als der französische Außen minister Briand. Er erstattete dem französischen Mini sterkabinett einen ausführlichen Bericht Uber die Rede des Reichskanzlers Müller. Die Konsequenzen, die er aus dieser programmatischen Rede des neuen deutschen Regierungsleiters zog, müssen als Eröffnung der offi ziösen Aussprache über die Rheinlandräumung, einer offiziösen Aussprache, der wahrscheinlich schon in weni gen Wochen eine offizielle Aussprache folgen wird, ange sehen werden. Briand sagte, die französische Regierung müsse darauf gefaßt sein, daß Anregungen Deutschlands bezüglich der Rheinlandbesatzung unmittelbar bevor stünden: er sagte ferner, Paris müsse, je früher desto besser, Stellung zu diesem Problem nehmen. Der tiefere Sinn dieser Briand'schen Rede ist klar. Frankreich ist prinzipiell nicht abgeneigt, die Frage der vorzeitigen Rheinlandrüumung zu diskutieren. Zu diskutieren! In diesem Wort liegt das Schwergewicht der Erklärungen Briands. Frankreich hält die Tür für deutsche Vor schläge offen, es verharrt aber eben bei der Erwartung dieser Vorschläge. Ist das klar genug? Paris macht das Rheinland zu einem Handelsobjekt. Sein Entgegenkommen macht es von den vorher festge setzten Gegenleistungen Deutschlands unmittelbar ab hängig. Dem französischen Außenminister sind nunmehr die beiden maßgebendsten belgischen Diplomaten gefolgt: Der jetzige Außenminister Hymans und der ehe malige Außenminister Vandervelde, der zugleich Führer der belgischen Sozialisten und der Pertreter Bel giens im Völkerbund ist. Die Belgier sind einen Schritt weiter gegangen wie Briand und haben sich zu der vor zeitigen Räumung der zweiten Rheinlandzone bereit er ¬ klärt, ohne viel von materiellen Gegenleistungen zu sprechen, auf die Paris einen so großen Wert legt. Da gegen machten sie sich einen Leitartikel des offiziösen Or gans des Pariser Außenministeriums „Temps" zu eigen der auf manche „moralische" Momente eingeht, vor allen Dingen auf die Kriegsschuldsrage. Hiermit haben die beiden belgischen Außenminister be wiesen, daß sie in gewisser Hinsicht noch hinter Briand zurückgeblieben sind. Zwar rechtfertigen sie sich mit der besonderen Lage, in der sich Belgien während des Krie ges befand, und weisen darauf hin, Franreich sei sieg reich, aber Belgien wäre das Opfer des Angriffs. Die letzte Entscheidung wird selbstverständlich in Paris lie gen, und schon bei der kommenden Völkerbundstagung im September, an der sowohl Stresemann als auch Bri and teilnehmen werden, werden wir zu spüren bekom men, wie weit es inzwischen mit der Würdigung der „geschäftlichen" Seite der vorzeitigen Nheinlandräu mung gekommen ist. Gustave Kerv6 über Anschluß- und Rüumungssragen. Paris, 9. Juli. In der Victoire setzt sichEustave Herve erneut für die s o f o r t i g e R ä u m u n g d e r beiden letzten Rheinlandzowen ohne deutsche Gegenleistung ein und schreibt: So ungeschickt und gefährlich es gewesen wäre, die geringste Schwäche gegenüber Deutschland zu zeigen solange man eine Wiederaufrichtung der Herrschaft der Hohenzollern fürchten konnte, so ungeschickt und unpolitisch würde es sein, die neue Aufforderung nicht durch eine Geste des Vertrauens und des Wohlwollens zu beantworten, die den Wunsch Frankreichs nach einer größeren Entspan nung und Versöhnung bekunde. Herve erklärte weiter, er sei nicht für die Rückgabe des Danziger Korri dor s aber man gebe sich sonderbaren Täuschungen über denAnschlußOesterreichsanDeutschlands hin, der vor der Nase Poincares und Mussolinis tat sächlich schon erfolgt sei. Die Grenze zwischen den bei den Ländern sei nur noch künstlich, um den Schein zu wahren und denen, die die Wirklichkeit nicht sehen woll ten, Sand in die Augen zu streuen. Herve sucht schließ lich einen Wunsch nach Persöhnung zwischen Frankreich und Deutschland damit zu begründen, daß er erklärte, der Haushalt der Reichswehr, die Entwicklung der deut schen Luftfahrt und die deutschen chemischen Fabriken lieferten den Beweis, daß Deutschland alles habe, um Frankreich in einem neuen Krieg schreckliche Schläge zu versetzen. Schwindende Kosfnungen bezüglich -es Reilungswerkes im Polareis. Oslo, 9. Juli. Wie aus Spitzbergen gemeldet wird, befürchtet man, daß Nobiletatsächlichderein- z i g e s e i n w i r d, der von der Jtaliamannschaft ge rettet sein wird. Nach den letzten Meldungen hat es den Anschein, als ob das Lager immer weiter vom Lande abgetrieben wird. Infolge der außerordentlich schlech ten Eisverhältnisse und des immer stärker werdenden Nebels erscheint es ganz ausgeschlossen, daß die schwe dischen Flieger noch einmal eine Landung beim Lager vornehmen können. Die einzige Möglichkeit besteht jetzt darin, daß das Lager von dem russischen Eisbrecher Krassin erreicht wird, der sich jedoch nur sehr langsam vorwärts arbeitet. Er ist seit Freitag etwa 2 Kilo meter nach Osten vorgedrungen. Er hat jetzt eine große Eisscholle, die einen Kilometer lang und über zwei Meter dick ist erreicht. Da diese eine Startmöglichkeit bietet, werden die russischen Flugzeuge an Bord des Eis brechers startbereit gemacht. Der russische Flieger Ba buschkin hat den Befehl bekommen die Nachsuche nach Amundsen einzustellen. Erneule Mißbilligung für Lambach Ueber die Tagung der deutschnationalen Partei- vertretung, die am Sonntag im Reichstag stattfand, wird von der Deutschnationalen Pressestelle folgender Bericht über die Tagung ausgegeben: Die Parteiver tretung der Deutschnationalen Volkspartei beriet über die durch die Wahlen geschaffene politische Lage, in Ver bindung mit einer Aussprache über die Angelegenheit Lambach. Hierzu wurde folgender Beschluß gefaßt: „Die Parteivertretung tritt der dem Herrn Abg. Lambach seitens der deutschnationalen Reichstagsfrat- tion ausgesprochenen Mißbilligung in vollem Umfange bei. Die weitere Entscheidung bleibt den satzungsgemäß zuständigen Stellen vorbehalten. Deshalb werden die gestellten Ausschlußantrüge dem zuständigen Landes verband als Material überwiesen. Aus diesem Anlaß erkennt die Deutschnationale Volkspartei sich erneut zu dem monarchischen Grundsätze ihres Parteiprogramms." Der „Fall Lambach" und der D.H.B. In der am 10. Juli erscheinenden „Deutschen Han- delswacht" hat das Mitglied der Verwaltung des D.H. V., Max Habermann, in einem Aufsatz „Politik des Monats" zu dem Aufsatz von Lambach in der „Poli tischen Wochenschrift" und der Behandlung dieses Auf satzes in der Oeffentlichkeit und durch die Deutschnati onale Volkspartei Stellung genommen. Er sagt u.a. dortt In der deutschen Rechten ist die seit langer Zeit fällige Aussprache über die Stellung zur Monarchie in Gang gekommen. Lambach hat in der „Politischen Wo chenschrift" in seiner bildkräftigen Art die Stimmung weiter konservativ gerichteter Wählerkreise gezeichnet, denen die Monarchie kein politischer Programmpunkt von heute mehr ist. Die Partei selbst hat durch ihre Teilnahme an der praktischen Politik eine Fülle von Ge ständnissen an den Gegenwartsstaat machen müssen. Eine Monarchie aus dem Geiste der von den deutsch nationalen Ministern beschworenen Weimarer Ver fassung hat aber auch rein gar nichts mehr mit der Kai ser- und Königsherrlichkeit deutscher Vergangenheit zu tun. Jeder Monarchismus in unserem Staat muß revolutionär sein, weil er dessen ganzen Wesen von Grund auf umstürzen muß. Wer aber sieht unter den lebenden Pertretern des preußischen Königshauses auch nur einen Mann, an dem sich eine Revolution entzün den kann? Ein Louis Ferdinand ist nicht dabei. Und an ihrem eifrigsten Diener, dem Rechtsanwalt Everling, kann kein Feuer entbrennen. Die Taktiker in der Deutschnationalen Volkspartei mögen die von Lambach entfachte Diskussion jetzt als unzeitgemäß zum Schwei gen bringen, wollen. In einer Zeit, in der Kronprinz Rupprecht von Bayern sich in öffentlicher Rede mit dem gegenwärtigen Staat auseinandersetzt und sich anmel det, kann die deutsche Rechte, mag sie hohenzollerisch-legi- limistisch oder großdeutsch-konservativ gestimmt sein, nicht dem gründlichen Durchprüfen aller, aber auch aller Probleme aus dem Wege gehen, die sich aus einem grundsätzlichen Monarchismus in der deutschen Zukunft ergeben. Hüte sie sich vor dem Weg der französischen Royalisten, der in der Politik mit den Camelots du Noi enden muß." Englands Einstellung zum Kellogg-Pakt. Paris, 9. Juli. Der Londoner Mitarbeiter des „Echo de Paris" stellt fest, daß sich in England eine leb hafte Bewegung für die resche Unterzeich nung des Kellog-Paktes bemerkbar mache. Die englische Regierung scheine der französischen An regung beitreten zu wollen, die Amerika zu unterbrei tenden Vorbehalte in ein gemeinsames Protokoll auf zunehmen. Der Umstand, daß Kollogg in seiner letzten Antwort sich bemüht habe, gewisse französische Befürch tungen zu zerstören, ohne auch nur eine Anspielung auf die englischen Vorbehalte zu machen, verursache in Lon don einige Unruhe. Die englische Regierung wünsche, daß Kellogg das unbestrittene N e ch t E n g l a n d s an erkenne, seine Interessen in Aegypten, im Suez-Kanal und im persischen Golf wahren zu können. Zu der amerikanischen Auslegung der Artikel 42 bis 44 des Versailler Vertrages bezüglich der entmilitarisierten Rheinlandzone erklärt das Blatt, in England frage man, ob deutschen Truppenbe wegungen in dieser Zone einer Angriffkriegshandlung gleichgestellt werden könnten, wie sie im Kellogg-Vor schlag vorgesehen sei. Verschiedene Anhänger des Völ kerbundes beunruhigten sich über die amerikanische Aus legung da sie unter Umständen den Zusammenbruch des Völkerbundes herbeiführen könnte. Große Kitze in NorSamerika. New-Vork, 9. Juli. Das gesamte zwischen Chicago und New-Port liegende Gebiet wird ebenso wie der Westen Amerikas von einer großen Hitzewelle heimge sucht. In New-Pork erreichte die Temperatur gestern den Höchststand mit 34 Grad Celsius im Schatten. Auch Chicago hat sehr unter der Hitze zu leiden. In beiden Städten sind zahlreiche Personen vom Hitzschlag getrof fen worden. Nicht weniger als 47 Todesfälle sind als direkte oder indirekte Folge der Hitze zu verzeichnen. Drei Personen brachen in den Straßen von New-Pork infolge der Hitze tot zusammen. Viele hunderttausend New-Porker suchten am Wochenende Erleichterung in den Seebädern an der Küste. Im Westen der Ver einigten Staaten schwankte die Temperatur zwischen 34 und 44 Grad Cels. Dort werden 3V Todesopfer auf die Hitze zurückgeführt. In Mittelamerika kam die Hitze zunächst infolge starker Regenfälle nicht so zur Geltung. Äntergang eines Ozeandampfers. Berlin, 9. Juli. Das chilenische Marineministerium gibt bekannt, daß das Marinetransportschiff „Angamos" im Golf Arauco an der chilenischen Küste, unweit des Hafens Lebu, gesunken ist. Hierbei sind 291 Mann ertrunken Der Kapitän des Schiffes hat auf der Kommandobrücke Selbstmord begangen. Nach weiteren Meldungen befanden sich an Bord des untergegangenen Schiffes 296 Personen, darunter 80 Fahrgäste. Das Schiff lief bei einem heftigen Sturm auf Grund, nachdem das Steuer gebrochen war. Infolge der ungeheuren Wucht des Anpralls auf die Felsen brach es völlig auseinander. Nur vier Mann der Besatzung konnten schwimmend die Küste erreichen. Alle Rettungsarbeiten blieben erfolglos, da der Sturm mit unverminderter Wucht anhielt. Die zur Hilfe herbei geeilten Fahrzeuge fanden keine Spur von dem unter gegangenen Schiff mehr vor. Keine Spur von der „Angamos". Der Kreuzer „Venteno" und ein Zerstörer sind an der Stelle des Unterganges der „Angamos" einge troffen, die sich südlich von Lebu an der Südkllste von Chile befindet. Von dem Schiff waren keine Spuren zu entdecken. Unter den ertrunkenen 8V Passagieren be fanden sich viele Frauen und Kinder. Während der letzten zwei Tage hat in der Gegend der Katastrophe schwerer Sturm geherrscht. Die vier Geretteten sind Rekruten. Ueber die Ursache der Katastrophe sind bis jetzt noch wenig Einzelheiten bekannt geworden, da die geretteten Matrosen sich in einem Zustand befinden, der ein längeres Verhör nicht zulüßt. Aus ihren Aeußerungen geht hervor, daß das plötzliche Eintreten des Unglücks dem Kapitän es nicht mehr ermöglichte, diejenigen Maß nahmen zu ergreifen, die die Rettung mindestens eines Teiles der Reisenden und der Besatzung gesichert hätten. Vor dem Marineministerium in Santiago de Chile, vor dem sich die Familien der Matrosen und der an Bord der „Angamos" befindlichen Reisenden eingefunden hatten, um Nachrichten über ihre Angehörigen zu er langen, spielten sich ergreifende Szenen ab. Der Marineattachs der chilenischen Gesandtschaft in Paris, erklärte einem Vertreter des Pariser „Soir", unter anderem, daß die „Angamos" ein altes Schiff gr" wesen sei, das zur Beförderung der für das Geschwader nötigen Kohle und Lebensmittel diente. Sein Lade vermögen habe 4500 Tonnen betragen. Im Golf voU Arauco hätten sich schon zahlreiche Schiffbrüche ereignet, da die Fahrlinie sehr schlecht und voller Felsen und Klippen sei und dort ein fast ununterbrochener SturNt herrsche. Die genaue Zahl der bei der Katastrophe ums Leben Gekommenen dürfte wohl niemals bekannt werden, da das Schiff unterwegs an mehreren Orten an gelegt und die Passagierlisten sich beständig erhöht hatten. Das Schiff hatte im Sturm das Steuerrad verloren, wodurch es die Manövrierfähigkeit einbüßte. Die viel geretteten Rekruten erzählen schreckliche Einzelheiten von den Kämpfen um die Rettungsringe, um die Plähe in den Booten und um die kleinen nach der Katastrophe herumschwimmenden Wrackstücke. Verheerende Änwetter. Sturm über Thüringen, Hageischlag im Chiemgau, Orkane in Böhmen, Oesterreich und Italien. Ueber dem südlichen Teil Mitteldeutschlands besonders im ganzen Thüringer Wald gingen am Fr<>- tag nachmittag schwere Gewitter nieder, die mit Wirbel stürmen verbunden waren. Besonders schwer wurde die Gegend um Tambach-Dietharz heimgesucht, wo der Sturm die Dächer verschiedener Fabriken und Woh^ Häuser abdeckte. Ein großer Teil einer Pappenfabm wurde in die Luft gehoben, das 120 Zentner sch»^ Dach wurde 80 Meter weit fortgeschleudert. Bäume vv» 40 Zentimeter Stärke wurde» wie Streichhölzer geling Auch über die Gegend von Arnstadt ging eine WindlM hinweg und entwurzelte starke Bäume. In Dornhch" wurde eine 60jährige Frau vom Blitz erschlagen, cbcust in Wollmirstädt (Unstruttal) ein Mann, der unter ein^ Baum Schutz gesucht hatte. Der Gewittersturm, der Uber Jena hinw^ brauste, hat im Stadtteil Jena-Ost ein im Bau besing liches Wohnhaus, das bereits gerichtet war, wie c" Kartenhaus zusammengeworfen. Das gleiche Schickia bereitete der Sturm dem städtischen Brechwalzwsrk, ebenfalls umgeworfen wurde. Hierbei wurde ein erschlagen und der Kutscher leicht verletzt. Uebel ergn^ es auch einem Kraftwagenführer am Lutherplatz. der vor dem Universitätsgebäude stehenden Allee riß bf Sturm starke Aeste ab und warf sie auf die Droschke, ch' erheblich beschädigt wurde. Der Chauffeur mußte ' das Krankenhaus ausgenommen werden, hat sich ' aber wieder erholt. Der Schaden, der vielfach an ku Dächern angerichtet wurde, ist erheblich. .. Windhose und Hagelschlag in Böhmen und Oestertt^ Ueber Nordböhmen ging am Freitag eine Wi^ Hose hinweg, die großen Schaden anrichtete. Z"Y reiche Bäume sind entwurzelt worden. Sturm stürzte mehrere beladene Wagen um. Dabei w