Volltext Seite (XML)
Kurze Mitteilungen. 20. Juni 1928 In der gestrigen Sejmsitzung, die bis Mitternacht dauerte, wurde das Amnestiegesetz nach Ablehnung sämt licher Verbesserungsanträge in zweiter und dritter Lesung angenommen. Der französische Senat lehnte in seiner Dienstagsitzung das Wahlrecht und die Wähl barkeit der Frauen erneut ab, indem er einen An trag auf Festsetzung eines Termins zur Beratung eines diesbezüglichen Gesetzentwurfs mit 176 gegen 123 Stim men verwarf. In politischen Kreisen Londons glaubt man, daß der Erzbischof von Canterbury infolge der Ab lehnung des abgeänderten englischen Gebetbuchs durch das Unterhaus am Schluß der in der nächsten Woche statt- sindenden Tagung der Diözesen-Bischöfe seinen Rücktritt erklären wird. Nach Meldungen aus Tokio erklärt das japa nische Auswärtige Amt die Gerüchte für unwahr, wonach Japan die Einsetzung eines Verwaltungsausschusses aus Vertretern der ausländischen Mächte in Tsinanfu be absichtige. Diese Gerüchte hatten in den Vereinigten Ttaaten beträchtliches Aufsehen erregt. Amundsen bei Nobile? 20. Juni 1928 Das „Berliner Tageblatt'^ meldet aus Oslo: „Morgenbladet" verbreitet spät abends die Nachricht, dah Amundsen gestern nachmittag glatt neben Nobile gelandet sei. Ganz Oslo ist außer sich nor Freude. Eine Bestätigung dieser Meldung von anderer Seite liegt bisher nicht vor. Nobile erblickt feine Retter, doch diese finden ihn nicht. „Agenzia Stefani" veröffentlicht einen Funkspruch bei „Citta di Milano", in dem es heißt, Riiser Larsen Md Lützow Holm seien bei der Rückkehr von ihrem ge strigen Fluge unterrichtet worden, daß sie von Nobile in einer Entfernung von etwa 2 Kilometer gesichtet wurden. Mit bewunderungswürdigem Eifer unter nahmen beide sofort mit demselben Apparat einen neuen Flug, aber auch diesmal gelang es ihnen nicht, das rote Zelt Nobiles zu erblicken. Major Maddalena startete 5,25 Uhr. Er überflog die „Vraganza" in der ^cihe des Nordkaps in dem Augenblick, als die norwe gische Maschine zuriickkehrte. Auch Maddalena gelang es nicht, Nobile zu finden. Maddalena kehrte um U,45 Uhr wieder nach Kingsbay zurück. Nobile wurde dahin unterrichtet, daß er beim nächsten Fluge der § 55 dem Flugzeuge radiotelegraphisch die Route an geben solle, sobald das Flugzeug in Sicht käme. Noch keine Nachricht von Amundsen Oslo, 20. Juni. (Funkspruch.) Ueber bas fran- Msche Flugzeug mit Amundsen an Bord ist bisher noch keine zuverlässige Nachricht eingetroffen. Da die Strecke Mischen Tromsö und Kap Smith in der Luftlinie nur etwa 1400 Kilometer lang ist, während der Aktions radius des Flugzeuges etwa 4000 Kilometer beträgt, damit gerechnet werden, daß Amundsen und seine Begleiter direkt auf das Lager Nobiles zugesteuert sind. In diesem Falle wäre das Fehlen einer Nachricht leicht u> erklären. In der Nacht vom Dienstag auf Mitt woch verbreitete sich hier das Gerücht, daß ein im nörd- tichen Eismeer kreuzendes dänisches Fahrzeug einen mmkspruch von Amundsen aufgefangen habe, nach dem das französische Flugzeug bei dem Lager Nobiles niever- gtgaugen sein soll, lieber ganz Spitzbergen herrscht außerordentlich klares, ruhiges und schönes Wetter. 2as nördliche Eismeer steht unter einem Hochdruck gebiet, daß sich von Grönland bis Nowaja Semlja hin- Aht. Die Temperatur hält sich etwa um 2 Grad Wärme. Die „Upland" auf der Suche nach Nobile. Stockholm, 20. Juni. (Funkspruch.) Das schwedische dreimotorige Junkersflugzeug „Upland" ist Dienstag um Mitternacht in Kingsbay eingetroffen und ist unver züglich aufgestiegen, um sich nach der Insel zu begeben, wo Nachforschungen nach Nobile erfolgen sollen. * Die „Freundschaft" in Southampton eingetrossen. Das amerikanische Flugzeug „Freundschaft", das am Montag mit den Fliegern Frl. Earhart und Wilmer Stultz nach Ueberguerung des Ozeans infolge Vrenn- stoffmangels in der Nähe von Llanelley in Südwales niedergehen mußte, ist am Dienstagvormittag in Sout hampton eingetroffen. Der Willkommen, den die „Freundschaft"-Flieger in Southampton erhielten, war international: denn der Menge der Amerikaner, unter denen sich auch der amerikanische Konsul befand, schlossen sich die Passagiere des holländischen Dampfers „Usambara" und die Ma trosen dreier chilenischer Zerstörer an, die sich auf dem Deck ihrer Schiffe versammelten und ihr Willkommen ausriefen, das fast von dem Chor der Sirenen aller im Hafen liegenden Dampfer erstickt wurde. In den Straßen jubelten Tausende von Menschen den Fliegern zu, denen die Bürgermeisterin der Stadt einen Empfang gab. AmerikanifcherJIubeMber -en neuen Attanttkflug. Der Erfolg der neuen Atlantikflieger hat in Amerika großen Jubel ausgelöst. Die Zeitungen ver öffentlichen spaltenlange Berichte. Es werden bereits die nötigen Vorbereitungen erwogen, um Frl. Earhart, bei ihrer Rückkehr in ihrer Heimatstadt Boston einen königlichen Empfang zu bereiten. Entgegen anders lautenden Meldungen hat Frl. Boll ihren Plan, einen Atlantikflug auszufllhren, nicht aufgegeben, son dern sie beabsichtigt noch heute zu einem Fluge nach Rom zu starten. Ein Angebot an Frl. Earhart. In Southampton hatte sich bei der Landung von Frl. Earhart und des Piloten Stultz ein Vertreter einer amerikanischen Filmgesellschaft eingefunden, um Frl. Earhart einen Vertrag anzubieten nach dem sie während fünf Wochen ein wöchentliches Gehalt von 8000 Mark erhalten soll. Die Flieger fuhren nach kurzem Aufent halt in Southampton nach London weiter. O Thea Rasche bereitet sich zum Ozeanflug vor. Die deutsche Kunstfliegerin Thea Rasche, ist nach Meldungen aus Neuyork mit ihrem Flugzeug gestern nach Old Orchard geflogen, um dann, sobald die Wetter berichte günstig genug lauten, zu ihrem Neuyork— Berlin-Fluge zu starten. Das von ihr benutzte Flug zeug ist ein zweimotoriger Bellanca-Eindecker mit einem zweihundert L8-Wright-„Whirlwind"-Motor. Aus aller Wett. 20 Juni 1928 * Bluttat im Gerichtssaal. Im Verlauf eines Ehren beleidigungsprozesses, der vor dem Hietzinger Bezirks gericht (Wien)'stattfand, hat der Redakteur Oskar Poffl den Redakteur Bruno Wolf vom „Neuen Wiener Jour nal" während der Verhandlung durch drei Revolver schüsse in die Brust getötet. Der Täter war vor geraumer Zeit von Wolf der Bestechung und Erpressung geziehen worden. Bei der von Poffl eingebrachten Verleumdungs klage wurde der Klage Poffls recht gegeben. Poffl hatte nunmehr gegen Wolf die Ehrenbeleidigungsklage einge reicht, in deren Verlauf Posfl den Redakteur Wolf ge tötet hat. Wolf war sofort tot, Poffl wurde verhaftet. Der tragische Zwischenfall hatte eine bewegte Vorge schichte. Dem „Neuen Wiener Journal", dem seinerzeit die beiden Prozeßgegner angehört hatten, waren wich tige Prozeßakten aus einer Sensationsaffäre zugegangen. Poffl hatte davon die Polizei unterrichtet. Eine Frau wurde wegen dieser Aktengeschichte strafrechtlich verfolgt. Unter dem Eindruck der folgenschweren Indiskretion des Poffl, der deswegen auch die Zeitung verlassen mußte, nannte Bruno Wolf den Poffl einen Erpresser und Revolverjournalisten. Von Poffl war auch bekannt, daß er in der Inflationszeit große Schiebungen begangen hatte. Der sich daraus entwickelnde Beleidigungsprozeß sollte nach bereits einjähriger Dauer am gestrigen Diens tag wieder zu einem Termin führen. Als Wolf seine beleidigenden Erklärungen gegen Poffl nicht zurücknahm, gab dieser plötzlich fünf Revolverschüsse aus seinen Wider sacher ab. Man hat den Eindruck, daß Poffl schon mit dem Vorsatz den Eerichtssaal betreten hatte, seinen Pro zeßgegner niederzuschießen. * In der Wüste verschollen. Englische Heeres flugzeuge stellen Nachforschungen in der Wüste nach einem Automobil an, das am Sonnabend Bassorah mit 21 Reisenden verlassen hat, aber an seinem Bestimmungsort Nasiriyah nicht eingetrossen ist und auch seitdem nicht wieder gesehen wurde. * Das Opfer eines üblen Scherzes. Auf der Do mäne Ziemientzitz bei Eleiwitz machten sich Bauarbeiter den Scherz, den schadhaften Lichtschalter mit einer Tür klinke durch einen Blumendraht zu verbinden. Sie be lustigten sich dann, wenn Ankömmlinge, die den Türgriff berührten, einen elektrischen Schlag erhielten. Um die Wirkung noch zu verschärfen, goß ein Zimmermann noch Wasser auf den Fußboden und feuchtete die Türklinke an. Als nun ein Maurer die Türklinke berührte, fiel er sofort um und starb nach wenigen Minuten. * Juwelenräuber in München. In der vergangenen Nacht wurde in München in dem Laden des Juweliers Alban von anscheinend internationalen Einbrechern ein Einbruch verübt, bei dem den Tätern Brillantringe, Arm bänder und andere Schmucksachen im Gesamtwerte von über 40 000 Mark in die Hände fielen. Zum neuen Ozeanfluge Neufundland-Europa. Das Flugzeug „Freundschaft". Wollen und Sonnenschein. Roman von Emil4e Sich«. H (Nachdruck verboten.) »Du bist glücklich, Leonhard," sagte Herr Ellinger M einem trüben Lächeln, „deine Jungens stehen für sich Mber ein." Der Bürgermeister lachte: . »Sie müssen schon, Hermann, das wissen sic, denn ich Mn ihnen später nicht viel geben; mein Geldbeutel hat Made gereicht, sie etwas Ordentliches werden zu lassen." Die Bürgermeisterin wandte sich an Frau Ellinger: »Gerhards Braut ist ein liebes und feines M.ädchen." Frau Ellinger nickte: „ . »Ich freue mich sehr, wenn ich sie in der Nähe habe, M ich glaube sicher, daß Gerhard mit ihr glücklich ist." ^ora stand auf und sagte zu Leone, die neben ihr saß: »Wollen wir nicht ein wenig in den Garten gehen? d habt „och so schöne Blumen, wie ich sehe." H .Leone erhob sich. Die beiden Mädchen nickten den djw Reibenden lächelnd zu und schritten Arm in Arm "on. Als sie anher Hörweite waren, sagte Hermann "Niger mit einein Seufzer: k, , "Wenn nur Nora einmal zur Vernunft kommen der „Künstler" steckt ihr immer noch im Kopf." ">;ch.dachte mir gleich, daß sie noch nicht ganz darüber ist," sagte die Bürgermeisterin, „sie ist so ruhig 'acht gai nicht." Ellinger wischte sich mit dem Taschentuch übers "cht, daun sagte sie unsicher: könnt gar nicht glauben, was wir mit Nora chejk achen müssen, seitdem sic wieder daheim ist! Ich dj,„, "lu nicht zu helfe«, weun es so fortgeht. Sie lein Eiuladuug au, ist ganz menschenscheu und »„Wort darf mau zu ihr sagen, sonst fängt sic gleich »u weinen." Bürgermeisterin nickte crnsi nud sagte mit ihrer almilen, weichen Stimme: " hat eben auch schon viel Kummer erlebt, die arme Nora. Nicht genug am Unglück mit ihrem Manne, auch ihr Kind hat sie hergeben müssen." Frau Ellinger schluchzte: „Ja, das ist das schlimmste — das süße Kind — es wäre sicher alles anders, wenn es am Leben geblieben wäre." „Glaub' doch das nicht, Mutter," fiel Herr Ellin ger ein. „Wäre es nicht doch besser gewesen, wenn du noch ein Jahr zugesehen hättest, Hermann?" „Das war unmöglich, Leonhard! Mem Gott, wenn ihr alles wüßtet! Ich kann es gar nicht erzähle«, well ich keine Worte dazu habe! Der Mann hat mich m de« fünfzehn Monaten» da Nora mit ihm verheiratet war, mehr als genug gekostet; wenn er kein Geld mehr hatte, hat er Schulden gemacht und ich mußte sie bezahle«. Ich hatte mir oft vorgenommen, keinen Pfennig mÄhr zu be zahlen, aber Nora kam immer wieder und bettEe, was konnte ich dan« anders, ich tat es ihr zuliebe. Und dann das allerschlimmste, als das Kind erkrankte! Es war schon keine Art von ihm, daß er Nora einfach zu uns schickte, während er allein in Darmstadt blieb. Nora tele graphierte ihm sofort, daß das Kind gefährlich krank sei, und bat ihn, zu kommen, aber er gab nicht einmal Ant wort; ich selbst depeschierte ihm zweimal und habe ein paarmal telephoniert, aber mein Herr Levinsky ließ sich nicht sehen — als ob es von Darmstadt her weit wäre — und als er dann endlich kam, war das arme Kind im Sterben." Bürgermeister Thomas schüttelte den Kopf. „Man sollte es nicht für möglich halten, wie gewissen los manche Leute sind, besonders so ein Künstler, der nichts anderes gewöhnt ist, als gefeiert und von Frauen verehrt zu werden." „Ja, und denke, die Schande! Die Zeitungen haben es groß und breit geschrieben und ganz Frankfurt hat da von gesprochen, daß Levinsky die Nacht vor dem Tode seines Kindes in Darmstadt bei großer Gesellschaft war." Hermann Ellinger hielt inne. Sein blaß gewordenes Gesicht und die zitternde Rechte, die nach dem Wasserglas griff, verrieten seine innere Aufregung; seine Fran weinte leise, auch die Bürgermeisterin wischte sich die Augen, dann sagte der Bürgermeister: „Nicht wahr, Hermann? Geld ist auch nicht alles. Ich weiß es jetzt, allerdings hat es eine lange Zeit ge braucht, bis ich zu dieser Erkenntnis kam. Huh, war das hart, als mein Vater gestorben war und ich erfuhr, daß er nicht der reiche Mann war, für den er gegolten hatte, daß das Geschäft schon lange fies verschuldet war und ich nicht einmal meine Studien beenden konnte." „Ich weiß es noch, Leonhard," lachte Hermann Ellin ger, fein Gesicht hatte sich wieder aufgehellt; „der Gedanke, daß dich das gleiche Los getroffen hatte, tröstete mich etwas darüber hinweg, daß ich Alt-Heidelberg so früh verlaßen mußte." Die beiden Herren lachten herzlich, dann sagte der Bürgermeister: „Ja, ja, die Zeiten haben sich geändert. Früher galt ich als reicher Erbe und du hattest dich durchzuschlagen, j^t bist du ein steinreicher Mann und ich ein armer Schlucker." Er lachte wieder und sein Blick flog über das Gesicht seiner Frau — „aber ich habe mich ausgesöhnt mit meinem Schicksal, was, Anneliese?" Die Frau nickte lächelnd. „Vor zwanzig Jahren waren wir zwei auch glücklicher, gett, Julie? Da hatten wir noch nicht soviel Geld wie jetzt und mußten uns einschränken, aber die Kinder waren noch klein und machten uns Freude." Die letzten Worte klangen schon wieder bitter. Bür germeister Thomas merkte es und sagte: „Siehst du nicht alles zu schwarz an, Hermann? Es war ja nicht Noras Schuld, daß der Mann nicht war, wie er hätte sein sollen." „Das freilich war nicht ihre Schuld, aber ich wollte nicht haben, oaß sie ihn heiratete. Sie hat es jedoch ein fach erzwungen, drohte, daß sie ins Wasser geht, wenn sie ihn nicht heiraten darf, und endlich hab' ich nachgegeben. Was ist es jetzt? Nun müssen wir wieder Sorgen haben, ob sie nicht schwermütig wird." (Forts, folgt.)