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Kelloggpakl un- Wahlkamps. 27. Juni 1928 Die neue Kelloggnote ist nun glücklich in Europa gelandet. Noch nie wurde eine diplomatische Aktion mit solcher Beschleunigung und mit soviel Inbrunst geführt wie diese amerikanische Kriegsächtung. Kellogg, Coo lidges Staatssekretär des Aeußeren, hat es eilig, sehr eilig,' denn in Houston (Texas) tagt seit dem 26. Juni der Konvent der demokratischen Partei, der seinen Präsidentschaftskandidaten, den Gegenspieler Hoovers, nominiert. Und da es kein anderer als „Al-Smith", der populäre Gouverneur des Staates Neuyork ist, so haben die Republikaner es darauf abgesehen, möglichst viel Trümpfe bei der nunmehr mit größter Intensität einsetzenden Wahlkampagne in der Hand zu haben. Man kann sich in solchen Fällen und erst recht bei der Art wie der Wahlkampf in Amerika.stets war und bleiben wird, nie genug mit Wahlparolen versorgen können, be sonders wenn man so gut wie keine hat. Kellogg hat schon seinen Grund, es mit dem Kriegs ächtungspakt besonders eilig zu haben: er schützt durch ihn nicht nur die Interessen seiner Partei und ihrer Geldgeber, sondern auch seine persönlichen Interessen. Denn der Posten des Staatssekretärs für auswärtige Angelegenheiten, den er jetzt inne hat, ist auf dem besten Wege, ihm abhanden zu kommen. Kellogg ist der Mann Coolidges — und so ergibt sich, daß die Nominierung Hoovers die Position Kelloggs erschüttert hat. Hoover steht nämlich dem Industriekapital nahe, während Coolidge mehr zum Bankkapital Beziehungen pflegt. So sieht sich Kellogg veranlaßt, seine Aktivität zu ver doppeln und seinen Pakt unter Dach und Fach zu bringen. Und die übrige Welt muß dieses grotzangelegte Spiel mitmachen. Wer wird es auf sich nehmen wollen, den Kriegsächtungspakt zu verwerfen und hiermit in den Augen der öffentlichen Meinung Amerikas als böser Friedensstörer erscheinen? Ein solches Odium kann heute kein Land ertragen. Wo liegt die Gefahr des Kelloggpaktes? Die Ge fahr liegt in seiner Gefahrlosigkeit: er ist völlig außer stande, einen ernstlich drohenden Krieg zu verhindern, wohl aber ist er imstande, manche Illusion in dieser Hin sicht wachzurufen. Und das ist schlimm. Wo nichts als Wichtigtuerei vorliegt, nichts als feindurchdachtes Wahlmanöver, muß es doppelt peinlich sein, festzustellen, daß nun die Menschheit auf dem besten Wege ist, sich um eine neue Lüge bereichert zu sehen. Das Wahlprogramm der Demokraten. Neuyork, 27. Juni. Auf der demokratischen Partei tagung in Houston hielt Claude Bowers gestern die Programmrede, die sich in einer Reihe scharfer An griffe gegen die republikanische Kor ruptionpolitik erging. Besonders auf das Thema der Oelskandale kam Bowers immer wieder zu sprechen. Ueber das Alkoholverbot sprach er nicht. Als der Name Wilson erwähnt wird, brachen die Delegierten in lauten Beifall aus. Die Aussichten des Senator Smith verbessern sich fortdauernd. Immer deutlicher wird es, daß die demokratische Partei diesmal gewillt ist, in geschlossener Front in den Wahl kampf zu ziehen. Die „Nassen" und die „Trocknen" so wie die Befürworter der Farmer Nothilfe sind Kom promissen nicht abgeneigt. Die sogenannte Plattform, das amtliche Wahlprogramm liegt noch nicht vor. Frankreichs Antwort an Kellogg nur eine Empfangsbestätigung? London, 27. Juni. Wie der Pariser Berichterstatter der „Morning Post" hört, ist es nicht die Absicht der französischen Regierung, die neue amerikanische Note anders als mit einer bloßen Empfangsbestätigung zu beantworten, die jedoch Hinweise auf die in dem Be gleitschreiben des amerikanischen Staatssekretärs und in der Präambel zum Ausdruck gebrachten Aenderungen enthalten wird. Abschluß -er Regierungsbil-ung heule? Noch Schwierigkeiten wegen des Vizekanzlerpostens. Berlin, 27. Juni. Nachdem am Dienstag um die Besetzung des V i z e k a n z l e rp o st e n s in dem neuen Kabinett Meinungsverschiedenheiten zwi schen Hermann Müller und dem Zentrum entstanden sind, wird es sich heute in erster Linie darum handeln, diese aus dem Wege zu räumen. Das Zentrum besteht bisher noch darauf, daß der Vizekanzlerposten durch den Abg. Dr. Wirth besetzt werden soll, während Her - mann-Müller der Ansicht ist, daß die offizielle Be trauung einer Persönlichkeit mit dem Vizekanzlerposten nicht den Eeflogenheiten entspricht und nicht notwendig sei. Wie es heißt hat auch derReichspräsident diesen Standpunkt Hermann Müllers gebilligt. Die Komplikationen, die sich aus diesen Meinungsver schiedenheiten zwischen Hermann Müller und dem Zen trum ergeben können, lassen sich noch nicht übersehen. Es ist möglich, daß Dr. Wirth auf seiner Forderung be steht und die Annahme eines Ministerpostens in dem Kabinett überhaupt ablehnt. In diesem Falle wäre u. a. auch damit zu rechnen, daß Dr. Brauns auch das Amt des Reichsarbeitsministers, zu dessen Ueber- nahme er sich nur durch die dringende Bitte Müllers bereit erklärt hat, verzichtet. In Zentrumskreisen wird erklärt, daß das Zentrum an der Besetzung des Vize kanzlerpostens durch Dr. Wirth festhält. Hermann Müller hat am Dienstag das Justiz ministerium dem Heidelberger Professor Radbruch an geboten, dessen Antwort für heute erwartet wird. Her mann Müller hat die Absicht, falls die Verhandlungen günstig laufen, dem Reichspräsidenten heute nachmittag 5 Uhr Bericht zu erstatten und ihm die fertige Minister liste vorzulegen. Von den Ministerposten ist nach der bis jetzt vor liegenden Liste nur noch das I u st i z m i n i st e r i u m unbesetzt. Weitere Kilssmatznahmen für -ie im Eismeer Verschollenen. Wie aus Neu-Olesund gemeldet wird, hat sich einer der schwedischen Mechaniker bereit erklärt, sich mit dem Fallschirm ins Lager Nobiles hinabzulassen, um Leut nant Lundborg bei der Reparatur seines Flugzeuges behilflich zu sein. Die zu diesem Zweck notwendigen Reserveteile sollen mitgenommen werden. Zur Zeit herrscht starker Nebel. Sobald das Wetter sich bessert, wollen die schwedischen Flieger starten, um weitere Ret tungsversuche zu unternehmen. Außerdem besteht die Absicht, mit dem großen schwedischen Junkersflugzeug die Suche nach dem Wrack der „Italia" aufzunehmen. An dieser Expedition werden sich auch die Dornier-Wal und die Savoia-Maschinen beteiligen. Falls die Expedition ergebnislos verläuft wird man die Besatzung der „Italia" vermutlich verloren geben müssen. Auch bezüglich der Rettung der Malmqreen- Gruppe besteht nur noch wenig Hoffnung. Da Amundsen nun schon über eine Woche vermißt wird, glaubt man, daß er im stürmischen Meer umgekommen ist. Im Nobilelager sind in der letzten Zeit mehrere Eisbären geschossen worden. Die Hilfsmaßnahmen siir Guilbaud-Amundsen. Paris, 26. Juni. Die italienische Botschaft in Paris hat der französischen Regierung die Absicht Mussolinis in Bezug auf die Expedition Euilbaud sowie die er griffenen Hilfsmaßnahmen mitgeteilt. Danach wird Ravazzoni nach seiner Ankunft in Tromsö mit den Nach forschungen betraut, während andererseits die „Bra- ganza" der italienischen Regierung zur Unterstützung der Flieger Larsen und Lützow zur Verfügung steht. Frau Nobiles Telegrammm an ihren Gatten. Rom, 26. Juni. Die Rettung Nobiles wurde sofort nach dem Eintreffen der Nachricht in Rom durch einen höheren Beamten des Ministeriums für Luftfahrt be kannt gegeben. Frau Nobile hörte die Nachricht mit Rührung und Freude und ersuchte die Funktionäre im Luftfahrtministerium der schwedischen Regierung und den heldenhaften Rettern ihres Mannes ihren ewigen, tiefen Dank zum Ausdruck zu bringen. Frau Nobile hat an ihren Mann folgendes Telegramm gerichtet: „Möge die Madonna Dir und mir die große Freude der Unversehrtheit der gesamten Besatzung zu Teil werden lassen, damit in den schmerzenden Herzen der Familien angehörigen die Ruhe wiederkehren möge." Nobile über -as En-e -er Italia. Rom, 27. Juni. Amtlich werden die ersten Einzel heiten bekanntgegeben, die Nobile über den Niedergang des Luftschiffes auf dem Eise mitteilt. Daraus geht hervor, daß zuerst die Motorgondel, in der sich der Mechaniker Tomella befand, auf das Eis auf geschlagen hat, wobei der Mechaniker den Tod fand. Seine Leiche wurde unweit der Stelle gefunden, wo die Führergondel in Stücke ging. Er wurde dort be graben. Von der Luftschiffhülle erklärt Nobile, daß sie in einem Umkreis von 50 Kilometern zu suchen sei. Die Hülle sei abgetrieben worden. Er habe in einer Entfernung üon etwa 10 Kilometern eine kleine Rauch säule bemerkt, die wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, daß ein Benzin- oder Oeltank in Brand geriet. Von der Gruppe Mariani liegen noch keine Mel dungen vor. Aus Nobiles Mitteilung ist zu ersehen, daß die Gruppe mit Lebensmitteln für etwa 40 Tage ausgerüstet ist. Sie besaß Karten und Instrumente zur Lagebestimmung, jedoch keine Zelte und Waffen. Der schwedische Meteorologe Malmgreen, der sich bekanntlich in dieser Gruppe befindet, glaubte täglich 10 Kilometer zurücklegen zu können, während der Marschweg zeigt, daß die tägliche Marschleistung der Gruppe Malmgreen nur etwa 5 Kilometer betragen könnte. Als diese Gruppe den Standort der Nobile- gruppe verließ, war die kleine Radiostation in der Lage zu empfangen, sie konnte aber nicht senden. Hierdurch war der Gruppe Malmgreen nicht bekannt, in welche Gegend Schiffserpeditionen geschickt worden waren. Nobile sehr krank — Amunbsen verloren? Stockholm, 27. Juni. Die vierte schwedische Hilfs expedition unter Führung des Hauptmanns Pallin ist nach Spitzbergen abgegangen. Sie führt ein Junkers flugzeug, ein Sportflugzeug und Hundegespanne mit sich. Wie „Stockholm Dagbladet" mitteilt, ist Nobiles Krankheitszustand sehr bedenklich. Er hat sehr hohes Fieber. Ueber den Hinlopen liegt dichter Nebel. Das schwedische Flugzeug „Uppland" ist trotzdem wieder auf gestiegen, um Amundsen zu suchen. Der Flugzeug führer Nilsen ist der Ansicht, daß Amundsens Flugzeug bei d e r B ä r e n i n s e l nnterge- g a n g e n ist. Heimkehr eines Teiles der „Jtalia"-Mannschaft. Triest, 27. Juni. Wie aus Stockholm gemeldet wird, sind 15 Italiener, die an der Expedition Nobiles teil nahmen, zum größten Teil Monteure und Mechaniker, unter ihnen auch der Bruder Nobiles, Professor Ama deus Nobile, auf der Rückfahrt nach Italien. Kun-eschtttten zu Nobiles Gruppe unterwegs. Oslo, 27. Juni. Wie aus Spitzbergen gemeldet wird, erscheint es vorläufig ausgeschlossen, den in Nobiles Lager Verbliebenen Hilfe zu bringen. Wie die schwedischen Flieger mitteilen, haben sie in der Gegend von Nobiles Lager etwa in einer Entfernung von 16 Kilometern auf dem Eise eine Hundeschlitten- erpedition, die sich auf das Lager zu bewegte, gesehen. Das französische Flugzeug „Quentin Roosevelt" so wie das norwegische Panzerschiff „Tordenskjold" sind am Dienstag abend in Tromsö eingetroffen. Der Führer des norwegischen Kriegsschiffes hat die Absicht, mit dem russischen Eisbrecher „Krassin" und mit dem französischen Flugzeug bei der Suche nach Amundsen zusammenzu arbeiten. Zum neuen Lan-eslehrplan. Der Eo.-Iuth. Landesschulverein für Sachsen nimmt zum neuen Landeslehrplan in folgender Erklärung Stel lung: „Durch den neuen Landeslehrplan mit seinen klaren Richtlinien wird erfreulicherweise die bestehende Willkür beseitigt. Wir erkennen auch an, daß der Lehrplan durch Wiedereinführung der Bibel und des Gesangbuches im Religionsunterricht als Lehrmittel, durch Vermehrung der Stundenzahl für den Gesangsunterricht, durch Bei behaltung des Lesebuches, durch Betonung des deutschen Volkstums Verbesserungen gegenüber dem Entwürfe bringt. Der Verfasser des Landeslehrplans nimmt die Umsturz-Verordnung vom 2. Dezember 1918 und das Uebergangsschulgesetz zur rechtlichen Grundlage. Von diesem Standpunkte aus sind seine Vorschläge verständ lich. Doch sprechen wir dem Staate das Recht ab, ohne Fühlungnahme mit der Kirche den Inhalt des Religions unterrichts von sich aus festzulegen und uns den Kate chismus als Lehrbuch zu nehmen (Art. 149 der Reichs verordnung). Wenngleich wir im Rahmen der bestehenden Gesetze unser Schulideal nicht verwirklichen können, so sind wir doch bereit, an der religiösen Erziehung unserer Kinder in der Schule mitzuarbeiten. Dabei halten wir fest an der Forderung einer christlichen Bekenntnisschule mit Bibel, Katechismus und Gesangbuch und werden nicht nachlassen, uns wie bisher mit allen gesetzlichen Mit teln für Erreichung dieses Zieles einzusetzen." In Warschau kriselt es. Warschau, 27. Juni. Die bereits gemeldeten Ge rüchte über die letzten Beratungen zwischen dem Staats präsidenten, Marschall Pilsudski, und dem Vize premier Barthel wegen des bevorstehenden Ur laubs Pilsudskis und seines Vertreters während dieser Zeit, finden jetzt auch in verschiedenen Presseinformationen glaubhafte Bestätigung. Vizepräsident Barthel ist der art überarbeitet, daß er einen mehrmonatigen Urlaub in einem ausländischen Kurort antreten muß. Marschall Pilsudski wird Anfang nächster Woche Warschau zunächst für mindestens drei Monate verlassen. Im Zusammen hang mit den verschiedensten Nachrichten über den wahr scheinlichen Vertreter der beiden Leiter der polnischen Re gierung erhält sich hartnäckig das Gerücht von einer Krise innerhalb des Kabinetts und einer bevorstehen den Umbildung der Regierung. In der letzten Beratung im Schloß soll Marschall Pilsudski seine größte Unzufriedenheit über den Erfolg der polnischen Politik während der letzten beiden Jahre geäußert haben und Vizepräsident Barthel daraus dem Marschall den Rück tritt des Kabinetts angeboten haben. Im Hinblick auf den schweren Zustand des Marschalls soll eine offene Krise zurzeit vermieden worden sein. Man spricht da von, daß General Sossenkowski aus einen neu zu schassen den Posten kommen soll, wo er die militärische Leitung in der Hand hat. In unterrichteten politischen Kreisen Warschaus sieht man jedoch die Lage sehr ernst an und befürchtet, daß durch das Ausscheiden des Marschalls Pilsudski während der nächsten Zeit die innerpolitischen Gegensätze von neuen« eine Verschärfung erfahren und deutlich in den Vorder grund treten werden. Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius bestohlen. Berlin, 27. Juni. Während Reichswirtschafts minister Dr. Curtius im Reichstage weilte, wurde ihlN heute aus seinem Auto eine Aktentasche gestohlen, in del sich sein Reisepaß, sein Scheckheft, mehrere Bücher und persönliche Aufzeichnungen befanden. Die deutschen Ozeanflieger nach München gestartet. Berlin, 27. Juni. Die deutschen Ozeanflieger Hauptmann Köhl, von Hüneseld und der irische Majo« Fitzmaurice sind heute 9,45 Uhr vom Flughafen Tempel hof mir der „Europa" nach München gestartet. Sil beabsichtigen in Koburg eine kurze Zwischenlandung vorzunehmen. Ein deutscher Major in Afghanistan verhaftet. Berlin, 27. Juni. Wie nach einem Brief aus Kst bul berichtet wird, ist der deutsche Major Christen in Kabul unter Militärbewachung, seine Familie unter Polizeiaufsicht gestellt worden, weil er bei einer Uebung mit einem afghanischen Offizier einen scharfen sammenstoß gehabt haben soll. Der Afghane soll i» Lebensgefahr schweben. Eine Bestätigung war an M stündiger Stelle noch nicht zu erhalten. Die Radikalsozialisten für das Vertrauensvotum? Paris, 27. Juni. In den Fraktionszimmern der Kammer herrscht fieberhafte Tätigkeit um die Stellung nähme zu den Vertrauensvoten festzulegen, die am Fre» tag die allgemeine politische Aussprache beschließen solle»' Dienstag abend sand im Innenministerium unter den Vorsitz des Innenministers eine Besprechung mit des anderen radikalsozialistischen Ministern Herriot, Queuille-' Perrier sowie dem Vorsitzenden des radikalsozialistische» Vollzugsausschusses, Daladier, und den Führern de radikalsozialistischen Gruppe statt. Ueber den Ausgang der Verhandlungen wurde Stillschweigen bewahrt, d«M scheint man sich dahin geeinigt zu haben, daß die Radim sozialisten das von der radikalen Linken eingebrachte Der trauensootum unterstützen werden. In diesem Ver trauensvotum wird der Regierung das Vertrauen ausge sprochen, aber die von Poincare in seiner Regierung^ erklärung gebrauchten Worte „Nationale Vereinigung durch die Worte „Nationale Einheit" ersetzt, die Po"' care in seiner Carcassonner Rede gebraucht hat.